1968 - Ein Blick auf die Protestbewegungen 40 Jahre danach aus globaler Perspektive / 1968 – A view of the protest movements 40 years after, from a global perspective

1968 - Ein Blick auf die Protestbewegungen 40 Jahre danach aus globaler Perspektive / 1968 – A view of the protest movements 40 years after, from a global perspective

Organisatoren
ITH – International Conference of Labor and Social History; Kammer für Arbeiter und Angestellte Oberösterreich
Ort
Linz, Österreich
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.09.2008 - 13.09.2008
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Von
David Mayer, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien

Dass man ‚1968’ als grenzüberschreitendes und globales Phänomen in den Blick nehmen müsse, wurde im heurigen Jubiläumsjahr gleichermaßen oft als Konsens beschworen wie letztlich selten befolgt. Die Organisatoren und Organisatorinnen der 44. Linzer Tagung der ITH versuchten diese Lücke ein Stück weit zu schließen und luden dazu ein, bei den mit der Chiffre ‚1968’ verbundenen Prozessen, wie es in der Ankündigung hieß, „vor allem auf außereuropäische Erfahrungen (zu) fokussieren und einen Schwerpunkt auf transnational und transkontinental vergleichende Analysen (zu) legen.“ Ein Dutzend Vortragende und an die 100 Teilnehmer/innen folgten dieser maßgeblich von Marcel van der Linden (IISG Amsterdam) und Angelika Ebbinghaus (Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bremen) gestalteten Einladung. Die Hoffnung, auf dieser Tagung ein umfassendes und bedeutungshierarchisch gewogenes Bild oder eine abschließende globalgeschichtliche Synthese von ‚1968’ zu erhalten, musste dabei erwartungsgemäß unerfüllt bleiben. Gleichwohl wurden die Möglichkeiten von Deutungen und Studien eindrucksvoll wie variantenreich demonstriert, die transnationale Netzwerke, grenzüberschreitende Transfers und wechselseitige Bezüge zwischen unterschiedlichen Akteuren an aparten Orten in den Mittelpunkt rücken. Bekräftigt blieb auch der prinzipielle Deutungspluralismus in Bezug auf ‚1968’, der bei transnational ausgerichteten Untersuchungen durchaus klarer hervortritt als in national gerahmten Deutungen.

Bereits in der Aufbereitung der Leitfragen durch MARCEL VAN DER LINDEN, ANGELIKA EBBINGHAUS und BERTHOLD UNFRIED (Präsident der ITH, Wien) zeigten sich eine Reihe von unterschiedlichen Annäherungen an ‚1968’: Während noch Einigkeit darüber bestand, dass mit der Jahreszahl 1968 ein wesentlich breiterer Zeitkorridor angesprochen ist, wurden verschiedenste Periodisierungen der ‚langen 60er Jahre’ vorgelegt, je nachdem, welches Gewicht dem Anstieg sozialer Konflikte Anfang der 1970er Jahre (insbesondere in Westeuropa im betrieblichen Bereich) beigemessen wurde. Eng angebunden an diese Periodisierungsfrage war auch die jeweilige Wahl des prime movers von ‚1968’: Bildete das Doppel bzw. die mancherorts direkte Allianz von Studierenden und Arbeitern den dynamischen Kernprozess von ‚1968’ oder war es die jugendbewegte Neudefinition von Protest und Politik, die kulturelle, persönliche und politische Veränderung zu einem Anliegen verband? Niederschlag fanden diese unterschiedlichen Akzente in den wiederholten Diskussionen darüber, ob die Unterscheidung in ‚Neue’ und alte Linke weiterhin akkurat sei. In gleichem Maße offen musste die von Organisatoren und Organisatorinnen sowie Beitragenden unterschiedliche gemessene ‚Breite’ von ‚1968’ bleiben: Geht es bei ‚1968’ darum, die 68er-Bewegung zu untersuchen oder auch all jene Protest- und Mobilisierungsereignisse, die nicht zu dieser Bewegung im engeren Sinne zählten? Müssen auch jene gesellschaftlichen Prozesse Teil einer gewogenen Analyse sein, die – wie MICHAEL SCHNEIDER (Friedrich Ebert-Stiftung, Bonn) wiederholt in den Diskussionen einforderte – nicht unter dem Paradigma der historischen Sozialbewegungsforschung gedeutet werden können, sondern Teil eines allgemeineren, mittelbaren und politisch gemäßigten gesellschaftlichen Politisierungs- und Linksrucks waren?

