Protestanten zwischen Venedig und Rom in der Frühen Neuzeit

Protestanten zwischen Venedig und Rom in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Deutsches Historisches Institut in Rom; Deutsches Studienzentrum in Venedig
Ort
Venedig
Land
Italy
Vom - Bis
02.06.2010 - 04.06.2010
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Von
Nicolas Gillen, Deutsches Studienzentrum in Venedig

Papstherrschaft, Gegenreformation und Inquisition sind die Begriffe, die man gewöhnlich mit der Religion des frühneuzeitlichen Italiens verbindet. Damit erscheint Italien auf den ersten Blick als vollständig katholisches Land. Dass dieses vereinfachende Urteil einer größeren Differenzierung bedürfe, stellte MICHAEL MATHEUS (Rom) schon in den einleitenden Bemerkungen zu der Tagung fest, zu der er gemeinsam mit UWE ISRAEL (Venedig) deutsche und italienische Forscher nach Venedig eingeladen hatte.

Dem entsprach es, dass die Vorträge vielfach ein Bild von Spielräumen der Religionsausübung für die Protestanten zeichneten. Die Grenzen dieser Spielräume wurden je nach Epoche und Protagonisten unterschiedlich weit gezogen. Protestanten konnten eher mit Toleranz rechnen, wenn sie keinen öffentlichen Anstoß (scandalo) erregten und niemanden zu ihrem Glauben bekehren wollten.

Schon beinahe wohlgelitten waren vor allem protestantische Reisende aus vermögenden Schichten, die nicht dauerhaft in Italien blieben. WOLFGANG FRÜHWALD (München/Augsburg) konnte dies gleich in dem Eröffnungsvortrag herausarbeiten, in dem er die Italienreisen der Mitglieder der Familie Goethe in drei Generationen beschrieb und sie mit der Reise Herders kontrastierte. Vor allem Johann Caspar Goethe habe sich in Italien ostentativ zum Protestantismus bekennen können.

Auch im weiteren Tagungsprogramm nahmen Eliten, die sich nur temporär in Italien aufhielten, breiten Raum ein. So wurde Leibniz’ Italienreise von STEPHAN WALDHOFF (Potsdam) beschrieben. Den Lebensweg der vielen in Italien ausgebildeten deutschen Musiker zeichnete MARTIN KRUMBIEGEL (Leipzig) nach. SVEN EXTERNBRINK (Marburg) wandte sich protestantischen Diplomaten in Italien zu. Das geistige Umfeld der Medizinstudenten in Padua wurde von SILVIA FERRETTO (Padua) vorgestellt.

Mit diesem Umfeld gerieten auch die dauerhaft in Venetien ansässigen Protestanten in den Blick. Deren schwierige Situation im 16. Jahrhundert verdeutlichte SILVANA MENCHI (Pisa). Sie versuchte anhand von Inquisitionsakten die Ausbreitung der protestantischen Lehre in zeitliche Abschnitte zu unterteilen. Darüber hinaus konnte sie auch erste Ergebnisse ihrer neueren Forschungen anhand von Testamenten vorstellen. Sie untersuchte Testamente protestantischer Erblasser, die man an dem Fehlen der sonst üblichen Anrufung der Heiligen sowie an dem Fehlen von Bestimmungen zur Beerdigung und von Legaten für die eigene Seele erkennen könne. Diese Testamente seien besonders interessant, da sie Rückschlüsse auf die Protestanten zuließen, die von der Inquisition unbehelligt geblieben seien. Eine gewisse Anzahl von Notaren, die häufig „protestantische“ Testamente erstellten, sei zudem untereinander in Kontakt gestanden.

Dieses Bild aus der Republik Venedig ergänzte STEPHAN OSWALD (Parma), indem er von der protestantischen Gemeinde deutscher Kaufleute in der Stadt Venedig sprach. Da die deutschen Kaufleute durch den Fondaco dei Tedeschi in Venedig an einem Ort konzentriert gewesen seien, sei es ihnen dort auch unter strengen Auflagen erlaubt gewesen, ungestört den Gottesdienst zu feiern. Der Preis dafür sei aber gewesen, dass die Gemeinde sich nach außen hin abschotten und für die Aufnahme neuer Mitglieder strenge Regeln aufstellen musste.

Da die Obrigkeiten vor allem eine Ausbreitung des Protestantismus verhindern wollten, wurden auch Ehen zwischen Katholiken und Protestanten streng reguliert. CECILIA CRISTELLON (Rom) stellte in ihrem Referat dar, wie im 18. Jahrhundert zwei Bedingungen aufgestellt wurden, unter denen eine Mischehe in Venedig möglich gewesen sei. Wie aus den kirchlichen Dispensakten hervorgehe, mussten einerseits die Kinder katholisch erzogen werden. Andererseits sei der protestantische Ehepartner dazu verpflichtet worden, den katholischen nicht zum Glaubensübertritt zu bewegen.

