Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses im Fach Geschichte. Kurzfassung der Ergebnisse einer Erhebung 2002

Von
Sylvia Paletschek, Historisches Seminar, Abt. Neuere Geschichte, Universität Tübingen

Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses im Fach Geschichte:
Kurzfassung der Ergebnisse einer Erhebung 2002
(vorgestellt auf dem Historikertag Halle, 11.9.2002)

von Sylvia Paletschek, Universität Freiburg

Die gesamte Studie mit Abbildungen und Tabellen (insges. 46 Seiten) finden Sie unter: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/daten/2002/lincke_paletschek_2002.pdf

Auf Anregung der Nachwuchsinitiative Geschichtswissenschaft und unterstützt und finanziert vom Historikerverband haben wir in einer Studie die Berufungsaussichten der Privatdozenten und Privatdozentinnen sowie den Karriereverlauf der in den letzten beiden Jahrzehnten berufenen bzw. habilitierten Historiker und Historikerinnen untersucht. In die Auswertung wurden insgesamt 541 Professoren, 280 Privatdozenten (bis 51 Jahre) sowie 403 Habilitierende einbezogen.

Die Neuere Geschichte stellt das mit Abstand größte Teilgebiet in der Geschichtswissenschaft dar mit einem Drittel der Professoren, fast der Hälfte der Privatdozenten (48,6%) und ca. 54% der von uns erfassten laufenden Habilitationsprojekte. Danach folgen Mittelalterliche Geschichte (18,1% Professoren, 15,4% PDs, 18,6% Habilprojekte) und die Alte Geschichte (14,8% Professoren, 13,6% PDs, 5,2% Habilprojekte). Die kleineren Teilfächer stellen jeweils zwischen ca. 5-8% der Professoren. Bei diesen Angaben zur Zahl der Professoren, Privatdozenten und laufenden Habilitationsprojekten sind Überschneidungen zwischen den Teilgebieten in Rechnung zu stellen.

Mit dem Ansteigen der Karrierestufen sinkt der Frauenanteil; dieser beträgt unter den Habilitierenden mittlerweile ca. 30%, die Privatdozentinnen machen 19% aus, in der Professorenschaft liegt der Frauenanteil bei knapp 12%.

In den letzten 25 Jahren wandelte sich die Altersstruktur auf den jeweiligen Qualifikationsstufen auf dem Weg zur Professur. Seit Anfang/Mitte der 1980er Jahre stieg das Promotionsalter und in dessen Folge auch das Habilitationsalter merklich an. Promovierten die späteren Privatdozenten und Professoren Ende der 1970er Jahre im Mittel mit ca. 29 Jahren, so liegt das Promotionsalter der heute Habilitierenden bei etwa 31 Jahren liegt. Das mittlere Habilitationsalter stieg - infolge des höheren Promotionsalters - von ca. 37-38 Jahren Ende der 1970er Jahre auf mittlerweile ca. 40 Jahre an, bei einer etwa gleichbleibenden mittleren Dauer zwischen Promotion und Habilitation von ca. 8-9 Jahren.

In der mittleren Wartezeit auf eine Professur deuteten sich zyklische Schwankungen an. Für die Berufungskohorte der Jahre 1977-1985 lag sie bei ca. 3,5 Jahren. In den Berufungsjahren 1986 bis 1993 stieg sie auf 5,1 Jahre an und liegt für die seit 1994 Berufenen mittlerweile bei ca. 4 Jahren. Je nach Generation bzw. Berufungszeitraum wurden zwischen 20-50% der Privatdozenten und Privatdozentinnen erst nach einer Wartezeit von fünf Jahren und mehr berufen. Ohne die Möglichkeiten, eine beträchtliche Wartezeit bis zur Berufung zu überbrücken, wäre ein Großteil der heutigen Professoren und Professorinnen nicht auf ihre Stellen gekommen.

Zu den Beschäftigungsverhältnissen der Habilitierenden und Privatdozenten: Es habilitiert wohl noch die etwas größere Hälfte auf Assistentenstellen, aber die Habilitation über Projektstellen, Stipendien oder sonstige Quellen macht inzwischen einen erheblichen Teil aus. Häufig ist wohl auch eine Mischung der verschiedenen Förderungsarten anzutreffen, so dass insgesamt eher von einem vielfältigen als einem "klassischen" Weg zur Habilitation gesprochen werden muss.

42% der derzeit für eine Professur in Frage kommenden Privatdozenten und Privatdozentinnen haben eine Hochschuldozentur und Oberassistentenstelle inne, ca. 30% eine wissenschaftliche Mitarbeiterstelle in einem Projekt. Diese Stellen sind somit das wichtigste Standbein zur Überbrückung der Wartezeit auf eine Professur. Immerhin 12% nehmen Lehrstuhlvertretungen wahr, so dass auch diese eine wichtige Funktion in der Überbrückung der Wartezeit darstellen. Außerwissenschaftliche Tätigkeiten (Journalismus, Archiv, Wirtschaft etc.) machen mit ca. 5% einen kleinen Anteil aus. 8% geben an, erwerbslos zu sein, wobei hier sicher verdeckte Arbeitslosigkeit hinzukommen dürfte und mit einem höheren Anteil zu rechnen ist.

