Aufbruch im Mittelalter – Innovation in Gesellschaften der Vormoderne

Aufbruch im Mittelalter – Innovation in Gesellschaften der Vormoderne

Organisatoren
Christian Hesse, Universität Bern; Klaus Oschema, Universität Heidelberg/Universität Bern
Ort
Bern
Land
Switzerland
Vom - Bis
04.07.2008 - 05.07.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Michael Jucker, Universität Luzern

Mittelalter und Innovation sind Begriffe, die auf den ersten Blick nicht zusammen passen. Landläufig und bisweilen auch aus modernistischer Perspektive gilt das Mittelalter als innovationsfeindlich, rückständig und dunkel, dies nicht nur heute, sondern schon seit der Renaissance Petrarcas. Dieser negative Blick zurück dient allerdings meist der Selbstinszenierung oder der überheblichen Distinktion einer Epoche.
Umso erfreulicher ist es, wenn sich seit einiger Zeit die historische Forschung dem Thema Innovation im Mittelalter annimmt, dabei neue Erkenntnisse zu Tage fördert und vor allem epochale Abgrenzungstendenzen aufbricht. Führend in dieser Forschung war und ist der Berner Mittelalter-Historiker Rainer C. Schwinges, der sich neben seinen fundierten und breit rezipierten Kreuzzugs- und Universitätsforschungen seit mehreren Jahren mit Innovationsleistungen und Innovationsräumen im Mittelalter beschäftigt hat. Die dabei gewählten Herangehensweisen zeichnen sich dadurch aus, nach Räumen und Regionen zu suchen, in denen Wissen, Fachwissen aber auch technische Fertigkeiten besonders rasch und effektiv aufgenommen wurden. Universitätsbesuch, Bildungsverbreitung, Gewerbe- und Verwaltungsentwicklung sowie die Entfaltung von Verkehr und Verbindungswegen waren dabei die wichtigsten Faktoren und Untersuchungsfelder. Zahlreiche Schüler sind ihm in diesen Anliegen und den dabei entwickelten Methoden gefolgt. Aus Anlass der Emeritierung von Rainer C. Schwinges veranstalteten Christian Hesse (Bern) und Klaus Oschema (Heidelberg) ein internationales Kolloquium, das diesen Themenbereich fokussierte.
Einleitend gingen die beiden Veranstalter auf die grundlegenden Publikations- und Forschungsleistungen von Rainer C. Schwinges ein und boten Impulse und Definitionserörterungen zum Thema Innovation, einen Begriff, der es „im Gegensatz zum Fortschritt nicht in die Liga der ‚Geschichtlichen Grundbegriffe’ schaffte“. Meist wird, so die Veranstalter, der Begriff mit technischer Erneuerung oder wirtschaftlichen Entwicklungsschüben gleichgesetzt. Aspekte wie Optimierung bestehender Techniken unter veränderten Zusammenhängen und die grundsätzlich auf die Zukunft gerichtete Ausrichtung verliehen ihm eine durchwegs positiv konnotierte Grundierung. Um diese übliche Sichtweise zu relativieren und vor allem von der Teleologie Abstand nehmen zu können, sei es nun notwendig, Innovationen künftig innersystemisch zu betrachten, den Untersuchungsgegenstand um andere Bereiche außerhalb von Wirtschaft und Technik zu erweitern und auch gescheiterte Innovationen in den Blick zu nehmen. Dabei biete etwa das Paradigma der Evolution eine Möglichkeit, um Innovation als „zielfreien Prozess im Spannungsfeld von Neuentwicklung, Rekombination und Triage bestimmter funktional durchsetzungsfähiger Phänomene“ verstehen und beschreiben zu können. So sei eine Abkoppelung von „zielorientierten Vorstellungen, wie der Rationalisierung oder Modernisierung“ begründbar und möglich.

