Polnischer Unabhängigkeits-Untergrund und die nationalen Minderheiten 1939-1956

Polnischer Unabhängigkeits-Untergrund und die nationalen Minderheiten 1939-1956

Organisatoren
Universität Oppeln; Institut des Nationalen Gedenkens Breslau; Stadtverwaltung und Stadtbücherei Oppeln
Ort
Opole/Oppeln
Land
Poland
Vom - Bis
02.06.2009 -
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Von
Roman Smolorz, Osteuropa-Institut Regensburg

Ziele der Konferenz sollten die Schaffung einer Plattform für den universitären Fachaustausch einerseits, andererseits die Setzung gesellschaftspolitischer Akzente in einer Gegend sein, „in der es schlecht um Denkmäler jüngster polnischer Nationalgeschichte bestellt ist“, so der Bürgermeister der Stadt Oppeln beim Mittagsempfang. Dies ist vielleicht der Grund dafür, warum kaum das Verhältnis des polnischen politisch-militärischen Untergrunds zur deutschen Minderheit im Polen der Kriegszeit erörtert wurde, was im Publikum in der Diskussion sofort bemerkt, von den Veranstaltern damit beantwortet wurde, dieses Thema bedürfte einer eigenen Tagung.

EUGENIUSZ MIRONOWICZ (Universität Białystok) referierte über den „Unabhängigkeits-Untergrund in der Region Białystok gegenüber der weißrussischen Bevölkerung 1944-1947“, insbesondere aus deren Perspektive. Mironowicz konstatierte für die Zwischenkriegszeit ein mangelndes Interesse der weißrussischen Minderheit an Polen und nannte auch die Gründe dafür, die wesentlich in der staatlichen Minderheitenpolitik und deren Umsetzung lägen. In der Kriegszeit stellte die besprochene Gegend ein Partisanengebiet dar. Dabei habe die Bevölkerung nur mit Mühe unterscheiden können, wann sie mit polnischem Unabhängigkeits-Untergrund und wann mit Kriminellen zu tun hatte. Eindeutige Verbrechen, z. B. der Nationalen Militärvereinigung (Narodowe Zjednoczenie Wojskowe), wurden zu einer belastenden Hypothek in Białyskok bis 1990. Denn nach 1945 hatte ein merkwürdiger Konsens bestanden: Einerseits wollte die UdSSR alle in Polen verbliebenen Weißrussen repatriieren, andererseits war gerade der antikommunistische Unabhängigkeits-Untergrund bemüht, diese Emigration zu fördern. Dieser war gleichwohl in dieser Politik ambivalent, weil er beispielsweise zu Immigrationswerbern aus der weißrussichen SSR wie auf die Agenten des NKWD schoss und deren Bemühungen hiermit vereitelte. Im Vergleich zum ukrainischen „Minderheitenproblem“ kennzeichnete das weißrussische insgesamt eher ein gegenseitiges Misstrauen als eine eindeutige Feindschaft.

JERZY KUŁAK (Historiker, Warschau) erörterte das Thema „Weißrussische Minderheit der Woiwodschaft Białystok gegenüber der Okkupationsmacht: PKWN 1 und Provisorische Regierung 2 1939-1945“. Er verwies auf den sozialen Status der weißrussischen Minderheit in den 1930er-Jahren als die ärmste Minorität Polens, was dazu geführt habe, dass deren nationales Bewusstsein sich allgemein schwach ausprägte. Nach dem Einmarsch der Deutschen 1941 seien die vorher von Kommunisten angeworbenen Weißrussen, also zwischen 1939-41, verfolgt, und zum Teil die polnische Verwaltung wieder eingesetzt worden, wenn auch nur für kurze Zeit. Die Stellung zwischen der UdSSR einerseits und Vorkriegspolen sowie 1939-45 dem Untergrundspolen und dem „Dritten Reich“ andererseits habe die Weißrussen selbst polarisiert. Deren westeuropäische Emigration konstituierte sich in Berlin während des Zweiten Weltkriegs. Im Nachkriegspolen habe man von russisch-orthodoxen Polen gesprochen, in Wirklichkeit seien die weißrussische Kirche polnischer Orthodoxie unterstellt und die Gegner einer solchen kirchenrechtlichen Lösung verhaftet und in die UdSSR ausgewiesen worden. Der immerwährende Vorwurf, die „polnischen Weißrussen“ seien allesamt Kommunisten, der Meinung Kułaks nach, für die Zwischenkriegszeit absolut nicht haltbar – gewann nach 1945 tatsächlich an Belegen, denn erst im kommunistischen Polen, das Minderheiten als gesellschaftliche Kategorie zugunsten Proletariern und kapitalistischen Ausbeutern verneinte, war es den Weißrussen erst möglich, sozialen Aufstieg zu erlangen, ein Wunsch, der bis 1939 unerfüllbar gewesen war.

