Territorialer und innerer Revisionismus. Die Politik der deutschen Verbündeten 1938-1943. Territorial Revisionism and Revisionism Inside. The Politics of the Allies of Germany: 1938-1943

Territorialer und innerer Revisionismus. Die Politik der deutschen Verbündeten 1938-1943. Territorial Revisionism and Revisionism Inside. The Politics of the Allies of Germany: 1938-1943

Organisatoren
Marina Cattaruzza, Historisches Institut, Philosophisch-Historische Fakultät, Universität Bern; Dieter Langewiesche, Eberhard-Karls-Universität Tübingen; Sonderforschungsbereich 437- Kriegserfahrungen - Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit, Universität Tübingen
Ort
Blaubeuren
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.09.2008 - 13.09.2008
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Von
Andrea D´Onofrio, Historisches Institut, Universität Federico II Neapel

Vom 12. bis zum 13. September 2008 fanden sich im Heinrich Fabri Institut in Blaubeuren auf einer internationalen Konferenz deutsche und ausländische Historiker/innen zusammen, um sich mit dem territorialen und inneren Revisionismus der deutschen Bündnispartner in der Zeit 1938-1943 auseinanderzusetzen. Das Thema wurde durch zwölf Vorträge und durch intensive und anregende Diskussionen, die jedes der vier Tagungsteile abschlossen, in deutscher und englischer Sprache, behandelt. Die Tagung ermöglichte einen Gesamtüberblick auf komparativer Ebene über die internen geopolitischen Strategien der verschiedenen Staaten des nationalsozialistischen europäischen Bündnissystems. Gleichzeitig ergab sich die wichtige Gelegenheit, das Verhalten jener Länder gegenüber ihrer Minderheiten historisch einzeln zu bewerten und zu vergleichen.

Nach der Eröffnungseinführung beider Veranstalter, leitete ISTVAN DEAK (Columbia University New York) thematisch und methodologisch, durch anregende sowie kritische Denk- und Diskussionsanstöße, die Tagung ein. Deak hob die Feststellung hervor, wie verwirrend und kompliziert in Wirklichkeit das deutsche Allianznetz gewesen sei, so dass, im Allgemeinen das politische Verhalten jenes Bündnissystems oft nur sehr differenziert und unterschiedlich historisch ausgewertet werden könne. Darüber hinaus stellte Deak die kritische Frage, ob und inwieweit es berechtigt sei, jene Staaten, besonders in Mittel- und Osteuropa, als Satellitenstaaten Hitler-Deutschlands historisch zu betrachten, und ob daher die Verantwortung der Kriegs- und Menschheitsverbrechen, die besonders im Laufe des zweiten Weltkriegs in diesen Ländern begangen wurden, nicht eher den hiesigen Politikern und der hiesigen Bevölkerung selbst zuzurechnen sei. Außerdem sei innerhalb dieses Allianzsystems eine starke Feindlichkeit zwischen einigen Bündnispartnern nachzuweisen, wie zum Beispiel zwischen Rumänien und Ungarn, in der die Wirkung des deutschen Bündnissystems als Pax Germanica oft, wenn überhaupt, nur eine sehr kurze Dauer gehabt hätte. In Anbetracht eines nicht unbedeutenden autonomen politischen Spielraums gegenüber Deutschland hätten die Verbündeten, sowie die meisten Länder Ost- Mitteleuropas, den Krieg als Gelegenheit genutzt, eine Lösung der Minderheitenfrage innerhalb ihrer nationalen Grenzen vorzunehmen.

