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Meist junge tschechische, dänische und deutsche Fachexperten referierten und diskutierten über die Entwicklung von Wenzels Schutzpatronat in Böhmen, die Ausstrahlung seines Kultes über die Länder der Wenzelskrone hinaus, über mögliche einheimische Vergleichsfiguren in Skandinavien (Knud, Olaf) und die unterschiedliche Indienstnahme des Heiligen durch verschiedene gesellschaftliche und kirchliche Gruppen. Als Paradigma für einen solchen „Parforce-Ritt“ durch die Geschichte stand der innovative Begriff der Erinnerungskultur zur Verfügung, der in den letzten zehn Jahren von französischen und deutschen Wissenschaftlern entwickelt bzw. weiterentwickelt wurde. Von aktueller Bedeutung ist dabei, dass Tschechien in diesem Jahr nicht nur das Gedenken an den Prager Frühling (1968) und die Revolution von 1848, sondern auch den hypothetischen 1100. Geburtstag des Staatsgründers und Nationalpatrons Wenzel/Václav begeht, der auch bei den Sudetendeutschen in der Bundesrepublik verehrt wird. Den theoriegesättigten Abendvortrag über „Religiöse Figuren in der Erinnerungskultur – Begriffe und Perspektiven“ nutzte THOMAS WÜNSCH (Passau) zur Begriffsbestimmung von „Erinnerung“ als Schlüsselbegriff der Geschichtswissenschaft und „Erinnerungsorte“ als nicht ausschließlich materiell-geographische Phänomene. Wünsch brachte in diesem Zusammenhang die Religion ins Spiel, die durch ihren kommunikativen Aspekt (Sprache, Riten, Symbole) ein flexibles System des Erinnerns zur Verfügung stellt, das eine bedeutende Kohäsionskraft entwickelt. Durch ihren Überschuss an Symbolkraft sind religiöse Erinnerungsorte besonders dazu geeignet, als Konstituenten von Staat und Politik zu fungieren. In der ersten Sektion (Wenzel in den böhmischen Ländern im Mittelalter) stellte der Bamberger Historiker FRANZ MACHILEK den Heiligen und Märtyrer Wenzel in den hagiographischen Kontext der Böhmischen Länder und hob hervor, dass Wenzel erst mit einer gewissen Phasenverzögerung kultische Verehrung genoss und diese sich dann mit anderen Landespatronen (Veit, Adalbert) teilen musste. Der Luxemburger Karl IV. (1355-1378) weitete den Funktionsradius des Heiligen universalistisch-imperial aus und verschaffte ihm singuläre Bedeutung in der böhmischen Staatssymbolik. Der Kunsthistoriker MARCO BOGADE (Altendorf) analysierte und deutete die Ikonographie von Wenzelsdarstellungen an der Goldenen Straße (Nürnberg – Prag) im 14. Jahrhundert. Der Großteil der Kunstwerke stand in Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und politischen Aktivität Karls IV., dessen Gesichtszüge etliche Wenzelsdarstellungen tragen und dadurch einen Hinweis auf deren Polyfunktionalität geben. Die zweite Sektion (Wenzel außerhalb der Böhmischen Länder) wurde zunächst von Frau CHRISTINE KRATZKE (Leipzig) vertreten, die die mittelalterliche Wenzelsmemoria in südlichen Ostseeraum thematisierte. Die Kunsthistorikerin deutete die entsprechenden Kommemorationen, Altarwerke und Weihetitel in pommerschen und Brandenburger Kirchen, stärker aber noch in den dortigen Klöstern (Dominikanerinnen, Zisterzienser), die sie auf den politisch-wirtschaftlichen Einfluss Böhmens insbesondere im 14. Jahrhundert zurückführte. Dadurch kam Wenzel im norddeutschen Raum mit der Heidenmission und der Christianisierung des Landes in Verbindung. RAIMUND PALECZEK (München) untersuchte die Pfarrpatrozinien im süddeutschen Raum und wies darauf hin, dass diese nur in vier Diözesen (Augsburg, Bamberg, Eichstätt und Regensburg) zu finden seien. Alle zehn Wenzelspatrozinien (mit einer Ausnahme) entstanden im 14. Jahrhundert, was sich an den entsprechenden Kirchenbauten bzw. –neubauten ablesen lässt. Die Ursache für diese Namensgebung war der politische und kirchliche Einfluss- bzw. Machtbereich Böhmens, in dem sich die zehn Pfarrkirchen im 14. Jahrhundert befanden. Wider Erwarten erfreuten sich die dortigen Wenzelskulte