Anfang und Werden. Stift Stams im Mittelalter

Anfang und Werden. Stift Stams im Mittelalter

Organisatoren
Julia Hörmann-Thurn und Taxis / Tobias Pamer / Jörg Schwarz, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck
PLZ
6182
Ort
Stams
Land
Austria
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
22.09.2022 - 24.09.2022
Von
Markus Wolfgang Falkner, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck

Die Zisterzienserabtei Stams in Tirol, Familienstiftung der Grafen von Görz-Tirol und zentraler Memorial-, Gedächtnis und Identifikationsort des Landes, ist 1273 von Graf Meinhard II. zusammen mit seiner Gemahlin Elisabeth von Bayern ins Leben gerufen worden. Der Stiftsbrief der anfänglich von zwölf Mönchen aus Kaishaim besiedelten Abtei stammt von 1275, die Weihe erfolgte 1284. In bewusster Konzentration auf Anfänge und Werden des Klosters beabsichtigte die Tagung im Vorfeld des 750jährigen Gründungsjubiläums des Klosters eine Bestandsaufnahme der frühen Klostergeschichte und Fragestellungen der aktuellen Klostergeschichtsforschung.

JULIA BRUCH (Köln) setzte sich zunächst mit dem Phänomen zisterziensischer Klostergründungen im Mittelalter generell auseinander, die seit dem 12. Jahrhundert – der Hochzeit des Ordens – eine Wesentliche der mittelalterlichen Klostergeschichte ausmachte. Bruch betonte dabei zum einen die Spezifika zisterziensischer Klostergründungen, legte andererseits aber auch Wert auf die grundsätzliche Prozesshaftigkeit von Klostergründungen im Mittelalter. Sie legte die Schwierigkeit dar, Gründungen von Zisterzienserklöstern speziell im Bereich der Männerklöster als „typisch zisterziensisch“ zu deklarieren. Dementsprechend sei es kaum möglich, beim Stamser Klostergründungsprozess der frühen 1270er-Jahre von einer „typisch zisterziensischen“ Klostergründung zu sprechen – die Vorgänge ähnelten zu sehr einer Klostergründung im Allgemeinen.

CHRISTOF PAULUS (München) untersuchte die in der Forschungsgeschichte des Klosters immer wieder diskutierte Möglichkeit, die Anfänge des Klosters auf eine spezielle Stiftung zum Gedenken an den 1268 in Neapel auf Befehl Karls von Anjou hingerichteten Konradin zurückzuführen, eine Annahme, die insofern nicht leichthin von der Hand zu weisen ist, da die Ehefrau des Stiftsgründers Meinhard II. Elisabeth von Bayern in erster Ehe mit dem staufischen König Konrad IV. verheiratet und die Mutter Konradins war. Deutlich wies Paulus darauf hin, dass die zeitgenössischen Quellen keinerlei Stütze für eine solche Annahme böten. Paulus betonte allerdings auch die grundsätzliche Zuverlässigkeit der Angaben des Stiftschronisten Wolfgang Lebersorgs aus der Zeit um 1600, einer der Hauptstützen für eine solche Tradition, und verwies auf das eben dadurch weiter bestehende Quellenproblem.

CLAUDIA FELLER (Wien) referierte über die Beziehungen des Stifts zum Tiroler Bürgertum. Sie betonte dabei vor allem die Kontakte des Stifts mit der Bürgerschaft der Stadt Hall in Tirol, wobei sie besonders große Aufmerksamkeit dem Haller Bürger Konrad Grantner schenkte, der in seinem Verhältnis zum Kloster durch reziproke wirtschaftliche Kontakte und eine ganz besonders reiche Stiftungstätigkeit hervorgetreten sei.