Hauptziel der meisten in der ersten Sektion vorgetragenen Beiträge war es, die unterschiedlichen Gründe darzustellen und zu analysieren, die die einzelnen Länder zum Bündnispakt mit Hitlerdeutschland geführt hatten, und welche effektive Folgen dieses Bündnis, in Anbetracht auch des Ausbruchs des Krieges und des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion, letztendlich auf internationaler und internpolitischer Ebene hatte. In dieser Hinsicht sollte nicht selten in den Vorträgen und in der Diskussion die schon von Deak angedeutete wichtige Frage des Autonomiegrads gegenüber Deutschland in der politischen Entscheidung der verschiedenen verbündeten Staaten thematisiert und kritisch untersucht werden.

Die Deutung Ungarns als ein durch Deutschland unterworfenen Vasallenstaat (im osteuropäischen Sinne des Wortes) wurde durch PAL PRITZ (Hungarian Academy of Sciences Budapest), wenigstens für die Zeit bis zur deutschen Besetzung 1944 deutlich abgelehnt, da es Ungarn gelungen sei, durch die Bindung an Hitlerdeutschland seine territorialen revisionistischen Ziele zu erreichen, ohne die Gedankenwelt des Nationalsozialismus zu teilen. Aus einer solchen Perspektive sei unter anderem die Tatsache zu erklären, dass bis März 1944, trotz deutscher Mahnungen, 800.000 Staatsbürger jüdischer Abstammung in Ungarn weiterleben konnten. Welche wichtige Rolle die Allianz mit Deutschland für die Erfüllung nationalistischer Bestrebungen der verschiedenen Bündnispartner gespielt habe, wurde unter anderem von zwei unterschiedlichen geschichtlichen Voraussetzungen ausgehend für Italien durch PIER GIORGIO ZUNINO (Universität Turin) und für Finnland durch KALERVO HOVI (Universität Turku) betont. Die zunehmende Belastung der italienisch-französischen Beziehungen durch nationalistische Erwägungen - wie durch den nach dem Ersten Weltkrieg in Italien entstandenen Mythos des verstümmelten Sieges“ (vittoria mutilata) - sowie die zunehmende Unvereinbarkeit zwischen Mussolinis hegemonialen Bestrebungen im Mittelmeerraum und der außenpolitischen Strategie Englands und Frankreichs wurden von Zunino als einige Hauptfaktoren der in dieser Hinsicht „fast unvermeidbaren“ Entstehung der Achse Rom-Berlin erkannt. Wiederum seien für Finnland, laut Hovi, die Gewährung der nationalen Sicherheit sowie die Rückeroberung der durch den „Winterkrieg“ verlorenen Gebiete die Hauptgründe für die Ende 1940 finnisch-deutsche militärische Kooperation gewesen, die später zur finnischen Beteiligung am deutschen Krieg gegen die Sowjetunion geführt hatte. Es wurde aber gleichzeitig die Sonderstellung Finnlands innerhalb des deutschen Bündnisnetzes hervorgehoben, da man daran erinnerte, dass die finnische Regierung nie einen offiziellen Bündnispakt mit Hitler unterzeichnet habe und darüber hinaus in diesen Jahren nie eine antijüdische Politik betrieben habe, und dass es dagegen Finnland gelungen sei, seine jüdische Bevölkerung zu schützen.

Es kam oft durch die verschiedenen Vorträge direkt oder indirekt zum Vorschein, wie wichtig die von der Tagung behandelten Themen für die Verarbeitung einer nationalen geschichtlichen Erinnerungskultur sind. Wie keineswegs eindeutig, stattdessen eher ambivalent und oft propagandistisch, besonders für einige osteuropäischen Länder, der Umgang mit ihrer nationalen Geschichte der Zwischenkriegszeit und des Zweiten Weltkriegs ist, wurde zum Beispiel durch MARIANA HAUSLEITNER (Ludwig-Maximilians-Universität München) verdeutlicht. Ab 1990 habe in Rumänien eine Fülle von Veröffentlichungen den Ostfeldzug 1941 als antibolschewistischen Kampf glorifiziert und 2006/2007 haben Bukarester Gerichte die Aufgabe bekommen, im Zuge von Restitutionsansprüchen zu klären, ob es sich für Rumänien um einen Angriffs- oder Verteidigungskrieg gegen Russland gehandelt habe. Gerade am Beispiel Rumäniens, das im Mittelpunkt von drei Vorträgen stand, wurde das Zusammenspiel von defensiven und offensiven Bestrebungen in der revisionistischen Politik sowie ihre Nachwirkung auf die Minderheitenpolitik innerhalb des deutschen Allianznetzes erörtert.