In der Nachbetrachtung können die Beiträge der Tagung vier Themenkreisen zugeordnet werden: Das Gewicht der ‚3. Welt’; grenzüberschreitende Interaktionen und Bezüge; Vieldeutigkeit von ‚Reform’ in Osteuropa sowie große Deutungen und Wirkungen von ‚1968’.

Der größte Teil der Welt – die Peripherie, die nicht europäischen Regionen, die ‚3. Welt’ – spielte in vielen Beiträgen eine zentrale Rolle. Einige Ausführungen und Diskussionen versuchten dabei, über eine bloß additive Hinzunahme weiterer, ‚exotischer’ Schauplätze von ‚1968’ hinauszugehen. So führte CHRISTOPH KALTER (Potsdam) in seinen Überlegungen aus, in welchem Maße sich in den Jahren zwischen 1956 und 1968 die ‚Dritte Welt’ und die ‚Radikale Linke’ wechselseitig konstituierten. Insbesondere anhand der Rezeptionsgeschichte von Frantz Fanons Die Verdammten dieser Erde lasse sich aufzeigen, wie Dekolonisierung und Neokolonialismus, ‚1956’ (Niederschlagung des Ungarnaufstandes; XX. Parteitag der KPdSU) und die Enttäuschung über die Mäßigungsbekenntnisse der Arbeiterbewegungsorganisationen zu einer Situation führten, in der die stolze Selbstermächtigung als Tiers Monde durch Akteure in der Peripherie und die Suche nach Referenzen von neuen radikalen Kräften in Europa zu einem Doppel führten, das ‚1968’ in hohem Maße bestimmte. DAVID MAYER (Wien) versuchte in ähnlicher Weise nicht nur über ‚1968’ in Lateinamerika (Mexiko, Argentinien), sondern auch aus Lateinamerika zu sprechen, womit die Kubanische Revolution und ihre kontinentale, ja globale Wirkmacht, aber auch Phänomene wie die Befreiungstheologie gemeint seien. SUSANNE WEIGELIN-SCHWIEDRZIK (Wien) wiederum nahm einen ‚sino-zentrischen’ Blick auf ‚1968’ und erläuterte Deutungsmuster der chinesischen Staatselite, die in ‚1968’, der weit verbreiteten Bezugnahme auf die ‚Kulturrevolution’ sowie im Erfolg maoistischer Organisationen eine Wiederetablierung von Peking als ‚Zentrum der Welt’ sah. Diese Perspektiven spitzten sich in der Tagungsdiskussionen auf die Frage zu, ob ‚1968’ globalgeschichtlich sein eigentliches Zentrum in peripheren Regionen gehabt habe. Allgemeine Zustimmung fand dabei das Konzept eines ‚multipolaren 1968’.

