Der Rotulus im Gebrauch. Einsatzmöglichkeiten, Gestaltungsvarianz und Aussagekraft einer Quellengattung

Der Rotulus im Gebrauch. Einsatzmöglichkeiten, Gestaltungsvarianz und Aussagekraft einer Quellengattung

Organisatoren
Bergische Universität Wuppertal; Graduiertenkolleg 2196 Dokument - Text - Edition
Ort
Wuppertal
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.09.2016 - 23.09.2016
Url der Konferenzwebsite
Von
Tristan Spillmann, Graduiertenkolleg 2196 Dokument - Text - Edition, Bergische Universität Wuppertal; Caterina Cappuccio, Katholische Universität vom Heiligen Herzen Mailand

Bei Rotuli, aus Papyrus, Pergament oder Papierstücken hergestellte Schriftrollen, handelt es sich um eine spezielle Überlieferungsform, die vermehrt ab dem 12. Jahrhundert auftrat und zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert ihre Hochphase erlebte. Dieser Informationsträger, der vor allem im administrativen und wirtschaftlichen Bereich Anwendung fand, wurde jedoch auch unter anderem für Kompendien, theologische Unterweisungen und Universalchroniken verwendet. Was machte dieses „Medium“ so attraktiv, in welchen Kontexten wurden Rotuli genau genutzt und welche Handlungshorizonte wurden ihnen von ihren Nutzern zugesprochen? Welche genaue Funktion sollten sie für ihre Hersteller und Verwender erfüllen und wie kann für heutige editorische Aufarbeitungen sichergestellt werden, dass ihre Materialität und Form nicht verloren gehen?

Diese Leitfragen standen im Mittelpunkt der vom einer internationalen Tagung an der Bergischen Universität Wuppertal, die vom 21. bis 23. September 2016 von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert in Kooperation mit dem DFG Graduiertenkolleg 2196 „Dokument – Text – Edition“ stattfand. Organisiert wurde die Fachkonferenz von MARIA PIA ALBERZONI (Mailand), JOCHEN JOHRENDT und ÉTIENNE DOUBLIER (beide Wuppertal) und umfasste zweiundzwanzig Vortrage. Parallel zur Tagung stellte die Universitätsbibliothek vom 12. bis zum 30. September im Eingangsbereich Rotuli aus dem Privatbesitz von MARK MERSIOWSKY (Stuttgart) aus, der die Ausstellung am 22. September durch eine Vorstellung der Exponate offiziell eröffnete und auf diese Weise den Teilnehmern einen zusätzlichen plastischen Zugang ermöglichte.

Nach der Eröffnung durch Jochen Johrendt (Wuppertal), stellte NINE MIEDEMA (Saarland) in ihrem Vortrag die von Norbert Kössinger entworfene Typologie von Rotuli und die daraus resultierenden Problematiken bezüglich der Einordnung und der verschiedenen Arten der Quellenüberlieferung vor. Darüber hinaus hinterfragte sie die in der Forschung bisher angegebenen Gründe für die Nutzung von Rotuli – weder das Argument der Transportabilität, der Transitoriät, noch der Performativität scheinen dabei besonders stichhaltig zu sein, weshalb Nine Miedema für neue Ansätze bei der Kategorisierung der Rotuli plädierte.

Der von BERARDO PIO (Bologna) gehaltene Vortrag widmete sich den Rotuli der Universität von Bologna. Bei diesen Schriftrollen handelt es sich jedoch nicht um klassische Rotuli, d.h. zusammengerolltes Pergament, sondern um größere Blätter, die unterschiedliche Inhalte aufweisen, wie z.B. Immatrikulationslisten der damaligen Studenten oder spätmittelalterliche Unterrichtspläne. Im 15. und 16. Jahrhundert entwickelten sich unterschiedliche Rotuli, die offenbar dazu dienten, öffentlich gelesen zu werden. Sie beinhalten unter anderem Namenslisten der Dozenten, Regelungen für die Universität sowie Angaben zu den Lehrveranstaltungen.