DENNIS DELETANT (University College London) hob vor allem die zwiespältige Figur und Haltung von Ion Antonescu hervor, der ohne Weiteres eines kriminellen Verhaltens bezichtigt werden könne, da unter seiner Herrschaft 300.000 Juden zusammen mit Roma, besonders aus den neu annektierten Gebieten Großrumäniens, wie Bukowina und Bessarabien, in die Todeslager Transnistriens verschleppt worden seien, wo sie bis zu 70 Prozent ums Leben gekommen seien; Deletant erinnerte aber auch daran, dass gleichzeitig sich Antonescu geweigert habe, rumänische Juden in die nationalsozialistischen Vernichtungslager zu schicken und es so 375.000 rumänischen Juden gelungen sei, in den „älteren“ Kernteilen des Landes, wie Walachei, Moldau und Südtranssilvanien zu überleben.

Den Zusammenhang zwischen den territorialen Gewinnen und Verlusten Rumäniens nach dem Ersten Weltkrieg und die rumänische Politik gegenüber den Minderheiten (Ungarn, Ukrainer, Russen, Juden, Roma, Deutsche) - ungefähr ein Drittel der Bevölkerung - betonte HILDRUN GLASS (Ludwig-Maximilians-Universität München), wie schon Hausleitner, in ihrem Vortrag. Die ab 1939 durch die Gebietsabtretungen erfolgte Flüchtlingsfrage sei, so Hausleitner, von den rumänischen Machthabern als Grund für die Vertreibung der Juden gerechtfertigt worden. In der Suche nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten in Rumäniens Behandlung der Minderheitenfrage, von den parlamentarisch legitimierten Regierungen bis zu den 1938 beginnenden drei Rechtsdiktaturen, stellte Glass eine einheitliche nationalistische Grundauffassung und Zielstellung eines ethnisch homogenen Nationalstaats fest; Unterschiede könne man vielmehr nur in den dabei angewandten Methoden feststellen. Während Rumäniens nationalistische Assimilisierungspolitik sich letztendlich aber, laut Glass, als besonders unwirksam bewiesen hätte, sollte das Bündnis zu Deutschland sowie die geänderte internationale Mächtekonstellation nach dem Ausbruch des Krieges einen neuen Rahmen für die rumänische Volkstumspolitik schaffen, innerhalb dessen eine Radikalisierung im Umgang mit den Minderheiten habe stattfinden können: vor allem in der Form einer immer stärkeren ethnischen Hierarchisierung und ethnischen Säuberung, insbesondere gegen jene Volksgruppen, die kein „Mutterland“ unter den angrenzenden Staaten aufweisen konnten, wie die Juden und die Roma. Mehrmals wurde darauf hingewiesen, wie wichtig für ein tieferes Verständnis der Volkstumspolitik Rumäniens der 1930er- und 1940er-Jahre eine weitere Erforschung der Bestände der erst seit Ende des Kommunismus eröffneten rumänischen Archive sei.