GERHARD FOUQUET (Kiel) zeigte anhand der öffentlichen Finanzverwaltung im späten Mittelalter, wie eine solche Detailstudie aussehen könnte. Dabei ging er der Frage nach, wie das praktische Verschriften, Verwalten und Rechnen in der spätmittelalterlichen Finanzverwaltung überhaupt funktionierte, und wo die Innovationsfaktoren dabei gelegen haben könnten. Anhand zahlreicher einleuchtender Beispiele sowohl aus dem fürstlichen wie auch dem städtischen Bereich wurde klargemacht, dass vieles dem Zufall oder der zufälligen Genese überlassen wurde, oft die eine Hand nicht wusste, was die andere tat. Dennoch gab es eine funktionierende Finanzadministration und Haushaltsführung, auf die Fouquet im zweiten Teil seines Vortrages einging, um vor allem die deutlichen Unterschiede zwischen höfischem und städtischem Finanzverwalten darzustellen. Bis ins 16. Jahrhundert war die städtische Finanzadministration noch stark von den Fähigkeiten der Amtsinhaber geprägt, aber auch die Fürstentümer wiesen trotz Zentralisierungstendenzen noch wenig Effizienz und Professionalität auf. Gewissermaßen hätte man hier von verstärkter Innovation der Städte sprechen können, da sie über eine im 14. Jahrhundert ausgebildete Rechnungsführung verfügten, die erst viel später in die Höfe eindrang. Doch wurde auch klar, dass nicht jede Innovation automatisch in den Städten aufgenommen wurde, sondern auch hier das Prinzip der Selektion vorherrschend sein konnte.

Einem gänzlich anderen, aber nicht weniger interessanten Untersuchungsfeld, der „Nationenbildung als Innovation?“ widmete sich anschließend BERND SCHNEIDMÜLLER (Heidelberg). Ihm ging es um die Frage, ob und unter welchen Umständen mittelalterliche Nationenbildung als Innovation bezeichnet werden soll und kann, insbesondere weil aus heutiger fortschrittsorientierter und bisweilen auch globalisierungsfreundlicher Sicht sowie aufgrund der Erfahrungen im 20. Jahrhundert die Nation begreiflicherweise eher als retardierendes Moment erscheinen könnte. In einem programmatischen und fundierten Überblick über die Nationen Europas vermittelte Schneidmüller ein Verlaufsmodell vom frühmittelalterlichen fränkischen Großreich über die Verbandsbildungen zu den supragentilen Reichen. In seinem Modell waren aber auch Rückschritte, stecken gebliebene Versuche wie in Lotharingien, Burgund oder Italien mitgedacht, so dass Zufälle der Entwicklung wie auch die Vielfalt der europäischen spätmittelalterlichen Reiche integrativ behandelt werden konnten. In Anlehnung an Dieter Langewiesche wies Schneidmüller auf das Erweiterungspotenzial solcher Entwicklungsmodelle hin, darüber hinaus forderte er einen neuen Blick auf die Nationen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, „frei von Revisionismus“, um die strukturbildenden Elemente und politische Klammern von Gesellschaften im zeitgebunden Wandel erfassen zu können, ohne dabei in eine neue Teleologie zu verfallen.

MARTIN KINTZINGER (Münster) thematisierte in seinem Beitrag die außenpolitischen und internationalen Beziehungen im Mittelalter und fragte danach, ob man überhaupt von Außenpolitik und europäischer Diplomatie reden solle, wenn man das Mittelalter untersucht. Und wenn Ja, wie ist dies in Bezug zum Begriff der Innovation und dessen Kriterien zu setzen? In einem ersten Teil ging Kintzinger auf die bisherige Forschung ein, welche lange einen großen Bogen um den problematischen Begriff „außenpolitisch“ und „Außenpolitik“ machte. An Beispielen der Herrscherbegegnungen und der fürstlichen wie städtischen Außenpolitik wurde klar, dass die Neuerung vor allem im Bereich der Praxis den Begriffen voraus eilte. Die Diplomatie war funktionales Element in den jeweils recht unterschiedlichen politischen Kulturen. Innovationen waren raumbezogene Kulturtechniken der jeweiligen Wissensgesellschaft. Während sie situativ ausgerichtet waren, kam es in Teilbereichen wie dem Heroldswesen vergleichsweise früh zu innovativer Verstetigung und Professionalisierung.

