Die Geschichte der Militärtheorie von der Antike bis zum Atomzeitalter

Die Geschichte der Militärtheorie von der Antike bis zum Atomzeitalter

Organisatoren
Arbeitskreis für Militärgeschichte e. V.
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.10.2013 - 12.10.2013
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Von
Yves Schmitz, Hamburger Institut für Sozialforschung

Militärtheorie ist ein in der Forschung selten klar definierter Begriff, der nicht nur auf die Schlagwörter Taktik und Strategie reduziert werden sollte. Zudem ist die genretypische Einordnung in Militärtheorie, Militärpublizistik und Militärgeschichte aufgrund verschwimmender Grenzen nicht leicht zu meistern. Im Vergleich zu diesen Forschungsbereichen dient Militärtheorie allgemein dazu, sich systematisch und abstrakt mit der Natur des Krieges und der Kriegskunst auseinanderzusetzen. Vor diesem Hintergrund forderte ALARIC SEARLE (Salford / München) in seiner Einführung dazu auf, sich mit diesem Thema in einem größeren, vielschichtigen Rahmen auseinanderzusetzen. Im Besonderen in Deutschland herrscht großer Nachholbedarf, da historische Prägungen und institutionelle Schwierigkeiten die Arbeit bisher erschwerten. Searle plädierte in der Folge dafür, die Forschung zur Militärtheorie weiter für globalgeschichtliche und epochenübergreifende Fragestellungen zu öffnen. Auch die Methodik und der Beschäftigungsrahmen wurden als unzureichend dargestellt. So sollte die Quellenarbeit vielfältiger und methodologisch präziser gestaltet und die Rezeption, wiederkehrende Topoi und die Biographie des Autors in die Untersuchung miteinbezogen werden. Die Kontextualisierung wurde bisher ebenfalls oft vernachlässigt, bei der Analyse des Inhalts müssen Referenzen zu anderen Autoren und der zeitgenössische Wissenstransfer beachtet werden. In der Forschung sollte mehr die Wirkung als die Validität der neuen Theorie untersucht werden, die Unterscheidung zwischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte ist also unbedingt zu beachten. Zudem sollten nicht nur die Klassiker (Clausewitz!) im Fokus der Forschung stehen, sondern auch unbekanntere Autoren und bisher marginalisierte Weltregionen, wie China oder der arabische Raum mehr Beachtung finden. Insgesamt forderte Searle mit seinem Plädoyer für die Forschung eine größere Quellenvielfalt mit gleichzeitiger methodologischer Präzision. Neue Forschungen dieser Art standen daraufhin im Fokus der diesjährigen Tagung des Arbeitskreises für Militärgeschichte e.V., auf der sich dem Thema der Militärtheorie aus einer breiten und vielschichtigen Perspektive genähert wurde.

Die erste Sektion zu Militärtheorien im Altertum eröffnete SVEN GÜNTHER (Bielefeld / Tokio) mit seinem Vortrag zu der Frage, welchen Einfluss schriftliche Richtlinien auf die realen Kriegspraktiken der Römer und Griechen hatten. Die Auseinandersetzung mit dieser Frage wird durch die oft literarischen Quellen und die unklaren Begrifflichkeiten erschwert. Von festen Regeln kann insgesamt in der griechisch-römischen Antike nicht ausgegangen werden, vielmehr sind nur schriftliche Ratschläge zu moralischem Verhalten und dem Erhalt der Gruppenmoral überliefert. Der zweite Vortrag behandelte mit dem Wujingzongyao die erste umfassende Militärenzyklopädie des chinesischen Kaiserreichs, die als ein Zeichen für die Vereinheitlichung und Professionalisierung des Militärs gesehen werden kann. Der Referent CHRISTIAN KISCH (Potsdam) fokussierte sich auf den Wasserkrieg, in welchem Wasser zur Zerstörung von Material und Städten, sowie zum Überschwemmen gegnerischer Armeen benutzt wurde. Die Beschaffenheit des Geländes war dabei neben dem Element der Täuschung und Überraschung entscheidender Faktor. Abschließend referierte KAI FILIPIAK (Leipzig) zu Taktiken im chinesischen Altertum, einer Zeit von radikalen und brutalen Konflikten. Hierbei wurde die Unterscheidung der komplementär genutzten orthodoxen und unorthodoxen Taktiken als zentral herausgestellt. Die unorthodoxen Methoden, wie Nacht- und Scheinangriffe, waren zu diesem Zeitpunkt neu und wurden als kriegsentscheidend eingestuft. In der anschließenden Diskussion standen unter anderem Fragen der Ethik im Vordergrund. Dabei wurde für die Antike insgesamt festgehalten, dass Fragen zu moralischen Grenzen oder Verantwortung in der Militärtheorie keine Rolle gespielt haben, dies waren vielmehr breit und kontrovers diskutierte Themen in der Philosophie und in der Literatur. Zudem zeigte sich, dass für die europäische Antike der Autor oft eher reiner Militärtheoretiker war, während in China die Autorengruppen zu breiter gefächerten Themen publiziert hatten. Aufgrund der dünnen Quellenlage ist dies allerdings nicht abschließend zu beantworten.

