Religion: Diskurse – Reflexionen – Bildungsansätze. 6. Tagung „Blickwinkel. Antisemitismuskritisches Forum für Bildung und Wissenschaft“

Religion: Diskurse – Reflexionen – Bildungsansätze. 6. Tagung „Blickwinkel. Antisemitismuskritisches Forum für Bildung und Wissenschaft“

Organisatoren
Bildungsstätte Anne Frank, Frankfurt am Main; Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, Berlin; Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin; Pädagogisches Zentrum des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt
Ort
Kassel
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.06.2015 - 09.06.2015
Url der Konferenzwebsite
Von
Christa Kaletsch, Frankfurt am Main

Ausgehend von der Wahrnehmung, dass bei der Auseinandersetzung mit Antisemitismus eine externalisierende, reduzierende Problemsicht dominiert, bemühten sich die Veranstalter_innen, eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit Interdependenzen zwischen Religion und Antisemitismus anzustoßen. Der Tagungsdiskurs konnte zuschreibende Mechanismen zwar nicht vollständig überwinden, sorgte aber für Differenzierungen und klärende Erkenntnisse. Dabei wurden unausgesprochene, unhinterfragte Grundannahmen über die Verfasstheit der Gesellschaft irritiert und zentrale Fragen aufgeworfen: Welche Relevanz hat Religion als Ein-und Ausschluss-Kategorie? Welche Auswirkung hat dies auf Wahrnehmungen, Haltungen und Alltagspraxen in pädagogischen Räumen?

Einführend beschrieb WOLFGANG BENZ (Berlin) unter dem Titel „Ethnisierung sozialer Probleme über das Vehikel der Religionszugehörigkeit“ Analogien verschiedener Vorurteilsstrukturen und fokussierte die Betrachtung von Antisemitismen und Formen des antimuslimischen Rassismus. Zentrum seines Interesses waren die Dispositionen der Vorurteilsträger_innen, ihre Strategien und die Funktion von Bildern über die so konstruiert Anderen. Benz konnte die Wirkmächtigkeit antimuslimischer und antisemitischer Bilder an historischen Beispielen aufzeigen und Analogien zwischen antisemitischer Publizistik der Neuzeit und antimuslimischem Rassismus der Gegenwart verdeutlichen. Benz führte Beispiele der Verknüpfung antimuslimischer und judenfeindlicher Konstruktionen an, ehe er sich der antisemitischen Publizistik zuwandte und die Bedeutung Johann Andreas Eisenmengers Schrift „Entdecktes Judenthum“ herausarbeitete. In ihm sehe er „einen Wegbereiter des modernen Antisemitismus“. Seine diffamierenden Talmud-Studien griffen eine Vielzahl seit dem Mittelalter verbreiteter antijudaistischer Stereotype auf und verknüpften sie mit verschwörungsideologischen Momenten.

Diese Struktur der Feindbildkonstruktion, die auf einer bewusst diffamierenden Darstellung religiöser Vorstellungen basiert, erkennt Benz auch in antimuslimischen Arbeiten beispielsweise bei dem kritisierten Islamwissenschaftler Hans-Peter Raddatz und dem in rechtspopulistischen Medien aktiven Udo Ulfkotte. „Aus der Talmudhetze wurde zwei Jahrhunderte später Koranhetze“ (Benz). Der Logik der Vorurteilsforschung folgend, bemühte Benz „die Existenzängste der kleinen Bürger“, um die Präsenz dieser (antimuslimischen) Rassismen zu erläutern, obgleich er anerkannte, dass es auf der Ebene des Politischen um Partizipation und Inklusion aller in Deutschland lebenden Menschen geht. Eine vertiefende Betrachtung der anfangs angedeuteten Parallele zu den Entwicklungen im Zuge der Emanzipation der Juden und Jüdinnen im 19. Jahrhundert wäre sicherlich von weiterem Interesse gewesen.

Ein zentrales Moment des modernen Antisemitismus sieht KLAUS HOLZ (Berlin) in der Auseinandersetzung um Zugehörigkeit, die stets Ein- und Ausschluss-Mechanismen bedeute. Die Frage, ob Religion als Bezugs- und Begründungskategorie im modernen Antisemitismus verschwindet, der überwiegend als rassistisch konstruiert wahrgenommen wird, war Mittelpunkt seines Vortrags. Holz zentrales Anliegen lag im Irritieren der Grundannahme, es gebe eine klare Trennung zwischen einer religiös geprägten und einer säkular begründeten antisemitischen Argumentation.

