Papstgeschichte des hohen Mittelalters: digitale und hilfswissenschaftliche Zugangsweisen zu einer Kulturgeschichte Europas

Papstgeschichte des hohen Mittelalters: digitale und hilfswissenschaftliche Zugangsweisen zu einer Kulturgeschichte Europas

Organisatoren
BMBF-Projekt „Schrift und Zeichen. Computergestützte Analyse hochmittelalterlicher Papsturkunden“
Ort
Erlangen
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.02.2015 - 21.02.2015
Url der Konferenzwebsite
Von
Benedikt Hotz / Benjamin Schönfeld, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Vom 20. –21. Februar 2015 fand in den Räumen des Erlanger Schlosses die im Rahmen des BMBF-Projekts „Schrift und Zeichen. Computergestützte Analyse hochmittelalterlicher Papsturkunden“ abgehaltene Tagung „Papstgeschichte des hohen Mittelalters: digitale und hilfswissenschaftliche Zugangsweisen zu einer Kulturgeschichte Europas“ statt. Renommierte Forscher und Fachpublikum aus den Bereichen der mittelalterlichen Papstgeschichte, der Historischen Grundwissenschaften und der Automatischen Mustererkennung diskutierten in fünf Sektionen über Chancen und Grenzen digitaler wie computergestützter Analyseinstrumente in den Geisteswissenschaften, sowie über Erreichtes und Desiderate in der Erforschung der Papstgeschichte.

Nachdem KLAUS HERBERS (Erlangen) einleitend auf die Rolle hochmittelalterlicher Papsturkunden als „Schlüssel zur Kulturgeschichte Europas“ hingewiesen hatte, stellte THORSTEN SCHASSAN (Wolfenbüttel) einschlägige Methoden digitaler Erschließung mittelalterlicher Schriftzeugnisse vor und überblickte unterschiedliche Zugangsweisen digitaler Forschungsanstrengungen von manueller bis zur vollautomatisierten Verarbeitung digitaler Quellenkorpora. Neben den unzweifelhaften Vorteilen digitaler Analysemethoden wies Schaßan diesbezüglich auf Grenzen und nötige Schwerpunktsetzungen hin. VINCENT CHRISTLEIN (Erlangen) verortete am Beispiel der Layoutanalyse und der Schreiberidentifizierung das BMBF-Projekt „Schrift und Zeichen“ im von Schaßan aufgezeigten Horizont und präsentierte computergestützte Verfahren zu entsprechenden Untersuchungen an hochmittelalterlichen Papsturkunden. Im Vordergrund standen dabei technische Fragen der Bildaufbereitung und -analyse, sowie Möglichkeiten der Auswertung und Visualisierung.

Dass die Wissenschaftsdisziplinen der Diplomatik und Paläographie sowohl in traditioneller als auch digitaler Form zur Entschlüsselung von Botschaften dienen können, die von der päpstlichen Kanzlei durch die Gestaltung von Format, Layout, Schrift und graphischen Symbolen der Urkunden über deren rechtlichen Inhalt hinaus ausgesandt wurden, zeigte IRMGARD FEES (München). Daran anknüpfend skizzierten BENEDIKT HOTZ und BENJAMIN SCHÖNFELD (beide München) am Beispiel der Schriftentwicklung in päpstlichen Urkunden des 11. und 12. Jahrhunderts Chancen und Grenzen beider Zugangsweisen im Projekt „Schrift und Zeichen“. Aufgrund des festgestellten Phänomens einer „kurialen Sonderentwicklung“ zogen sie entsprechende Rückschlüsse auf die Kanzleigeschichte, indem sie den Rückgang des anfangs markanten Schreibereinflusses vor dem Hintergrund eines Formalisierungsprozesses aufzeigten.

Am Beispiel der Flächennutzung und der Gestaltung einzelner Urkundenelemente lotete JUDITH WERNER (Erlangen) den Einfluss von Empfängerinstitutionen auf die Gestaltung hochmittelalterlicher Papsturkunden aus und richtete den Fokus sowohl auf Urkundenempfänger als auch weitere Rezipienten. Ihr Hauptaugenmerk galt dabei weniger inneren Merkmalen, als vielmehr gestalterischen Elementen wie der Flächennutzung und der Ausgestaltung der ersten Zeile. THORSTEN SCHLAUWITZ (Erlangen) nahm dagegen nach einem Überblick über den Ablauf des Beurkundungsprozesses und der Kanzleiorganisation an der Kurie die Person des einzelnen Schreibers, sowie dessen Einfluss auf die Urkundengestaltung in den Blick. Hieran anschließend fragte MARIA CRISTINA ALMEIDA E. CUNHA (Porto) mit einer institutionenorientierten Perspektive auf den kurialen Urkundenausstellungsprozess nach Einflüssen auf portugiesische Kanzleitraditionen. BRIGIDE SCHWARZ (Berlin) schlüsselte am Beispiel des Vizekanzlers die im späteren Mittelalter weitaus detaillierter bekannten Organisationsstrukturen kurialer Administration auf. Sie zeigte die zentrale Rolle und den Aufstieg dieses Amts für die Abläufe der Kurie seit dem Spätmittelalter, die sich andererseits nicht vollständig in der Repräsentation und Selbstdarstellung der Kurie widerspiegelten.