Im Abendvortrag referierte ANTULIO ECHEVARRIA (Carlisle, Pennsylvania) mit dem Blick auf Clausewitz über das Verhältnis von Krieg und Politik und ging dabei vor allem auf die Frage ein, was die Logik des Krieges ausmacht. Der Referent wiedersprach dabei der These von Clausewitz, dass Krieg seine eigene Grammatik, aber nicht seine eigene Logik habe. Vielmehr zeigte er anhand der Vorgehensweise der amerikanischen Seite im Zweiten Weltkrieg, dass Krieg dort nicht nur seine eigenen Gesetze, sondern auch sein eigenes, logisches, integrales System hatte. Diese These wurde unter anderem mit der vorherrschenden Militärdoktrin des Krieges („Stärker sein im richtigen Moment“) belegt. In der anschließenden Diskussion standen Begriffe wie Politik und Krieg im Vordergrund, da diese im Vortrag scheinbar zu ungenau benutzt wurden. Auch wurde die eskalierende Rolle der expandierenden Bürokratie im Zweiten Weltkrieg betont. Zudem wurde die militärgeschichtliche Schulung heutiger Offiziere in den USA thematisiert, die sich scheinbar immer mehr von den Thesen Clausewitz abwendet.

Im ersten Vortrag der zweiten Sektion ging JULIAN KATZ (Marburg) auf eine im europäischen 16. Jahrhundert neuartige Kriegsform ein, die militärische Intervention zum Schutz fremder Untertanen. In der zeitgenössischen Militärtheorie versuchte man einen angemessenen, systematischen und legitimierten Umgang mit diesen Phänomen zu finden, um die gegenseitige Überwachung zu regulieren. Wichtiger Aspekte war die Frage unter welchen Umständen tyrannischer Herrschaft Interventionen von außen, aus moralischen oder sicherheitspolitischen Überlegungen, erlaubt sind. Die folgende Diskussion drehte sich um die Frage nach zeitgenössischen europäischen Wissensdiskursen und dem Verhältnis von Theorie und Praxis, sowie um vermeintliche Kontinuitäten zu heutigen Interventionen. Der Festungsforscher VOLKER MENDE (Cottbus) stellte in seinem Referat drei Leitthemen vor, an denen sich Festungsbauer bei ihren theoretischen Auseinandersetzungen mit ihrem Fach vom 16. bis zum 20. Jahrhundert orientiert hatten, nämlich Innovation, Nation und Tradition. Dem sollten neue Konzepte entgegengesetzt werden, die eine wissenschaftlichere und internationalere Forschung ermöglichen würden. Die anschließende Diskussion fokussierte sich auf die Definition von Festungen, wobei eine zu enge Definition des Begriffs als Hindernis für internationale und epochenübergreifende Vergleiche empfunden wurde. Zudem wurde der Wunsch geäußert, die symbolische Bedeutung der Bauten extensiver zu behandeln.