Die Minderheitenfrage innerhalb der Gebiete des deutschen Bündnisnetzes stand ganz spezifisch im Mittelpunkt des zweiten Tagungstages. Es wurden sowohl konkrete Beispiele, wie Westthrakien, der kroatische Ustasha-Staat, einige von Deutschland besetzten Gebiete Polens untersucht, als auch bestimmte methodische und hermeneutische Deutungsansätze behandelt. NORBERT SPANNENBERGER (Universität Leipzig) plädierte für eine breitere und tiefere Grundlagenforschung in der Untersuchung des Minderheitenthemas für die von der Tagung behandelten Jahre, um nicht in ein allzu oft angewandtes einseitiges „Opfer-Täter-Paradigma“ zu verfallen. Spannenberger berücksichtigte in seiner Erforschung der deutschen Volksgruppen in Rumänien, Jugoslawien und Ungarn eine differenziertere Perspektive, die das unterschiedliche Politikverständnis der jeweiligen Heimatländer gegenüber der Minderheitenfrage, die oft nicht einheitliche Entwicklung der nationalsozialistischen Deutschtumspolitik und nicht zuletzt die Selbstauffassung der verschiedenen volksdeutschen Gruppen im Verhältnis zu ihren Heimatländern und zum Dritten Reich mit einbezog. Auf diese Weise sei es möglich, die verschiedenen Varianten und Dynamiken in den Verhaltensstrategien der einzelnen Akteure deutlich zu machen. Je nach Land und je nach geschichtlichem Zeitpunkt hätten die deutschen Minderheiten eine mehr oder minder bedeutende Rolle für die revisionistischen oder antirevisionistischen Absichten der einzelnen Regierungen gespielt. Doch sei mit der Kriegsplanung, der Bildung des deutschen Bündnisnetzes und zuletzt mit dem Ausbruch des Krieges deutlich geworden, wie der Spielraum für autonome Handlungsvarianten dem Dritten Reich gegenüber immer enger geworden sei, um letztlich ganz zu verschwinden. Die SS, die de facto die „Betreung“ der Volksdeutschen in hohem Maße kontrollieren konnte, sei vor allem an eine totale Mobilisierung der deutschen Volksgruppen im Sinne der Kriegsführung interessiert gewesen und gleichzeitig hätten die „Heim ins Reich“-Aktionen „wie ein Damoklesschwert“ über den Volksdeutschen geschwebt.

Wie wiederum unklare nationale ethnische Identitäten einiger osteuropäischen Territorien zu dieser Zeit eine bedeutende Rolle in oft brutalen interethnischen zivilkriegsartigen Kämpfen spielen konnten, wurde von FRANK GOLCZEWSKI (Universität Hamburg) in seinem Vortrag über die Gegeneinandersetzung zwischen Polen und Ukrainern in den von Deutschland besetzten Gebieten hervorgehoben. Die nationale Zugehörigkeit hätte sich in diesen besetzten Regionen oft als ein erst spätes Konstrukt gebildet. Während die Sowjetunion ihrerseits den ukrainischen und weißrussischen Nationalismus instrumentalisiert habe, indem sie die Besetzung Ostpolens mit der angeblichen Absicht rechtfertigte, die Bildung des Nationalstaats der Ukrainer und der Weißrussen vollenden zu wollen, sei im Westen die ukrainische Nationalität, bis heute noch eine problematische Kategorie geblieben. Die ukrainischen Nationalisten hätten ihrerseits in der Unterstützung Deutschlands den einzigen Weg erblickt, ihre nationalen Forderungen durchzusetzen und daher immer wieder versucht, sich an Hitler-Deutschland zu binden, obwohl die Deutschen sie oft „betrogen“ hätten, wie zum Beispiel im Falle der Absonderung Ostgaliziens an das Generalgouvernement, womit jedes Bemühen um die Bildung eines ukrainischen Nationalstaats praktisch verhindert worden sei. Wiederum erinnerte Golczewski daran, dass die Deutschen oft den Zivilkrieg, der ab 1942 zwischen polnischen und ukrainischen Widerstandsgruppen ausbrach, zu ihren Gunsten, teilweise gegen die russischen Sieger, auszunutzen versuchten, obwohl man behaupten könne, dass die hier stattgefundenen interethnischen Kämpfe nur in einem indirekten Bezug zum deutsch-sowjetischen Krieg gestanden hätten.