Anhand der Verbreitung des Kredits und der neu aufkommenden Kreditinstrumente im ausgehenden Mittelalter demonstrierte HANS-JÖRG GILOMEN (Zürich) die Zusammenhänge zwischen Kreditwesen und Innovation. Dabei machte er deutlich, dass in der Theorie der mittelalterlichen Wirtschaftsdenker wie beispielsweise Antonius von Florenz oder Bernhardin von Siena noch explizite Vorstellungen von der Kapitalproduktivität fehlen. Dennoch sei in der Praxis ein innovatives Potential vorhanden gewesen, das sich in kleinen Schritten weiter entwickelte. Einleuchtend diskutierte Gilomen dann die Grundbedingungen für ein günstiges Innovationsklima: Lohnanstieg, Reallohnsteigerungen, Vermögenskonzentration. Deutlich wurde, dass technische Innovationen, wie beispielsweise die Pumpen im Bergbau, Drahtzieh- und Papiermühlen, besonders innovative, arbeitssparende Elemente waren, die vor allem durch entsprechende Kredite aus dem Handelskapital ermöglicht wurden. Nicht ohne Ironie sei gerade das Wucherverbot verantwortlich für neue Kreditformen und Institutionen, wie beispielsweise neue Assoziationsformen, offenen Zinskredit, die Commenda, Handwechsel oder Transportversicherungen bei Kaufgeschäften. Darüber hinaus seien auch die Renten als wichtigstes Kreditinstrument einzubeziehen. Alle diese neuen oder erneuerten Instrumente und Institutionen führten zu einer Senkung der Kreditkosten und zu einer breiteren Streuung der Risiken von Unternehmungen.

Eine verlockend neue Perspektive eröffnete THOMAS ZOTZ (Freiburg im Breisgau), indem er danach fragte, was der Adel an Innovationen aufnahm und selbst entwickelte. Damit wurde gewissermaßen der Blickwinkel der in der Forschung bis anhin eher als konservierend betrachteten adligen Rezipienten und Nutznießer eingenommen. Am Beispiel des ritterlich-adligen Turniers, einer genuin adelsimmanenten Innovation um 1100 einerseits sowie der adligen Ökonomie andererseits, erörterte Zotz das Spannungsfeld von Neuerung und Bewahrung. Die Turniere dienten, trotz oder vielleicht gerade wegen des Verbots auf dem III. Laterankonzil (1179) öffentlichkeitswirksamen Zwecken, aber auch der körperlichen Ertüchtigung. Deutlich wurde auch, dass das ritterliche Turnier darüber hinaus sozialdistinktive öffentliche Demonstration war. Der adlige Ahnennachweis zum Erhalt des Etablierten diente der Abgrenzung gegen unten und gegenüber den ökonomisch stärker werdenden städtischen Bürgern. Die Intensivierung der adligen Wirtschaftsaktivität folgte als Reaktion auf die spätmittelalterliche Krisenproblematik, aber auch aus eigenem Antrieb und als Reaktion auf die Städte. Dabei sei der Adel durchaus fähig zur Marktorientierung und Rationalisierung gewesen, jedoch immer auch im Hinblick auf die eigene Selbstrepräsentation.

