Christian societies of Aramean tradition – Social and cultural issues in past and present

Christian societies of Aramean tradition – Social and cultural issues in past and present

Organisatoren
Dorothea Weltecke, Forschungsstelle für Aramäische Studien, Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.10.2017 - 28.10.2017
Url der Konferenzwebsite
Von
Dominik Giesen, Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt am Main

Die bisherige Forschung zu Christen aramäischer Tradition in Geschichte und Gegenwart bleibt weit hinter den aktuellen geschichtswissenschaftlichen Standards, wie sie in der Erforschung zu anderen Kulturen bereits etabliert sind, zurück. Zugleich kann eine Grundlagenforschung auf diesem Gebiet aufgrund der Quellensprachen nur durch Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen vorangetrieben werden. In den multireligiösen Welten des Vorderen Orients und der heutigen westlichen Welt können die aramäischen Gruppen zudem nicht mehr isoliert, sondern nur im Kontext ihrer Umwelt untersucht werden. Die Forschungsstelle für Aramäische Studien der Goethe-Universität Frankfurt am Main veranstaltete deshalb eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Exzellenz Cluster „Normative Ordnung“ geförderte Tagung, um kultur- und sozialgeschichtliche Methoden und orientalisch-philologische sowie theologiegeschichtliche Expertise zur Erforschung aramäischer Christen zu verknüpfen.

Die Tagung begann mit einer Begrüßung der Leiterin der Forschungsstelle für Aramäische Studien, DOROTHEA WELTECKE (Frankfurt am Main). Dabei betonte sie die Bedeutung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit christlichen Gesellschaften aramäischer Tradition für die Sozial- und Kulturgeschichte, denn sie schärfe das wissenschaftliche Verständnis für die Tatsache, dass die westliche christliche Tradition nur ein Teil der christlichen Kultur sei. Trotzdem sei die Geschichte der orientalischen Christen noch immer wenig bis kaum erforscht. Zusätzlich agieren die zur Erforschung aramäischer Christen beteiligten Institute primär nebeneinander und nicht miteinander. In diesem Sinne wies Dorothea Weltecke darauf hin, dass die Tagung mit ihren Referenten verschiedener Fachrichtungen und Schwerpunkten eine Besonderheit sei, denn mit ihr könne die Sozial- und Kulturgeschichte christlicher Gesellschaften aramäischer Prägung an unterschiedlichen Orten in verschiedenen Epochen beleuchtet werden.

Entsprechend beschäftigten sich die ersten beiden Panels der Veranstaltung mit dem gesellschaftlichen Leben aramäischer Christen und ihrem Handeln in Asien über einen Zeitraum von der Spätantike bis zum frühen 20. Jahrhundert. ERICA HUNTER (London) stellte einzelne Quellen einer Sammlung von 519 Handschriftenfragmenten aus einem Kloster in Turfan (heute in der Volksrepublik China) vor, das vom 8. bis 13. Jahrhundert existierte. Bei einem Großteil der Manuskripte handle es sich um liturgische Texte, die ein wichtiges Zeugnis der religiösen Praxis ihrer Zeit sind. Die Besonderheit dieser liturgischen Texte liege darin, dass sie hauptsächlich auf Syrisch, die Rubriken hingegen auf Sogdisch verfasst wurden. Zusätzlich existieren in dieser Sammlung mittelpersische Psalmenübersetzungen – die einzigen erhaltenen christlichen Texte in dieser Sprache – sowie auf Syrisch in uigurischer Schrift verfasste Psalmen. Obwohl verschiedene Sprachen im Kloster gesprochen und verwendet wurden, blieb Syrisch als Liturgiesprache über die Jahrhunderte erhalten. Leider lässt sich aus der Sammlung nicht erschließen, ob die syrischen Texte in Turfan oder in Mesopotamien entstanden sind, jedoch ermöglichen sie einen Einblick in die Expansion des Christentums von Mesopotamien über die Seidenstraße nach Osten.

URIEL SIMONSOHN (Haifa) verglich Gesetzestexte verschiedener kirchlicher Synoden des 6. bis 8. Jahrhunderts. In den Synoden wurde geregelt, wie zu reagieren sei, wenn Väter ihre Töchter Muslimen oder Heiden zur Frau gäben. Daran lasse sich interreligiöses Zusammenleben erkennen, da die Ergebnisse der Synoden Reaktionen auf existierende Phänomene seien. Anhand der Texte erschließe sich auch eine weitgehend in politischen Machtverhältnissen begründete Entwicklung im vorderasiatischen Raum. So waren die syrischen Kirchen zunächst strikt gegen interreligiöse Hochzeiten und drohten als Abschreckung mit der Exkommunikation. In späteren Synoden wurde die Strafe minimiert, um diese Frauen als Mitglieder der Kirche nicht zu verlieren.