ELENA VANELLI (Hamburg) referierte über Universalchroniken, die besonders ab dem 12. Jahrhundert in Form von Rotuli überliefert worden sind und teilweise enorme Rollenlängen aufweisen. Hauptgegenstand ihres Vortrages war der aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammende Rotulus ms. 258 aus der Stadtbibliothek von Cremona, den sie als Luxusobjekt einordnete und der Dynastie der Palaiologen, den Markgrafen von Monferrat, zuschrieb. Als Vorlage für diese Universalchronik diente das Compendium historiae in genealogia Christi von Petrus Pictaviensis.

Die zwei folgenden Vorträge erörterten die vermehrte Nutzung von Rotuli in Gerichtsprozessen. Zunächst stellte MIRIAM RITA TESSERA (Mailand) die Auseinandersetzung zwischen den Mönchen und Kanonikern von St. Ambrogio zwischen dem 12. und 13. Jahrhundert vor. In der gerichtlichen Auseinandersetzung dienten diese Rollen erneut als Informationsträger. Ein anderes Beispiel für den Einsatz von Rotuli in juristischen Verfahren bot der Vortrag von PIETRO SILANOS (Mailand), der einen aus 27 Einzelstücken erstellten Rotulus vorstellte (ASV, A.A., Arm. I-XVIII, 3913). Kontext dieser Schriftrolle war eine Auseinandersetzung zwischen der Stadt Parma und dessen Bischof, bei der die Frage nach der weltlichen Gerichtsbarkeit in stadtnahen Territorien im Vordergrund stand. In beiden Fällen wurden Rotuli für Gerichtsverhandlungen gebraucht, um Zeugnisse und Urkunden zu konservieren. Dabei wurde die Originalität der Dokumente beibehalten und in diesem Format zusammengeführt.

Ein im Rahmen der Burgunderkriege entstandener Rotulus wurde von BASTIAN WALTER-BOGEDAIN vorgestellt. Die 1475 entstandene Schriftrolle besteht aus 32 Briefen der Hauptleute der Stadt Straßburg, die hauptsächlich an die Stadträte Straßburgs gerichtet waren und Informationen zum Kriegsgeschehen liefern sollten. Die Briefe wurden jedoch tatsächlich nicht verschickt – es handelte sich bei diesem Rotulus vielmehr um eine Bewahrung von Briefkonzeptionen sowie einem Verzeichnis für bereits verschickte Briefe. Bastian Walter-Bogedain bot zwei Interpretationsmöglichkeiten an: der Rotulus hätte entweder als portables Missivenbuch dienen können, der von Feldschreibern verfasst wurde um das auf Kriegszügen entstandene Schriftgut zu erstellen und zu verwalten, oder als zusammengestellte Briefsammlung, die erst zu einem späteren Zeitpunkt zur Archivierung angefertigt worden ist.

ALFREDO LUCIONI (Mailand) stellte in seinem Beitrag das Officium visitationis aus der Abtei Fruttuaria aus dem Jahre 1326 vor, das durch einen der insgesamt sechs aus dem Klosterarchiv überlieferten Rotuli tradiert ist. Die Visitation von 1326 wurde von Kardinal Betrando del Poggetto angeordnet. Der hieraus entstandene Rotulus enthält Verfügungen, die klösterliche Missstände offenlegten und eine Reformierung des Klosters initiieren sollten. Die Schriftrollen bieten einen detaillierten Einblick in die Entwicklung des klösterlichen Lebens und erlauben, das Reformvorhaben exemplarisch zu untersuchen.