JULIA HÖRMANN-THURN UND TAXIS (Innsbruck) beschäftigte sich mit Stift Stams als Identifikationsort des Landes Tirol, wobei sie vor allem die zentrale Funktion des Ortes als Grablege und Memorialkirche der Tiroler Landesfürsten beleuchtete, eine Funktion, die sich dem heutigen Besucher des Ortes vor allem im von Andreas Thamasch im 18. Jahrhundert geschaffenen sogenannten „Österreichischen Grab“ in der Stiftskirche offenbart. Über diese Funktion besäße der Ort eine – wenn auch in den einzelnen Trägern abgestufte – herausgehobene Stellung im Tiroler Landesbewusstsein. Die Referentin wies indessen auch auf wichtige Unterschiede in den jeweiligen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen der Nachfolger Meinhards II. zum Kloster hin.

STEPHAN NICOLUSSI-KÖHLER (Innsbruck) untersuchte das Zisterzienserstift Stams in wirtschaftsgeschichtlicher Hinsicht. Grundlage war das Stamser Urbar von 1355. Der Referent konstatierte einen reichen, wenn auch erst sukzessive hinzugetretenen Grundbesitz des Klosters, der vom süddeutschen Raum bis ins südliche Südtirol reichte. Über die frühen Urbare, das heißt, die Verzeichnisse über die Besitzrechte der Grundherrschaft, die Abgaben und zu erbringende Leistungen ihrer Grunduntertanen, lasse sich, so Nicolussi-Köhler, die bedeutende ökonomische Potenz des Klosters, aber auch seine Stellung als Wirtschaftsfaktor in der Region und im gesamte Land Tirol mustergültig erschließen.

TOBIAS PAMER (Innsbruck) beleuchtete die Beziehungen des Tiroler Adels zum Kloster und fokussierte sich dabei auf die Starkenberg, die über Generationen hinweg eine enge und ganz besondere Beziehung mit dem Stift Stams pflegten. Zahlreiche Stiftungsurkunden und Briefe hätten sich bis in unsere heutige Zeit erhalten. Für die Starkenberg, so der Referent, kam dem Kloster auch durch die Wahl als familiäre Grablege eine besondere Funktion zu. Vor allem in Hinblick auf diverse Vorgänge rund um den Akt der Bestattung liefern die reichen Stamser Quellen Erkenntnisse zu Aufbahrung, Begräbnis und Begängnis des Adels. Das von Pamer namentlich ausgewertete Bestattungskonzept Georgs von Starkenberg zeigte auf, dass eine adelige Bestattungsfeier nicht nur liturgischen und religiösen, sondern auch herrschaftlich-repräsentativen Ansprüchen zu genügen hatte.

JÖRG SCHWARZ (Innsbruck) legte Wert auf die Tatsache, dass die sogenannte "aventure cistercienne", das "zisterzienzische Abenteuer", immer auch, und zwar von Anfang an, eine papstgeschichtliche Seite besaß. Schwarz beschäftigte sich in seinem Vortrag konkret mit den über 20 im Stiftsarchiv original erhaltenen mittelalterlichen Papsturkunden. Er ging dabei ausführlich vor allem auf die älteste, für das Stift Stams ausgestellte Papsturkunde Nikolaus‘ III. von 1278 ein, legte deren weitgehende Vorfertigung von Seiten des Klosters dar und betonte die sukzessive Absicherung der Ausstattung des Klosters durch nachfolgende Urkunden dieser Art bis etwa 1300.

IRIS WEISKOPF (Innsbruck) untersuchte zunächst die Baukultur der Zisterzienser insgesamt und hob dabei insbesondere den von Abt Bernhard von Clairvaux (gest. 1153) auch in der Theorie begründeten Stil hervor, dessen Intention es war, in Kirchen überflüssige Verzierungen zu vermeiden, um nicht vom religiösen Leben abzulenken. In Bezug auf Stift Stams legte die Referentin das Augenmerk sodann auf die (mittels Pläne und älterer Ansichten rekonstruierbare) Anlage und Bauweise des mittelalterlichen Klosters, vor allem auf die ursprüngliche romanische Basilika, die 1729-1733 durch Georg Anton Gumpp im Stil des Hochbarocks umgebaut wurde. Dezidiert würdigte die Referentin die Stamser Kirche als einen der bedeutendsten Sakralbauten des mittelalterlichen Landes Tirol.