Eine Reihe von weiteren Beiträgen widmete sich grenzüberschreitenden Interaktionen, Vernetzungen und Bezugnahmen: So rekontextualisierte MAX HENNINGER (Berlin) das in den öffentlichen Debatten über ‚1968’ neuralgische Phänomen des ‚bewaffneten Kampfes’ in den global veränderten Konzeptualisierungen emanzipatorischer politischer Praxis, die unter den Vorzeichen von Dekolonisierung, Guerillastrategie sowie Kritik an den etablierten kommunistischen und sozialistischen Politikformen stand. Verschiedene politische Akteure in verschiedenen Ländern nahmen in unterschiedlicher Weise auf dieses globale Paradigma einer ‚Politik der Aktion’ Bezug. Was die verbreitete These einer gleichsam immanenten Kontinuität ‚vom SDS zur RAF’ betrifft, hob Henninger hervor, dass ein zeitliches Nacheinander von Studentenbewegung und bewaffneten Gruppierungen im internationalen Vergleich eher die Ausnahme als die Norm gewesen sei. Auch ILSE LENZ (Bochum) griff bei ihren Ausführungen zur neuen Frauenbewegung und ‚1968’ auf den Vergleich als Mittel zurück, wechselseitige Beeinflussungen und parallele Verläufe aufzuzeigen. Sie konzentrierte sich dabei insbesondere auf die BRD, Japan, Korea und die USA und arbeitete heraus, in welcher Form die neuen Frauenbewegungen die emanzipatorischen Ansprüche der Bewegungen um 1968 aufnahmen und sich dabei zugleich von deren Geschlechtsblindheit abgrenzten. Kritisch wurde in der Diskussion danach von einigen Tagungsteilnehmerinnen bemerkt, dass Geschlechterdimensionen auf dieser Tagung nur in einem frauenbewegungsspezifischen, nicht jedoch auch in anderen Beiträgen zur Sprache kamen. Neben der neuen Frauenbewegung bildete ‚1968’ auch für eine Reihe von anderen Bewegungen einen Anstoß. AVISHEK GANGULY (New York) beschrieb das am Fall der auch heute noch aktiven Naxalitenbewegungen in Ost- und Nord-Ostindien zu Ende der 1960er-Jahre und hob hervor, dass hierbei auch die mit ‚1968’ verbundenen künstlerischen Entwicklungen eine wichtige Rolle spielten, insbesondere das Theater.

Auf welche Weise transnationale Vernetzungen konkret zustande kamen und über welche ‚Infrastrukturen’ sich ‚1968’ über die Grenzen hinweg vermitteln konnten, rückte in einigen spezifischeren Beiträgen in den Mittelpunkt: SAMANTHA CHRISTIANSEN (Boston) führte anhand der Studentenbewegung in Ostpakistan (späterhin Bangladesh) aus, welche Rolle Studentenaustauschprogramme mit und Migrationsbewegungen nach Großbritannien, die Frequenz von Flügen nach London oder die Präsenz von Leitintellektuellen wie Tariq Ali bei der Formierung der Studierendenbewegung spielten. BENEDIKT GLATZ (Berlin) wiederum thematisierte ein transnationales Element von ‚1968’ par excellence, die Unterstützungsnetzwerke für desertierende US-amerikanische GIs, insbesondere in Westdeutschland. Aktivisten und Aktivistinnen aus unterschiedlichen Ländern, verschiedenen Generationen der ‚Linken’ sowie Akteure unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft trafen hierbei aufeinander. Auch hier spielte der Anspruch einer konkreten ‚Politik der Aktion’ eine wichtige Rolle.

Wie sich innergesellschaftliche Vernetzungen – vor allem der student-worker-link – knüpften, stand bei DEVI SACCHETTO (Padua) im Mittelpunkt. Anhand von Interviews mit Aktivisten und Arbeitern von Porto Marghera zeigte er auf, wie vor dem Hintergrund der Konzeptualisierungen des operaismo nach 1968 versucht wurde, Verbindungen zwischen den unterschiedlichen sozialen Bereichen von Universität, Fabrik und Wohnort zu schaffen. Interessantes Detail dieses emblematischen Falls von betrieblicher Radikalisierung und Politisierung im Italien der 1970er-Jahre: Nicht wenige der politisch aktiven Arbeiter ließen ab den 1980er-Jahren die Fabrik hinter sich und begannen ein Studium an einer Universität.