Zwei unterschiedliche Fälle von Minderheitenpolitik wurden in den Vorträgen von IVO GOLDSTEIN (Universität Zagreb) und GEORGIOS NIARCHOS (London School of Economics and Political Science London) untersucht. Goldstein hob die extrem brutale antisemitische und rassistische Politik des Kroatischen Ustasha-Staates hervor, durch die 80 Prozent der jüdischen Bevölkerung samt ungefähr 15.000 Zigeunern vernichtet wurden. Während die Ustasha teilweise das nationalsozialistische rassistische und antisemitische Gesetzsystem direkt übernommen hätten, hätten sie gleichzeitig, so Goldstein, in einigen Fällen in der praktischen Ausführung jener Maßnahmen ihre deutschen Verbündeten übertroffen. Trotz fehlendem schriftlich festgesetztem Verfolgungsplan, habe man die Absicht gehabt, ein Drittel der ungefähr 2 Millionen hier lebenden Serben zu ermorden, ein weiteres Drittel von ihnen nach Serbien zu vertreiben und das restliche Drittel zum Katholizismus zu bekehren. Besonders grausam sei man gegen kommunistische und antifaschistische Gegner vorgegangen, und später gegen all diejenigen, die in den kroatischen Dörfern die Partisanen unterstützt hatten. In seiner Behandlung des Schicksals der muslimischen Minderheit während des Zweiten Weltkriegs in dem von Bulgarien besetzten Westthrakien betonte Niarchos die unterschiedliche Haltung der Besatzer gegenüber den ethnischen Griechen einerseits und den Moslems andererseits. Letztere seien nicht von den Bulgaren als Gefahr angesehen worden und daher nicht in dem Maße wie die „Volksgriechen“ von der Bulgarisierungspolitik betroffen gewesen. Die in Westthrakien zurückgebliebenen Moslems seien ihrerseits, laut Niarchos, eher einer pazifistischen Überlebensstrategie gefolgt, was letztendlich ein gegenseitiges Misstrauen zwischen griechischem Widerstand und muslimischer Minderheit verursacht hätte.

In den verschiedenen Vorträgen und in der Diskussion dieser Tagung wurde man oft mit der Feststellung konfrontiert, dass die Minderheiten- und Judenverfolgung der deutschen Bündnispartner in den von Deutschland und seinen Verbündeten neu annektierten Gebieten begonnen habe und dass, im Allgemeinen, gerade die dort ansässigen oder dorthin verschleppten Juden dem mörderischen Antisemitismus als erste zum Opfer gefallen seien. CHRISTIAN GERLACH (Universität Bern) nahm sich in seinem Vortrag vor, einen historisch plausiblen Deutungsvorschlag zu diesem wichtigen Problem vorzulegen. Die Gründe der Verbindung zwischen den territorialen Annexionen und der Judenverfolgung in den Gebieten des deutschen Bündnissystems seien, schwer unter einen einzigen Nenner zu bringen. Vielmehr sei die Erklärung in einer Verflechtung unterschiedlicher Motivationen zu finden, die ideologische, nationalistische, rassistische, wirtschaftliche, politische und opportunistische Wurzeln hatten. Gerlach erklärte das in diesen Regionen gewaltsame Vorgehen gegenüber nationalen, ethnischen und religiösen Minderheiten durch die Kategorie der _extremly violent societies:. Mit einem komparativen Blick auch auf die sowjetische Annexionspolitik in Osteuropa, wurde bemerkt, dass die Absicht der neuen Besatzerländer, die intellektuelle, sowie die wirtschaftliche und politische Führungselite in den neu besetzten Gebieten auszuwechseln und eine neue Verwaltungsschicht zu bilden, dazu geführt habe, Minderheitenangehörige und gerade Juden, die oft eine führende Rolle in den alten Führungseliten besessen hätten, „notwendigerweise“ als politisch gefährlich und als besonders unzuverlässig zu betrachten. Aus einer solchen Perspektive hätten sich die Regierungen und die Gesellschaften der Heimatländer gerechtfertigt gefühlt, eine gewaltsame Strategie diesen Minderheiten gegenüber auszuüben. Neben diesen „offiziellen“ nationalistischen Gründen der Minderheiten- und Judenverfolgung erblickte Gerlach andere wichtige Faktoren, wie zum Beispiel die weit verbreitete Korruption der aus dem Heimatland stammenden neuen Verwaltungsschichten. Nicht zuletzt habe die wirtschaftliche Enteignung der Minderheiten und vor allem der Juden eine wichtige Rolle für die kostspielige Nationalisierungspolitik der jeweiligen Länder – in der Form der Romanisierung, Germanisierung, Bulgarisierung, Magiarisierung der neu erworbenen oder eroberten Gebiete – gespielt. Man könne außerdem feststellen, dass oft Minderheiten verfolgt worden seien, die schon mehrfach im Laufe der letzten Jahrzehnte umgesiedelt worden sind. Auf diese Weise sei eine Hierarchisierung der Minderheiten nach ihrer vermutlichen Gefährlichkeit entstanden, in dem die Juden ohne weiteres an erster Stelle gestanden hätten und daher gerade dazu bestimmt zu sein schienen, in diesen Territorien Opfer der Ausschreitungen jener „extrem gewaltsamen Gesellschaften“ zu werden.

