Konflikt und Wandel um 1100. Europa im Zeitalter von mutation féodale und Investiturstreit

Konflikt und Wandel um 1100. Europa im Zeitalter von mutation féodale und Investiturstreit

Organisatoren
Sonderforschungsbereich 923 „Bedrohte Ordnungen“, Teilprojekt A01, Eberhard Karls Universität Tübingen
Ort
Tübingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.10.2014 - 01.11.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Denis Drumm, Seminar für mittelalterliche Geschichte, Eberhard Karls Universität Tübingen; in Zusammenarbeit mit Katrin Getschmann / Thomas Kohl, SFB 923 "Bedrohte Ordnungen", Eberhard Karls Universität Tübingen

Im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 923 „Bedrohte Ordnungen“ richtete das Teilprojekt A01 zwischen dem 30. Oktober und 1. November 2014 in Tübingen die internationale Tagung „Konflikt und Wandel um 1100. Europa im Zeitalter von mutation féodale und Investiturstreit“ aus. Die eingeladenen Mediävisten aus fünf verschiedenen Ländern beschäftigten sich besonders anhand einzelner Fallbeispiele mit den vorherrschenden nationalen Perspektiven auf die Zeit um 1100 sowie mit Möglichkeiten zu einem transnationalen Vergleich der einzelnen Forschungsprobleme.

In seiner Einführung sprach STEFFEN PATZOLD (Tübingen) eben diese nationalen Perspektiven an und erläuterte, dass diese – meist strittigen – Konzepte selten nebeneinander in einem Land existierten, was eine übergreifende Betrachtung erschwere. Am Beispiel Deutschlands verdeutlichte er, wie prägend bis heute der Begriff „Investiturstreit“ sei, der dagegen in Frankreich oder Italien kaum eine Rolle spiele. Abschließend plädierte er dafür, diese strikten nationalen Perspektiven aufzulösen und eher nach den einzelnen Strategien zur Konfliktlösung in den verschiedenen Regionen zu fragen.

Den aktuellen Stand der mediävistischen Forschung zum Investiturstreit fasste CLAUDIA ZEY (Zürich) ausführlich zusammen. Dabei ging es vor allem darum aufzuzeigen, welche Rolle dem Begriff als Erklärungsmodell in den einzelnen Forschungswerken zukomme. Zey verdeutlichte anhand der aktuellen Werke von Johannes Fried und Gerd Althoff1 die wachsende Tendenz zu „Entweder-Oder-Modellen“, zum Beispiel Investiturstreit oder gregorianische Reform als zentralem Aspekt einer Betrachtung. Dennoch sah sie keinen Schaden darin, wenn die Forschung weiterhin Begriffe wie „Investiturstreit“ benutzt, da es zumindest für den deutschsprachigen Raum keine befriedigende Alternative gäbe.

Mit dem bekannten Zitat „omnes sumus geminati“ aus dem Bericht der Annales Augustani zum Jahr 1079 führte CHRISTOF PAULUS (München) in die Lokalstudien zu Augsburg im Investiturstreit ein. Hierbei gelang es ihm anhand zweier Fallbeispiele die spezielle Rolle Augsburgs in den Auseinandersetzungen der Zeit herauszuarbeiten. Als besonderes Charakteristikum des Werkes sei die Ablehnung einer klaren Parteinahme anzusehen, was zu teils deutlich unterschiedlichen Deutungen im Gegensatz zu anderen zentralen Werken der Zeit führe. Die Quelle, so Paulus weiter, gebe Einblicke in die Konfliktfälle der Zeit aus Sicht der Domkanoniker, sie diene aber nicht dazu, über den Investiturstreit als Forschungsproblem zu reflektieren.

Eine weitere regionale Fallstudie steuerte TOBIE WALTHER (Hamburg) am Beispiel des Oberrheins bei. Hierbei beleuchtete er vor allem das Zusammenwirken von kaisertreuen Bischofsstädten (Straßburg, Basel), reformfreudigen Klöstern (St. Alban, St. Blasien) und lokalen Eliten (Grafen von Zähringen, Grafen von Egisheim-Dagsburg) in einer Region, die im Mittelalter noch nicht klar als geographische Entität fassbar war. Deutlich sichtbar wurde in diesem Vortrag, dass wir zur Rekonstruktion der Verflechtungen und Ereignisse innerhalb dieses Gebietes fast gänzlich auf die Quellen aus reformfreundlichen Kreisen (Berthold von Reichenau, Bernold von Konstanz) angewiesen sind. Welche Schwierigkeiten dies bei der Bewertung der Akteure hervorruft, illustrierte Walther anschaulich an den Bischöfen Werner II. und Otto von Straßburg.