Einen kulturgeschichtlichen Ansatz in Hinblick auf die Beziehungen der Kurie zu den europäischen Höfen wählte STEFAN WEISS (Straßburg). Er beleuchtete die Rolle der Kardinäle als Mittler zwischen Papst und Königshof, neben der konkreten Legation etwa auch in Form von Konzilienabhaltung oder Kontakten zu Hofklerikern. In diesem Zusammenhang strich er insbesondere die Rolle der (teils jüngst edierten) Briefsammlungen heraus, womit die Grundwissenschaften gewissermaßen zum Fundament und Baustein kulturgeschichtlicher Untersuchungen werden. VIKTORIA TRENKLE (Erlangen) zeigte anhand der Kardinalsunterschriften auf feierlichen Privilegien des 12. Jahrhunderts ein Repräsentationsmittel im Spannungsfeld zwischen kurialer „Öffentlichkeitsarbeit“, rechtlicher Bedeutung der Unterschriften sowie visueller Wahrnehmung bzw. Kommunikation auf und zog daraus Rückschlüsse auf die Außenwirkung der Kardinäle. Beides, also sowohl der repräsentative wie der konsensuale Aspekt der Unterschriften, spiegelt sich nach ihrem Ergebnis in deren Entwicklung wider, die parallel zu jener des Kardinalskollegiums im Allgemeinen verlief. Am Beispiel des Siegelbildes einzelner Kardinäle stellte WERNER MALECZEK (Wien) in diesem Kontext ein weiteres Medium zur Selbstdarstellung vor und vergegenwärtigte die mit ihnen zu verbindende Verdeutlichung des Papsttums als unumstrittener Leitungsinstanz der lateinischen Kirche, die durch die Distribution päpstlicher Urkunden in gesamten orbis christianus nach außen transportiert werden konnte. Er lotete dabei zunächst Einsatzmöglichkeiten (und damit den Wirkungsbereich) der Kardinalssiegel aus und zeichnete im Anschluss deren optische Entwicklung in vier Phasen nach – vom Rundsiegel im Brustbild hin zum einheitlichen und repräsentativeren spitzovalen Siegel in Frontalansicht.

MALTE REHBEIN (Passau) schließlich wählte für seinen Vortrag eine stark kulturgeschichtliche Sichtweise auf die digitale Geschichtswissenschaft. Am Beispiel des aufsehenerregenden, aber, wie Rehbein darlegte, in seinem Ansatz durchaus problematischen Projekts „Charting culture“ zeigte er grundlegende Desiderate der „Digital Humanities“ auf. Neben einem Mangel an theoretischer Grundlage und einem daraus resultierenden Verlust der Deutungshoheit über die Geschichte warnte er insbesondere vor einer strukturellen Fehlentwicklung der Forschungslandschaft, die zur fehlenden Kompetenz künftiger Historikergenerationen im Umgang mit „Big Data“ führen könnten. Abschließend leitete er aus diesen Prämissen Handlungsempfehlungen für die künftige Positionierung der digitalen Geisteswissenschaft in der Forschungslandschaft ab.

Insgesamt bleibt als Ergebnis der Vorträge und Diskussionen festzuhalten, dass computergestützte Analyseinstrumente und digitale Methoden die traditionellen Erkenntniswege paläographisch-diplomatischer Forschungsanstrengungen nach wie vor unterstützen, jedoch nicht ersetzen können. Über ihren sinnvollen Einsatz bleibt weiter zu diskutieren, es wurde deutlich, dass nicht jeder Ansatz zwangsläufig zum Erfolg führen kann. Interdisziplinärer Konsens herrschte jedoch bezüglich der innovativen und zukunftsweisenden Nutzungsmöglichkeiten digitaler Infrastrukturen in den Bereich der Forschung und der universitären Lehre.

Konferenzübersicht:

Klaus Herbers (Erlangen), Papsturkunden in Schrift und Form: Schlüssel zur Kulturgeschichte des europäischen Mittelalters

Sektion I. Digitale Zugangsweisen: Technik, Grenzen und Chancen

Torsten Schaßan (Wolfenbüttel), Methoden digitaler Erschließung mittelalterlicher Schriften

Vincent Christlein (Erlangen), Computergestützte Verfahren zur Analyse von hochmittelalterlichen Papsturkunden

Sektion II. Hilfswissenschaftliche Zugriffe I: Die Urkunde und ihre Varianten

Irmgard Fees (München), Diplomatik und Paläographie als Schlüssel zur Kulturgeschichte

Benedikt Hotz (München) / Benjamin Schönfeld (München), Schriftentwicklung an der päpstlichen Kurie – durch computergestützte Verfahren zu neuen Erkenntnissen der kurialen Schriftgeschichte?

Judith Werner (Erlangen), Gestaltung der Urkunde, Gestaltung Europas – Urkundenlayout zwischen europäischem Empfängereinfluss und päpstlicher Vereinheitlichung

Sektion III. Hilfswissenschaftliche Zugriffe II: Institution und Personal: die Kanzlei

Thorsten Schlauwitz (Erlangen), Der Schreiber als Vermittler: Die Bedeutung einzelner Personen für die Gestaltung der Papsturkunden

MARIA CRISTINA ALMEIDA E. CUNHA (Porto), The Influence of Papal Documents in Portuguese Chanceries

Brigide Schwarz (Berlin), Rolle und Rang des (Vize-)Kanzlers an der Kurie

Sektion IV. Hilfswissenschaftliche Zugriffe III: Unterschriften und Umfeld: das Kardinalat

Stefan Weiß (Straßburg), Kardinäle, Höfe und Netzwerke

Viktoria Trenkle (Erlangen), de fratrum nostrorum consilio: zur Außenwirkung der Kardinalsunterschriften

Werner Maleczek (Wien), Kardinalssiegel als Medien der Selbstdarstellung

Sektion V. Schrift und Zeichen der Papsturkunden: Indikatoren und Schlüssel zu einer kulturalistischen Papstgeschichte?

Malte Rehbein (Passau), Geschichtsforschung im digitalen Zeitalter

Klaus Herbers (Erlangen) / Irmgard Fees (München), Neue Wege in der Papsturkundenforschung. Resümee und Perspektiven


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