In der Abschlussdiskussion wurden die Erträge der Tagung durch die Veranstalter Cattaruzza und Langewiesche zusammengefasst und so entstand noch einmal die Möglichkeit, sich mit einigen wichtigen Problemstellungen und Forschungsergebnissen auseinanderzusetzen. So wurde auf die Vielfältigkeit der innerhalb des deutschen Bündnissystems beschriebenen Situationen hingewiesen, in der nicht selten eine Kluft zwischen theoretischer Absicht und praktischer Ausführung in den verschiedenen revisionistischen Plänen sowie in den volkstumspolitischen Zielen zum Vorschein gekommen sei. Die Gründe dafür seien vor allem in einer oft unterschiedlichen „Zentrum-Peripherie“-Einschätzung im Verhältnis zwischen Deutschland und seinen Verbündeten zu sehen. Das Dritte Reich habe sich vor allem als „Zentrum“ einer imperialistischen Eroberungsstrategie empfunden. Dagegen fühlten sich viele der Ost- und Südosteuropäischen Länder erst gerade durch ihre Allianz mit Hitler-Deutschland dazu berechtigt, sich selber als „Zentrum“ wahrzunehmen, um ihrerseits eine Revision ihrer Grenzen und/oder eine Nationalisierungspolitik gegen die auf ihrem Boden lebenden Minderheiten vorzunehmen. Mit Blick auf diesen letzteren Aspekt, wurde wiederum nicht selten das Scheitern von ethnischen Homogenisierungsbestrebungen, besonders in den neu annektierten Gebieten betont, wie im Falle der fehlgeschlagenen Eindeutschung der Warthelandbevölkerung. Es sei außerdem in den einzelnen Ländern oft zu einer Hierarchisierung nicht nur der verschiedenen nationalen Minderheiten, sondern auch der annektierbaren oder der schon neu eroberten Territorien gekommen, wie die unterschiedliche Politik gegenüber Transnistrien im Gegensatz zu Wolhynien oder Bessarabien verdeutlicht hätte. In diesem Sinne wurde die Frage gestellt, ob in der Behandlung des Tagungsthemas nicht auch die Anwendung von Kategorien aus anderen historiographischen Bereichen nützlich gewesen wäre, wie zum Beispiel die von der Kolonialgeschichte stammende Unterscheidung zwischen Herrschafts- und Siedlungskolonien. In der Behandlung der Judenfrage in den verschieden Ländern des deutschen Bündnisnetzes sei außerdem ein sehr pragmatisches Vorgehen feststellbar gewesen, in dem nicht immer, mit Ausnahme vom Kroatischen Ustasha-Staat, dem Beispiel Deutschlands gefolgt worden sei. Man könne daher abschließend von einer „Hierarchie der imaginären Gefährlichkeit“ sprechen, der aber in den verschiedenen verbündeten Ländern unterschiedliche Kriterien rassistischer, ideologischer, politischer oder wirtschaftlicher Art zu Grunde lagen.

