Jenseits der Kritik? Schmähpraktiken in der Aufklärung, Schmähpraktiken von Aufklärern

Jenseits der Kritik? Schmähpraktiken in der Aufklärung, Schmähpraktiken von Aufklärern

Veranstalter
Andreas Pecar (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), Gerd Schwerhoff (TU Dresden), in Verbindung mit den Franckeschen Stiftungen und dem Interdisziplinären Zentrum zur Erforschung der Europäischen Aufklärung
Veranstaltungsort
Franckesche Stiftungen, Franckeplatz 1 (Haus 52-53: Neugebauer Saal)
PLZ
06110
Ort
Halle
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.06.2023 - 01.07.2023
Deadline
31.05.2022
Von
Andreas Pecar, Historisches Institut, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Tagung in den Franckeschen Stiftungen,
Halle a.d.S., 29.Juni – 1. Juli 2023
Prof. Dr. Andreas Pečar (Halle) / Prof. Dr. Gerd Schwerhoff (Dresden)

Jenseits der Kritik? Schmähpraktiken in der Aufklärung, Schmähpraktiken von Aufklärern

Schmähungen und Beleidigungen, überhaupt sprachlich-zeichenhafte Herabsetzungen, stellen eine Grundmodalität menschlicher Kommunikation dar, die gesellschaftliche Ordnungen formt und verändert. Nicht nur die Erfahrung des gegenwärtigen Zeitalters des Populismus ist davon geprägt. Invektive Kommunikationsformen waren auch in allen vergangenen Epochen präsent und trieben den historischen Wandel voran. Die Geschichtswissenschaft hat dem in letzter Zeit durch die Intensivierung einschlägiger Forschungen Rechnung getragen. Insbesondere für die Zeit der Antike, des Spätmittelalters, des Humanismus sowie der Reformation und des konfessionellen Zeitalters hat sie die kommunikative Praxis von Schmähungen, deren soziale Funktion und Folgewirkungen in den Blick genommen worden. Auch die Zeit der Aufklärung wird in jüngster Zeit verstärkt unter diesem Gesichtspunkt erforscht, was insofern bemerkenswert ist, als die klassische Aufklärungsforschung gerade umgekehrt das vernünftige Räsonnement als Kern der Epoche ausmachte und damit einem Selbstbild der Aufklärer folgte, nach dem diese untereinander sachlich streiten, sich aber nicht persönlich schmähen würden: „Nur ungezogene grobe Leute greifen die Person ihrer Gegner an“, so Gottsched 1758. Unsachlich und polemisch, so die gelehrten Aufklärer, sind die Anderen, die Angehörigen der höfischen Gesellschaft ebenso wie der gemeine Pöbel. Gerade in dieser Externalisierung der Polemik aber liegt natürlich selbst ein polemisches, herabwürdigendes Element.
Den Erscheinungsformen, Funktionen und Folgen invektiver Kommunikation, ihren Dynamiken, Veränderungen und Folgen im Zeitalter der Aufklärung will die Tagung systematisch nachspüren. Es geht uns darum zu untersuchen, wie damit die soziale Position und Autorität von Personen, Institutionen oder Gruppen herabgemindert oder erhöht wurde, wie Gruppenbildungen und gesellschaftliche Aus- und Einschlüsse in diesem Zusammenhang funktionierten. Um die den Schmähungen zugrundeliegende soziale Logik zu verstehen, müssen die kommunikativen Kontexte der Invektiven in die Betrachtung mit einbezogen werden. Wir fragen daher nach spezifischen Konstellationen der Herabsetzung. Dabei gehen wir von der Annahme aus, dass Schmähungen nicht allein auf einen Sprecher zurückgeführt werden können, sondern dass ebenso auch der Adressat und das Publikum darüber entscheiden, ob eine Schmähung vorliegt und welche Anschlusskommunikation diese zur Folge hat. Bei der Interpretation von Schmähungen als kommunikativer Praxis hat man immer die Triade von Sprecher, Adressat und Publikum mit einzubeziehen. Ferner ist nach der Invektivendynamik zu fragen, ob also Schmähungen weitere Schmähungen auslösen und immer mehr Personen mit einbeziehen.
