Verschwörungstheorien im Bild

Organisatoren
Beate Fieseler / Ute Caumanns, Institut für Geschichtswissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf; Mathias Niendorf, Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Ort
Düsseldorf
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.03.2011 - 26.03.2011
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Von
Tilman Plath, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

„Wer zog die Drähte?“ – Verschwörungstheorien im Bild. Zu diesem Thema hatte das Institut für Geschichtswissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Beate Fieseler, Ute Caumanns) in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald (Mathias Niendorf) eine Reihe von ausgewiesenen Experten zu einer zweitägigen Tagung nach Düsseldorf geladen. Begleitet wurde die Veranstaltung durch eine Ausstellung zum gleichnamigen Thema, welche eine studentische Gruppe unter Leitung von Frau Caumanns erarbeitet hatte. Dem spezifischen Verhältnis von Verschwörungstheorien und visueller Darstellung und der funktionalen Einbettung von Bildern als Träger von Verschwörungstheorien wurde anhand von 5 Fallbeispielen, welche durch übergreifende systematisierende Kommentare eingefasst waren (Tilman Plath, Greifswald, und Jens Jäger, Köln), nachgegangen.

MICHAEL HAGEMEISTER (München) machte das Publikum mit der Bilderwelt des Kernstücks antisemitischer Propaganda im 20. Jahrhundert bekannt, den „Protokollen der Weisen Zion“, wobei er seine Ausführungen auf den russischen Raum beschränkte. Dabei legte Hagemeister dar, dass heutige antisemitische Bilder und Zeichen in Neuauflagen der Protokolle auf die Bildsprache der antifreimaurerischen Literatur aus Frankreich des 19. Jahrhunderts zurückgreifen. Die zentrale Figur für den Transfer in die russische Publizistik sei der russische Mystiker Sergej Nilus gewesen, dessen Ausgabe der Protokolle in Russland bereits 1905 alle noch heute anzutreffenden Zeichen enthielt. Aus den Ausführungen Hagemeisters leiteten sich exemplarisch zwei Problemfelder ab, die auf der Tagung mehrfach zur Diskussion standen: Erstens wies Hagemeister auf den Umstand hin, dass nach seiner Einschätzung trotz der großen Verbreitung der Protokolle deren Wirkung nicht primär auf den Text an sich zurückgehe, da sie, so die Vermutung Hagemeisters, nur selten überhaupt gelesen würden. Dies bedeute allerdings für die bildliche Darstellung im Besonderen eine große funktionale Aufwertung, da durch sie wesentliche inhaltliche Aussagen transportiert würden. Zweitens kam jedoch auch zum Ausdruck, dass neben dieser Funktion einer Vereinfachung und direkteren Kommunikationsvermittlung Bilder und Zeichen auch die Schulung des Sehens erfordere, da, wie das Beispiel der Bilder des russischen Malers Glazunov, die Bildzitate aus der Bildersprache der Protokolle enthalten, deutlich machten, die Kenntnis von Zeichen und Symbolen das Verstehens der antisemitischen Aussagen zur Bedingung hätten.

Die Abhängigkeit einer spezifischen Ikonographie von ihrer kulturellen Verankerung in der Gesellschaft thematisierte auch FALK WIESEMANN (Düsseldorf) in seinem Vortrag zu antijüdischen Gegenständen. In seinem mit einer Vielzahl von Beispielen illustrierten Vortrag zu antijüdischen Gegenständen verwies er auf die tiefe Verwurzelung einer spezifischen antijüdischen Bild- und Formensprache in der deutschen Kultur des ausgehenden 19. Jahrhundert und des beginnenden 20. Jahrhunderts, welche die Grundlage zur Herausbildung antijüdischer Stereotypen, wie der Hakennase oder dem Regenschirm als vermeintlich typisch jüdisches Accessoire, bildete und somit gleichsam eine Codierung antijüdischer Ressentiments verursachte. Eine Vielzahl der von ihm herangezogenen Beispiele stammte dabei aus den Souvenirgeschäften einer antisemitischen deutschen Kurbadtradition, deren spezifische Symbiose zwischen heitererer Urlaubsatmosphäre und einer auf Ausgrenzung bedachten erniedrigenden Bildsprache (Juden als Schweine) eine besonders abstoßende Note besaß, durch ihre Dreidimensionalität und ihre omnipräsente Existenz zum Fetisch antisemitischer Kreise werden konnte und schließlich auch auf Akzeptanz durch weite Teile der Bevölkerung stieß. Im Zusammenhang mit dem Stereotyp des Juden als Verschwörer präsentierte Wiesemann das immer wiederkehrende Motiv der drei „mauschelnden Juden“ als Kern einer vermeintlich jüdischen Verschwörung.