Diese Tagung schuf eine wichtige Gelegenheit, nicht nur die neuesten Ergebnisse der Forschung über ein so bedeutendes historisches Thema durch Experten aus aller Welt zu prüfen, sondern auch ein oft fehlendes Gesamtbild zu skizzieren, in dem die gemeinsamen aber gleichzeitig auch sehr unterschiedlichen Erfahrungen der einzelnen deutschen Bündnispartner zum Vorschein kommen konnten. Die besondere Nützlichkeit dieser Veranstaltung wurde darüber hinaus bestätigt, dass, dank auch einer während der ganzen Tagung sehr anregenden Diskussion, wichtige Denkanstöße für eine weitere ertragreiche Forschung gegeben wurden. Aus dieser Sicht wäre es besonders wünschenswert, wenn im geplanten Tagungs-Sammelband auch die anfänglich vorgesehenen aber schließlich ausgefallenen Vorträge über Bulgarien, die Tschechoslowakei und Lettland miteinbezogen würden.

Konferenzübersicht:

Keynote Speech und Sektion 1: Territorialer Revisionismus

Einführung.: Marina Cattaruzza (Universität Bern), Dieter Langewiesche (Eberhard Karls Universität Tübingen)

Teil 1: Moderation: Dieter Langewiesche

Istvan Deak (Columbia University New York): The Worst of Friends: the Many-cornered Struggle of Germany’s Real- and Would-be Allies for Local Dominance and for Ethnic Cleansing, 1938-1945.

Pier Giorgio Zunino (Universität Turin): The fascist participation in World War II. The Italian antagonism against France (1870-1935)

Pál Pritz (Hungarian Academy of Sciences Budapest): Ungarische Außenpolitik zwischen Revisionismus und Vasallentum.

Teil 2: Moderation: Marina Cattaruzza

Dennis Deletant (School of Slavonic and East European Studies University College London): Romania’s alliance with Nazi Germany

Mariana Hausleitner (Ludwig-Maximilians-Universität München): Rumänien im Zweiten Weltkrieg. Zwischen territorialen Verlusten und Gewinnen.

Kalervo Hovi (Universität Turku): Finnlands Annäherung an NS-Deutschland als Reaktion auf den Winterkrieg.

Sektion 2: Innerer Revisionismus

Teil 1: Moderation: Andrea D’Onofrio (Universität Federico II Neapel)

Christian Gerlach (Universität Bern): Annexions and the persecution of Jews in Eastern Europe 1940-1944.

Norbert Spannenberger (Universität Leipzig): Die Volksdeutschen im östlichen Europa. Zwischen „Heim ins Reich“ und Volksrecht.

Frank Golczewski (Universität Hamburg): Bürgerkrieg in den besetzten Gebieten? Wer gehört zur polnischen und ukrainischen Nation?

Teil 2: Moderation: Stefan Dyroff (Universität Bern)

Hildrun Glass (Ludwig-Maximilians-Universität München): Rumänien und seine nationalen Minderheiten.

Georgios Niarchos (Hellenic Observatory. London School of Economics and Political Science London), The effects of the Bulgarian occupation on the Muslim minority in Western Thrace

Ivo Goldstein (Universität Zagreb): Persecution and extermination of minorities in the Independent State of Croatia

Abschlussdiskussion