Im Zusammenhang mit Schmähungen als kommunikativer Praxis fragen wir zum einen nach den jeweils eingesetzten rhetorischen Mitteln. Es geht uns um das Verhältnis von Sprache und Gewalt gegen Sprache als Medium der Vernunft und der Verständigung (Habermas), auch um die graduellen Unterschiede zwischen Kritik, Satire und Parodie, Polemik und Schmähung, und die dabei zu beobachtenden Grenzüberschreitungen. Zum anderen fragen wir nach den sozialen Folgen dieser kommunikativen Praxis. Es geht uns um Gruppenbildungen, die durch Ehrangriffe erst ausgelöst wurden oder befestigt wurden, Bündnisse, die infolge von Ehrangriffen entstehen oder aber auseinanderbrechen.
In Bezug auf die Epoche der Aufklärung können dabei z.B. folgende Aspekte im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen:
1. Die Aufklärung wird gerne auch als Zeitalter der Philosophie apostrophiert. Gemeint ist damit die Etablierung einer sachorientierten Kritik, einer an der Vernunft orientierten Urteilskraft, einem Interesse an kritischem Austausch, Rede und Gegenrede auf der Basis vernunftgeleiteter Argumente, also die Etablierung eines „herrschaftsfreien Diskurses“ (Habermas), bei dem das bessere Argument Geltung erlangen sollte. Inwiefern ändert sich unser Bild vom Zeitalter der Philosophie, wenn sich die Aufklärungsforschung weniger den kritischen Sach- und Werturteilen der Aufklärer zuwendet, sondern stattdessen diejenigen Angriffe der Aufklärer in den Blick nimmt, die gegen Personen gerichtet waren und auf deren Diffamierung, Ausgrenzung, Bloßstellung abzielten? Der erste Befund scheint zu ergeben, dass es an solchen persönlichen Angriffen von Aufklärern keineswegs mangelte – sie verdienen größere Aufmerksamkeit, als ihnen in der Aufklärungsforschung bisher zuteilwurde. Wenn auf der Tagung daher die kommunikative Praxis der Schmähungen von Aufklärern in den Blick genommen wird, so dürfte sich aus dieser Perspektive auch eine Neubewertung des Verhältnisses von sachorientierter Kritik und persönlichem Angriff ergeben.
2. Mit dem Begriff der Aufklärung korrespondiert – neben der Affinität zur Kritik – auch der häufig emphatisch vorgetragene Wahrheitsanspruch der Aufklärer sowie ihr Bezug auf die Vernunft. In welchem Verhältnis stehen die hier zu untersuchenden persönlichen Angriffe und Schmähungen von Aufklärern zu deren Selbstinszenierung als Fürsprecher der Vernunft? Waren von den persönlichen Angriffen nur Gegner der Aufklärung betroffen, oder dokumentieren die persönlichen Attacken der Aufklärer eher interne Auseinandersetzungen innerhalb des Kreises derjenigen, die sich als Fürsprecher der Vernunft in der Öffentlichkeit inszenierten?
3. Gab es im 18. Jahrhundert eine kritische Reflexion über das Phänomen persönlicher Attacken und Schmähungen in der Öffentlichkeit? Welche Beziehung wurde in solchen Diskussionsbeiträgen zu Invektiven hergestellt zwischen persönlichen, herabsetzenden Attacken einerseits und der Aufklärung andererseits? Und welche Folgen hatten persönliche Attacken von Aufklärern für deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, beispielsweise durch andere Aufklärer? Schloss man sich in der res publica litteraria durch persönliche Attacken gegen Dritte aus dem Kreis der geachteten Personen aus, oder waren solche Angriffe eher das Eintrittsticket in den Kreis der philosophes, sofern nur die richtigen Personen attackiert wurden? Wer waren dann aber diejenigen, die man gefahrlos attackieren konnte, ohne bei den Wahrheitsfreunden auf Widerspruch und Ablehnung zu stoßen?
Vorschläge für einen thematisch einschlägigen Vortrag mit Arbeitstitel, kurzem Exposé (200 bis 300 Wörter) und kurzem Lebenslauf bitte bis zum 31. Mai 2022 per Email an Prof. Dr. Andreas Pečar: andreas.pecar@geschichte.uni-halle.de.

Kontakt

Andreas Pecar
Email: andreas.pecar@geschichte.uni-halle.de

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