GRZEGORZ MOTYKA (Polnische Akademie der Wissenschaften Warschau) widmete sich dem Thema „Polnischer Untergrund gegenüber den Ukrainern 1939-1945“ und stellte im ersten Satz fest, dass im Osten des Vorkriegspolens die deklarierte ukrainische Minorität eigentlich eine Majorität dargestellt habe. Die Polarisierung unter den polnischen Staatsbürgern auf Ukrainer und Polen habe in der Kriegszeit noch an Kraft gewonnen: So sei ein Ukrainer, der für den deutschen Okkupanten arbeitete, auf der Stelle zum Staatsfeind und Verräter worden, ein Pole in der sogenannten marineblauen Polizei, also einer kollaborierenden Polizei, erst dann zu einem solchen, wenn er nach Ansicht des Untergrund-Militärgerichts zu eifrig den Deutschen zuarbeitete. Insbesondere die Heimatarmee (Armia Krajowa, AK) habe für einen polnischen Staat der Nationalpolen gestanden und militärische Pläne nicht nur gegen die Deutschen und die UdSSR, sondern auch gegen die Ukrainer entworfen. Obwohl die Exilregierung 1943 ein neues progressives politisches Programm zugunsten der „polnischen Ukrainer“ entwarf und über den Untergrund in der Heimat verlautbaren ließ, habe gerade dieser die Gefolgschaft verweigert. Es wurde ein eigenes, freilich in den Aussagen rückständig gewandtes Programm veröffentlicht. Erst die Besetzung der gesamten Ukraine und zunehmend Polens durch die Rote Armee habe eine neue Basis geschaffen: Von nun an seien von Seiten des NKWD die Soldaten der Ukrajinska Powstanska Armija (UPA), der AK mit den der Waffen-SS gleichgestellt worden. Damit habe sich eine neue Front aufgetan, eine Chance auf Konsens, was allerdings nur in der Lubliner Gegend gute Früchte getragen habe, hingegen um Rzeszów nie in die Tat umgesetzt worden sei.

AUGUST GRABSKI (Jüdisches Historisches Institut Warschau) hielt das im Nachhinein meist diskutierte Referat zum „Verhältnis des polnischen Untergrundstaates und des antikommunistischen Untergrunds zur jüdischen Minderheit 1914-1947“. Er erklärte zunächst die Machtverhältnisse des polnischen Parteigefüges um das Jahr 1939, in welchem die Nationale Partei (Stronictwo Narodowe=SN) die stärkste war, und die Linke (Lewica) die schwächste. Gerade die SN trat mit Lehrsätzen auf, „die Deutschen täten das, was wir nie machten“, man müsse die „Staatsfeinde von den Minderheiten aus dem Lande vertreiben“; und gemeint waren besonders die Juden. Der Getto-Aufstand habe nichts in der Einstellung jener Vertreter der nationalen Ideologie außer in der Rhetorik geändert: Man sprach von nun an über Mitbürger, und doch zugleich davon, dass diejenigen, die überlebten, Feinde seien und reichen würden, das Schicksal Polens negativ zu beeinflussen. Grabski konstatierte, dass für Juden in Polen Kommunisten tatsächlich die einzige Alternative dargestellt hätten. Juden hätten zudem daran geglaubt, die polnischen Kommunisten würden liberaler als die in Moskau sein. Grabski warf dem Institut des Nationalen Gedenkens vor, Antikommunisten und Juden aus dem nationalen Verband ausschließen zu wollen, als seien diese keine Polen gewesen; es gebe aber in der Historiographie, stellte er weiter fest, keine Regeln und Muster, so dass politische Optionen dazu führten, aus einer Nation ausgeschlossen zu werden.

