Herrscher in der Metropole. Spannungsfelder zwischen politischer Zentralität und urbaner Diversität in der Vormoderne

Herrscher in der Metropole. Spannungsfelder zwischen politischer Zentralität und urbaner Diversität in der Vormoderne

Organisatoren
Mittelalterzentrum „Forum Mittelalter“ der Universität Regensburg; in Verbindung mit dem DFG-Graduiertenkolleg 2337 „Metropolität in der Vormoderne“
Ort
hybrid (Regensburg)
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.11.2021 - 13.11.2021
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Von
Susanne Ehrich, Institut für Geschichte, Universität Regensburg; unter Mitarbeit von Studierenden der Universität Regensburg

In mittelalterlichen Zentralorten wie Paris, London oder Rom formierten sich zeitgleich zur königlichen Inanspruchnahme als ‚Hauptstadt‘ mächtige Kommunen und städtische Eliten. Diese machten den Herrschern ihre Rechte nicht selten streitig, andererseits profitierten städtische Gruppen etwa ökonomisch teils erheblich von der königlichen Zentralfunktion. Das historisch wechselhafte Mit- und Gegeneinander von Herrschern und Städten war themengebend für die 17. internationale Jahrestagung des Mittelalterzentrums „Forum Mittelalter“ der Universität Regensburg in Kooperation mit dem DFG-Graduiertenkolleg 2337 „Metropolität in der Vormoderne“. Die interdisziplinäre Tagung mit dem Titel „Herrscher in der Metropole. Spannungsfelder zwischen politischer Zentralität und urbaner Diversität in der Vormoderne“ fand in präsenz-hybridem Format in Regensburg statt.

Im Eröffnungsvortrag gab ALBRECHT BERGER (München) einen Überblick über die Kommunikations- und Repräsentationsformen der Kaiser in Konstantinopel von der spätrömischen Zeit bis ins 14. Jahrhundert. Zentral für die Aufrechterhaltung der oströmischen Kaiserherrschaft sei die zeremoniell ausgestaltete Präsenz des Regenten etwa durch Prozessionen innerhalb der Stadt gewesen. Auch das Festhalten an der Tradition alter römischer ‚Staatsfeste‘ habe die kommunikative Beziehung zwischen Kaiser und Volk stabilisiert, bis das byzantinische Kaiserzeremoniell mit der Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer 1204 schließlich unterging. Die Eröffnungsveranstaltung der Tagung wurde durch ein Konzert des Vokalensembles „Sourcework“ mit Musik aus dem ersten Motettendruck nördlich der Alpen, dem „Liber selectarum cantionum“ von 1520, flankiert: Die US-amerikanische Formation trug mehrstimmige Gesänge aus dem berühmten Chorbuch anhand der Originalnotation eines in Regensburg vorhandenen Druckexemplars vor, u.a. die Kaiser Maximilian I. gewidmete Motette „Virgo prudentissima“ von Heinrich Isaac.

