Antisemitische und politische Netzwerke in der Zwischenkriegszeit. Zur Bedeutung informeller Machtstrukturen für die Radikalisierung in Österreich

Antisemitische und politische Netzwerke in der Zwischenkriegszeit. Zur Bedeutung informeller Machtstrukturen für die Radikalisierung in Österreich

Organisatoren
Linda Erker, Institut für Zeitgeschichte an der Universität Wien; Michael Rosecker, Karl-Renner-Institut, Wien
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
09.06.2021 - 10.06.2021
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Von
Antonia Klingler, Universität Wien

Für ein Verständnis gesellschaftlicher und politischer Prozesse im Österreich der Zwischenkriegszeit ist die Netzwerkforschung ein fruchtbarer historiografischer Zugang. Unter dieser Prämisse veranstaltete das Karl-Renner-Institut in Kooperation mit dem Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien eine Buchpräsentation und -diskussion sowie einen thematisch darauf aufbauenden Workshop.1 Im Zentrum des Interesses standen verschiedene Vereinigungen, Vereine und informelle Zirkel, die oft klandestin und unter dem Deckmantel des Unpolitischen in Österreich zwischen 1918 und 1938 agierten. Viele ihrer Mitglieder (nur Männer) verfolgten eine antidemokratische und antisemitische Agenda und das Ziel, mittels (in-)offizieller Vernetzung untereinander staatliche Institutionen zu unterwandern und politische Gegner zu diffamieren. Der Workshop sollte eine Diskussion sowohl über die Verbindungen der unterschiedlichen Gruppen und deren Akteure miteinander als auch über die Kontinuitäten dieser personellen Netzwerke anregen, insbesondere hinsichtlich der politischen Zäsuren der Jahre 1933, 1938 und 1945.

Nach einer Begrüßung und Einleitung durch den stellvertretenden Direktor des Karl-Renner-Instituts, Michael Rosecker, eröffnete KLAUS TASCHWER (Wien) die Veranstaltung mit einer Präsentation des Buches „Der Deutsche Klub. Austro-Nazis in der Hofburg“2, das 2020 aus einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit Andreas Huber und Linda Erker entstanden war. Der 1908 in Wien gegründete Deutsche Klub entwickelte sich während seines 31-jährigen Bestehens zu einem wichtigen Treff- und Sammelpunkt der dem rechtskonservativen und deutschnationalen Gedankengut nahestehenden Gruppen. Spätestens mit dem Verbot der NSDAP 1933 wurde der Deutsche Klub ein wichtiger Treffpunkt der NS-Elite bzw. der NS-Sympathisanten in Wien, was zeigt, wie sehr hier bürgerliche Kreise an der nationalsozialistischen Unterwanderung beteiligt waren. Taschwer strich heraus, dass die im Buch präsentierten Forschungsergebnisse einmal mehr verdeutlichen, welch wesentlichen Einfluss informelle Netzwerke auf politische Geschehnisse in der Ersten Republik und im Austrofaschismus gehabt haben. So waren in wichtigen Gerichtsprozessen – wie jenem gegen die rechten Schattendorf-Attentäter 1927 oder gegen den Mörder des jüdischen Schriftstellers Hugo Bettauer (1925) – sowohl Anwälte wie auch Staatsanwälte und Richter Mitglieder des Vereins oder standen ihm nahe. Das Forschungsfeld sei aber – besonders in Hinblick auf Kontinuitäten – noch lange nicht erschöpft.

Anschließend diskutierten Klaus Taschwer, Barbara Serloth und Ilse Reiter-Zatloukal über die Bedeutung informeller Machstrukturen in der Zwischenkriegszeit und ihr Fortwirken nach 1945. Die Rechtshistorikerin ILSE REITER-ZATLOUKAL (Wien) betonte, dass Richterschaft und juridische Fakultät der Universität Wien in der Zwischenkriegszeit stark von antisemitischen und antidemokratischen Netzwerken geprägt waren. Die an diesen beteiligten Juristen seien jedoch nach 1945 rasch wieder in den Justizdienst getreten oder an der Universität aufgenommen worden. In Folge sei die Beforschung dieser Männer-Netzwerke jahrzehntelang systematisch unterlassen worden. Reiter-Zatloukal wies außerdem darauf hin, dass sich eine Analyse des Wesens des Antisemitismus im Österreich der Zwischenkriegszeit eher an den unterschiedlichen ost- und südosteuropäischen Entwicklungen und Praktiken der Habsburgermonarchie als an westeuropäischen orientieren müsse.