keiner großen Förderung nach der Ansiedlung der Sudetendeutschen nach 1945. Paleczek hielt darüber hinaus fest, dass die Wenzelsdevotion bei den Sudetendeutschen in der Bundesrepublik noch weitgehend ein Desiderat der Forschung sei. Die dritte Sektion (Referenzgröße Wenzel?) bestritt zuerst BERND-ULRICH HERGEMÖLLER (Hamburg) mit seinem Beitrag über den „bösen“ Wenzel, König Wenzel IV. von Böhmen (1363-1419). Dessen Erziehung war durch eigens angefertigte Fürstenspiegel auf die Tugenden des Heiligen und Märtyrers ausgerichtet. Als König enttäuschte er dann allerdings die Zeitgenossen und die Nachwelt durch ein Leben und eine Regierung, die weder dem Fürstenspiegel noch den Erwartungen der Umwelt entsprach. In einem kurzen Abriss deutete Hergemöller als bester Kenner der Materie die Gestalt des Königs als Gejagter und Getriebener, der später zur Kontrastfigur der Habsburg-freundlichen Jesuitenhagiographie wurde. Der dänische Historiker JENS OLESEN (Greifswald) weitete den Radius des typologischen Vergleichs auf Skandinavien aus, indem er die Knud- und Olafverehrung im mittelalterlichen Norden untersuchte. Dort rangen drei unterschiedliche Knuds als Autochthone um den Rang eines dänischen Landespatrons, bis sich König Knud (gestorben 1086) ab etwa 1300 durch die Förderung von Kirche und Staat durchsetzte und schließlich zum Nationalpatron wurde, während Herzog Knud Lavard (gestorben 1131) durch sein ökonomisch orientiertes Patronat über die Knudsgilden besonders im 12. Jahrhundert über den gesamten Ostseeraum ausbreitete. Die Olafdevotion überflügelte jedoch bereits im Mittelalter alle anderen skandinavischen Heiligen an Intensität und Verbreitung durch ihren Konnex zur Volksfrömmigkeit, der in seiner Vita wurzelt. TOMÁS PARMA (Olmütz) referierte zu Beginn der vierten Sektion "Wenzel nach der Krise" über die Aktivität des Olmützer Fürstbischofs Dietrichstein (1599-1636), den Wenzelskult in Mähren nach den Dekreten Urbans VIII. (1623-1644) zu retten, der jede Heiligenverehrung strikten Auflagen unterworfen hatte. Über die barocke böhmische Devotion gegenüber dem mittelalterlichen Märtyrer lieferte JIŘI MIKULEC (Prag) einen konzisen Überblick. Bereits die Utraquisten und die Brüderunität hatten die staatsrechtliche Rolle Wenzels anerkannt und ihn als staatspolitisches Symbol selbst verwand. Nach 1620 änderte sich die Funktion des Kultes, der nun vor allem durch die Jesuiten und andere Reformorden eine reiche Entfaltung erfuhr (Wallfahrten; Reaktivierung von Altbunzlau nach 1640 und ähnliches) und auf einheimische religiöse Traditionen rekurrierte. Die Wenzelsverehrung ging jetzt eine Symbiose mit der typisch habsburgischen Marienfrömmigkeit ein, nahm aber andererseits im 17. und 18. Jahrhundert slawische Elemente auf (Beschützer der tschechischen Sprache), so dass Václav im 17. Jahrhundert zum beliebtesten tschechischen Vornamen avancierte. Zu Beginn der personell stark vertretenen fünften Sektion über Wenzel im Nationalitätenkonflikt deutete MILOŠ ŘEZNÍK (Chemnitz/Leipzig) den Umschwung der tschechischen Geschichtskultur im Vormärz. Ging die ständisch-böhmische Opposition in den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts noch eine Symbiose mit der ethnisch-nationalen Bewegung ein, so verselbständigte sich letztere im Vormärz. Staatliche Symbole wurden nun uminterpretiert und teilweise durch (erfundene) ethnisch determinierte Traditionen ersetzt. Die kollektive Identität erfuhr eine stärkere Personifizierung durch historische Legitimationsfiguren, die gemeinsame Erfahrungen des tschechischen Volkes widerspiegeln sollten. Eine Geschichtskultur mit zentralen Figuren wurde immer bedeutsamer im nationalen Diskurs. Dass die Wenzelstradition im weiteren Verlauf des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts bei den tschechischen Eliten nicht unproblematisch war, verdeutlichte auch der Vortrag von JAROSLAV ŠEBEK (Prag), der gleichzeitige gegensätzliche