Violence and Violation of Norms, Integration und Desintegration. Sozial- und Kulturgeschichte des osteuropäischen Sports im internationalen Vergleich

Violence and Violation of Norms, Integration und Desintegration. Sozial- und Kulturgeschichte des osteuropäischen Sports im internationalen Vergleich

Organisatoren
Anke Hilbrenner, Abteilung für Osteuropäische Geschichte, Universität Bonn; Nikolaus Katzer, Deutsches Historisches Institut Moskau
Ort
Moskau
Land
Russian Federation
Vom - Bis
30.06.2011 - 02.07.2011
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Von
Gregor Feindt, Abteilung für Osteuropäische Geschichte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Vom 30. Juni bis zum 2. Juli 2011 fand am Deutschen Historischen Institut Moskau das vierte Treffen des DFG geförderten Netzwerks „Integration und Desintegration: Sozial- und Kulturgeschichte des osteuropäischen Sports im internationalen Vergleich“ statt, das die Themen „Violence and Violation of Norms“ behandelte. Neben vier Vorträgen standen hierbei der Austausch im Bereich der Sportgeschichte und die Arbeit am Digitalen Handbuch zur Geschichte des Sports in Osteuropa, das von den Wissenschaftler/innen des Netzwerks herausgegeben wird, auf dem Programm. Einzelne Beiträge dieses Handbuchs wurden in ihrer Konzeption bzw. in ihren Textentwürfen vorgestellt und diskutiert.

In seinem Eröffnungsvortrag zu „Battles and Games. Ambivalence and Violence in Modern Sport“ umriss NIKOLAUS KATZER (Moskau) die Perspektiven einer Gewaltgeschichte des Sports in Osteuropa. Für diese liegen kaum historische Arbeiten vor, was in Verbindung mit einem latenten Präsentismus der Sportbetrachtung zu einer Exotisierung des Phänomens führt. Gewalt wird als moderne Verunreinigung des positiv verstandenen Sports gedeutet, wogegen sie aus der historischen Betrachtung heraus eher als ein „chronisches Leiden“ erscheinen muss.

Im Folgenden leuchtete Katzer verschiedene Perspektiven des Themas aus, die wie die geschlechterhistorische Betrachtung von Fanbewegungen oder die Frage nach paramilitärischen Elementen der sowjetischen Fizkul’tura noch auf eine intensivere Bearbeitung warten. Weiter biete die Untersuchung der Semantik von Gewalt im Sportgeschehen Möglichkeiten, zeitliche Sedimente des Sportgeschehens zu betrachten. Ähnlich verhalte es sich auch mit Tabuisierungen und Tradierungen und deren medialer Perpetuierung. Obwohl eine vergleichende Betrachtung des Themas noch aussteht, lässt sich so die Ambivalenz der Moderne anhand von Gewalt und Gewalterfahrung aufzeigen. Somit lässt sich die Dichotomisierung des Begriffspaares historisch nicht aufrechterhalten.

PETR ROUBAL (Prag) schilderte die Geschichte der Sokol-Bewegung im Stalinismus zwischen Widerstand und Anpassung. Die Wahrnehmung gymnastischer Massenveranstaltungen als Ausdruck eines Kollektivismus kontrastierte er in seiner Betrachtung mit der Wahrnehmung der Beteiligten. Diese Veranstaltungen und besonders ihr Rahmenprogramm seien für den Einzelnen anregend und erstrebenswert gewesen.

Der Stalinismus und die mit ihm einhergehende Durchdringung der Gesellschaft stellte die Sokol-Bewegung vor die Herausforderung, Kooperation und Eigenständigkeit gegeneinander abzuwägen. Repräsentierte sie nach eigenem Selbstverständnis die Nation, gefährdete eine Zwangsvereinigung aller Turnverbände diese Stellung. Andererseits bot dies aber auch die Möglichkeit, neue Handlungsoptionen zu schaffen. Versuche, das Turnfest 1949 zur Artikulation von Protest zu nutzen, führten zur massenhaften Säuberung von Funktionären und Mitgliedern. Während die 1950er Jahre in der Folge vor allem von Einschränkungen und Systemtreue geprägt waren, wandte sich die Sokol-Bewegung in der Zeit der Normalisierung von der sozialistischen Formsprache der Massenchoreographie ab und orientierte sich stärker an eigenen Traditionen.

MANFRED ZELLER (Bremen) präsentierte zum Thema Sport und Gewalt in Osteuropa seinen mit JÖRG GANZENMÜLLER (Jena) vorbereiteten Artikel für das im Rahmen des Netzwerks entstehende Handbuch zur Sportgeschichte. Dabei führte er aus, welche Möglichkeiten der Sport als Zugang zu einer Kultur- und Gesellschaftsgeschichte der Gewalt in der Sowjetunion biete. So lässt sich die Ambivalenz von „Terror und Traum“1 in der Rolle von Körperkultur und Sport darstellen, die sowohl den Neuen Menschen herausbilden sollten als auch von den einschneidenden Gewalterfahrungen sowjetischer Geschichte geprägt wurde.

Dabei geht Zeller von physischen Formen der Gewalt aus und analysiert das Phänomen in seiner Prägung durch die Gewaltgeschichte Osteuropas und die Diktaturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Sport und Gewalt soll so auch als Möglichkeit zur Herstellung von Ordnung und als Form der sozialen Interaktion verschiedenster Akteure verstanden werden. Ein weiterhin spürbares Defizit der Forschung liegt in der Vernachlässigung von Gewalt im Sportgeschehen im Vergleich zur stärker behandelten gewalttätigen Rahmung von Sportereignissen, wie beispielsweise in Form von Zuschauerausschreitungen.

EKATERINA EMELIANTSEVA (Bangor) diskutierte in ihrem Vortrag den Zusammenhang von Sport und Patriotismus im zarischen Russland während des Ersten Weltkriegs. War der Sport vor Kriegsausbruch noch als kosmopolitisches Phänomen wahrgenommen worden, so setzte mit dem Eintritt des Russischen Reiches in den Krieg eine Nationalisierung der Sportkultur ein. Dies stellte sich sehr unterschiedlich dar und reichte von der patriotischen Gestaltung von Sportmagazinen bis zu Benefizveranstaltungen für Soldaten.

Dass Bürger gegnerischer Staaten, die im russischen Sport aktiv waren, interniert wurden, stellte zudem den internationalen status quo des Sports in Russland auf die Probe und verstärkte vorherige Generationengegensätze bis hin zu einer Neuregelung und Belebung des Sportlebens. Betrachtet man diese jedoch genauer, überstieg die Militarisierung des Sportlebens seine Nationalisierung spürbar.

Der Workshop zeigte welche Perspektiven das Thema Sport und Gewalt in Osteuropa für die Sportgeschichtsschreibung wie auch für die osteuropäische Geschichte birgt. In der Diskussion wurde zudem immer wieder deutlich, dass sich hier eine Vielzahl bislang noch nicht bearbeiteter Fallbeispiel anbietet.

Konferenzübersicht:

Nikolaus Katzer (DHI Moskau): Battles and Games. Ambivalence and Violence in Modern Sport

Petr Roubal (Prag): Sokol Movement under Stalinism: From Resistance to Accomodation

Manfred Zeller (Bremen): Projektvrostellung. Handbuchartikel Sport und Gewalt

Ekaterina Emeliantseva (Bangor): Sports and Patriotic Culture in Russia during the Great War (1914-1918)

Anmerkung:
1 Karl Schlögel, Terror und Traum. Moskau 1937, München 2008.


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