WILLEM FRIJHOFF (Amsterdam) widmete sich wiederum einem klassischen Thema der noch jungen Innovationsforschung, indem er Überlegungen zur frühneuzeitlichen Universität und deren innovativen Aufgaben präsentierte. In einem ersten Teil ging er auf die bisherige Universitätsforschung zur Vormoderne ein. Während für die einen die Universität das Paradebeispiel der institutionellen Innovation sei, konzentriere sich eine andere Forschungsrichtung mehr auf Lehrinhalte und Wissenschaftsinnovation, weil sie dort den wichtigen Fortschritt oder gegebenenfalls auch Rückschritte festmache. In der Verbindung von Institutions-, Gesellschafts- und Wissensgeschichte sei jedoch ein neuer Ansatz zu suchen, der aufzeigen müsse, wo überhaupt Wissen in welchen kulturellen Gefügen und unter welchen Bedingungen entstand und weiter getragen wurde. Zweitens verdeutlichte Frijhoff anhand von Beispielen der Niederlande, dass neu gegründete Universitäten wie Leiden (1575) zuerst gezwungen waren, alte Strukturen zu übernehmen, und erst allmählich ein Ablöseprozess der alten Lehrformen nach den Vorgaben von Köln und Löwen erfolgte. Ein innovativer Schritt in Leiden war die Umstellung der Unterrichtssprache von Latein ins Niederländische in einer durch Moritz von Nassau gegründeten Mathematischen Schule, die vor allem der Ausbildung im Festungsbau, Offizierswesen und der angewandten Wissenschaften diente. Nicht von ungefähr sei das Teleskop 1608 von Hans Lipperhey erfunden worden. Die Neugier nach neuem Wissen und neuen Objekten der Forschung wuchs aber auch in den gelehrten Gesellschaften und in den königlichen Akademien. Dort fand innovative Forschung statt, während in den Universitäten mehrheitlich gelehrt wurde, was sich erst im 19. Jahrhundert ändern sollte.

Am Beispiel des Ärztestandes im Dienste der Kurie, konkret beim Erstellen von medizinischen Gutachten für die Entscheidungen der Poenitentiarie, zeigte LUDWIG SCHMUGGE (Rom/Zürich), wie sich die Kurie ärztliches Fachwissen zu Nutze machte, insbesondere um bei der Gnadenerteilung legitimiert und abgesichert zu sein. Medizinische Gutachten wurden seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts praktisch unabdingbar in diesen Verfahren. Gutachten von Ärzten waren vornehmlich nötig in Fällen der Speiselizenzen, dem Totschlag in Notwehr, bei ärztlichen Behandlungsfehlern, bei Priesterweihe trotz Kastration, bei Auflösung der Ehe infolge Impotenz, bei Bäderbesuchen von Klosterfrauen und bei besonderen Suppliken wie beispielsweise, um Dispens vom nächtlichen Stundengebet aufgrund zu großer Mühsal oder um die Erlaubnis aus dem Kloster austreten zu dürfen. Anhand zahlreicher, unterhaltsamer und einleuchtender Beispiele zeigte Schmugge, wie die Kurie ein neues Instrument und neues Wissen anwandte, um alte Rechtsformen neu zu festigen und weiter zu tradieren. Die Kurie verließ sich demnach auf Fachwissen, was heute in ähnlich heiklen Fragen kaum mehr der Fall sei.

Wiederum einem eher traditionellen, dennoch noch nicht endgültig ergründeten Thema der Innovationsforschung widmete sich KARL-HEINZ SPIEß (Greifswald): „Innovation in der Energieerzeugung und in der Technik“. Zu Recht betonte er dabei die Aktualität des Themas, die Forschungslücken, die Notwendigkeit, alte technikhistorische Forschungsparadigmen zu hinterfragen, sowie die möglichen Verbindungen mit der Umweltgeschichte. Spieß fragte nach der Nutzbarmachung von Wärme, Wasser, Bewegung und Wind als essentiellen Energieformen für Erhalt und Produktion von Gütern. Dabei wurden exemplarisch auch umwelthistorische Auswüchse wie die übermäßige Rodung für Siedlung, Landwirtschaft, Bauwesen und den Salinenbetrieb aufgezeigt. Bereits im 14. Jahrhundert kam es zu Gegenmaßnahmen durch Wiederaufforstung und komplizierte Verfahren der Nadelholzsaat. Wie der Wasserantrieb und die Windnutzung insbesondere bei Mühlen zu neuen vielfältigen Errungenschaften im Bereich der Technik führten, wurde ebenfalls anschaulich gemacht. Weiter behandelte das Referat die Umwandlung von chemischer Energie in kinetische Energie im Thema der Neuerfindung des Schiesspulvers, das erst erfolgreich wurde, als man Salpeter nicht mehr aus Indien importieren musste, sondern im 15. Jahrhundert selber als Grubensalpeter gewinnen konnte. Spieß wies explizit darauf hin, dass die Technikgeschichte stärker mit der Sozial- und Kulturgeschichte verknüpft werden müsse, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.