Die Entwicklung des Antisemitismus im Zeitalter der Reformation bildete dabei den Ausgangspunkt einer soziologischen Betrachtung, die Holz bei „Luther beginnen und mit Hitler“ enden ließ. Die Spaltung in zwei christliche Konfessionen markiere einen zentralen Einschnitt: An die Stelle des aufgrund Gottesgnadentums regierenden Königs sei das „Demos als neuer Souverän“ getreten und damit die Definition von Zugehörigkeit zentral geworden. Dabei nannte Holz die „Dominanz des Abstammungsglaubens als Regel der Zuordnung“ und arbeitete die Bedeutung der Religion zur Konstruktion des national-ethnischen Selbstbildes und dessen Relevanz für die Entwicklung des modernen Antisemitismus heraus. Die evangelische Kirche habe dabei eine zentrale Rolle: „Das eigentlich Deutsche ist das protestantische Christentum.“

An verschiedenen Quellen des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts erarbeitete Holz den Weg zu dem den Nationalsozialismus bestimmenden, rassifizierten Antisemitismus. Er verwies darauf, dass Religion nicht nur als Versatzstück aufgegriffen wurde, sondern in der NS-Ideologie „völlig aufging“. Anschlüsse an gegenwärtige Diskurse stießen auf Interesse des Tagungsdiskurses. Holz‘ Analyse endete mit 1945; so blieb es bei einem allgemeinen Plädoyer des Soziologen. Moderne Gesellschaften beruhen – so Holz – auf Differenzkonstruktionen. Daher erkennt er in einer kritischen Selbstreflektion die „Schlüsselfrage jedweder Antisemitismus-Prävention“ in Deutschland.

Religion kann eine wichtige, identitätsstiftende Kategorie für Jugendliche sein. Dies zu verdeutlichen, war allen Referent_innen, die auf die von der Moderatorin KHULLAT MUNIR (Bonn) aufgeworfenen Fragen zum Themenfeld „Jugendliche zwischen religiösem Lifestyle, institutioneller Religion und Fundamentalismus“ schauten, ein Anliegen. ALINA GROMOVA (Berlin), die sich mit „urbanen Räumen und Praxen junger russischsprachiger Jüdinnen und Juden in Berlin“ beschäftigt hat1, verdeutlichte die Mehrbezüglichkeit von Identität und deren Kontextgebundenheit. Für TÜRKÂN KANBIÇAK (Frankfurt am Main), Mitarbeiterin des Pädagogischen Zentrums des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums, spielen Desillusionierung, Diskriminierungs- und Degradierungserfahrungen eine maßgebliche Rolle für salafistische Radikalisierungsprozesse. Der Erziehungswissenschaftler NILS KÖBEL (Mainz), der eine qualitative Studie zu „kirchlicher Identität im Jugendalter“ durchgeführt hat, betonte die Notwendigkeit, sich für Sinnangebote entscheiden zu müssen. Das Podium bewegte sich im Spannungsfeld zwischen der Möglichkeit der Entwicklung und Durchsetzung von Selbstentwürfen einerseits und der Dominanz von Fremdzuschreibungen andererseits. Deutlich wurde: Formen institutioneller Diskriminierung und alltagsrassistischer – besonders antimuslimischer – Diskurse spielen eine zentrale Rolle.

Im dichotomen Verhältnis zum Judentum, das der christlichen Lehre innewohne, erkannte MARTIN ROTHGANGEL (Wien) den Ausgangspunkt für die Entwicklung antisemitischer Konstruktionen und forderte, dies als eine zentrale Herausforderung der Religionspädagogik zu begreifen. Er plädierte dafür, sich damit auseinanderzusetzen und die Existenz eines Problems anzuerkennen. Christliche Identität sei ohne Auseinandersetzung mit dem Judentum nicht denkbar, weil die christliche Lehre sich aus dem Judentum heraus entwickelt habe. Seine Anregungen, theologisch begründet mit Verweis auf das Ölbaumgleichnis aus dem Kontrastmodell ein Verhältnismodell zu entwickeln, wurden kritisch diskutiert. Die Teilnehmenden regten andere – über die rein theologisch konzeptionellen Ansätze hinausgehende – Zugänge an.