Zwei Beiträge widmeten sich den Bewegungen in Osteuropa: HANNES LACHMANN (Prag/Passau) sprach zur Rezeption des ‚Prager Frühlings’ in Ungarn, BORIS KANZLEITER (Berlin/Belgrad) stellte das bis heute ‚unterschätzte’ jugoslawische 1968 vor und bezog die dortigen Ereignisse auf Krisen und Grenzen der ‚Arbeiterselbstverwaltung’. Neben einer Reihe von Rezeptionsbezügen zwischen Ost und West – die Schriften der Neuen Linken wurden im Rahmen der Praxis-Gruppe in Jugoslawien stark rezipiert, intellektuelle Interventionen aus Ungarn (Lukács sowie Schülerinnen und Schüler) hatten andererseits bei der Kristallisierung eben dieser Neuen Linken eine Rolle gespielt – wurde in diesen beiden Beiträgen deutlich, wie widersprüchlich der in diesen Ländern zentrale Begriff der ‚Reform’ war. Denn die mit dem ‚Prager Frühling’ assoziierten Reformen wurden, wie Boris Kanzleitner ausführte, von der Studentenbewegung in Jugoslawien zwar politisch einhellig begrüßt, ökonomisch distanzierten sich die Praxisdenker/innen jedoch von der Liberalisierung und der vorsichtigen Einführung von Marktelementen. Während im Tito-Regime viele Maßnahmen gegen die Krise der ‚Arbeiterselbstverwaltung’ ökonomisch in eine ähnliche Richtung wie die in Prag vorgeschlagenen Reformen gingen, wurde in der Studentenbewegung Kritik an dieser Wirtschaftspolitik laut, welche die Ungleichgewichte (insbesondere zwischen den jugoslawischen Teilstaaten) erhöhe, Konsumorientierung und Entfremdung verstärke und Menschen im Rahmen der Migration zu einer Exportware degradiere. Statt der tatsächlichen ‚Managerverwaltung’ forderten diese Stimmen eine Wiederbelebung der sozialrevolutionären Ansprüche der Partisanenzeit und eine echte ‚Arbeiterselbstverwaltung’. Anklänge an die Konsum- und Entfremdungskritik der ‚Neuen Linken‘ sind hier genauso vernehmbar wie Bezüge zu dem allgemeinen Aufschwung von Konzepten der Ermächtigung durch die Produzierenden im Gefolge von ‚1968’. Hannes Lachmann wiederum legte dar, in welchem Maße die Prager ‚Reformen’ von den nach 1956 bestimmenden Machteliten in Ungarn als Gefahr für den eigenen ökonomischen ‚Reform’-Kurs betrachtet wurden.

Die verstehenden ‚großen’ Deutungen von ‚1968’ rahmten die Beiträge und Abschnitte ein: KEES VAN DER PIJL (Sussex) setzte in seinem Eröffnungsvortrag die Proteste und Bewegungen von ‚1968’ mit der Durchsetzung des Neoliberalismus ab den späten 1970er-Jahren in Bezug und bediente sich dabei jener klassischen Denkfigur, wonach ‚Revolutionen’ über ihre ‚Konterrevolutionen’ zu verstehen seien. Das Widererstarken von Kapitalverwertungslogiken nahm dabei, so van der Pijl, entscheidende Elemente von ‚1968’ mit, insbesondere den Freiheitsimperativ. ‚Freiheit’ sei hierbei allerdings als eine Ökonomisierung individuellen Verhaltens gewendet worden. Die Antwort der Contra auf ‚1968’ und die Erschöpfung des Fordismus war somit ein marktvermitteltes paradigm of choice.