LUCY PARKER (Oxford) beleuchtete den Konflikt zwischen den Patriarchen Johannes Sulaqa und Simon bar Mama. Entscheidend seien dabei drei Gedichte über Sulaqa, die nach seiner Romreise 1552 und der dortigen Ernennung zum Patriarchen durch den Papst in einem nestorianischen anstatt katholischen Vokabular verfasst worden sind. Bisher begründe die Wissenschaft dies damit, dass die Nestorianer noch nicht gewusst hätten, was „katholisch“ gewesen sei, oder sie betrachte die Union als rein politisches Handeln ohne religiöse Motivation. Parker zeigte sich von beiden Positionen nicht besonders überzeugt, da an vielen Punkten weder die theologische Position noch die politische Macht des Papstes eine Rolle spielten, sondern auf die Heiligkeit der Reliquien in Rom hingewiesen wurde. Die Verhaftung Johannes Sulaqas durch seinen Gegner Simon bar Mama unterstreiche die schwache Position Roms im Osten.

JOHN-PAUL GHOBRIAL (Oxford) betrachtete Kontakte und Beziehungen der christlichen Gemeinschaften in Mosul und hinterfragte, welchen Einfluss sie auf Konversionen hatten. So seien katholische Missionare in Mesopotamien nicht stark vertreten gewesen, konnten jedoch Erfolge in ihrer Arbeit vorzeigen. Doch woher stamme die Motivation zum Katholizismus zu konvertieren? Ghobrial begründete anhand verschiedener Quellen, dass Katholik zu werden gleichzeitig bedeutete, zu einer gehobenen Gruppe zu gehören. „Katholisch sein“ habe in Mosul auf der sozialen Ebene allerdings eine andere Bedeutung als in Rom gehabt.

HELEEN MURRE-VAN DEN BERG (Nijmegen) zeigte, welche Bedeutung die Manuskripte der Kirche des Ostens und deren Inhalt für sie im 14. und 15. Jahrhundert hatte. Nach dem Niedergang der Kirche des Ostens in dieser Zeitspanne, erholte sie sich nach 1500 und knüpfte enge Kontakte nach Indien, Rom sowie in den Norden nach Georgien und Russland. Die Manuskripte können dabei einen Einblick in das politische und gesellschaftliche Handeln bieten. So spiegle beispielsweise die Sammlung eines Mönches die Anliegen und Interessen einer bestimmten Region wider, in der traditionelle Texte mit neuen, teilweise explizit katholischen Texten vermischt wurden. Die Manuskripte zeugen von dem Versuch, die Kirche des Ostens durch Texte in syrischer, arabischer und neo-aramäischer Sprache neu zu erschaffen, wobei die Liturgie in den zentralen kirchlichen und klösterlichen Netzwerken der sichtbarste Kanal von Macht und Einfluss sei.

MARTIN TAMCKE (Göttingen) blickte auf die Situation der syrischen Thomaschristen in Indien im 17. Jahrhundert zurück. Nachdem diese Mitte des 17. Jahrhunderts mit dem „Schwur vom Schiefen Kreuz“ gelobten, nie wieder einen portugiesischen Bischof über sich zu dulden, wurde Mar Thomas zu ihrem kirchlichen Oberhaupt gewählt. Durch die Feindschaft mit den Portugiesen sahen die Thomaschristen die Niederländer als Verbündete. Tamcke zeigte anhand der brieflichen Korrespondenz von Mar Thomas, wie dieser in seinem politischen Handeln lokale Herrscher überging und dadurch einen eigenen Herrschaftsanspruch durchzusetzen versuchte. Sein Ziel sei gewesen, mit Hilfe der Niederländer religiös und politisch unabhängig zu werden und sein Herrschaftsgebiet von Indien zu lösen.