Die Geschichte des Antisemitismus und seiner Bildsprache wurde durch das Referat von JOACHIM SCHRÖDER (München) zum Thema „Jüdischer Bolschewismus“ gewissermaßen fortgesetzt. Er verwies in seinem Vortrag darauf, dass dieser Mythos seinen wesentlichen Entstehungs- und Durchsetzungsimpuls durch die politischen Nachbeben des endenden Ersten Weltkriegs erfuhr. Es war der überproportionale Anteil von Juden in führenden Positionen der Bolschewiki in den Tagen des russischen Bürgerkrieges, welcher zusammen mit dem indigenen kontinuierlich gewachsenen Antisemitismus in Russland das Schreckensbild des jüdischen Bolschewisten geschaffen habe. Dieses Klischee, vor dem Hintergrund eines extrem blutrünstig von allen Seiten geführten Bürgerkrieges, gelangte mittels russischer Emigranten, deutschbaltischer Auswanderer sowie Angehöriger des deutschen Ostheeres nach dem Ersten Weltkrieg nach Deutschland, wo es sich durch die kommunistischen Umsturzversuche, insbesondere aber die Münchner Räterepublik, bestätigt zu sehen glaubte. Nicht von ungefähr entstanden zeitgleich erste Darstellungen dieses Stereotyps in der rechtsextremen Presse, wie es Schröder anhand von Illustrationen aus den Münchner Satirezeitschriften „Die rote Hand“ und „Phosphor“ eindrucksvoll unter Beweis stellte. Schließlich mischten sich zu den herkömmlichen jüdischen Klischees nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion noch antiasiatische Züge in die graphischen Darstellungen einer Jüdisch-Bolschewistischen Bedrohung in der Propaganda der Nationalsozialisten wie beispielsweise in der Broschüre „Der Untermensch“. Während die antikommunistische Propaganda in den Nachkriegsjahren ihre Fortsetzung fände, verschwänden antisemitische Stereotype aus den graphischen Darstellungen dieses Feindbildes.

Ganz im Gegensatz zu den Darstellungen der Juden als das Gefahr bringende Böse in der nationalsozialistischen Propaganda erschienen die Feindbilder der Sowjetunion in den 30er-Jahren nur als lächerliche Witzfiguren. Diesen grundsätzlichen Unterschied führte KLAUS WASCHIK (Bochum) auf die völlig unterschiedliche Bildtradition in beiden Ländern zurück. Da in Russland das Genre der Karikatur eine sehr starke Tradition besaß, so Waschik, gelang es den Propagandaabteilungen in der Sowjetunion nicht, ein konsistentes Gefahr verheißendes Feindbild zu schaffen. Damit nicht genug verschwanden im Zuge des Großen Terrors reale Personen aus der Plakatkultur in der Sowjetunion fast vollständig, da nur Lenin und Stalin als Figuren die sich selbst überrollenden Wellen politischer Verfolgungen überdauerten. Konstatierte Waschik in diesem Sinne, dass Verschwörer in sowjetischen Plakaten unsichtbar blieben, so zog er als Beispiele für die Sichtbarmachung von Verschwörern sowjetische Zeichentrickfilme heran, deren Verschwörer-Figuren indes ebenfalls nur eine machtlose lächerliche Erscheinung abgaben. Anders stellte sich die Lage hingegen im sowjetischen Spielfilm dar. Waschik machte auf einen Charakter des sowjetischen Spielfilms „Der Parteiausweis“ von 1936 aufmerksam, der aus der Provinz stammend in Moskau umstürzlerische Pläne in Form von Sabotageakten plant und durchführt und sich zu diesem Zweck eine gesellschaftsfähige Tarnung zulegt. Die besondere Bedeutung dieser Person sah Waschik vor allem in der perforierenden Wirkung auf die Gesellschaft der Sowjetunion der 30er-Jahre. Er wies in seinen Ausführungen nach, wie der Wortlaut des berüchtigten NKVD-Befehls Nr. 00447 gleichsam in der Darstellung des anonymen inneren Feindes im Film vorgezeichnet worden war und somit eine Akzeptanz in der Bevölkerung vorzubereiten helfen konnte.