BARBARA SERLOTH (Wien) konstatierte, dass der Antisemitismus in der Ersten Republik allgegenwärtig gewesen sei, aber lange Zeit durch das Konstrukt des Opfermythos verdeckt worden war und daher nach 1945 nicht aufgearbeitet wurde. In der Zweiten Republik hätten so antisemitische Topoi weitergeführt werden können. Die Politikwissenschafterin verwies auf die Restitutionspolitik in der Nachkriegszeit, die von antisemitischen Wortmeldungen aus den Reihen aller Parlamentsparteien geprägt war.

Der Workshop begann mit einem thematisch breitgefassten Panel über Netzwerke, Nutznießer und Feinbilder. PÉTER TECHET (Freiburg) referierte via Zuschaltung über die Ablehnung, mit der die rechtskonservative juristische Elite Hans Kelsen und seiner Reinen Rechtslehre begegnete. Ihre Kritik speiste sich unter anderem aus antisemitischen Ressentiments ebenso wie aus der grundsätzlichen Abneigung gegenüber der demokratischen Republik. Auf theoretischer Ebene seien die pluralistischen Grundsätze Kelsens außerdem unvereinbar mit den antidemokratischen und auf der Vorstellung von „völkischer“ Ungleichheit basierenden Einstellungen dieses Milieus gewesen, so Techets Fazit.

ANDREAS HUBER (Wien) zeigte auf, wie es in den 1920er-Jahren zu einer besseren, auf politische Aktion ausgerichteten Organisation der deutschnationalen, völkisch orientierten und auch nationalsozialistischen Studentenschaft kam. Rund um den einflussreichen Studentenfunktionär Robert Körber zeichnete er personelle und inhaltliche Verflechtungen nach, die das Institut zur Pflege deutschen Wissens und das Kulturamt der Deutschen Studentenschaft mit dem Deutschen Klub und anderen, teils geheimen Vereinigungen verbanden. Diffamierungskampagnen gegen „jüdische“3 Lehrende und antisemitische Propaganda an der Universität Wien seien oft auf diese Netzwerke zurückzuführen. Solche Aktionen dürften, auch wenn sie nicht immer erfolgreich waren, nicht in ihrer Wirksamkeit bei der Einschüchterung anderer und der Befeuerung antisemitischer Ressentiments unterschätzt werden. Huber betonte ebenfalls die starken Kontinuitäten, sowohl im Fortbestand der Netzwerke als auch in der sich nach 1945 fortsetzenden politischen Aktivität ihrer Mitglieder.

TANO BOJANKIN (Wien) legte am Beispiel des Mandl-Konzerns dar, wie internationale faschistische Seilschaften bei der Umsetzung wirtschaftlicher und politischer Interessen vorgingen. Er beschäftigte sich mit Fritz Mandl, dem Erben der Hirtenberger Patronenfabrik. Als Heimwehr-Mitglied profitierte dieser vor 1938 auch wirtschaftlich von seinen politischen Kontakten. Da er nach dem „Anschluss“ als Jude galt, musste Mandl Österreich verlassen, bekam jedoch nach Abschluss des Staatsvertrages 1955 die Hirtenberger Patronenfabrik restituiert. In der anschließenden Diskussionsrunde unterstrich Bojankin die Beständigkeit des Einflusses und der Wirkmächtigkeit wirtschaftlicher Eliten und ihrer Netzwerke, die im Kontext des Kalten Krieges wieder vermehrt zum Zug kamen. Er vermutete außerdem, dass Mandls Exil-Sitz in Argentinien eine wichtige Drehscheibe für geflüchtete Austrofaschisten gewesen ist und wies auf dieses noch zu beforschende Feld hin.