In der anschließenden Diskussion wurde Grabski fehlende Differenzierung und Pauschalisierung vonseiten zahlreicher Referenten und des Bürgermeisters Arkadiusz Karbowiak vorgeworfen, als seien für Juden nach 1945 Kommunisten stets gut, die nationalen Kräfte lediglich schlecht gewesen. Schließlich, so die Argumente von Musiał, sei der Antisemitismus 1968 nicht von nationalen Kräften, sondern von Kommunisten ausgegangen. Zudem stießen Quellen des Referenten auf Protest, da sie zwar amerikanischer Provenienz waren, entstanden waren sie aber anhand von Schauprozessen der unmittelbaren Nachkriegszeit im kommunistischen Polen.

PIOTR NIWIŃSKI (Universität Danzig) sprach über den „Polnische(n)r Untergrund im Vilna-Gebiet gegenüber der litauischen Verwaltung, der Staatssicherheit sowie der Litauisierung während des Zweiten Weltkrieges“. Zunächst ging er auf den September 1939 ein, als sich Litauen der sowjetisch-deutschen Besatzungspolitik nicht anschloss. Doch bereits im Oktober wurde der polnische Teil Litauens doch annektiert. Niwiński unterscheidet drei Phasen dieser Besatzung: die erste vom Oktober 1939 bis Juni 1940, in der die Litauisierung zur Depolonisierung wurde und zugleich sich der polnische Untergrund konstituierte; die zweite Phase von 1941 bis 1943, während deren die Litauer auf die Deutschen setzten und der polnische Untergrund einen neuen Okkupanten bekam und schließlich die dritte Phase, 1943 bis 1944 als es zu polnisch-weißrussischen Koalitionen im Kampf gegen die Litauer und die Deutschen kam. Jegliche Kooperation zwischen dem polnischen Untergrundstaat und dem litauischen Untergrund 1944 zunehmend im Kampf gegen die UdSSR sei stets an der Frage Vilnas gescheitert.

BOGDAN MUSIAŁ (Institut des Nationalen Gedenkens Warschau) referierte zur „Genese des polnisch-sowjetischen Partisanenkriegs und der polnisch-deutschen ‚Allianz’ im östlichen Polen 1943-44“. Der Kampf des polnischen Untergrunds gegen die UdSSR sei, gerade im Einvernehmen mit Deutschen (deutsche Waffenlieferungen an die Polen) die Antwort auf sowjetische Gräuel gegen polnische Bürger gewesen, so Musiał. Nachdem jedoch die Deutschen zunehmend die Weißrussen als „Verbündete“ bevorzugten, sei man letztlich durchaus bereit gewesen, den Kampf gegen die sowjetischen Partisanen zu durchdenken und gegen die Deutschen zu kämpfen. Stalin jedoch erwog schon in Teheran 1943 die Gleichschaltung des polnischen Untergrundstaates bei den Westalliierten eben mithilfe jenes Arguments durchzusetzen, es seien lediglich Kollaborateure der Deutschen. Parallel dazu ging es Stalin darum, einen kommunistischen polnischen Untergrund aufzustellen. Die Bilanz war, dass die Deutschen vom polnischen Kampf gegen die UdSSR profitierten und Stalin bei den Westalliierten in seiner Propaganda gegen die auf London ausgerichteten Polen brauchbare Argumente gewonnen hätte.