DAVID GAUNT (Stockholm) sprach über das lange Schweigen der Opfer des Genozids im Osmanischen Reich. Gaunt sieht Gründe dafür in der Situation der Aramäer nach dem Ersten Weltkrieg, die zu einem großen Teil weit entfernt von ihrer alten Heimat leben mussten und keine Hoffnung auf Rückkehr hatten. Außerdem waren die sozialen Strukturen vollkommen zerstört und die Menschen lebten in einer Umgebung, die ihnen völlig fremd war. Als Reaktion darauf versuchten viele Überlebende das Geschehen auf religiöse Weise zu verarbeiten und sahen den Völkermord als Gottes Strafe an. Daneben waren für andere Überlebende die Massaker ein Kampf, den sie verloren hatten. Der Völkermord wurde jahrzehntelang von den Opfern nicht thematisiert, auch um mit der türkischen Regierung keinen Konflikt auszulösen. Die eigentliche Aufarbeitung begann erst in den 1980er- und 1990er-Jahren und offenbarte dabei erstmals das Ausmaß des Genozids.

Im nächsten Panel fokussierten die Referenten der Tagung die Quellenheuristik und -kritik. HARTMUT LEPPIN (Frankfurt am Main) ging den Fragen nach, wie Rabbula von Edessa im 5. Jahrhundert das Leben innerhalb der Klöster seiner Diözese regelte und wie er versuchte, dort seine Autorität durchzusetzen. Antworten darauf fand Leppin in verschiedenen Quellen, vor allem in den auf der Grundlage der Briefe Rabbulas verfassten Klosterregeln.

SIMONE PRATELLI (Frankfurt am Main / Pisa) stellte seine Editionsarbeit an der Chronik des Bar-‘Ebroyo vor. Dabei präsentierte er Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschiedenen Textversionen, die Grundlage seiner Arbeit sind. Die textlichen Abweichungen teilte er in drei Gruppen ein: in einzelne Episoden, in literarische Einfügungen und in Kriegserzählungen. Dabei bieten die verschiedenen Textversionen einen Einblick in die Geschehnisse und Kultur der Zeit ihrer Entstehung.

TESSA HOFMANN (Berlin) beleuchtete den Umgang der syrischen Christen mit dem Völkermord im Osmanischen Reich. Dabei zeigte sie verschiedene Methoden der syrischen Seite in der Auseinandersetzung mit dem Völkermord und der Erinnerung an ihn. Sie stellte fest, dass die Augenzeugenberichte mit starker Tendenz verfasst wurden und als Quelle daher nur bedingt geeignet sind. Das liegt insbesondere daran, dass diese Verfasser ihre Erfahrungen nicht austauschen konnten und wenig Kontakt zu anderen Bevölkerungsgruppen oder Ausländern hatten. Daneben fehlte beispielsweise eine Berichterstattung in Zeitungen, die sie in Beziehung mit dem eigenen Erlebten hätten setzen könnten. So entstanden Narrative, die sich von der historischen Betrachtung des Völkermordes teilweise stark unterscheiden.

Zum Abschluss des Panels präsentierte RYANN CRAIG (Washington, D.C. / Jerusalem) ihre Arbeit an einer digitalen Datenbank, die orale und archivierte Narrative sammelt. Ziel dieses Projekts sei es, ein vollständiges Bild der Gemeinschaften in der Diaspora zu erstellen und daneben syrische Dialekte und Erzählungen von Frauen zu sammeln. Dafür arbeitete sie mit der chaldäischen Gemeinschaft in Detroit und der multikonfessionellen Gemeinde arabischer Christen in Münster zusammen. In ihrem Vortrag hinterfragte Craig die Bedeutung von Herkunft für diese Gemeinschaften und mit welchen Strategien sie versuchen, die Erinnerung an ihre Herkunft zu bewahren.

Das finale Panel beschäftigte sich mit aramäischen Christen in der westlichen Welt. ANDREAS SCHMOLLER (Salzburg) betrachtete die Geschichte der Syrisch-Orthodoxen Kirche in Österreich. Dabei beleuchtete er die Rolle der Organisation Pro-Oriente, die 1964 von Kardinal König gegründet wurde. Die Pro-Oriente Treffen waren für alle beteiligten Konfessionen eine gute Grundlage, sich untereinander zu vernetzen und eröffnete darüber hinaus gerade den orientalischen Christen weitere Möglichkeiten, sich beispielsweise politisch zu engagieren. Schmoller stellte fest, dass die syrisch-orthodoxe Gemeinschaft in Österreich dadurch auf der einen Seite lokal stark eingebunden sei, auf der anderen Seite aber auch über gute transnationale Verbindungen und eine transnationale Kommunikationshierarchie verfüge.