Die Vorträge von ANNAFELICIA ZUFFRANO (Mailand) und LORENZA IANNACCI (Bologna) befassten sich beide mit dem Rotulus 77/7411 aus dem Bestand von San Domenico des Staatsarchives von Bologna. Dieser Rotulus enthält, neben dem Testament des Dominikaners Teodorico Borgognoni (1205-1298), der Bischof von Bitonto (1262-1270) und Bischof von Cervia (1270-1298) war, diverse Zeugnisse und Dokumente. Insgesamt wurden 28 Pergamentstücke zusammengenäht. Während Annafelicia Zuffrano eine paläographische und diplomatische Untersuchung vorlegte – bemerkenswerterweise fehlen in diesen Urkunden sowohl die datatio als auch die abschließende Gültigkeitsprüfungen – konzentrierte sich Lorenza Iannacci auf den Inhalt des Schriftstückes. Die aneinandergenähten Zeugnisse bilden einen Korpus an offiziösen Dokumenten bezüglich der von Teodorico Borgognoni erworbenen Besitzungen und Güter, die im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung als Beweisstücke angeführt werden sollten. Tatsächlich kaufte der Dominikaner nicht in seiner Funktion als Bettelmönch – was ihm hätte zur Last gelegt werden können – sondern stets in anderen Funktionen, so zum Beispiel als Arzt. Bei diesem einzigartigen Rotulus handelt es sich, überspitzt formuliert, um eine äußerst ungewöhnliche präventive Maßnahme, welche die Legitimität des Testaments vor eventuellen Klagen untermauern sollte.

Mark Mersiowsky (Stuttgart) eröffnete den zweiten Konferenztag mit seinem Vortrag über in Rotulusform überlieferte Rechnungen aus dem spätmittelalterlichen römisch-deutschen Reich. Die älteste uns überlieferte Rechnung aus diesem geographischen Raum ist die des Passauer Bischofs Wolfger von Erla. Der Referent ging insbesondere auf die Entstehungsdynamik ein und konnte dabei zeigen, wie Einträge sukzessiv erfolgten. Offenbar wurden die Einträge zunächst auf Wachstafeln gesammelt und erst dann in Blöcken auf Pergamentstreifen übertragen. Diese Sekundärrotuli, das heißt erst nachträglich zu Schriftrollen zusammengesetzte Pergamentstücke, sind ebenfalls in dem Überlieferungskomplex der Rhenser Rechnungen des Burggrafen von Rheineck (1277-1291) zu finden. Rechnungen sind allerdings nicht ausschließlich in Rotulusform überliefert: Zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert lässt sich vielmehr ein Nebeneinander von Heften, Einzelblatt- und Rotulusrechnungen konstatieren sowie die allgemeine Tendenz, im Bereich der Finanzverwaltung Aus- und Einkünfte memorierbar und nachvollziehbar zu gestalten.

BARBARA BOMBI (Kent) sprach über die chancery enrolments des englischen Königshofes zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert mit Fokus auf deren Benutzungsfeldern. Sie unterteilte diese Rotuli in drei Bereiche: die Kommunikation mit anderen administrativen Institutionen der englischen Krone, den Haushalt der Verwaltung sowie die außenpolitische Belange und externen Kriege. Die Rotulusform werde laut Bombi nicht aufgrund ihrer Praktikabilität, sondern vielmehr wegen ihrer Flexibilität gewählt, da sie ohne Schwierigkeiten erweitert und geändert werden könnten. Offenbar zeugte die durchgehende Nutzung von Rotuli ebenso als Identitätsmerkmal der englischen Krone.

RICCARDO PARMEGGIANI (Bologna), behandelte in seinem Vortrag die im Rahmen von Inquisitionsprozessen im 13. und 14. Jahrhundert entstandenen Rotuli. Dazu stellte er vier Schriftrollen vor, die unterschiedliche Funktionen aufweisen. Der erste vorgestellte Rotulus diente dem Richter als Informationsträger, der Notizen zu einem Gerichtsprozess in der Toskana im Jahre 1280 erhält. Die zweite, nur aus einer Abschrift aus dem 18. Jahrhundert erhaltene Schriftrolle erhielt Beglaubigungen und Zeugnisse, während die beiden anderen Rotuli auf Initiative der Kurie in Avignon erstellt wurden und Zusammenfassungen der inquisitorischen Gerichtsprozesse beinhalten.