Die Frage, in welchem Ausmaß die Beamtenschaft der Ersten Republik in informelle Netzwerke eingebunden war, stand im zweiten Panel im Zentrum. Ausgehend von Gertrude Enderle-Burcels und Martina Follners 1997 vorgelegter Monografie „Diener vieler Herren“4 führte THERESE GARSTENAUER (Wien) an den von ihr ausgewerteten biographischen Daten der zwischen 1918 und 1945 aktiven Sektionschefs eine multiple Korrespondenzanalyse durch. So konnte sie anhand verschiedener Variablen darstellen, welche biographischen Merkmale der Sektionschefs häufig gemeinsam auftraten. Garstenauer wies nicht nur auf den sehr geringen Anteil an „jüdischen“ Männern hin, sondern unterstrich, dass nur wenige Sektionschefs in politische Seilschaften wie Deutscher Klub oder Cartellverband eingebunden waren. Die zeitliche Nähe der Ernennung von Sektionschefs aus solchen Vereinen – im Fall der Legitimisten beispielsweise im Austrofaschismus und erst 1945 – weist aber auf die Bedeutung der politischen Umstände für die Einsetzung hin.

RICHARD HUFSCHMIED (Wien) gewährte Einblick in seine Forschungen zur Absolventenvereinigung der Militärakademie in Wiener Neustadt „Alt-Neustadt“. In der Zwischenkriegszeit hätten im Verein vor allem zur Kaiserzeit ausgemusterte Offiziere legitimistischer Gesinnung eine wichtige Rolle gespielt. Die jüngeren Mitglieder gehörten dagegen anderen antidemokratischen Organisationen an. Hufschmied stellte dar, wie der Verein ab den 1930er-Jahren stärkere Verbindungen zur politischen Elite und zum austrofaschistischen Regime aufbauen konnte. In seiner Vereinszeitschrift präsentierte er sich zu dieser Zeit als Monarchie-affin. Hufschmied vermutete, dass es unter den Mitgliedern der Absolventenvereinigung zu dieser Zeit Überschneidungen mit anderen legitimistischen Gruppen geben könnte und verwies auf diese Forschungslücke für die Netzwerkforschung.

KAMILA STAUDIGL-CHIECHOWITZ (Wien) referierte über die Bedeutung der Universität Wien als „Cliquen-Schnittpunkt“ antisemitischer Netzwerke und politischer Seilschaften bis 1938. Zu diesen zählten in der Zwischenkriegszeit der Deutsche Klub und die Geheimbünde Deutsche Gemeinschaft und Bärenhöhle. In ihren universitären Machtpositionen strebten deren Mitglieder nach dem Ausschluss und der Diskreditierung der „Ungeraden“, sprich „Juden“, Freimaurer, Sozialisten und anderer Linker und Liberaler.5 Am Beispiel der Disziplinarverfahren gegen Josef Bayer (1924/25) und Stephan Brassloff (1925/26) zeigte Staudigl-Chiechowitz, wie diese Netzwerke im offiziellen Rahmen eine verborgene antisemitische Agenda verfolgten. Auch außeruniversitäre Vernetzungen, die beispielsweise in das Unterrichtsministerium führten, hätten bei den Verfahren mitgewirkt.

Die Beiträge des dritten Panels widmeten sich der antisemitischen und nationalen Prägung des sogenannten katholischen Lagers. Da FLORIAN WENNINGER (Wien) nicht anwesend sein konnte, wurde sein Vortrag zum Charakter des Antisemitismus in der Christlichsozialen Partei vorgelesen. Er argumentierte, dass der Antisemitismus als einendes Element der Partei zu verstehen sei, mithilfe dessen versucht wurde, verschiedene soziale Schichten anzusprechen. Seine Rolle ging jedoch über die eines Mittels zur politischen Mobilisation hinaus. Die „Judenfrage“ wurde auch in der Christlichsozialen Partei Teil der identitätsstiftenden Programmatik, so Wenninger. Den späteren Versuchen, nach 1945 den Antisemitismus der Christlichsozialen Partei als religiös motivierten Antijudaismus zu etikettieren, sei entgegenzutreten, denn auch betont katholische Antisemiten hätten teils auf „rassische“ Argumentationsweisen zurückgegriffen.