PETER BIRKE (Hamburg) wiederum beschäftigte sich mit dem Paradigma der ‚Modernisierung’, dem im öffentlichen und akademischen Sprechen über ‚1968’ ein zentraler Platz zufällt. Gegen die mit dem Modernisierungsparadigma assoziierte Vorstellung eines selbsttätigen und kontinuierlichen Prozesses, der von den handelnden Akteuren mehr oder weniger erfolgreiche Anpassungsleistungen erfordere, brachte Birke ein Bild von Gesellschaftsentwicklung in Anschlag, welches das Nicht-Lineare, Diskontinuierliche und Umkämpfte hervorhebt. ‚1968’ habe ein solch diskontinuierliches Ereignis konstituiert, wobei zu beachten sei, dass die ‚1968’ oft zugeschriebenen Folgen bisweilen erfolgreiche Aneignungen, bisweilen von den Akteuren nicht beabsichtigte Konsequenzen, bisweilen von anderen Akteuren erfolgte Reaktionen waren. Einen Automatismus hin zu mehr Freiheit habe es in Gefolge von ‚1968’ jedenfalls nicht gegeben – die Entwicklung in den 1970er-Jahren in Lateinamerika wies zum Beispiel in eine ganz andere Richtung.

GERD RAINER HORN (Warwick) war eingeladen, ein Zwischenresümee zu ziehen und die Schlussdiskussion einzuleiten. Dabei entwickelte er gleichsam die ‚Negative’ zu den in den Vorträgen gegebenen Bildern und konzentrierte sich auf jene Elemente von ‚1968’, die in den Beiträgen angedeutet, aber nicht ausgeführt worden waren. Horn hob hierbei die zentrale Rolle von Kunst, Literatur und Theater, von politischen und kulturpolitischen Zeitschriftenprojekten, sowie von Verlagen und Verlegerpersönlichkeiten hervor. Gleichermaßen bedeutend, aber gemeinhin unterschätzt sei der Einfluss eines progressiven Katholizismus gewesen, von linkskatholischen Gewerkschaftsmilieus in Frankreich oder Belgien bis zur Befreiungstheologie in Lateinamerika. Die Rolle von Schülern und Schülerinnen der Sekundarstufe – die ‚1968’ in fast allen Ländern präsent waren, in manchen gar eine entscheidende Rolle spielten – sei ein weiterer ‚weißer Fleck’ der Forschungen zu ‚1968’. Wichtig für ein Verständnis der späten 1960er-Jahre seien zudem ideologische Strömungen wie der Maoismus oder der Trotzkismus. HORN verweis schließlich auch darauf, dass es, abgesehen von führenden Persönlichkeiten, über die individuellen Lebenswege von Aktivisten und Aktivistinnen noch kaum Kenntnis gebe.

"Was hat sich durchgesetzt, was ist Vergangenheit. Wer sind Gewinner und Verlierer von ‚1968’" – diese Fragen leiteten die öffentliche PODIUMSDISKUSSION im Rahmen der Tagung an. Unter der Leitung von Marcel van der Linden diskutierten FRANK DEPPE (Marburg), JUTTA DITFURTH (Frankfurt/Main), MANFRED EDER (Linz), KLAUS MESCHKAT (Hannover) und KARL HEINZ ROTH (Bremen). Als Gewinner identifizierte Deppe jene, die im sich ausweitenden Sozialstaat, insbesondere im Sektor Bildung, Positionen fanden – objektives Langzeitergebnis einer kurzen Periode, in der sich Viele als Subjekte eines globalen revolutionären Prozesses wahrnahmen. Für das andere Ende der Skala gab Roth Beispiele von ‚68ern’, die an den Folgeprozessen von ‚1968’ zerbrachen oder in die Abgründe der Gesellschaft gestoßen wurden.