CHRISTIAN LACKNER (Wien) sprach über das Habsburger Urbar, das aus dem späten 13. Jahrhundert stammt und als Instrument zur Organisation der Abgaben diente. Dieses enthält ein Verzeichnis der Besitzungen der habsburgischen Dynastie in den Territorien in Süddeutschland, die bis zum Elsass reichten. Vor allem die Besonderheit der Überlieferungsform und die von der Forschung heftig diskutierte Frage nach einem habsburgischen Gesamturbar standen im Zentrum des Vortrages. Während Urbare üblicherweise als Kodizes überliefert sind, lässt sich in Elsaß und am Oberrhein eine außergewöhnliche Verbreitung von Zinsrödeln fassen, die wahrscheinlich auf eine regionale Tradition zurückzuführen ist.

Über die ab dem Ende des 11. Jahrhundert zu beobachtende effizientere herrschaftliche Durchdringung sprach Jochen Johrendt und zeigte dies exemplarisch anhand der Rotuli des Stiftes St. Viktor in Xanten. Durch die Verwendung solcher Schriftrollen sollte die Verwaltung von Ressourcen strukturiert und auf diese Weise einen aktiven Zugriff des Grundherrn auf eben diese erlauben. Der Kontext war die Verdichtung und Ausweitung der kölnischen erzbischöflichen Herrschaft am Niederrhein, was zwangsläufig auf Kosten der regionalen Großen und des Königtums geschah. Nach der Zerstörung des Xantener Archivs 1109 wurden fortan Rotuli verwendet, von denen drei überliefert sind und Verzeichnisse über Güter, Einnahmen und Ausgaben enthalten. Wie an den Nutzungsspuren deutlich zu erkennen, wurden diese definitiv noch bis ins 14. Jahrhundert verwendet. Diese pragmatische Schriftlichkeit diente als Instrument zur Raumüberwindung und sollte den lokalen Herrschaftsverband festigen.

LUCIA DELL’ASTA (Mailand) referierte über die sogenannten calcationes, die von der Kommune von Bergamo im Hochmittelalter zur Verwaltung des Territoriums verwendet und in Form eines Rotulus überliefert sind. Anhand dieses Beispiels zeigte sie die Nutzung eben jenes Mediums innerhalb der Stadt und im Contado auf und erörterte zudem die Möglichkeiten der Typologisierung, die sich durch ähnliche, vor allem in der kirchlichen Verwaltung vorzufindende Rotuli, ergeben.

Gegenstand des Vortrages von Étienne Doublier war ein Rotulus aus dem Landesarchiv NRW, Abteilung Westfalen, der ein Güterverzeichnis des Kölner Erzbischofs Philipps von Heinsberg (1167-1191) erhält (LAW NRW Abteilung W, Herzogtum Westfalen, Urkunden Nr.1). Der womöglich in mehreren Phasen entstandene Rotulus enthält eine unvollständige und mit diversen Konzeptionen versehene Liste von Gütereinkäufen des Metropoliten, wobei nur Burgen und grundherrschaftliche Güter aufgelistet werden, die in fünf Gruppen unterteilt werden können. Der Münsteraner Rotulus ist gemeinhin ein weiteres Beispiel für pragmatische Schriftlichkeit, da dessen Informationen ständig registriert und abgeändert werden konnten um auf diese Weise dem Nutzer einen aktualisierten, aktiven Zugriff zu ermöglichen.

PAOLO GALIMBERTI (Mailand), stellte eine Vielzahl von Rotuli aus dem mailändischen Archiv vor und zeigte dabei die Bandbreite an unterschiedlichen Formen und Inhalten der überlieferten Schriftrollen. Im Fokus stand die Schenkung von Bernabò Visconti an mailändische Hospitäler. Diese erfolgten in den Jahren 1359 und 1366 und wurden auf Rotuli schriftlich festgehalten. Die Wahl dieses Mediums lag vermutlich in der öffentlichen und feierlichen Übergabe der Rotuli.