Einen zeitlichen Rückgriff erlaubte sich das Tagungsprogramm zum Ende hin durch die Behandlung des Themas der bildlichen Darstellungen der „Verschwörungen der Hexenleut“ anhand des Vortrags von Herrn WOLFGANG SCHILD (Bielefeld). Schild erläuterte die geistesgeschichtliche Entwicklungsgeschichte von Begriffen wie dem „Bösen“ und der Person des Teufels bis in die Antike zurückreichend. Er unterstrich die Tatsache, dass spätestens ab Thomas von Aquin Menschen einen gleichberechtigten „Teufelspakt“ schlössen und somit ein juristisches Verhältnis mit dem Teufel eingingen, um im Verständnis der damaligen Zeit zu Hexen werden zu können. Entscheidend für einen derartigen Pakt sei der freie Wille, was insbesondere Auswirkungen auf die Bestrafung dieser Hexen gehabt habe. Das Verbrennen habe daher vor allem als Schutz und Erlösung vor den Höllenqualen gegolten, die andernfalls die Hexen zu erwarten gehabt hätten. Die graphische Darstellung der Hexenleut und der Dämonen entwickelte sich von einer tierhaften Darstellung, beispielsweise der Verwendung des Teufels als Bock in eine zunehmende Vermenschlichung. Nur Attribute wie der Pferdefuß und Hörner blieben in der Bildsprache lange erhalten.

Sowohl die Abschlussdiskussion als auch die Diskussion zu den einzelnen Beiträgen wurde durch zwei größere Themenblöcke geprägt: Zum einen stand die spezifische Funktion von Bildern in ihrem Verhältnis zu Verschwörungstheorien im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen, um den erkenntnistheoretischen Mehrwert von Bildern in ihrem Verhältnis zum Text zu ergründen. Dabei kristallisierten sich unter anderem folgende Schlagwörter heraus: Bilder seien demnach förderlich für eine Evidenz-Erzeugung von Verschwörungstheorien und generierten eine Augenzeugenschaft durch Sichtbarmachung und die Herstellung einer spezifischen Logik, wie beispielsweise durch die Verwendung von Pfeilen und anderen vereinfachenden Zeichen. An diese Feststellungen schlossen sich Fragen zu der Glaubwürdigkeit und der potentiellen Verbreitung von Verschwörungstheorien im Allgemeinen an. Zudem seien sie identitätsstiftend und erinnerungsgenerierend, was die Wiedererkennung von Zeichen fördere. Das beinhalte jedoch auch das Problem der Decodierung von Bildern und der erforderlichen Fähigkeit, Bilder decodieren zu können. Dies könne nur in Abhängigkeit der jeweiligen kulturellen – medialen Bildsprache geschehen. Auch Bilder müssten gelesen werden können, was zur Frage der Dysfunktionalität von Bildern in verschwörungstheoretischen Darstellungen führte. Der zweite Themenkreis umfasste die mannigfaltigen Formen und Formate bildlicher Darstellungen in Verschwörungstheorien. Neben den die Tagung und vor allem die Ausstellung bestimmenden Formen des politischen Plakates seien auch andere Formen der Darstellungen zu berücksichtigen, wie unter anderem die Collage-Technik oder Fotos. Authentizitätssuggerierend seien auch Dokumentarfilme und andere Arten bewegter Bilder. Neben dreidimensionalen Figuren erweiterte sich dieser Diskurs durch die Frage nach Verschwörungstheorien in anderen Formen der Kunst, wie beispielsweise im Schauspiel, in der Oper oder in der Musik. All diese Anregungen aufnehmend sahen sich die Veranstalter nicht zuletzt durch die rege Beteiligung auch von studentischer Seite an den Diskussionen darin bestätigt, dem Phänomen von Verschwörungstheorien auch künftig mit Methoden der „Visual History“ in weiteren Projekten nachzugehen.

Tagungsübersicht:

Einführung
Ute Caumanns (Düsseldorf) /Mathias Niendorf (Greifswald)

Michael Hagemeister (München/Bochum)
"Schlangen, Spinnen, Pentagramme – Die Bilderwelt der 'Protokolle der Weisen von Zion'"

Falk Wiesemann (Düsseldorf)
„Verschwörungstheorien und antijüdische Gegenstände“

Kommentar: Tilman Plath (Greifswald)

Joachim Schröder (München)
„Jüdischer Bolschewismus“

Klaus Waschik (Bochum)
"Der sichtbare Unsichtbare. Verschwörer im sowjetischen Plakat zwischen Transparenz und Visualisierung“

Wolfgang Schild (Bielefeld)
„Die Verschwörung der Hexenleut´“

Kommentar: Jens Jäger (Köln)

Abschlussdiskussion
Moderation: Ute Caumanns / Mathias Niendorf


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