LEO ANDERGASSEN (Meran) konzentrierte sich in seinem Vortrag auf den barocken Stiftskirchenbau und beleuchtete dabei insbesondere die von dem an unbekanntem Ort geborenen Augsburger Barockmaler Johann Georg Wolcker dem Jüngeren (1700-1766) stammenden Deckengemälde, die als dessen künstlerisches Hauptwerk gelten. Der Stamser Auftrag, so Andergassen, sei Wolcker durch das in der Nähe Augsburgs gelegene Kloster Kaishaim vermittelt worden. Nachdem der Vertrag des Stifts mit Wolcker abgeschlossen worden war, hat der Künstler die Deckengemälde, gerahmt von großen schwungvollen Stuckprofilen, mit Szenen aus dem Marienleben in der jahreszeitlichen Abfolge bemalt; über der Orgelempore findet sich die Glorie des Hl. Bernhard mit den von Putten gehaltenen Leidenswerkzeugen als Hinweise auf die Meditation des Heiligen über die Passion Christi. In den Seitenkapellen hingegen, im Gewölbefeld und an der westlichen, dem Altar gegenüberliegenden Wand brachte Wolcker Szenen aus dem Leben des hl. Bernhard sowie in den Eckkartuschen Sinnbilder von besonders tugendhaften Eigenschaften des Heiligen an.

ANDREAS ZAJIC (Wien) beschäftigte sich mit den Inschriften des Stamser Zisterzienserklosters und arbeitete dabei heraus, dass viele Inschriften des Stifts auf die Gründungsgeschichte des Klosters verweisen bzw. eine explizite Erinnerung an die Stifterfigur Meinhard II. darstellen. Sie spiegeln, so Zajic, zum anderen aber auch den ideologischen Kampf zwischen zwei theologischen Richtungen. Zajic betonte, dass in Stams wie andernorts die inschriftliche Darstellung monastischer Selbstvergewisserung stets Konjunkturen zugrunde lägen. In vielen Fällen stellten sie Reflexion von Krisensituationen und Neuausrichtungen dar.

CHRISTOPH HAIDACHER (Innsbruck) untersuchte Leben und Werk des Gelehrten Wolfang Lebersorg (1570/71-1614), der eine (von Haidacher kritisch edierte) Chronik des Klosters verfasste, die nicht zuletzt durch ihre Bildbeigaben eine der zentralen Quellen der Stiftsgeschichte darstellt; zahlreiche grundlegende Einschätzungen der Frühgeschichte des Stifts hängen von ihr ab. Haidacher rekonstruierte den Lebensweg des Gelehrten und arbeitete Methodik, Stoffdisposition und Quellenbenutzung der Stamser Chronik heraus, der er eine hohe Verlässlichkeit bescheinigte.

CLAUDIA SCHRETTER-PICKER (Innsbruck) beschäftigte sich mit der Stiftsbibliothek des Klosters, deren Kernbestand sich im Reisegepäck jener zwölf Kaisheimer Mönche befand, die als erste Bewohner in das 1273 gegründete Kloster eingezogen sind. Es handelte sich um theologische bzw. liturgische Werke, aber auch um medizinische Bücher, wie in einer Urkunde ausdrücklich vermerkt ist. Aus der Zeit um 1300 stammt eine Bücherliste, die an rund 150 einzelne Stiftsangehörige entlehnte Werke anführt. Seit ungefähr dieser Zeit ist im Stift auch ein Skriptorium bezeugt. Ein Katalog von 1341, so Schretter-Picker, verzeichne bereits 230 Titel. Ein weiterer Ausbau geht auf die ehemaligen Studienorte der Stamser Patres zurück, wobei Schretter-Picker vor allem auf Heidelberg hinwies.