Die Haltung der Multiplikator_innen stand im Zentrum des Vertiefungsangebots „Religiöse Diskriminierung und Wahrnehmung von ‚religiösen Konflikten‘ im pädagogischen Raum“. Ob Konflikte als „religiös“ etikettiert oder in ihrer Vielfalt betrachtet werden können, hängt oft weniger von dem Konfliktgeschehen selbst, als vielmehr von der Deutung der begleitenden Pädagog_innen ab, beobachten SABA NUR CHEEMA und NICOLE BRODER (beide Frankfurt am Main) von der Bildungsstätte Anne Frank in ihrer Beratungs- und Fortbildungspraxis. Sie boten praktische Einblicke in ihre Konzepte und luden die Teilnehmenden ein, ihre eigenen Wahrnehmungsmuster zu reflektieren. Ausgehend von einer Auseinandersetzung mit der Mehrbezüglichkeit der eigenen Identität und der Problematik von Reduktion und Fremdzuschreibung, konnten die Teilnehmenden Muster antimuslimischer Bilder entdecken. Als Muslim_innen markierte Jugendliche werden von Pädagog_innen häufig nur als solche wahrgenommen und machen aufgrund ihrer zugeschriebenen bzw. vermuteten Religionszugehörigkeit Diskriminierungserfahrungen.

Der von AYCAN DEMIREL (Berlin) gewählte Titel „Muslime als Teil der Lösung“, löste gleich zu Beginn des Vertiefungsangebots Irritationen aus. Aufgrund der Möglichkeit einer defizitorientierten Lesart blieb die Kritik an der Formulierung für den Tagungsdiskurs zentral, obgleich Demirel, Mitbegründer der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA) , damit auch eine selbstkritische, die eigene Herangehensweise reflektierende Perspektive verband. Einblicke in die eindrucksvolle Geschichte der KIgA, die die gesellschaftlich relevanten Diskurse in der Auseinandersetzung mit Antisemitismus in Deutschland der vergangenen 15 Jahre spiegelt, waren Mittelpunkt des Vertiefungsangebots. Er führte plastisch den Paradigmenwechsel einer Tabuisierung von Antisemitismus in als türkische Einwanderungs-Communities markierten Quartieren zu einer Fokussierung und Externalisierung der Auseinandersetzung mit Antisemitismus auf als muslimisch konstruiert Andere vor Augen.

„Den Isolationsprozess stoppen!“ Dies ist für Berater ANDRÉ TAUBERT (Bremen) zentral für die Auseinandersetzung mit Jugendlichen, die sich in islamistischen Gruppierungen radikalisierten. Taubert, seit 2015 Leiter des Beratungsnetzwerks kitab, „Anlaufstelle für Beratung suchende Angehörige in der Auseinandersetzung mit Islamismus“, begreift „Salafismus als einen Prozess, den Jugendliche durchlaufen“ und der teilweise „sehr schnell und heftig“ sein könne. Taubert präsentierte in seinem Vortrag unterschiedliche biografische Verläufe salafistischer Entwicklungen. In seinen favorisierten Handlungsoptionen erfuhr die Schule zentrale Aufmerksamkeit. Er benannte die klassischen Felder nachhaltiger (Gewalt)Prävention: Demokratiebildung, Stärkung der Selbstwirksamkeit und der Partizipationsmöglichkeiten von Jugendlichen.

Zur pädagogischen Bearbeitung konkreter antisemitischer Vorfälle oder Haltungen empfehlen sich Begegnungsprojekte weniger; vielmehr können sie Differenzkonstruktionen und Fremdzuschreibungen reproduzieren und festigen. Dies war ein zentrales Ergebnis der von SUSANNE HARMS (Berlin) geleiteten Vertiefung, in der die Relevanz von Begegnungsprojekten im Umgang mit Antisemitismus betrachtet wurde. Die Teilnehmenden schlossen sich vielfach den konstruktiv kritischen Anmerkungen zu „Chancen und Grenzen von jüdisch-nichtjüdischen Begegnungen als pädagogischer Ansatz im Umgang mit Antisemitismus“ an. Als Teil einer antisemitismuskritischen Bildungsarbeit können Begegnungen positive Impulse liefern. Zentrale Empfehlung: Multiplikator_innen sollten „die eigene Motivation und Zielsetzung kritisch hinterfragen.“