Die komplexe Entstehung des Rotulus Nr. 3 der Kirche von Arezzo hat IGOR SANTOS SALAZAR (Trient) in seinem Beitrag rekonstruiert. Bei der im Laufe ihrer Verwendungszeit oft bearbeiteten Schriftrolle handelt es sich um eine Urkundensammlung, die im Kontext eines Konflikts zwischen dem Bischof von Arezzo und dem Domkapitel entstanden ist. Die Datierung des Rotulus ist nach wie vor umstritten: so wird der Rotulus von der Forschung entweder auf die Mitte des 9. Jahrhunderts (Nicolaj), das späte 9. bzw. Anfang 10. Jahrhundert (Brühl und Bischoff) oder auf die Mitte des 11. Jahrhunderts (Schiaparelli) datiert. Wie Igor Santos Salazar argumentierte, weisen Bearbeitungen auf das 9. und 11. Jahrhundert hin. Bei diesem Rotulus handelt es sich also um ein vielfach verwendetes, lebendiges Instrument, das stetig neu zusammengesetzt und gebraucht wurde.

Gegenstand des Vortrages von ALBERTO SPATARO (Mailand) war ein besonderer Rotulus aus Vercelli. Diese Schriftrolle wurde im 14. Jahrhundert erstellt, womöglich während des Episkopats Giovanni Fieschi, und besteht aus einzelnen Pergamentblättern, die wiederum aus dem 12. Jahrhundert stammen und während eines kaiserlichen Verfahrens bezüglich des Konfliktes zwischen der Kirche von Vercelli und der Stadt Casale Monferrato entstanden sind. Die Herstellung eines Rotulus aus eben diesen Schriftstücken zeigt nicht nur das archivarische Gedächtnis der Kirche von Vercelli, sondern auch die aktive und zielführende Nutzung älterer Prozessakten, die auch zweihundert Jahre später für die Behauptung der eigenen Rechte von Bedeutung waren.

JOHANNES BURKARDT (Duisburg) leitete mit seinem Vortrag den dritten Themenschwerpunkt der Tagung ein und sprach über die archivierten Rotuli im Landesarchiv NRW. Wie viele Rotuli tatsächlich dort aufbewahrt werden, kann aufgrund der fehlenden Einordnung nicht gesagt werden. Neben der Vorstellung der Archivorganisation sprach Burkardt zudem über Digitalisierungsmöglichkeiten sowie das dazugehörende Angebot auf der Internetseite des Landesarchivs.
Überleitend sprach Pier Maurizio Della Porta (Perugia) über ein Digitalisierungsprojekt des Stadtarchivs von Perugia, bei denen Urkunden aus dem 12. bis 15. Jahrhundert digitalisiert und so erhalten werden.

Im letzten Vortrag der Tagung befasste sich URSULA KOCHER (Wuppertal) mit der Frage, inwieweit die Materialität des Mediums, die selbst ein Informationsträger darstellt, sowie dessen Benutzerspuren editionswissenschaftlich aufgearbeitet und als wichtiger Gegenstand in mögliche Editionen übertragen werden können. Des Weiteren ging sie auf die Vorteile digitaler Editionen und deren neue Möglichkeiten ein.

Im Anschluss resümierte Étienne Doublier die Erkenntnisse und Fragestellungen und eröffnete die Schlussdiskussion. So kann festgehalten werden, dass Rotuli keine eigene Quellengattung sind, sondern vielmehr ein Medium, das individuell in seinem Entstehungs- und Nutzungskontext betrachtet werden muss. Rotuli waren zu keiner Zeit das einzig genutzte Quellenformat, jedoch lässt sich zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert eine gewisse Konjunktur an Rotulusherstellungen- und Nutzungen konstatieren. Vor allem die ab dem 12. Jahrhundert fortschreitende Entwicklung von Gerichtsverfahren werteten den Rotulus als Informationsträger auf. Die Aufgabe der heutigen Forschung besteht darin, die Rotuli in ihrer Materialität zu erfassen und dies in Editionen zu berücksichtigen. Für eine Kategorisierung der überlieferten Rotuli, ihrer Verbreitung und Ursprünge, ihrer Stellung im Leben der Hersteller und Nutzer und die Kontextualisierung ihrer Funktion bedarf es noch viele Studien, die hoffentlich mit dieser Tagung zusätzlich angestoßen worden sind.