Den chronologischen Beginn des Tagungsprogramms bildete der Althistoriker FELIX K. MAIER (Würzburg). In seinem Vortrag stellte er die Frage, wie es Kaiser Theodosius im ausgehenden 4. Jahrhundert gelingen konnte, einen Paradigmenwechsel in der kaiserlichen Legitimation zu vollziehen. Gegenüber seinen militärisch aktiven Vorgängerkaisern habe er den Rückzug in die Stadt Konstantinopel als kaiserliche Stärke umgedeutet: So sei Theodosius etwa bei Themistios als Agamemnon gepriesen und dafür gelobt worden, die königliche von der kriegerischen Kunst getrennt zu haben. Des Weiteren habe er sich erfolgreich als unblutiger, gottesfürchtiger Sieger inszeniert, der als regierender und nicht kämpferisch agierender Beschützer seiner Stadt auftrat. GAVIN KELLY (Edinburgh) nahm anschließend Besuche oströmischer Kaiser in Rom während des 4. und frühen 5. Jahrhunderts in den Fokus. Da diese Adventus-Ereignisse äußerst selten waren, wurden sie von Geschichtsschreibern wie Ammianus und Claudian besonders hervorgehoben. Kaiser wie Constantius und Theodosius mussten sich nach Kelly bei ihren Rom-Aufenthalten besonders am Ideal und an den Anforderungen traditioneller römischer civilitas messen lassen. Der Byzantinist ANDREAS RHOBY (Wien) untersuchte die Repräsentationsfunktion und öffentliche Wirkung von Herrscherinschriften auf byzantinischen Befestigungsanlagen vom 5. bis 15. Jahrhundert. Wie das verwendete Versmaß der Inschrift auf der Theodosianischen Landmauer in Konstantinopel zeige, könne die textliche Gestalt den Kaiser als herausragenden Stifter hervorheben. Aber auch die „performance“ und Wirkung nach außen sei ein zentraler Aspekt für die kaiserliche Repräsentation: Indem bestimmte Inschriften an Prozessionen vor größerem Publikum verlesen wurden, habe man auch die herrscherliche Memorialpraxis im Ritual aktiviert. Der Kunsthistoriker MANFRED LUCHTERHANDT (Göttingen) kehrte wieder ins nachantike Rom zurück und zeigte, dass das Revival der römischen Kunst des 8. und beginnenden 9. Jahrhunderts ein komplexes Produkt einer Stadtgesellschaft war, an dem neben dem Papsttum noch zahlreiche andere Gruppen mitwirkten. An mehreren Beispielen machte er die wechselhaften Beziehungen des Papsttums zu den städtischen Eliten deutlich: Während Hadrian I. die Memoria der adeligen Eliten bewahrte und darauf verzichtete, alte Gemeindezentren abzureißen, habe Papst Leo III. den Konflikt durch seine zerstörerische Baupolitik regelrecht provoziert. Papst Pascalis I. habe wiederum seine Kirchen neben adeligen Traditionsbauten errichtet, da er erkannte, dass jeder Neubau die römische Geschichte entscheidend tangiere.

Mit ALBERTO SPATARO (Rom) wechselte der historische Schauplatz in die hochmittelalterliche Metropole Mailand. Der Historiker untersuchte das Mailänder Krönungsfest Heinrichs VI. und die Hochzeit mit Konstanze von Hauteville von 1186 als Ritual mit städtischer sowie reichsweiter Strahlkraft. Als Moment des Triumphs für das Reich sei die von Spannungen zwischen Papst und Kaiser durchzogene Metropole offenbar ganz bewusst gewählt worden. Die Konsequenz dieser Provokation sollte sich als Spaltung innerhalb der kirchlichen und sozialen Parteien Mailands darstellen, die sich in den folgenden Jahrzehnten immer deutlicher auswirkte. ÉTIENNE DOUBLIER (Köln) stellte anschließend die Frage, welches Wissen über Herrscher, Königtum und Königsherrschaft von den drei großen mailändischen Geschichtswerken des späten 11. und frühen 12. Jahrhunderts propagiert wurde. Die untersuchten Chroniken Landulfs des Älteren (um 1075-1100), Arnulfs von Mailand (um 1072-77) und Landulfs des Jüngeren (1135-37) wiesen dabei starke Gemeinsamkeiten auf, etwa was die Vorstellung der schicksalhaften Bindung zwischen Stadt und Reichsgeschichte betreffe. Allerdings werde vergleichbares Wissen in unterschiedliche, von der Perspektive des Verfassers abhängige Erzählstrukturen eingebettet. Darüber hinaus ließen sich auch Interdependenzen mit der politischen Praxis feststellen, z.B. im Falle der Erhebung von Gegenkönigen. KNUT GÖRICH (München) betrachtete die Einzüge staufischer Herrscher in italienische Städte anhand narrativer Quellen des 12. und 13. Jahrhunderts. Es führe kein unmittelbarer Weg von der historiographischen Beschreibung zur Rekonstruktion des Rituals, da die Chronisten den Herrschereinzug als Argument ihrer Darstellung modellierten. Grundsätzlich sei für den Ablauf und die rituelle Ausgestaltung des Adventus die historische Ausgangssituation entscheidend gewesen. Diese könne dazu führen, dass bestimmte Einzüge, wie der Einzug Barbarossas in Piacenza 1185, sogar bewusst verschwiegen worden seien. Die Adventus-Thematik aus kunsthistorischer Perspektive weiterführend erläuterte ALBERT DIETL (Regensburg) das kommunikative Potential von Stadttoren am Beispiel italienischer Städte wie Genua, Perugia oder Mailand. Besonders deutlich ließ sich die Rolle des Stadttors als Stellvertreterin der Stadt am Beispiel des Adventus des Ezzelino da Romano, eines Schwiegersohns Friedrichs II., in Padua im Jahre 1237 zeigen. Der neue, als Tyrann einziehende Stadtherr küsste beim Einzug die Porta delle Torricelle, auf der eine Inschrift die Stadt als bürgerliche Liebes- und Friedensgemeinschaft beschrieb; spätere Chroniken wie die des Rolandino da Padova sahen dies als ein Friedenszeichen an die Stadt, das historisch allerdings nicht erfüllt wurde.