Nahezu alle Privatdozenten sind in befristeten Beschäftigungsverhältnissen tätig. Trotz prekären Arbeitsverhältnissen gelingt es immerhin den meisten Privatdozenten und Privatdozentinnen, z. T. sicher auch unterbrochen durch Zeiten der Erwerbslosigkeit, sich zu finanzieren. Hochschuldozentur (C-2) bzw. Oberassistentenstelle und Drittmittelstellen sind, angesichts der derzeitigen durchschnittlichen Wartezeit von ca. 4 Jahren und mehr auf eine Professur, unabdingbar für die Überbrückung bis zur Berufung. Sollten diese Stellen durch Umwandlung in Juniorprofessuren wegfallen oder sollte das neue Teilzeit- und Befristungsgesetz hart ausgelegt (befristete Arbeitsverhältnisse im Wissenschaftsdienst auf höchstens 12 Jahre) und nicht flexibel gehandhabt werden, so brächen damit die wichtigsten Möglichkeiten, die Wartezeit bis zur Berufung zu überbrücken, weg.

In den nächsten fünf Jahren werden insgesamt etwa ein Drittel (181) der vorhandenen Geschichtsprofessuren neu besetzt werden, in einigen der kleineren Teilgebiete sogar bis zu 40%. Momentan besteht ein "Privatdozentensockel" von ca. 280 Personen, wobei jährlich ca. 30 Stellen neu zu besetzten sein werden. Die Zahl der laufenden Habilitationsprojekte deutet nicht darauf hin, dass die Anzahl der jährlich abgeschlossenen Habilitationen - momentan ca. 60 - zurückgehen wird. Das Verhältnis von jährlich freiwerdenden Stellen zu Bewerbern beläuft sich momentan im gesamten Fach auf etwa 1:8, wobei sich dieses Verhältnis in den jeweiligen Teilgebieten höchst unterschiedlich gestaltet. Der Konkurrenzdruck fällt in der Neueren Geschichte mit ca. 1:13 extrem aus, und auch in der Alten und Mittelalterlichen Geschichte sind die Verhältnisse mit ca. 1:7 bzw. 8 angespannt. Ein vergleichbares Verhältnis kann man auch für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie die Landesgeschichte annehmen. Relativ günstig scheinen die Berufungsaussichten in der außereuropäischen und der osteuropäischen Geschichte zu liegen (1:3/ bzw. 4), wenngleich hier angesichts der geringen Fallzahlen Vorsicht bei längerfristigen Vorhersagen geboten ist. Auch könnten sich diese günstigeren Verhältnisse mit einer steigenden Zahl abgeschlossener Habilitationen in diesen Teilfächern relativ schnell wieder ändern. Nachwuchsmangel besteht hingegen in der Didaktik.

Bleibt die Anzahl der jährlichen Habilitationen in den nächsten Jahren gleich, so werden sich vermutlich besonders die Chancen für ältere Privatdozenten verringern. Allerdings gilt es hier zu beachten, dass beispielsweise unter den seit 1994 Berufenen ca. 10% nach acht und mehr Wartejahren ihren Lehrstuhl erhielten, so dass eine Berufung selbstverständlich auch nach längerer Wartezeit und mit höherem Alter keineswegs auszuschließen ist! Auch können neue, jetzt noch unvorhersehbare Denominationen der Lehrstühle dazu führen, dass die Qualifikation und Spezialisierung auch älterer Privatdozenten und Privatdozentinnen plötzlich gefragt ist.

Dennoch steht ein beträchtlicher Teil eines hochqualifizierten Bewerberreservoirs vermutlich vor dem Aus, hofft es nur auf Professorenstellen innerhalb der Universität. Die Wartezeiten auf die Professur zeigen, dass die Möglichkeit bestehen muss, eine Allokationsphase bis zur Erstberufung von ca. 5 Jahren zu überbrücken, was nach der mit dem neuen HRG vorgesehenen Befristungsregelung sowie dem Wegfall der C-2-Stellen Probleme bereiten dürfte. Die derzeitige Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses wurde durch diese Neuregelungen partiell verschärft, doch die angespannte Situation bei der Bewerbung auf eine Professorenstelle war bereits vor Verabschiedung der neuen Hochschulreform vorhanden. In unserem Fach besteht eine systematische Überproduktion an wissenschaftlichem Nachwuchs, die ebenso wie das bestehende Verhältnis von befristeten zu unbefristeten Stellen überdacht werden muß.

Aus den Ergebnissen dieser Studie hat der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands folgende Forderungen abgeleitet (vgl. Presseerklärung, Historikertag 11.9.02):

1. Angesichts der angespannten Bewerbungslage müssen Übergangslösungen gefunden werden, um das Potential an hochqualifizierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht zu verlieren. Der Verband drängt daher auf die Einrichtung von Förderprofessuren, die nach dem Vorbild des Fiebigerprogramms der achtziger Jahre exzellente Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in der Universität halten sollen.

2. Konkurrenzdruck, Spezialisierung und Verfahrensdauer bedingen lange Wartezeiten bis zur Erstberufung. Zwischen der Habilitation (und in Zukunft auch dem Ende der Juniorprofessur) und der Erstberufung wird deshalb auch weiterhin eine Phase der Allokation nötig sein. Dafür standen bisher befristete C2-Stellen (Oberassistenzen und Hochschuldozenturen) und Projektstellen zur Verfügung. Das neue HRG schafft die C2-Stellen ersatzlos ab. Der Historikerverband fordert deshalb dringend eine Kompensation dafür, etwa, wie manche Länder dies vorexerzieren, durch die Einrichtung von Stellen für beamtete Wissenschaftliche Mitarbeiter oder Akademische Räte auf Zeit.

3. Die 12-Jahres-Begrenzung für befristete Stellen verwehrt den meisten der Privatdozenten die Überbrückung der Wartezeit in Forschungsprojekten, wo sie aber ihrer Erfahrung wegen dringend benötigt werden. Der Deutsche Historikerverband fordert deshalb die ersatzlose Streichung der 12-Jahres-Regel, weil dadurch gerade der Verbleib von erfahrenen Forscherinnen und Forschern in der Wissenschaft unmöglich gemacht und Humankapital verschleudert wird.

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