Zuletzt referierte TOMASZ GŁOWIŃSKI (Universität Breslau) von der „Propaganda im Generalgouvernement (1939-1945) als Werkzeug der Nationalpolitik des Okkupanten“. Er konstatierte zwei Phasen in der deutschen Propaganda: zunächst die Zeit bis zum Schock von Stalingrad, in der die Deutschen als ein unbesiegbares Ganzes dargestellt wurden, besonders mithilfe von Europakarten, auf der sich das deutsche Einflussgebiet stets vergrößerte. Seit 1943 sei die Propaganda auf die Beschreibung von Einzelheiten übergegangen; es wurde nicht mehr die erfolgreiche deutsche Wehrmacht gezeigt, vielmehr der siegesreiche Soldat-Einzelkämpfer: So sei die Berichterstattung zwar wahrheitsgetreu geblieben, doch zugleich habe sie die tatsächliche Lage an den Fronten des Zweiten Weltkrieges verzerrt. Polen seien 1939 in der offiziellen Wahrnehmung noch präsent gewesen, man hörte sogar von Hans Frank persönlich, sie seien hier – in Krakau – daheim. Der Arbeitseinsatz für die Deutschen sollte für die Polen jene neue Orientierung sein. Später ab 1940 verweigerte die Propaganda im GG die Existenz eines Polen, duldete jedoch eine undefinierte, gleichwohl nichtdeutsche Gesellschaft: Głowiński spricht von entpolonisierter Propaganda in diesem Zusammenhang. Nach 1943 werden den Polen zum einen die Ukrainer im GG als Vorbild demonstriert, zum anderen bemühte sich die Propaganda, den nationalen Zusammenhalt der Polen aufzuweichen, indem sie die sogenannten Goralen entdeckt und zur selbständigen nichtpolnischen Völkerschaft stilisiert habe. Am Ende des Krieges richtete sich die deutsche Propaganda wesentlich gegen die Juden, wobei die Deutschen als Beschützer Europas vor kommunistisch-jüdischen Kriegstreibern dargestellt wurden. Mit der Ausstellung in Krakau 1944 zum europäischen Judentum stilisierte man einen gesamteuropäischen Antisemitismus als Einheitsfront, wofür zahlreiche westeuropäische kollaborierende Führer nach Krakau einreisten. Den Polen und Ukrainern wurden hingegen Tänze auf dem Markt als Aufgabe oktroyiert; für Głowiński ein eindeutiger Hinweis dafür, dass keine ernsthaften Kollaboranten in dieser Frage zur Verfügung standen.

Die Konferenz machte mit zahlreichen, auch heftig diskutierten Thesen über die Rolle der Polen, Weißrussen und Ukrainer und deren Selbstdefinition im Zweiten Weltkrieg vertraut. Die Geschichte der Juden überwog und wurde argumentativ und sachlich sowie offen und ohne aufgezwungene Tabus erörtert. Zu loben ist auch, dass die Wissenschaftler nicht nur unter sich diskutierten, sondern auch mit dem Publikum. Ob nun die polnische Nationalgeschichte in der Oppelner Gegend präsenter sein wird, wie die Veranstalter es wünschten, bleibt offen. Jedenfalls ist die geschaffene Plattform für universitären Meinungsaustausch als gelungen anzusehen.

Konferenzübersicht:

Eugeniusz Mironowicz (Universität Białystok)
„Unabhängigkeits-Untergrund in der Region Białystok gegenüber der weißrussischen Bevölkerung 1944-1947“

Jerzy Kułak (Historiker, Warschau)
„Weißrussische Minderheit der Woiwodschaft Białystok gegenüber der Okkupationsmacht: PKWN 1 und Provisorische Regierung 2 1939-1945“

Grzegorz Motyka (Polnische Akademie der Wissenschaften Warschau)
„Polnischer Untergrund gegenüber den Ukrainern 1939-1945“

August Grabski (Jüdisches Historisches Institut Warschau)
„Das Verhältnis des polnischen Untergrundstaates und des antikommunistischen Untergrunds zur jüdischen Minderheit 1914-1947“

Piotr Niwiński (Universität Danzig)
„Der Polnische Untergrund im Vilna-Gebiet gegenüber der litauischen Verwaltung, der Staatssicherheit sowie der Litauisierung während des Zweiten Weltkrieges“

Bogdan Musiał (Institut des Nationalen Gedenkens Warschau
„Die Genese des polnisch-sowjetischen Partisanenkriegs und der polnisch-deutschen ‚Allianz’ im östlichen Polen 1943-44“

Tomasz Głowiński (Universität Breslau
„Propaganda im Generalgouvernement (1939-1945) als Werkzeug der Nationalpolitik des Okkupanten“

Anmerkungen:
1 Gemeint ist Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego (PKWN); zu Deutsch „Polnisches Komitee der
Nationalen Befreiung“.
2 Gemeint ist die kommunistische Provisorische Regierung Polens, die am 31.12.1944 in Lublin entstand.


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