Konferenzübersicht:

Sektion 1: Annäherung an eine Quellengattung: Gebrauchsfelder und Darstellungen

Jochen Johrendt (Wuppertal): Einleitung und Eröffnung der Tagung

Nine Miedema (Saarland): Pilgerführer und literarische Aufführungstexte in Form von Rotuli

Bernardo Pio (Bologna): I „Rotuli die lettori“ dello Studium di Bologna

Elena Vanelli (Hamburg): Die Welt im Fluss – eine Universalchronik in Rotulusform

Miriam Rita Tessera (Mailand): I rotoli della canonica e del monastero di S. Ambrogio nei secoli XII-XIII: tipologia ed esempi

Pietro Sialnos (Mailand): Note in margine al rotulus ASV, A.A., Arm. I-XVIII, 3913: la construzione di un document processuale

Bastian Walter-Bogedain (Wuppertal): AMS AA 275, fol. 5 – ein portables Missivenbuch? Überlegungen zur pragmatischen Schriftlichkeit während der Burgunderkriege

Alfredo Lucioni (Mailand): Scritture su rotolo nell’archivio abbaziale di San Benigno di Frutturia

Annafelicia Zuffrano (Mailand): Il rotolo San Domenico 77/7411: analisi paleografico-diplomatistica di un inedito actum giudiziario

Lorenza Iannacci (Bologna) : Il rotolo San Domenico 77/7411: storia di un processo Bolognese (fine XIII-inizio XIV secolo)

Eröffnung der Ausstellung einiger Rotuli aus der Privatsammlung von Mark Mersiowsky im Eingangsbereich der Universitätsbibliothek

Sektion 2: Der Rotulus als materielle Perspektive auf Rationalisierung und Verdichtung am Übergang vom Hoch- zum Spätmittelalter

2.1 Der administrative und wirtschaftliche Wandel vom 12. zum 13. Jahrhundert

Mark Mersiowsky (Stuttgart): Frühe Rotuli aus der Finanzverwaltung: Ein Überblick

Barbara Bombi (Kent): Pragmatic methods of record-keeping? The English chancery rolls between the thirteenth and the fourteenth centuries

Riccardo Parmeggiani (Bologna): Tracce di rotuli nella documentazione inquisitoriale italiana (secc. XIII-XIV)

2.2. Der Wandel im administrativen Bereich: Rotulus und Codex

Christian Lackner (Wien): Das Urbar als Rotulus. Eine regionale Sonderform? Zum Habsburger Urbar vom Ende des 13. Jh.

Jochen Johrendt (Wuppertal): Die Rotuli von St. Viktor in Xanten als Moment des aktiven Zugriffs auf Ressourcen

Lucia Dell’Asta (Mailand): Tra rotulus e codex: L’amministrazione del comune di Bergamo nel XIII secolo

Étienne Doublier (Wuppertal): Rotulus und Herrschaftsverdichtung am Beispiel der Güterliste Philipps von Heinsberg

Paolo M. Galimberti (Mailand): La donazione di Bernabò Visconti agli ospedali milanesi (1359): rotoli nell’archivio dell’Ospedale Maggiore

Igor Santos Salazar (Trento): The roll n. 3 of Arezzo’s Church: law and memory in the Regnum Italiae (IX-XI centuries)

Sektion 3: Folgen für die archivalische und editorische Bewahrung/Aufbereitung

Alberto Spataro (Mailand): Entwicklung und Erinnerung eines Verfahrens kaiserlicher Delegierter in einem Rotulus aus Vercelli

Johannes Burkardt (Duisburg): Erhalt und Benutzung als Ziele: konservatorisch-restauratorische Behandlung und digitale Bereitstellung der Rotuli im Landesarchiv NRW

Pier Maurizio della Porta (Perugia): L’archivio di Stato di Perugia e il progetto di Digitializzazione

Ursula Kocher (Wuppertal): Materialität in die Edition übersetzen – Benutzerspuren als Editionsgegenstand aus editionswissenschaftlicher Perspektive

Étienne Doublier (Wuppertal): Zusammenfassung und Eröffnung der Schlussdiskussion