STEPHAN ROTH (Wien) zeichnete bei seinen Ausführungen zum Cartellverband/Österreichischem Cartellverband (CV/ÖCV) ein anderes Bild des katholischen Antisemitismus. Roth legte dar, wie der CV zum Sammelbecken von Verbindungen wurde, die sich anfangs vor allem durch ihre Abgrenzung von schlagenden Studentenverbindungen definierten. Die katholische Kirche und der CV hätten außerdem den „rassischen“ Antisemitismus des deutschnationalen Lagers als widerchristlich abgelehnt. Dass auch radikalere Antisemiten unter den „CVlern“ zu finden waren, zeige die Einbringung eines Antrags zur Einführung des sogenannten Arierparagraphen (1920). Die Mehrheit entschied sich zwar gegen eine Aufnahme in die Statuten, dennoch wurden „jüdische“ Mitglieder informell ausgeschlossen, so Roth. Die unterschiedlichen Ausrichtungen der im CV versammelten Vereinigungen führten dazu, dass aus ihm sowohl rechtskonservative Widerstandsgruppen als auch Kollaborateure des NS-Regimes hervorgingen.

STEFAN EMINGER (St. Pölten) legte dar, wie sich deutschnationales Gedankengut in der um 1900 geborenen Generation im katholisch geprägten Bund Neuland ausdrückte. Besonders sei an diesem Verein die Organisation als bündische Jugendbewegung gewesen. Diese führte zu einer besonders starken persönlichen Beziehung der Mitglieder zueinander, unter denen auch „CVler“ vertreten waren. Ab 1927 politisierte sich Neuland zunehmend und vertrat offen völkische, antisemitische und antiliberale Ideen. Gleichzeitig fanden die „Neuländer“ in der katholischen Kirche mächtige Fürsprecher und waren maßgeblich an der Organisation des deutschen Katholikentages 1933 beteiligt. Einige Mitglieder traten bereits in der Zeit der Illegalität der NSDAP bei. Eminger wies auf den engagierten Einsatz von Katholisch-Deutschnationalen, die teils auch „Neuländer“ waren, beim „Anschluss“ hin. Nach 1945 profitierten einige Neuland-Mitglieder bei ihrer Rehabilitierung von diesen katholischen Netzwerken.

Im abschließenden Referat der Sektion zeichnete ROBERT OBERMAIER (Salzburg) die politische Laufbahn des Professors für Urgeschichte Oswald Menghin anhand seiner Aktivitäten und Vernetzungen in verschiedenen Vereinigungen und Milieus nach. Menghin könne als Beispiel eines Netzwerkers gesehen werden, der sowohl im katholisch-nationalen als auch im NS-Milieu reüssierte. Seine Beziehungen zu verschiedenen wissenschaftlichen und politischen Gruppen ermöglichten ihmn eine erfolgreiche Karriere unter dem Austrofaschismus (Rektor der Universität Wien 1935/36) und Nationalsozialismus (Unterrichtsminister 1938), und halfen ihm 1948 bei der Flucht nach Argentinien sowie der späteren Rehabilitierung in Österreich nach 1955. Obermaier verstand Menghins Tätigkeiten in beiden Regimen nicht als opportunistischen Akt, sondern als Ausdruck seiner graduellen Radikalisierung.