Tendenzen beobachtete. Da der Kult in der Volkstradition sehr lebendig blieb, wurde er weiterhin, meist aber in säkularisierter Form, von verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen in Anspruch genommen. Andererseits öffneten Wenzels hegemoniale Anerkennung des Sachsenherrschers 929 sowie seine kultisch-religiöse Tradition, die mit der Habsburgerherrschaft verbunden wurde, Polemiken und kritischer Distanz nun Tür und Tor. WILFRIED JILGE (Wien/Leipzig) widmete sich Wenzel als dem Erinnerungsort der deutschnationalen Eliten der Ersten Republik anhand des ethno-nationalistischen Geschichtsbildes des sudetendeutschen Kameradschaftsbunds. Der Heilige und Märtyrer wurde in dieser Perspektive als Symbolfigur für die Bindung der Tschechen und der böhmischen Staatstradition an die deutsche Kultur gedeutet. Eine solche Polit- und Kulturhierarchie lasen extreme sudetendeutsche Schriftsteller auch aus der mittelalterlichen Kirchenorganisation in Böhmen heraus (Klostergründungen; Kirchenprovinzen etc.). Schlaglichtartig beleuchtete ONDŘEJ BASTL (Prag) die Prager Wenzelsfeiern 1929, die sehr frühzeitig von katholischen Organisationen vorbereitet wurden. Erst 1927 kamen nichtkatholische Gruppierungen und Regierungsvertreter hinzu, die jedoch den über eine Woche andauernden Festlichkeiten keinen neuen Charakter aufzudrücken vermochte. Der Verlauf und die Massenbeteiligung verrieten neben einer innenpolitischen Beruhigung auch eine Normalisierung der vatikanisch-tschechoslowakischen sowie der deutsch-tschechischen Beziehungen. In der letzten Sektion, Wenzel im 20./21. Jahrhundert, interpretierte Veronika Šiška (München) die Komödie _Blaník_ des fiktiven Jára Cimrman, die 1990 erstmals im gleichnamigen Theater in Prag uraufgeführt wurde. Das vielbesuchte Stück versucht, mit unterschiedlichen Typen von Humor, die von der Referentin analysiert wurden, den Nationalmythos Wenzel zu demontieren, ja den vermeintlichen Schutzherrn und Landesvater sogar als eitel und politisch desinteressiert abzuqualifizieren. Abschließend referierte STEFAN SAMERSKI (Leipzig) über die tschechischen Feiertagsgesetze des 20. Jahrhunderts und kommt zu dem Schluss, dass sich der Staat beim Umgang mit dem Wenzelsgedenktag (28. September) stets schwer tat: Erst mit einer gewissen Phasenverzögerung wurde der Tag als staatlicher Feiertag deklariert und im Jahre 2000 – nach langen und emotional aufgeladenen öffentlichen Debatten – als „Tag der Staatlichkeit Tschechiens“ eingeführt. Das Fehlen des Wenzelsnamens im Feiertagsgesetz deutete der Referent als Gipfelpunkt der Säkularisierung und „Pakt mit dem Teufel“, da man staatlicherseits ohne die eigentlich religiös konnotierte Memorialfigur nicht auszukommen schien. Wenzel erscheint in dieser Perspektive als Symbol für die politische Selbstbehauptung und letzter einender gesellschaftspolitischer Bezugsrahmen einer modernen Zivilgesellschaft. Die rege Schlussdiskussion resümierte die zahlreichen Impulse der Tagung, bot Ausblicke und wies auf Forschungsdesiderate hin. Zunächst wurde festgehalten, dass die Untersuchung eines Erinnerungsortes/einer Memorialfigur ein wissenschaftlich lohnenswertes Unternehmen sei, wenn sie rückgebunden an einen klar definierten und innovativen theoretischen Ansatz ist. Der Überblick über die Jahrhunderte zeigte im Falle Wenzels, dass man stets mit funktionalen Verwerfungen und einem häufigen Wechsel der Trägerschichten des Kultes rechnen muss. Katholische Kirche und Volksfrömmigkeit seien die einzigen Konstanten, die für Kontinuitäten gesorgt hätten, wobei der Kirche außerdem noch eine entscheidende Rolle bei der Etablierung von religiösen Erinnerungsorten zukomme. War das Mittelalter in starkem Maße geprägt vom Phänomen der kultischen Ausstrahlung auf Regionen außerhalb des relevanten Herrschaftsbereichs, so ist seit der Frühneuzeit die Wenzelsdevotion in ideologieverdächtige Bahnen (Gegenreformation, Nationalismus