„Es ist in Ordnung, religiös zu sein, aber man sollte es zu Hause tun“, diese praxisbezogene Formulierung führte ins Zentrum des von SABA NUR CHEEMA, Bildungsreferentin der Bildungsstätte Anne Frank, und JULIA EKSNER (beide Frankfurt am Main), Professorin am Fachbereich Soziale Arbeit der Fachhochschule Frankfurt, gestalteten Impuls, der sich mit „PädagogInnen zwischen Säkularismus und Religion – Einblicke in Theorie und Praxis“ beschäftigte und den (selbst)klärenden Tagungshöhepunkt darstellte. An Beispielen aus der Schulpraxis verdeutlichte Cheema die Problematik zwischen Anspruch und Wirklichkeit der staatlichen Neutralitätspflicht. Diese bestehe einerseits in der Selbstrestriktion, das heißt der Staat darf sich nicht auf eine weltanschauliche Position beziehen, und dem Gebot der Pluralität, das heißt der Staat soll das Nebeneinander der Religionen dulden und fördern. Cheema/Eksner leiteten eine kritische Auseinandersetzung mit den Selbstbildern der pluralen Gesellschaft in Deutschland ein. Die zentrale Erkenntnis lautet: „Deutschland ist nicht säkular. Der Anspruch der Säkularität scheitert an sich selbst.“

Cheema/Eksner wiesen auf die „Hegemonie säkularer Wissenssysteme“ hin und plädierten dafür, die resultierenden „Überlegenheitsfantasien“ erstens ernsthaft wahrzunehmen, um sie zweitens kritisch reflektieren zu können. Dazu gehört, dass das Selbstbild der säkularisierten Gesellschaft nicht-markierte christliche Positionen privilegiert, die Heterogenität und Diversität der Gesellschaft verschleiert und eine Dichotomie zwischen „Norm“ und Religiosität als „dem Anderen“ aufbaut. Auf dieser binären Logik entstünden antimuslimische und antisemitische Konstruktionen. Cheema/Eksner plädierten dafür, die deutsche Gesellschaft als eine „postsäkulare“2 zu begreifen und die Existenz religiöser Pluralität anzuerkennen. Sie verwiesen dabei auf den Unterschied zwischen Toleranz und Partizipation und verdeutlichten, „dass es nicht um Duldung“, sondern um „faire Aushandlung“ gehen müsse.

In ihrer Tagungsbeobachtung fokussierte ASTRID MESSERSCHMIDT (Darmstadt) die Thematisierungen von Religion in diskriminierungskritischer Bildungsarbeit um festzustellen: Die Tatsache, dass Religion öffentlichkeitspräsent ist, habe viele in der Bildungsarbeit „kalt erwischt“. Religiöse Lebensformen gelten trotz aller bekundeten Toleranz als unmodern und im Sprechen über den Islam als antimodern. In antimuslimischen Artikulationen werde heute ein bereits existierendes Ressentiment gegenüber dem Religiösen aktiviert und auf eine als fremd markierte Religion projiziert. Gemeint seien dabei die Träger_innen dieser Religion, also die als Muslim_innen Markierten, deren Nichtzugehörigkeit durch antiislamische Positionen behauptet werde.

Messerschmidt schlug eine Unterscheidung zwischen Religion und dem Religiösen vor. Religion bezeichne die Glaubensüberzeugungen und -inhalte, die zu einer Religion gehören, die sich damit konfessionell und theologisch von anderen abgrenzt. Das Religiöse verbinde über Religionsgrenzen hinweg. Es umfasse eine Haltung der Selbstrelativierung und symbolisiere die Grenzen der Vernunft. Mit dieser Unterscheidung müsse der Begriff der Religion nicht als „Differenzlinie“ beschrieben werden, denn Religion enthalte immer das Element der Beziehung. Messerschmidt beobachtete ferner die Reproduktion gesellschaftlich dominierender Muster von Defizitzuschreibungen oder Bedrohlichkeitswahrnehmungen beim Sprechen über Muslim_innen und verdeutlichte: Obwohl Muslim_innen als „Teil der Lösung“ und als wichtige Ressourcen für die Bildungsarbeit repräsentiert würden, blieben die Bedrohungsbilder. Würden Muslim_innen durch pädagogische oder politische Programme „integriert“, wirke es wie eine Neutralisierung von etwas Problematischem. Muster von Bedrohungen und Defiziten wirken offensichtlich so stark, dass sie sich auch in diskriminierungskritischer Pädagogik immer wieder durchsetzen. Die Kategorisierung von Jugendlichen als Muslim_innen werde zu wenig hinterfragt. Messerschmidt schloss sich einer von Tagungsteilnehmenden eingebrachten Forderung an: Die Selbstreflexion der Bildungsarbeiter_innen sollte mehr Gewicht bekommen. Solange sich die Konzentration auf die Zielgruppen ausrichte, werde Selbstreflexion eigener Denkmuster und Sprechpraktiken vernachlässigt. Um nicht ins Othering zu verfallen, sei ein radikaler Perspektivenwechsel auf die Bildungsarbeiter_innen erforderlich.