Die dritte Sektion begann mit dem Vortrag von THOMAS WEISSBRICH (Berlin), der nach Bezügen von Militärtheoretikern des 17. und 18. Jahrhunderts auf antike Vorbilder fragte. Hierbei stellte der Referent heraus, dass die Reflexion über militärisches Handeln von der Auseinandersetzung mit der griechisch-römischen Antike geprägt war. Abgrenzung und gleichzeitige Kontinuität kennzeichneten diese Reflexion. Die theoretischen Diskurse fanden in Korrespondenzen statt, in Monographien wurden mehr Themen wie Drill und Ausbildung abgehandelt. Im folgenden Vortrag ordnete MARIAN FÜSSEL (Göttingen) die wichtigsten Militärtheoretiker des langen 18. Jahrhunderts mittels einer Analyse von Paratexten in den zeitgenössischen Wissensdiskurs ein. Die damaligen Prozesse der Verwissenschaftlichung wirkten sich auch auf die Militärtheorie aus, wie aus den untersuchten Quellen deutlich wird. Zentral ist ebenfalls der Widerstreit zwischen Theorie und Erfahrungen bei der Beurteilung der Autoren. Neben wissenschaftlichem Expertenstatus war immer auch die praktische Erfahrung entscheidend. Der Diskussionsteil der dritten Sektion umfasste Fragen zur Rezeption der Theorien. Hier wurde festgehalten, dass das 18. Jahrhundert betreffend anhand von Subskriptions- und Inventarlisten ein reges Interesse der Offiziere an dieser theoretischen Literatur festgestellt werden kann. Theoretische Bildung wurde als wichtiger Karrierebaustein gesehen. Ob die Bücher allerdings tatsächlich gelesen wurden und ob sie direkte Auswirkungen auf die Truppe hatten, ist nur schwierig festzustellen. Für das 17. Jahrhundert wiederum ist die Quellenlage aufgrund der harten Zensur zu dünn um überhaupt Aussagen zu treffen. Zudem wurde in der Diskussion deutlich, dass die Verwissenschaftlichung der Militärtheorie ab dem späten 17. Jahrhundert stark mit dem technischen Fortschritt zusammenhing.

Die vierte Sektion umfasste den Themenkomplex Umsetzung und Rezeption von Militärtheorie, beginnend mit einem Vortrag von SUSAN RICHTER (Heidelberg) zur Rezeptionsgeschichte chinesischer Theorien im Frankreich des 18. Jahrhunderts anhand der Übersetzung des Sun-zi Bingfa. Der Wissenstransfer glückte jedoch nur bedingt, da das Militär die politisch-militärischen Konzepte und Ideen wie „der Soldat als Bürger“ aus Angst vor einer sozialen Bedrohung des Adels, sowie aus prinzipieller Ignoranz ablehnte. Auf einer zivilen Ebene war die Rezeption wesentlich erfolgreicher. Im folgenden Beitrag befasste sich NICOLAS SCHILLINGER (Heidelberg) mit der umgekehrten Konstellation, der Rezeption westlicher Militärliteratur in China von ca. 1860 bis 1949. Er teilte die Rezeption in drei Phasen ein: Eine erste Phase, die von der Anpassung an westliche Technologien und Organisationsformen und dem massivem Import von westlicher Technologie, besonders zur Küstenverteidigung, geprägt war; eine zweite Phase (ab 1895), in der sich der Fokus vom Import von technischen Werken zu Drill, Planung und Taktik verschob und in eine dritte Phase (ab 1911) während der auch immer mehr theoretische Texte, vor allem zum Komplex Krieg-Militär-Gesellschaft Anklang fanden. Die Thematisierung von Heinz Guderian in polnischen militärwissenschaftlichen Zeitschriften in der Zwischenkriegszeit, war anschließend das Thema von KRZYSZTOF FUDALEJ (Warschau). Die Schriften von Guderian, einer der in Bezug auf Panzer bedeutendsten Militärtheoretiker der Zwischenkriegszeit, fanden in diesen Fachzeitschriften wenig Erwähnung. Die Nichtbeachtung Guderians kann auf seinen Ruf eines reinen Praktikers zurückgeführt werden, was dazu führte, dass er in der theoretischen Diskussion nicht beachtet wurde. Die diese Sektion abschließende Diskussion umfasste hauptsächlich die Frage, inwiefern die gescheiterte Rezeption von chinesischer Militärtheorie in Frankreich als typisch französisch, als typisch imperialistisch oder sogar als genre-typisch gesehen werden kann. Hierbei scheint zumindest die prinzipielle Ablehnung von nicht-europäischem Gedankengut im Bereich Militär und Gesellschaft für viele imperiale Militärs typisch, ganz im Gegensatz zu dem florierenden innereuropäischen Wissensdiskurs. Weitere Fragen zu diesem Komplex machten deutlich, dass das chinesische Militär nicht per se aufgeschlossener gegenüber fremden Theorien und Technologien war. Die Beschäftigung mit diesen war eher aus der Notwendigkeit geboren, auch hier gab es große Widerstände gegen die „Verwestlichung“.