Die Schwerpunktsetzung des vierten Panels lag auf der Bedeutung von Netzwerken für legale und illegale Aktivitäten der NSDAP. GUNNAR MERTZ (Wien) referierte zur Entwicklung von Alpin- und Touristikvereinen und deren Rolle als nationalsozialistische Drehscheiben. Dass diese früh ein Austauschplatz für antisemitische Ideen waren, zeige beispielsweise die Exklusionspolitik gegenüber „jüdischen“ Mitgliedern, die in den 1920er-Jahren im Deutschen und Österreichischen Alpenverein (in anderen Vereinen auch schon früher) durch fanatische Antisemiten wie Eduard Pichl angetrieben wurde. Mertz sprach von den Vereinen als zentrales Werkzeug der „Symbiose, Rekrutierung, Tarnung und Agitation“ mit dem Ziel der nationalsozialistischen Unterwanderung Österreichs. Er nahm jedoch Abstand davon, diese als reine NS-Organisationen zu bezeichnen, da in den Vereinen auch Anhänger anderer Gesinnungen vertreten waren, einige von ihnen waren auch im Deutschen Klub organisiert.

Anschließend beleuchtete TOBIAS RÖCK (Wien) die Strukturen, die dem Nachrichtendienst der österreichischen NSDAP-Landesleitung von 1933 bis 1935 zugrunde lagen. Die Arbeit im Untergrund hätte besonders stabile und weitverzweigte Netzwerke erfordert. Diese Kontakte zogen sich nicht nur durch Exekutive und Judikative, sondern auch durch andere Vereinigungen. Röck nannte beispielsweise die Heimwehr und die geheime Deutsche Wehr. Die Biographie des Initiators des Nachrichtendienstes, Otto Wächter, seinerseits Mitglied des Deutschen Klubs und der SS, könne exemplarisch für die breite Vernetzung gesehen werden, die nicht zuletzt auch Philippe Sands erst kürzlich herausgearbeitet hat.6 Als Forschungsdesiderate formulierte Röck die Untersuchung der Beteiligung von Frauen in der illegalen NS-Bewegung sowie die über Wien hinausgehende Ausleuchtung der nachrichtendienstlichen Netzwerke vor 1938.

Den Abschluss des Workshops bildeten die Ausführungen FLORIAN RUTTNERs (Prag) zur „völkerverbindenden Kraft des Antisemitismus“ und wie diese in der Zwischenkriegszeit zu internationalen Netzwerkbildung genutzt wurde. Ruttner stellte seine Forschung zum sudetendeutschen DNSAP-Mitglied Hans Krebs und dessen 1926 herausgegebenen antisemitischen Sammelband „Die Weltfront“7 vor. Ausgehend davon beschrieb er den Versuch, eine grenzüberschreitende Programmatik der Antisemiten zu formulieren und diskutierte, inwiefern sich der zeitgenössische Antisemitismus zur Bildung einer internationalen Front eignete. Als Auffälligkeiten nannte Ruttner die Vermischung „rassischer“ und explizit „nicht-rassischer“ antisemitischer Argumentation im Sammelband aus 1926 und ortete den Versuch eines Brückenschlags zum christlichen Antisemitismus. In der anschließenden Diskussion wurden ideologische Ähnlichkeiten zum „Ethnopluralismus“ aktueller rechtsradikaler Bewegungen wie der „Identitären“ festgestellt.

Trotz der zeitlichen Eingrenzung auf die Zwischenkriegszeit ermöglichte der Workshop durch die thematische Breite eine Reflexion über die Bedeutung des Antisemitismus und informeller Netzwerke für die gesellschaftliche und politische Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert. Immer wieder tauchten dieselben Akteure (nie Akteurinnen) wie rote Fäden in unterschiedlichen (Vernetzungs-)Kontexten in den Vorträgen auf. Die am Beginn der Veranstaltung formulierte Prämisse einer Fruchtbarkeit der Netzwerkforschung scheint somit erfüllt. Da wenig überraschend eine Vielzahl an Fragen offenbleiben musste und sich der Zugang zu bestimmten Quellen bisher schwierig gestaltet, ist zu hoffen und wohl auch zu erwarten, dass die Forschung in den nächsten Jahren aufschlussreiche Ergebnisse hervorbringen kann und auch noch stärker die Jahre nach 1945 an die Geschichte des Antisemitismus in Österreichs Zwischenkriegszeit rückbindet.