Neben dem Kampf gegen die Ausbreitung des Protestantismus gab es in Rom und Venedig aber auch eine aktive Konversionspolitik der katholischen Kirche. Diese stellte RICARDA MATHEUS (Rom) in einem vergleichenden Vortrag dar. In beiden Städten sei es bei der Konversion nicht nur um ein Lippenbekenntnis gegangen. Vielmehr sei auch eine zumindest rudimentäre Einweisung in die katholischen Lehren im Rahmen eines Katechumenenunterrichts erfolgt. Während Rom als Ort hoher Symbolkraft auch gezielt zum Zweck der Konversion aufgesucht worden sei, sei dies in Venedig kaum der Fall gewesen. Dies erkläre eine früher einsetzende Institutionalisierung der Konversionspraxis in Rom, von der man in Venedig womöglich inspiriert worden sei.

Ein prominentes Beispiel für eine Konversion stellt der Archäologe Johann Joachim Winckelmann dar, dem der Vortrag von ADOLF BORBEIN (Berlin) gewidmet war. Habe Goethe dessen Konversion noch mit seinem angeblichen „Heidentum“ zu erklären versucht, so habe die moderne Forschung die bei Winckelmann bezeugten Gewissensbisse herausgearbeitet. Trotz seiner zumindest äußerlichen Anpassung an den Katholizismus sei es Winckelmann aber nicht mehr vergönnt gewesen, zu Lebzeiten die zentrale Rolle in der italienischen Archäologie einzunehmen, die ihm später zuteil wurde.

Während Winckelmann auf Dauer in Italien blieb, war das Land für viele andere Deutsche nur das Ziel einer Bildungsreise. MICHAEL MAURER (Jena) stellte eine Analyse dieser Reiseberichte vor. Häufig hätten sie das Überlegenheitsgefühl der Protestanten widergespiegelt. Italien sei dabei zu einem Hintergrundbild geworden, vor dem die Protestanten ihr aufklärerisches Gedankengut hätten ausbreiten können.

Diese Beobachtung zeigt schlaglichtartig die Bedeutung der Tagung auf. Das Bild eines rückständigen, wundergläubigen und korrupten Italiens ist auch bei heutigen Italienreisenden nicht selten anzutreffen. Auch wenn der Konfession dabei inzwischen nicht mehr die gleiche Stellung zukommt, lassen sich hier dennoch interessante Entwicklungslinien zwischen konfessionellen und nationalen Stereotypen diskutieren. Dass nationale Vorstellungen konfessionelle ablösen sollten, konnte in der Tagung nur kurz angedeutet werden. Doch entspricht dieser Umbesetzung eine Beobachtung, die WOLFGANG KROGEL (Berlin) in seinem Referat zum Cimitero Acattolico in Rom gemacht hat. Sei die Frage des Bestehens dieses Friedhofes zunächst eine Frage der religiösen Toleranz gewesen, so sei später von den Befürwortern des Friedhofs stattdessen mit dem Respekt vor der nationalen Identität der Beigesetzten argumentiert worden.

Insgesamt ist es auf der Tagung durch ein Kaleidoskop von Einzelstudien gelungen, das Bild von Italien als einem katholischen Monolithen zu revidieren. Die Chromatik der Bilder aus Rom und Venedig wurde ferner durch einen Blick auf die Lage der Protestanten in Livorno und ihre Beziehungen zu England und den Niederlanden bereichert, auf die die Referate von STEFANO VILLANI (Pisa) und MARGRIT SCHULTE BEERBÜHL (Düsseldorf) ein Licht warfen. Es ist zu hoffen, dass der Tagungsband, der 2011 erscheinen soll, diese Vielfalt wiedergeben wird.

Konferenzübersicht:

Festvortrag

Wolfgang Frühwald (München/Augsburg)
„Diese Biber-Republik“. Venedig 1740 bis 1830 in Berichten der Familie Goethe

Aktion und Reaktion

Silvana Menchi (Pisa)
Häretiker im Italien des 16. Jahrhunderts

Künstler und Wissenschaftler

Martin Krumbiegel (Leipzig)
Vom Ponte di Rialto zum sächsischen Hofkapellmeister, oder: „inter nos, er machte es anders als der ehrliche Veit“. Protestantische Musiker zwischen Venedig und Rom

Adolf H. Borbein (Berlin)
Johann Joachim Winckelmann in Rom

Protestanten in urbanen Zentren

Wolfgang Krogel (Berlin)
Der Cimitero Acattolico in Rom

Stephan Oswald (Parma)
Die deutsche protestantische Gemeinde in der Republik Venedig

Stefano Villani (Pisa)
Protestanti a Livorno in età moderna

Zwischenräume

Silvia Ferretto (Padua)
Studenti tedeschi ed ambienti eterodossi italiani. Riflessione teologica e congettura filosofica tra Bologna e Padova

Cecilia Cristellon (Rom)
Sposare (o non sposare) „l’eretico“. Matrimoni misti e politica del Santo Uffizio: Venezia nel contesto europeo

Ricarda Matheus (Rom)
Als Protestant gekommen, als Katholik gegangen. Konfessionelle Grenzgänger in Venedig und Rom

Händler und Diplomaten

Margrit Schulte Beerbühl (Düsseldorf)
Zwischen England und Italien: Protestantische Handels- und Familiennetze deutsch-britischer Kaufleute im 18. Jahrhundert

Sven Externbrink (Marburg)
Protestantische Diplomaten in Italien

Reisende

Michael Maurer (Jena)
Protestanten auf der Grand Tour in Italien

Stephan Waldhoff (Potsdam)
Gottfried Wilhelm Leibniz’ große Italienreise (1689-90)


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Deutsch, Italienisch
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