Der Vortrag von JÖRG OBERSTE (Regensburg) führte ins spätmittelalterliche Paris und ging der Frage nach, inwiefern der Pariser Klerus die Interessen des französischen Königs einerseits einhegte und ihm auf der anderen Seite neue Spielräume durch die Zentralisierung und Inszenierung von Herrschaft ermöglichte. Neben persönlichen Beziehungen zwischen Königshaus und Domkanonikern hätten sich in Schlichtungsurkunden auch territoriale Konkurrenzkämpfe zwischen beiden Parteien abgezeichnet. Darüber hinaus erläuterte Oberste die öffentliche Inszenierung der Herrscher in der Kathedrale von Notre-Dame, die sich durch mehrere Grabstätten, die dortige Feier der königlichen Exequien seit 1271 und schließlich die Stiftung mehrerer wertvoller Reliquien durch Philipp II. Auguste als sakraler Repräsentationsort der Könige darstellte. Der Kunsthistoriker SASCHA KÖHL (Mainz) schloss in seinem Vortrag an die Frage nach der Metropole als Schaubühne für königliche Repräsentation an, untersuchte neben Paris aber auch die monarchische Denkmalsetzung im spätmittelalterlichen Brügge und London: Die Königsgalerie Philipps des Schönen im Palais de la Cité war die erste ihrer Art und legitimierte nicht nur seinen Anspruch, sondern habe auch dafür gesorgt, dass ihm nachfolgende Herrscher Ähnliches produzieren ließen. Demgegenüber stießen die Skulpturen des außerhalb Londons residierenden Richard II. am Brückentor der London Bridge bei der Bevölkerung offenbar auf wenig Gegenliebe. Anders wiederum stellte sich das Verhältnis von Brügge zu seinen Herrscherbildern im öffentlichen Raum dar: Hier sei die Kommune selbst tätig geworden und habe ein umfangreiches Sortiment an künstlerischen Darstellungen burgundischer Herrscher am Rathaus erstellt, welches die eigene, stolze Geschichte plakativ nach außen trug.

Dem Papst als (Schatten-)Haupt der Metropole Rom wandte sich ANDREAS REHBERG (Rom) zu. Er zeigte in seinem Vortrag anhand von Briefwechseln, Kunstdenkmälern und Heraldik, dass die Päpste trotz ihrer Residenz in Avignon (1309-1376) in Rom keineswegs gänzlich abwesend waren. Zwar habe die Stadtgemeinde die Abwesenheit des Papsttums in dessen Stammsitz für sich genutzt, in dem sie bauliche Veränderungen an der Stadt vollzog und neue, teils martialische Riten einführte. Die Kardinale hätten darauf aber durch einen intensiven Kommunikationsfluss mit der Kurie in Avignon, Wappendarstellungen an päpstlichen Bauaufträgen und Repräsentationsplastiken von Avignon-Päpsten reagiert. FRANK ENGEL (Bonn/Göttingen) unternahm einen genaueren Blick auf das Verhältnis der Monarchie zu den kastilischen Städten Valladolid und Toledo in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Dafür untersuchte er die Interaktionen König Alfons‘ XI., der eine innere Konsolidierung seines Reiches vorantrieb, mit weltlichen und kirchlichen Funktionsträgern. Engel stellte vor allem heraus, dass Alfons XI. den Adel politisch zurückdrängen wollte und deshalb in den Städten verstärkt ritterfähige Personen für seine Zwecke rekrutierte. Zum Abschluss der Tagung stellte HERBERT KARNER (Wien) die Ergebnisse eines Forschungsprojekts zur visuellen Repräsentation der Habsburger in ihren Residenzstädten während des 16. und 17. Jahrhunderts vor. Während Maximilian I. den öffentlichen Raum in Innsbruck mit gezielten architektonischen Eingriffen in einen zeremoniellen Großraum umgestaltete, war der aneignende Zugriff der Habsburger in Wien und Prag eher punktuell. Herrscherliche Repräsentation durch visuelle Medien sei zudem kein monolineares, sondern multiples, von mehreren Akteuren bestimmtes Verfahren gewesen: Mit der stadtbürgerlichen Elite, dem Adelsstand und der katholischen Kirche waren es sogar drei Institutionen, unter denen Repräsentationspraktiken – mit oder gegen das Herrscherhaus – ausgehandelt worden seien.