Konferenzübersicht:

Buchpräsentation und Diskussion

Michael Rosecker (Wien): Begrüßung und Einleitung

Klaus Taschwer (Wien): Buchpräsentation „Der Deutsche Klub. Austro-Nazis in der Hofburg“

Ilse Reiter-Zatloukal (Wien), Barbara Serloth (Wien) und Klaus Taschwer: Diskussion
Moderation: Linda Erker (Wien)

Workshop

Michael Rosecker (Wien) und Linda Erker: Begrüßung und Einleitung

Panel 1: Netzwerke, Nutznießer, Feindbilder
Moderation: Linda Erker

Péter Techet (Freiburg): Antisemitismus im Kontext der juristischen Debatten der Ersten Republik: Hans Kelsen in der Zielscheibe rechtskonservativer Netzwerke

Andreas Huber (Wien): Radikalisierung der Gebildeten. Das Institut zur Pflege deutschen Wissens und das Kulturamt der Deutschen Studentenschaft

Tano Bojankin (Wien): Das Netzwerk des Mandl-Konzerns

Panel 2: Institution der Republik – Schnittstellen der Macht
Moderation: Klaus Taschwer

Therese Garstenauer (Wien): Diener vieler Herren revisited – Hochbürokratie und politische Netzwerke in der Zwischenkriegszeit

Richard Hufschmied (Wien): „Alt-Neustadt“, die Absolventenvereinigung der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt in der Zwischenkriegszeit – ein Werkstattbericht

Kamila Staudigl-Ciechowicz (Wien): Die Universität Wien als Cliquen-Schnittpunkt. Zur Rolle antisemitischer Netzwerke in akademischen Gremien und Disziplinarfällen

Panel 3: Ein bürgerliches Zentrum? Christlich, deutsch und männlich
Moderation: Lucile Dreidemy (Wien)

Florian Wenninger (Wien): Anmerkungen zu Wesen und Bedeutung des christlichsozialen Antisemitismus

Stephan Roth (Wien): „Politische Bestrebungen liegen dem CV fern.“ Der CV/ÖCV in der Zwischenkriegszeit

Stefan Eminger (St. Pölten): Am rechten Rand. Katholisch-Nationale in CV und Bund Neuland

Robert Obermair (Salzburg): Oswald Menghin – Eine Karriere im Zentrum schwarz-brauner Beziehungsgeflechte

Panel 4: Legale und illegale rechtsextreme und antisemitische Netzwerke
Moderation: Michael Rosecker (Wien)

Gunnar Mertz (Wien): Politisierte Seilschaften: Die illegale NSDAP und der Alpenverein in Österreich, 1933–1938

Tobias Röck (Wien): Der Nachrichtendienst der österreichischen NSDAP-Landesleitung (1933–1935). Facetten illegaler nationalsozialistischer Betätigung in Österreich

Florian Ruttner (Prag): Vom Versuch, die „völkerverbindende Kraft des Antisemitismus“ zur internationalen Netzwerkbildung zu nutzen

Anmerkungen:
1 Aufzeichnung der Veranstaltung: https://www.youtube.com/watch?v=w6qtVwIXCSU (24.6.2021).
2 Andreas Huber / Linda Erker / Klaus Taschwer, Der Deutsche Klub. Austro-Nazis in der Hofburg, Wien 2020.
3 Mit der Setzung in Anführungszeichen soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass der hier verwendete Begriff "jüdisch" an die antisemitische Definition dieser Zeit angelehnt ist. Meistens wurden darunter Personen verstanden, die zu einem Zeitpunkt ihres Lebens mosaischen Bekenntnisses gewesen waren.
4 Gertrude Enderle-Burcel / Michaela Follner, Diener vieler Herren. Biographisches Handbuch der Sektionschefs der Ersten Republik und des Jahres 1945, Wien 1997.
5 Huber / Erker / Taschwer, Deutscher Klub, S. 94-95.
6 Philippe Sands, The Ratline. Love, Lies and Justice on the Trail of a Nazi Fugitive, London 2021.
7 Hans Krebs / Otto Prager, Die Weltfront. Eine Sammlung von Aufsätzen antisemitischer Führer, Aussig 1926.


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