Die folgende fünfte Sektion eröffnete DIERK WALTER (Hamburg) mit einem Beitrag zu vermeintlich militärtheoretischen Werken zum Thema Imperialkriege. Diese wurden hinsichtlich ihrer Definition, Abgrenzungen zu anderen Formen von Kriegen, Problemstellungen und theoretischen Konzepten untersucht, wobei zu letzteren keine Entwicklungen nachgewiesen werden konnten. Es handelte sich demnach ausschließlich um praktische Handbücher für den Gebrauch vor Ort, die logistische und organisatorische bzw. administrative oder politische Lösungen für einen erfolgreichen „anderen Krieg“ boten, wie entgrenzte Kampfmethoden oder die Nutzung von indigenen Hilfstruppen. Leitthema der Werke schien zu sein, dass man für den Sieg nur entschlossen, resolut und notfalls brutal genug auftreten müsste. GABRIELE FREI (Cambridge) bezog sich in ihrem Vortrag auf die Theorien des britischen Seekrieges vor dem ersten Weltkrieg, wobei im Besonderen die Überlegungen von Julian Corbett, sowie von dem zu Unrecht oft vergessenen Philip Howard Colomb zum Wesen von Seemacht und Herrschaft im Fokus standen. Seestrategie hatte hierbei meist einen defensiven Charakter, seestrategisches Denken entstand in Großbritannien aus der Notwendigkeit heraus das Land und seine wirtschaftlichen Interessen verteidigen zu müssen. Die Referentin betonte zudem die Wichtigkeit der Theorien von Colomb, die eine bedeutende Vorreiterfunktion für die bekannteren Theorien von Corbett übernahmen. Über das operative Denken und die dazugehörigen Entwicklungen im deutschen Militär, von Moltke dem Älteren bis 1945, sprach anschließend GERHARD P. GROSS (Potsdam). Der Referent ging nicht direkt auf bestimmte Werke ein, im Vortrag wurde vielmehr eine zentrale Grundidee des deutschen militärischen Denkens aufgezeigt, beruhend auf der geographischen und politischen Ausgangslage Deutschlands, die von einer geographischen Mittellage in Europa, sowie technischer Unterlegenheit und Ressourcenknappheit gekennzeichnet war. Abhilfe schaffte eine nicht verschriftlichte Kontinentalmachttheorie, die mit der Schaffung schneller Transportwege, einer hochqualitativen Streitkraft und einer richtigen Schwerpunktsetzung versuchte diese Schwierigkeiten zu überwinden. Das operative Denken fungierte demnach als Notlösung, um eine schlechte Ausgangslage zu kaschieren. Im Anschluss an die drei Vorträge entwickelte sich dann eine angeregte Diskussion, mit Fragen zu der Funktion von lokalen Gewaltspezialisten in Imperialarmeen, zu politischen Ambitionen von Militärs und zum Unterschied von Militärtheorien von See- und Kontinentalmächten. Hauptstrang der Diskussion war die Frage, inwiefern pragmatisches Denken fehlende Militärtheorien ersetzt hatte und wie es um das Verhältnis und den Einfluss von Politik auf militärische Strategien bestellt war.