Dass technische Innovationen im christlichen Mittelalter einer theologischen Legitimation bedurften, zeigte KLAUS SCHREINER (München) eindrücklich auf. Technische und kulturelle Neuerungen galten in der Antike noch als durch die Götter erfunden, im Mittelalter hingegen wandelte sich diese Ansicht deutlich. So war der Buchdruck zwar einerseits ein Gottesgeschenk, andererseits aber auch eine menschliche Notwendigkeit und dem Erfindergeist geschuldet. Der Buchdruck bedurfte vor allem der Legitimation, weil er sowohl als Chance wie als Gefahr betrachtet wurde. Rasche Weitergabe von Wissen und theologischen Ideen, Einheitlichkeit der katechetischen Texte und der Liturgie wurden möglich und als „heilige Kunst“ gedeutet; gleichzeitig kam Kritik auf, der freie Zugang führe zu Häresie, Laientum ermögliche den Zerfall des Glaubens. Widerstand kam aber auch von einschlägigen Berufsgruppen wie den Kalligraphen oder den Schreibern, die nicht ganz uneigennützig vor Druck- und Lesefehlern warnten. Schreiner machte deutlich, dass Anpassung, Skepsis und Begeisterung gegenüber dem neuen Medium quer durch alle Gesellschaftsschichten gingen. Am Beispiel der Neuerungen im Bergbau erörterte er sodann die Problematik der Innovation aus sozialethischer und theologischer Perspektive. Einleuchtend beschrieb er dabei vor allem die Zusammenhänge des technischen und wirtschaftlichen Aufschwungs mit den damit einhergehenden Kritik- und Legitimationsdiskursen der Bergwerkstechniken. Biblische Zitate dienten dabei genauso der Legitimation des Abbauens von Gottgeschaffenen Erzen wie die Maschinenbücher der Frühen Neuzeit die Meinung vertraten, die Kunst „Mechanica“ habe der Heilung vom biblischen Sündenfall gedient: Technik als Weg zurück ins Paradies.

CHRISTINE REINLE (Gießen) fragte schließlich nach dem Zusammenhang von Innovation und Transformation im Fehdewesen des Spätmittelalters, wobei sie sich mehrheitlich auf das Reich bezog. Dabei ging es ihr explizit um die „Transformation des Fehdewesens im Spätmittelalter“ als Angleichungsprozess zwischen „traditionalem Fehderecht und gelehrtem Fehdeverbot.“ In einem ersten Teil leitete sie das traditionale Fehderecht aus der Praxis des Hochmittelalters ab, indem sie einleuchtend auf ein Beispiel des Thüringer Landgrafen Ludwig IV. um 1225 einging, das im Bezug zum Mainzer Reichslandfrieden stand. Weiteres Thema bildeten dann Praxis und Rechtstexte zur Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit der Fehde; insbesondere der Sachsen- und Schwabenspiegel zeigen die Rechtmäßigkeit von Fehdehandlungen mitunter auch vor Gericht auf. Eine grundlegende Rolle bei der Legitimierung von Fehden spielte das Gewohnheitsrecht. Anhand eines interessanten, unter dem Aspekt der Fehdelegitimierung noch wenig untersuchten Textes des Kölner Theologen Heinrich von Gorkum (1378-1431) belegte Reinle außerdem die Transformationsleistung des gelehrten Rechts, das offensichtlich fähig war, eine sukzessive Delegitimierung der Fehde herbeizuführen. Gorkum argumentierte hierbei auch im Sinne einer vormodernen Souveränitätslehre, dass lediglich dem Kaiser das Recht der Kriegs- und Fehdeführung zustehe. Darüber hinaus wurde deutlich, dass eine zunehmend rechtliche Eindämmung der Fehde allgemein feststellbar ist, sich aber auch Fehdeführende davor scheuten, ihre Praxis als solche zu bezeichnen, was Indiz für ein allmähliches Zurückdrängen sei. Dennoch kann von einem Veränderungspotenzial der Fehdepraxis und einer recht hohen Anpassungsleistung sowohl in der Fehdeführung als auch bei deren Delegitimation gesprochen werden.