Abschließend stellte LISE PAULSEN GALAL (Roskilde) die Ergebnisse des DIMECCE-Projekts vor, das von 2013 bis 2015 lief. In diesem Projekt wurde die Migrationserfahrung der verschiedenen Gemeinschaften orientalischer Christen in den Ländern Dänemark, Schweden und im Vereinigten Königreich verglichen. Obwohl verschiedene syrische Konfessionen in diesen Ländern anzutreffen sind, sind sie in den jeweiligen Gesellschaften unterschiedlich sichtbar. So wurden in Schweden assyrische Kirchen neu gebaut, während in Dänemark die Assyrische Kirche des Ostens lutherische oder katholische Kirchen für ihren Gottesdienst mieten müsse. Daneben unterstütze der in Schweden residierende Bischof der Assyrischen-Kirche des Ostens den Aufbau kirchlicher Strukturen in Dänemark nicht. Dadurch seien syrische Christen in Dänemark nicht sichtbar. Gründe dafür liegen wohl auch darin, dass die dänische Bevölkerung nicht besonders gläubig sei und kaum Wissen über syrische Christen habe. Es existiere kaum eine gesellschaftliche Unterscheidung von Christen aus dem Nahen Osten und Muslimen, wodurch sie eine Minderheit innerhalb einer Minderheit darstellen.

Im Rahmen der Tagung gelang es, unterschiedliche Themen aus allen Epochen zusammenzuführen, die für die Erforschung der Sozial- und Kulturgeschichte syrischer Christen von Bedeutung sind. Der Schwerpunkt lag auf den verschiedenen Aspekten des sozialen Lebens syrischer Christen und den Strukturen innerhalb ihrer Gesellschaften. Hervorzuheben sind die Kontakte zu anderen Konfessionen oder Bevölkerungsgruppen, die einen nicht unerheblichen Einfluss auf das gesellschaftliche Leben über die Epochengrenzen hinaus hatten. Die hierzu angestoßenen Fragen verdeutlichen die Notwendigkeit einer genaueren Betrachtung. Darüber hinaus löste sich die Tagung von einer historischen Perspektive und spannte einen Bogen zur Thematik des heutigen Lebens syrischer Christen in der Diaspora und zu ihrem modernen Selbstverständnis.

Konferenzübersicht:

Begrüßung:

Dorothea Weltecke (Frankfurt am Main): On social and cultural history in Syriac studies

Panel 1: Social life and interaction in Asia I
Moderation: Dorothea Weltecke

Erica Hunter (London): Christians of the East at Turfan: Bilingualism in community and liturgy

Uriel Simonsohn (Haifa): Between family and community: Woman of the Syrian Churches in the Early Islamic Period

Lucy Parker (Oxford): ‘Go be a neighbour to the persecuted Nestorius…’ Reassessing the schism of 1552 in the Church of the East

Panel 2: Social life and interaction in Asia II
Moderation: Erica Hunter (London) / Tessa Hofmann (Berlin)

John-Paul Ghobrial (Oxford): The Conversion of the Christian community in Mosul to Catholicism in the 17th Century

Heleen Murre-van den Berg (Nijmegen): The Church of the East in the Ottoman period

Martin Tamcke (Göttingen): Auf der Suche nach Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. Beispielhafte politische Optionen syrisch-aramäischer Kirchenvertreter im Angesicht europäischer-kolonialer Expansion in Iran und Indien

David Gaunt (Stockhom): The catastrophe of the Aramean peoples in the late Ottoman Empire: Pogroms, massacres, expulsions

Panel 3: New sources and source questions
Moderation: Theresia Hainthaler (Sankt Georgen)

Hartmut Leppin (Frankfurt am Main): Rabbula of Edessa: Asserting episcopal authority in a world of diversity

Simone Pratelli (Frankfurt am Main / Pisa): The continuations to Bar-‘Ebroyo’s Chronography as source for the study of Christian Aramean culture in the Middle Ages: Some Notes

Tessa Hofmann (Berlin): Aramaic narratives on the Ottoman genocide in comparative perspective

Ryann Craig (Washington D.C. / Jerusalem): Whose cultural heritage? Navigating community scholar partnerships across ecclesiastic boundaries

Panel 4: Aramean Christians in the Western World
Moderation: Hartmut Leppin (Frankfurt am Main)

Andreas Schmoller (Salzburg): The Syriac Orthodox Church in Austria: The role of religious networks in a diaspora context

Lise Paulsen Galal (Roskilde): Aramean Christians in Denmark: A minority within a minority

Abschlussrunde:

Dorothea Weltecke (Frankfurt am Main) und Boris Barth (Prag)


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