Den Abschluss des ersten Tages übernahm ROLAND ZINGG (Zürich) mit einem Vortrag über eine bisher unedierte, kaiserfreundliche Chronik aus dem Bodenseeraum. Die sogenannten Annales Sangallenses deperditi sive Historia imperatorum Germaniae – laut Zingg ein irreführender Kunstbegriff des 19. Jahrhunderts – bildeten zusammen mit den Chroniken Bernolds den Schlussstein der Bodenseechronistik im ausgehenden 11. Jahrhundert. Obendrein erschwere es die Interpretation der Quelle, dass sie erstens keinem klaren literarischen Genre zugeordnet werden könne und zweitens, dass sie nur unediert in einer schwer lesbaren Handschrift des 16. Jahrhunderts vorliege. Um dieses Werk genauer bewerten zu können, plädierte Zingg abschließend dafür, diese Quelle in einer textlich vollständigen Gesamtedition zu veröffentlichen.

Bevor es am zweiten Tag hauptsächlich um die Gebiete westlich des Rheins und um Oberitalien gehen sollte, präsentierte DENIS DRUMM (Tübingen) seine Fallstudie zur Geschichtsschreibung im Kloster Hirsau zu Beginn des 12. Jahrhunderts. Dabei betonte er vor allem, dass die Quellen, die über die Hochphase der Klostergeschichte und somit auch über die Hochphase des Investiturstreites berichteten, fast gänzlich ein Produkt des frühen 12. Jahrhunderts seien, die auf den einsetzenden Bedeutungsverlust des Klosters reagierten. Daher seien diese Quellen zwar wertvoll für die Ideengeschichte rund um Hirsau, eigneten sich aber weder für eine Nacherzählung der Klostergeschichte, noch für eine Beschäftigung mit den zentralen Forschungsfragen in Bezug auf den Investiturstreit.

Der Vortrag von CHARLES WEST (Sheffield) führte die Zuhörer zu den lokalen Konflikten in Lothringen um das Jahr 1100. Als Anschauungsobjekt dienten hierfür zwei Handschriften aus St. Laurentius/Liège und St. Arnulf/Metz. Beide sind Zusammenstellungen von Materialien über den Konflikt zwischen säkularer und geistlicher Gewalt – ihre Ausgestaltung ist dagegen unterschiedlich. Sie seien laut West Zeugnisse für den Transfer von Reformwissen in der Region aufgrund unterschiedlicher Anlässe, meist Lokalkonflikte, die in den jeweiligen Entstehungsorten zu suchen seien. Sie in Kategorien wie „pro-päpstlich“ einzuordnen, sei daher nicht sinnvoll.

JEAN-HERVÉ FOULON (Aix-en-Provence) beschäftigte sich mit den Abtserhebungen in der Normandie um das Jahr 1100. Anhand meist narrativer Texte aus unterschiedlichen Milieus (Le Bec, Saint-Evroult) illustrierte er das Aufkommen neuer Begriffe rund um Erhebung und Weihe, sowie deren Ausgreifen auf die Bereiche der Liturgie. Hierbei zeichnete er das Bild eines Kampfes um die Kompetenzen bei der Abterhebung zwischen Fürsten und Bischöfen, die hierbei gleichermaßen einen Primat beanspruchten und somit nicht unerheblich zu den Konflikten um das Jahr 1100 beitrugen.

Ebenfalls über Frankreich, aber über das Konfliktmittel der Exkommunikation, referierte THOMAS KOHL (Tübingen). Die zentrale Frage hierbei lautete: Wie erheblich waren die Auswirkungen einer Exkommunikation? Anhand der Grafen von Anjou konnte Kohl verdeutlichen, wie häufig diese Kirchenstrafe als Mittel zur Konfliktlösung herangezogen wurde und wie wenig Einfluss sie auf das Verhalten der Akteure hatte. Dabei betonte er, dass dies auch auf Faktoren wie die hohe Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, sowie auf eine gewisse Ambiguitätstoleranz in Folge des häufigen Doppelpapsttums zurückzuführen sei. Immerhin, so zeigten die Beispiele, forderte die Exkommunikation die Akteure zum Handeln auf, wenn auch nicht immer im Sinne des kanonischen Rechts.

Den Blick nach Oberitalien wandte NICOLANGELO D’ACUNTO (Mailand). Zunächst betonte er, dass die italienische Forschung sich eher auf das Phänomen der gregorianischen Reform konzentriert habe, da dies direkten Einfluss auf die Entwicklung der städtischen Bürgerschaft gehabt habe. Die Bürgerschaften würden vor allem dann aktiv, wenn die Ordnung und besonders der Frieden gefährdet seien. Dadurch besäßen die Städte im Konfliktfall eine ganz eigene Dynamik. Dazu gehöre es auch, dass die Bischöfe in Einklang mit den mächtigen Familien handelten, die sich, wie die gesamte Bürgerschaft, auf einer institutionalisierten Ebene erstaunlich strukturiert zeigten. Ähnliche Prozesse könne man auch in anderen Städten wie zum Beispiel Pisa ausmachen.

Im Vortrag von ALESSIO FIORE (Turin), der verlesen wurde, ging es um die unterschiedlichen strukturellen Voraussetzungen im Italien des 11. und frühen 12. Jahrhunderts und die königlichen Eingriffe. Es sei ein Charakteristikum dieses Jahrhunderts, dass es keine zentrale Gewalt in Italien gab, sondern lokale Magnaten diese Lücke ausfüllten. Gerade Heinrich V. habe jedoch versucht, das Königreich Italien neu zu ordnen und wieder enger an den Herrscher zu binden. Damit löste er unweigerlich eine Reihe von Konflikten aus. Obwohl sein Erfolg begrenzt war, wies er damit den Weg für die Italienpolitik späterer Kaiser, allen voran Friedrich Barbarossa.