Die erfolgreiche Veranstaltung wurde gerahmt von einer erweiterten Abendveranstaltung mit dem Forum sowie der Stiftung für Universität und Gesellschaft und von einem für den zu Ehrenden und selbst hervorragend öffentlichkeitswirksamen Rainer C. Schwinges passenden, Vortrag von WALTER HÖFLECHNER (Graz) zur Figur des „Professor publicus“. Beschlossen wurde das Kolloquium mit einer höchst gelungenen Festrede durch STEFAN WEINFURTER (Heidelberg).

Das Kolloquium brachte neue Erkenntnisse im Bereich der Innovationsforschung, spannende und fruchtbare Diskussionen erörterten das vielfach komplexe Thema weiter. Dennoch muss man sich abschließend fragen, ob die Ausweitung des Begriffs Innovation auf neue Themen- und Forschungsfelder wie Ideen-, Rechts- oder Sozialgeschichte nicht auch verwässernd wirken könnte. Ist der Begriff nicht überdehnt, wenn jegliche veränderte Praxis als Innovation bezeichnet werden soll? Geschichte ist stets ein Wandel von Ideen und Handlungen, im Großen wie im Kleinen. Wo liegen also diesbezüglich die Grenzen der Begrifflichkeit und der heuristischen sowie methodischen Herangehensweisen? Peter Schumpeters Modell der Invention, Innovation und der erfolgreichen Diffusion sollte gewiss nicht vergessen gehen und man könnte es weiter differenzieren und um Begriffe wie öffentliche Rezeption, Widerstand und Stagnation erweitern. Inwiefern ließe sich Innovation noch genauer historisieren, eingrenzen und vor allem abgrenzen? Dies war sicher nicht die Aufgabe der Redner oder Idee der Organisatoren. Letztere konnte aber renommierte Forscher dazu bewegen, sich mutig auf neues Terrain zu wagen und zu zeigen, dass das angeblich so rückständige Mittelalter und seine nachfolgenden Jahrhunderte ein großes Erneuerungspotenzial aufwiesen, welches zu erforschen sich absolut lohnt. Und das ist bereits Innovation genug und erst noch zu Ehren eines großen Mediävisten.

Konferenzübersicht:

Christian Hesse (Bern)/Dr. Klaus Oschema (Heidelberg/Bern)
Einführung

Gerhard Fouquet (Kiel)
Innovation in der Verwaltung

Bernd Schneidmüller (Heidelberg)
Nationenbildung als Innovation? Reiche und Identitäten im mittelalterlichen Europa

Martin Kintzinger (Münster)
Außenpolitik und internationale Beziehungen im Mittelalter. Europäische Diplomatie avant la lettre?

Walter Höflechner (Graz)
Der Professor publicus (Abendvortrag)

Hans-Jörg Gilomen (Zürich)
Fortschritt durch Kredit

Thomas Zotz (Freiburg im Breisgau)
Adel und Innovation. Neue Verhaltensweisen einer alten Elite

Willem Frijhoff (Amsterdam)
The University and Innovation

Ludwig Schmugge (Rom/Zürich)
Neues aus dem Vatikan: Der Papst stärkt die Macht der Ärzte

Karl-Heinz Spieß (Greifswald)
Innovationen in der Energieerzeugung und in der Technik des Mittelalters

Klaus Schreiner (München)
Technische Fortschritte als Weg in ein neues Paradies. Zur theologischen Legitimationsbedürftigkeit technischer Neuerungen

Christine Reinle (Gießen)
Innovation oder Transformation? Die Veränderungen des Fehdewesens im Spätmittelalter

Rainer C. Schwinges (Bern)
Zusammenfassung und Ausblick

Stefan Weinfurter
Dialogus duorum professorum de innovationibus: Das Werk des Rainerius Beronensis (Festvortrag)