XOSÉ MANOEL NÚÑEZ SEIXAS (München) befasste sich im ersten Vortrag der sechsten Sektion mit der in der Forschung bisher wenig beachteten spanischen Militärtheorie zwischen 1870 und 1939. In diesem Zeitraum griffen spanische Militärs meist auf ausländische, übersetzte Werke und Konzepte zurück, nur praktische Schriften behandelten Themen wie den Guerillakrieg gegen Napoleon oder die Strategie der Zwangsumsiedlung in Kuba. Die Kolonien waren in diesem Zusammenhang ein Experimentierfeld für neue Strategien, die Erfahrungen daraus wurden aber selten aufgearbeitet. Eine genuin spanische Militärtheorie beschäftigte sich eher mit philosophischen, soziologischen und historischen Fragen bezüglich des Militärs. Im zweiten Vortrag referierte FRANK REICHHERZER (Berlin) am Beispiel der Wehrwissenschaften im 20. Jahrhundert zu der Frage, inwiefern man anhand von Militärtheorien Geschichte schreiben kann. Als Erfahrungsraum fungierte im Besonderen der erste Weltkrieg, da hier der militärische Komplex sein Monopol auf Krieg verlor. Der Referent verfolgte damit einen ideen- und wissensgeschichtlichen Ansatz und plädierte für eine größere Beachtung der zivilen Ebene in der Militärtheorie, sowie eine methodisch breitere Untersuchung, die auch Strukturen, Ressourcen, Netzwerke und transnationale Manifestationen der Ideen erfassen sollte. Um demnach den Militärtheorien gerecht zu werden, ist eine Einbettung in die Historisierung des Krieges und des Militärs insgesamt von Nöten. Die darauffolgende Diskussion nahm unter anderem Bezug auf die Partisanentheorie von Carl Schmitt. Aus dieser ergaben sich auch weitere Nachfragen zum Thema der Wehrwissenschaften, so wurde deren Rezeption im Militär sowie deren internationale Vernetzung diskutiert.

Die letzte Sektion begann mit einer Untersuchung von MICHAEL M. ORLANSKY (Zürich) zu den Möglichkeiten und Grenzen des militärtheoretischen Untersuchungsbegriffes der Doktrin, besonders im Hinblick auf seine strukturierende und synthesierende Funktion. So stand weniger die Rezeption als vielmehr der historische Inhalt im Vordergrund, vor allem der französischen, deutschen und schweizerischen Doktrin. Hierbei betonte der Referent die Problematik transnationaler Vergleiche, die besonders durch den Mangel einer anerkannten Definition des Begriffs „Doktrin“ erschwert werden. Zudem wurde auf die enge Verbindung zwischen Doktrinen und der operativen Ebene hingewiesen. In der Folge beschäftigte sich ANDREAS HERBERG-ROTHE (Fulda) mit dem Theoriebegriff bei Clausewitz und dessen erkenntnistheoretischer Funktion. Clausewitz sah Theorien als fließende Balance von widerstreitenden Tendenzen, also in einem dialektischen, dynamischen Spannungsfeld, und benutzte sie in seinen Schriften zur Bestimmung des Wesens bzw. der Natur des Krieges. Dabei leitet er konkrete praktische Handlungsanweisungen, wie Strategie und Taktik, aus den Theorien ab. Theorien haben demnach bei Clausewitz eine erkenntnistheoretische Dimension, da sie als kritisches Instrument zur Gewinnung von Erkenntnis dienen. In der Diskussion wurde unter anderem die Praxisrelevanz von Clausewitz diskutiert, wobei der Einfluss einzelner Aspekte seiner Theorie auf militärische Führungen weltweit herausgestellt wurde. Der Hauptteil der Diskussion fokussierte sich jedoch auf den Begriff Doktrin, unter anderem in Bezug auf Begriffe wie Militärtheorien, Paradigma oder Denkstil. Zentral waren Fragen zum Zusammenhang von Doktrinen mit Schriftlichkeit und Text. Die These eines verbindlichen Textes als Grundlage von Doktrin wurde kontrovers diskutiert. Zudem wurde auch die Rolle der Verwaltungsebene betont, da die momentane Überproduktion von Doktrinen auf das kulturelle Phänomen der Überbürokratisierung und wirtschaftliche Faktoren zurückgeführt werden kann.