Die Tagung konnte eine kritische Auseinandersetzung mit meines Erachtens zu wenig beachteten Grundannahmen anstoßen. Wichtigster Befund: die Gesellschaft in Deutschland ist keine säkulare. Christliche Einflüsse und Wissensbestände sind vielfach verdeckt wirkmächtig. Diese Erkenntnis beinhaltet wichtige Impulse: Werden die „verschleierten christlichen Einflüsse“ von den – sich gewöhnlich als dominantes „Wir“ konstruierenden – Akteur_innen in Bildung und Politik nicht wahrgenommen, besteht die Gefahr der wiederum häufig verdeckten Anschlüsse an antisemitische Konstruktionen und antimuslimischen Rassismus.3 Umgekehrt kann eine kritische Auseinandersetzung mit den Fehlannahmen der Säkularität und den daraus resultierenden Problematiken4 zu einer größeren Sensibilität und zu einem bewussteren Umgang mit aktuellem Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus beitragen. Zentral scheint in diesem Zusammenhang, ob die Schlüsselakteur_innen die Bereitschaft entwickeln, ihre antireligiösen Haltungen – besonders die Abwehr von als muslimisch markierter Religiosität – zu bearbeiten. Die bereits in der vorangegangenen Tagung herausgearbeitete Relevanz des Othering-Konzepts wurde deutlich. Ein praktisches Aufgreifen der hieraus zu gewinnenden Erkenntnisse in der Gestaltung der Tagungen könnte die Tagungskommunikation bereichern und einen othering-sensiblen Sprachgebrauch anregen. Des Weiteren würde eine stärkere Auseinandersetzung mit aktuellen Formen von Antisemitismus sicher auf großes Interesse der Tagungsteilnehmenden stoßen.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Eröffnung
Bertram Hilgen (Oberbürgermeister von Kassel) / Martin Salm / Ulla Kux (Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft)

Ethnisierung sozialer Probleme über das Vehikel der Religionszugehörigkeit
Wolfgang Benz (Technische Universität Berlin)

Religion und Nation: Antisemitismus im deutschen Protestantismus
Klaus Holz (Evangelische Akademien in Deutschland, Berlin)

Jugendliche zwischen religiösem Lifestyle, institutioneller Religion und Fundamentalismus
Nils Köbel (Universität Mainz)

Alina Gromova (Jüdisches Museum Berlin)

Türkân Kanbiçak (Fritz Bauer Institut / Jüdisches Museum Frankfurt)

Khullat Munir (Deutsches Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit Bonn)

VERTIEFUNGSANGEBOTE
Potentiale der Religionspädagogik im Umgang mit Antisemitismus
Martin Rothgangel (Universität Wien)

Religiöse Diskriminierung und Wahrnehmung von „religiösen Konflikten“ im pädagogischen Raum
Saba Nur Cheema (Bildungsstätte Anne Frank, Frankfurt am Main)

Nicole Broder (Bildungsstätte Anne Frank, Frankfurt am Main)

Muslime als Teil der Lösung
Aycan Demirel (Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, Berlin)

Beratung für Eltern, Angehörige und Betroffene in der Auseinandersetzung mit Islamismus
André Taubert (Beratungsnetzwerk kitab, Bremen)

Chancen und Grenzen von jüdisch-nichtjüdischen Begegnungen als pädagogischer Ansatz im Umgang mit Antisemitismus
Susanne Harms (BildungsBausteine gegen Antisemitismus, Berlin)

PädagogInnen zwischen Säkularismus und Religion – Einblicke in Theorie und Praxis
Saba Nur Cheema (Bildungsstätte Anne Frank, Frankfurt am Main)

Julia Eksner (Fachhochschule Frankfurt)

Tagungsbeobachtungen
Astrid Messerschmidt (Technische Universität Darmstadt)

Anmerkungen:
1 Alina Gromova, Generation „kosher light“. Urbane Räume und Praxen junger russischsprachiger Juden in Berlin, Bielefeld 2013.
2 Jürgen Habermas, Die Dialektik der Säkularisierung, in: „Blätter“ 4/2008, S. 33-46.
3 Vanessa Rau, Vehementer Säkularismus als Antisemitismus, in: APuZ 28-30/2014, S. 31-38.
4 Vgl. Iman Attia, Rassismus (nicht) beim Namen nennen, in: APuZ 13-14/2014, S. 8-14.