Die Jahrestagung des Regensburger Mittelalterzentrums profilierte vormoderne Metropolen in verschiedener Weise als Knotenpunkte in übergreifenden Herrschaftsgefügen, die durch ihre partizipative und kollektive Administration zum einen Herausforderungen an monokratische Ordnungen stellten, zum anderen aber auch als wichtige Stütze und Repräsentationsbühne lateinischer und byzantinischer Herrscher sowie des Papsttums fungierten. Metropolen erwiesen sich in diesem Sinne zugleich als Reibungsflächen sowie dynamisierende Elemente herrscherlichen Handelns.

Konferenzübersicht:

Jörg Oberste (Regensburg), Einführung

Eröffnungsvortrag:
Albrecht Berger (München), Der Kaiser in Konstantinopel – Repräsentation und Kommunikation

Konzert des Vokalensembles „Sourcework“ mit Musik aus dem „Liber selectarum cantionum“ (Augsburg, 1520) in der Basilika St. Emmeram

(Organisation: Prof. Dr. Katelijne Schiltz- Lehrstuhl für Musikwissenschaft)

Felix K. Maier (Würzburg), Flucht in die Stadt – Warum Theodosius nicht mehr überall sein wollte

Gavin Kelly (Edinburgh), Imperial Visits to Rome in the Fourth and Early Fifth Centuries: Ceremonials, Successes and Tensions

Andreas Rhoby (Wien), „Theophilos, der fromme Selbstherrscher, errichtete diese Mauern auf neuen Fundamenten …“ – Die Repräsentation des Herrschers in den Inschriften auf byzantinischen Befestigungsanlagen

Manfred Luchterhandt (Göttingen), Wessen Vergangenheit? Päpste und Aristokraten im postantiken Rom

Alberto Spataro (Rom), Mailand 1186. Symbolisch-rituelle Bedeutungen und soziale Auswirkungen der Ehe und Krönung von Heinrich VI. und Konstanze in der Basilika von Sant'Ambrogio

Étienne Doublier (Köln), „Kingmaker“ und königsfreie Stadt. Mailand zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert

Knut Görich (München), Sichtbare Inbesitznahme: Einzüge staufischer Herrscher in italienische Städte (12.–13. Jahrhundert)

Albert Dietl (Regensburg), „Dum porte limina tangis.“ Das Stadttor als Schauplatz für Riten, Praktiken und Zeichen mittelalterlicher Herrschereinzüge in italienischen Kommunen

Jörg Oberste (Regensburg), Herrscher in der Kathedrale: Notre-Dame de Paris und das französische Königtum

Sascha Köhl (Mainz), Herrscherbilder in der Metropole – Kontext, Akteure und Motive monarchischer Denkmalsetzung in westeuropäischen Großstädten des Spätmittelalters (Paris, London, Brügge)

Andreas Rehberg (Rom), Eine Metropole ohne Haupt? Rom während der Abwesenheit der Päpste in Avignon

Frank Engel (Bonn / Göttingen), „Las puertas falló cerradas / e los omnes bien armados …“ König Alfons XI. von Kastilien und seine Städte Valladolid und Toledo (1325–1350)

Herbert Karner (Wien), Die visuelle Repräsentation der Habsburger in Wien und Prag des 17. Jahrhunderts: Medien und Räume einer Aneignung?


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