Die Schlussdiskussion nahm einige der wiederkehrenden Motive dieser Tagung erneut auf und konnte die Unabgeschlossenheit des Forschens und Sprechens über ‚1968’ nur bestätigen. Neben der Dialektik von ‚Reform’ und ‚Revolution’, der Beziehung zwischen der ‚Ersten’ und der ‚Dritten Welt’, den Konsequenzen und dem Erbe, dem Verhältnis zwischen ‚antiautoritären’ und neuen Partei-Projekten gab auch die Frage nach dem Wert von globalgeschichtlichen und transnationalen Perspektiven auf die ‚langen 1969er Jahre’ Anlass zur Debatte. Hervorgehoben wurde dabei, dass die globale Koinzidenz von Protest und Mobilisierung um 1968 noch keinen Zusammenhang verbürge. Dieser sei konkret anhand von Bezugnahmen, Rezeptionen, Transfers und Vernetzungen nachzuvollziehen. Der Versuch dieser Tagung, dazu einen Beitrag zu leisten, musste in vielen Belangen ein Perspektiven weitender Zwischenschritt bleiben. Von den verstrickungsreichen öffentlichen und akademischen Diskursen zu ‚1968’ im deutschen Sprachraum hob er sich gleichwohl ab, indem er den Blick weit über Europa hinaus öffnete.

Konferenzübersicht:

Eröffnung: Berthold Unfried (Wien)

Eröffnungsvortrag: Kees van der Pijl (Sussex): "May 1968 and the Alternative Globalisation Movement – Cadre Class Formation and the Transition to Socialism"

Einführung: Marcel van der Linden (Amsterdam) und Angelika Ebbinghaus (Bremen)

Panel I: Fallstudien 1

Avishek Ganguly (New York): A "Naxalite International"? A review of some of the Indian protest movements 40 years later

David Mayer (Wien): Kubanischer Zyklus. Ungleichzeitigkeiten und transnationale Zusammenhänge – 1968 aus und in Lateinamerika

Susanne Weigelin-Schwiedrzik (Wien): China: Das Zentrum der (Welt)-Revolution? Die chinesische Kulturrevolution und ihre internationale Ausstrahlung

Panel II: Fallstudien 2

Samantha Christiansen (Boston): Beyond Liberation: Students and Protest in East Pakistan and the International 1968

Hannes Lachmann (Prag): Der "Prager Frühling" und die ungarische Gesellschaft: Reaktionen und transnationale Einflüsse jenseits der Parteieliten im ostmittel¬europäischen Kontext von 1968

Devi Sacchetto (Padua): When Political Subjectivity Takes Roots. The Case of Porto Marghera (Venice, Italy)

Zwischeninventur von Gerd Rainer Horn (Warwick): Welche Interpretationsstränge wurden bisher verfolgt?

Öffentliche Podiumsdiskussion: "Das Erbe der 68er – Was hat sich durchgesetzt, was ist Vergangenheit? Wer sind Gewinner und Verlierer von 1968"

Podium: Frank Deppe (Marburg), Jutta Ditfurth (Frankfurt/Main), Manfred Eder (Linz), Klaus Meschkat (Hannover), Karl Heinz Roth (Bremen)

Moderation: Marcel van der Linden (Amsterdam)

Panel III: Interaktionen, Netzwerke und Denkhorizonte

Paul Benedikt Glatz (Berlin): "To American Soldiers in Europe": GI-Agitation und amerikanische Deserteure in Europa während des Vietnamkriegs

Christoph Kalter (Potsdam): "Dritte Welt", Frantz Fanon und radikale Linke in Frankreich, den USA und der Bundesrepublik. Zur Geschichte eines zentralen mobilisation myth der 68er Jahre

Boris Kanzleiter (Berlin): Neue Linke und Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien

Panel IV: 1968: Nachwirkungen und Folgen

Max Henninger (Berlin): Von der "antiautoritären Revolte" zum "bewaffneten Kampf": Ein internationaler Vergleich mit den Schwerpunkten BRD und Italien

Peter Birke (Hamburg): Die Sozialproteste der 1968er Jahre und ihre Folgen – "Modernisierungsschub" und "kulturelle Revolution"

Ilse Lenz (Bochum): Die neuen Frauenbewegungen und 1968. Ein internationaler Vergleich mit dem Schwerpunkten BRD, Japan und Korea

Schlussdiskussion, Moderation: Gerd Rainer Horn (Warwick)


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