In der Abschlussdiskussion wurden die wichtigsten Erkenntnisse der Tagung noch einmal resümiert und diskutiert. So sollte man in neueren Forschungen die teilweise künstliche Unterscheidung zwischen Militärs und Zivilisten bei der Autorenschaft oder zwischen individuellen Denkern und Autorengruppen zumindest zum Teil überdenken. Schließlich können Militärtheorien auch zivile Anwendungsmöglichkeiten aufweisen. Auch die internationale Verflechtung der Theorien sollte größere Beachtung finden, genauso wie die Theorien bisher weniger beachteter Nationen. Insbesondere sollte die deutsche Forschung den Fokus auf Clausewitz und seine Nachfolger zeitlich erweitern, denn eine „strategic culture“ lässt sich zum gewissen Teil auch in der Antike und im Mittelalter finden. Ein weiteres wichtiges Thema bildet die Rezeptionsgeschichte wobei die Frage, wie weit und unter welchen Bedingungen Theorien in die Streitkräfte diffundieren, aufgrund der Quellenlage oft nur schwer zu beantworten ist. Dass man den Einfluss von Militärtheorie nicht oder nur sehr schwer belegen kann, heißt aber nicht, dass die Theorien keinen Einfluss hatten. Zudem wurde festgehalten, daβ nicht alles was als solche publiziert wurde, auch unbedingt Militärtheorie war. Diese Ansätze für eine produktivere Beschäftigung mit dem Thema Militärtheorie wurden in den vielen verschiedenen Vorträgen deutlich und werden sicherlich weitere Forschungen prägen.

Konferenzübersicht:

Stig Förster (Bern), Begrüßung durch den Ersten Vorsitzenden des AKM

Alaric Searle (Salford / München), Einführung in die Thematik: Militärtheorie als Gegenstand der militärgeschichtlichen Forschung

Sektion 1: Das Altertum

Sven Günther (Bielefeld / Tokio), Codes of War oder Krieg ohne Moral? Antike Militärtheorien im Vergleich

Christian Kisch (Potsdam), Das Wujingzongyao und der Wasserkrieg im alten China

Kai Filipiak (Leipzig), Orthodoxe und unorthodoxe Taktiken in der chinesischen Militärtheorie

Abendvortrag:
Antulio Echevarria (Carlisle, PA)

Sektion 2: Frühneuzeitliche Überlegungen

Julian Katz (Marburg), Theoretisierung der militärischen Interventionen zum Schutz fremder Untertanen im 16. Jahrhundert

Daniel Hohrath (Ingolstadt), Wissenschaft statt Theorie?

Diskussion

Sektion 3: Vor der französischen Revolution

Volker Mende (Cottbus), Über die Erfindung des Befestigens. Festungsforschung als Subjekt der Geschichte

Thomas Weissbrich (Berlin), „Ein Regiment ist keine Legion“. Zur Anthropologie in der Militärtheorie des 17. und 18. Jahrhunderts

Marian Füssel (Göttingen), Theori cum praxi. Die Militärtheorie des langen 18. Jahrhunderts zwischen Diskurs und Erfahrung

Sektion 4: Rezeptionsgeschichte

Susan Richter (Heidelberg), Die Rezeptionsgeschichte Sun-zi Bingfa in Frankreich am Ende des 18. Jahrhunderts

Nicolas Schillinger (Heidelberg), Die Rezeption westlicher Militärliteratur in China während der späten Qing und der Republikzeit (1895-1914)

Krzysztof Fudalej (Warschau), Die Rezeption der Theorien von Heinz Guderian in polnischen militärwissenschaftlichen Zeitschriften vor dem Zweiten Weltkrieg

Sektion 5: Vor dem Ersten Weltkrieg

Dierk Walter (Hamburg), Imperialkrieg und Militärtheorie

Gabriele Frei (Cambridge), Mahan und Corbett über das Verhältnis von Recht und Seestrategie vor dem Ersten Weltkrieg

Gerhard P. Gross (Potsdam), Die Geschichte des operativen Gedankens im deutschen Heer

Sektion 6: Langzeitperspektiven

Xosé Manoel Núñez Seixas (München), Spanische Militärtheorie und Herrschaftspraxis: Von den Kolonialkriegen zum Bürgerkrieg 1870-1939

Frank Reichherzer (Berlin), Militärtheorie als Wissens- und Ideengeschichte des Krieges? Ein Blick auf das 20. Jahrhundert

Sektion 7: Gibt es eine Relevanz für die Gegenwart?

Michael M. Orlansky (Zürich), Doktrin avant et après la lettre: Möglichkeiten und Grenzen eines militärtheoretischen Untersuchungsbegriffes

Andreas Herberg-Rothe (Fulda), Der zeitgenössische Kontext von Clausewitz‘ Theoriebegriff


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