KATHRIN WANKMILLER (Innsbruck) gab vielfältige Einblicke in das sogenannte Innsbrucker Arzneibuch, einem in seiner Entstehungszeit auf das dritte Viertel des 12. Jahrhunderts geschätzten oberdeutschen Rezeptar in lateinisch-deutscher Mischprosa. Eine deutschsprachige Bearbeitung des Innsbrucker Arzneibuchs aus dem 13. Jahrhundert (München Clm 14851) ist unter dem Namen Emmeramer Rezeptar bekannt. Die Referentin ging in ihrem Vortrag auf Überlieferungsstränge und detailliert vor allem auf Auszüge über mittelalterliche Behandlungsvorschläge für Magenprobleme und Nasenbluten ein.

Die wissenschaftliche Tagung zeigte in Fokussierung auf Anfänge und Werden des Stifts im Mittelalter die Entwicklungsgeschichte des Klosters in den ersten zwei bis drei Jahrzenten seiner Existenz auf und unterstrich nachdrücklich die zentrale Bedeutung des Ortes als geistlicher, politischer, wirtschaftlicher und kultureller Knotenpunkt des Landes. Sie arbeitete klar heraus, in welche breiten politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Beziehungsnetzte das Stift eingebettet war und unterstrich dabei die aufgrund der reichen Stamser Überlieferung hervorragenden Möglichkeiten einer weiteren intensiven Erforschung der Stiftsgeschichte.

Konferenzübersicht:

Moderation: Jörg Schwarz

Grußworte (Abt German Erd, Alt-Landeshauptmann Herwig van Staa)

Einführung von Julia Hörmann-Thurn und Taxis (Innsbruck)

Julia Bruch (Köln): Stams – ein typisches Zisterzienserkloster? Zur Geschichte des Zisterzienserordens und der Kaisheimer Tochterklöster im Mittelalter

Christof Paulus (München): Die „Konradin-Tradition“ des Stiftes Stams

Julia Hörmann-Thurn und Taxis (Innsbruck): Stams als multipler Identifikationsort

Moderation: Georg Neuhauser

Claudia Feller (Wien): Das Stift Stams in seinen regionalen bürgerlichen Beziehungsnetzen

Tobias Pamer (Innsbruck): Pro remedio anime mee. Adelige Seelgerätstiftungen im spätmittelalterlichen Tirol: Die Herren von Starkenberg und das Stift Stams

Stephan Nicolussi-Köhler (Innsbruck): Grundbesitz und Einkünfte des Stifts Stams im Spiegel der frühen Urbare

Jörg Schwarz (Innsbruck): Recht – Repräsentanz – Kommunikation. Die mittelalterlichen
Papsturkunden für Stift Stams

Moderation: Julia Hörmann-Thurn und Taxis

Andreas Zajic (Wien): Höhere Weihen und zyklisches Geschichtsdenken – Anmerkungen zu den
mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Inschriften von Stift Stams

Iris Weiskopf (Innsbruck): Forma Ordinis „made in Tyrol“. Der Gründungsbau der Stiftskirche Stams – Bautradition der Zisterzienser und lokale Ausprägung

Leo Andergassen (Meran): Ex funere vita. Wolckers Deckenmalereien in der Stamser Stiftskirche als Bildmedium für Stifts- und Ordensgeschichte

Moderation: Stephan Nicolussi-Köhler

Christoph Haidacher (Innsbruck): Wolfgang Lebersorgs Chronik des Klosters Stams – Eine Analyse

Claudia Schretter-Picker (Innsbruck): Libri Stambsenses. Zur Geschichte, Bedeutung und Erschließung der mittelalterlichen Büchersammlung des Zisterzienserstiftes Stams

Kathrin Wankmiller (Innsbruck): Das Innsbrucker Arzneibuch (Cod. 652) zwischen Antikenrezeption und Klosteralltag. Überlegungen zur Entstehung der deutsch-lateinischen Rezeptsammlung

Schlussworte und Zusammenfassung von Jörg Schwarz und Tobias Pamer

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