CHRISTOPH DARTMANN (Münster/Hamburg) widmete sich der Mailänder Historiographie des 12. Jahrhunderts. Obwohl die Historia Mediolanensis von Landulf Junior keine Äußerung zur Kirchenreform enthalte, biete die Quelle die einmalige Möglichkeit, eine lokale Perspektive auf Konflikte einzunehmen. Dartmann zeigte, wie Landulfs familiäre Geschichte und der Kampf gegen die Mailänder Erzbischöfe in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts zusammenhingen und dazu beitrugen, dass Landulfs zahlreiche Versuche, Genugtuung zu erlangen, scheiterten. Das bei Landulf geschilderte Konfliktgeschehen belege ein allgemeines Phänomen, dass Hierarchien nicht griffen und Entscheidungsmechanismen nicht anerkannt waren.

Im letzten Beitrag zu Italien stellte KATRIN GETSCHMANN (Tübingen) eine Konfliktstudie aus Piacenza vor. Der Wechsel der Gemeinschaft im Nonnenkloster S. Sisto zu Beginn des 12. Jahrhunderts wurde in der Forschung einhellig auf die Kirchenreform zurückgeführt. In ihrem quellennahen Vortrag widersprach Getschmann diesem alleinigen Erklärungsmuster. Indem sie neben päpstlich-kardinalizischen Quellen auch Privaturkunden berücksichtigte, konnte sie zeigen, dass die umstrittene Äbtissin auf dem Höhepunkt des Konflikts 1128 in der Stadt noch unterstützt wurde und die Verbindung des Klosters mit dem französischen Reformkloster La Chaise-Dieu später als bislang angenommen stattfand. Als handlungsleitendes, aber bisher unterschätztes Motiv in diesem Konflikt führte sie die reichen und strategisch günstig gelegenen Güter des Klosters S. Sisto in der Po-Ebene an.

In seiner Schlusszusammenfassung stellte LUDGER KÖRNTGEN (Mainz) die Frage, ob es angesichts der Vielzahl lokaler und regionaler Konflikte, die in den Vorträgen angesprochen wurden, sinnvoll sei, an den tradierten nationalen Forschungstraditionen wie dem Investiturstreit festzuhalten, oder ob neue Konzepte notwendig seien. Abschließend stellte er die Frage, ob die auf der Diagnose einer grundlegenden Krise beruhenden Konzepte der Feudalisierung und des Investiturstreits nicht ein idealisiertes Bild der vorangehenden Zeit, also der karolingischen bzw. ottonischen Welt voraussetzten.

Konferenzübersicht:

Steffen PATZOLD (Tübingen) - Einführung

Claudia ZEY (Zürich) - Der Investiturstreit als universales Erklärungsmodell – eine Bestandsaufnahme

Christof PAULUS (München) - Omnes sumus geminati – Investiturstreit im Bistum Augsburg

Tobie WALTHER (Hamburg) - Der „Oberrhein“ im Investiturstreit bis ca. 1100: Konflikte, Annäherungen und Friedenslösungen

Roland ZINGG (Zürich) - Annales Sangallenses deperditi sive Historia imperatorum Germaniae – eine bisher unedierte kaiserfreundliche Chronik aus dem Bodenseeraum

Denis DRUMM (Tübingen) - Geschichtsschreibung als Reaktion auf bedrohte Ordnungen – Das Hirsauer Geschichtsbild zu Beginn des 12. Jahrhunderts

Charles WEST (Sheffield) - At the margins of the Investiturstreit? Lotharingian politics between the local and the global around 1100

Jean-Hervé FOULON (Aix-en-Provence) - Les accessions abbatiales en Normandie autour des années 1100: une question complexe entre monde féodal, changements liturgiques et investitures

Thomas KOHL (Tübingen) - Exkommunikation und Herrschaft im Reich und in Frankreich

Nicolangelo D’ACUNTO (Mailand) - Crisi dei sistemi a vocazione universalistica e localizzazione del potere tra conflitti e processi di ricomposizione in Italia

Alessio FIORE (Turin) - Changing strategies of the imperial power in the kingdom of Italy (1080–1125)

Christoph DARTMANN (Münster) - „me acolitum oppressum et expoliatum“ – Landulf Iunior erzählt seine Geschichte

Katrin GETSCHMANN (Tübingen) - „Monachos ob reformandam religionem in eandem ecclesiam introduxit“ – Piacenza am Beginn des 12. Jahrhunderts

Ludger KÖRNTGEN (Mainz) - Kommentar

Anmerkung:
1 Johannes Fried, Canossa: Entlarvung einer Legende; eine Streitschrift, Berlin 2012 und Gerd Althoff, „Selig sind, die Verfolgung ausüben“: Päpste und Gewalt im Hochmittelalter, Darmstadt 2013.


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