etc.) geraten. Der religiöse Erinnerungsort zeigt hier eine ausgesprochen symbiotische „Teamfähigkeit“ (Maria etc.). Das Auftreten von politischen und ethnischen Ideologien im 19. und 20. Jahrhundert führte zu einem raschen Auswechseln der Protagonisten und eine entsprechende funktionale Verschiebung der Kultinhalte. Falls es Resistenzfaktoren gibt, dann nur im Rahmen der Volksfrömmigkeit, allenfalls der Kirche. Als Forschungsdesiderat wurde an erster Stelle der Umgang der Sudetendeutschen mit der Memorialfigur nach 1945 benannt. Darüber hinaus ist die Volksfrömmigkeit zu allen Jahrhunderten ungenügend bearbeitet, der große Aussagekraft für das Paradigma Erinnerungsort zukommt. Hier gilt es vor allem kirchlich-liturgische und musikalische Quellen (Predigten, Eigenkalender, Wallfahrten, Oratorien etc.) zu sichten und auszuwerten. Die Ergebnisse der Tagung sollen in einem Sammelband publiziert werden. *Kurzübersicht* § Thomas Wünsch (Passau) Religiöse Figuren in der Erinnerungskultur – Begriffe und Perspektiven § I. Sektion: Wenzel in den böhmischen Ländern im Mittelalter Franz Machilek (Bamberg): Die böhmischen Landespatrone im Mittelalter Marco Bogade (Altendorf): Der hl. Wenzel als ikonographisches Thema der Goldenen Strasse im 14. Jahrhundert § II. Sektion: Wenzel außerhalb der Böhmischen Länder Christine Kratzke (Leipzig): Wenzel im Norden? Die Verehrung des Heiligen im südlichen Ostseege-biet und Brandenburg im Mittelalter Raimund Paleczek (München): Die Wenzelsverehrung in Süddeutschland anhand von Pfarrpatrozinien § III. Sektion: Referenzgröße Wenzel? Bernd-Ulrich Hergemöller (Hamburg): Der „böse“ Wenzel: König Wenzel IV. von Böhmen Jens Olesen (Greifswald): Der hl. Knut im mittelalterlichen Dänemark und Skandinavien § IV. Sektion: Wenzel nach der Krise Tomáš Parma (Olmütz): Zwischen Olmütz und Rom: Kardinal Dietrichstein und der Wenzelskult Jiři Mikulec (Prag): Sankt Wenzel – ein mittelalterlicher Heiliger in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit § V. Sektion: Wenzel im Nationalitätenkonflikt Miloš Řezník (Chemnitz): Memorialfiguren zwischen Landespatriotismus und Nationalbewegung im Vormärz Jaroslav Šebek (Prag): Wenzelsverehrung in Böhmen im 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert Wilfried Jilge (Leipzig): Die Figur des hl. Wenzel im Geschichtsbild des national-völkischen Sudetendeutschtums in der Ersten Tschechoslowakischen Republik Ondřej Bastl (Prag): Die Prager Wenzelsfeiern 1929 § VI. Sektion: Wenzel im 20. Jahrhundert Veronika Šiška (Prag): Der eitle Wenzel. 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Wenzel als zentraler Topos der Erinnerungskultur in den Böhmischen Ländern

Wenzel als zentraler Topos der Erinnerungskultur in den Böhmischen Ländern

Organisatoren
Stefan Samerski, Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO), Leipzig
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.03.2008 - 07.03.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Stefan Samerski, GWZO

Der Wenzelskult im primär öffentlichen Raum rekurriert auf einen der ältesten Gründermythen Europas, der in den verschiedenen Volks- und Landesteilen der böhmischen Krone tief verwurzelt ist. Durch seine (vermeintliche) Bindung an den Akt der Staatsgründung und die Christianisierung des Landes gehört Wenzel/Václav zu den zentralen und epochentranszendierenden Prägekräften des kollektiven Gedächtnisses der Böhmischen Länder bzw. der Tschechischen Republik. Mit dem Titel „Wenzel als zentraler Topos der Erinnerungskultur in den Böhmischen Ländern“ wurde am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas in Leipzig vom 5. bis 7. März 2008 unter der Leitung von Stefan Samerski eine internationale Konferenz veranstaltet, die weniger die historische Gestalt untersuchte als die über 1000-jährige Verehrungsgeschichte. Die Finanzierung hatte der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien übernommen. Meist junge tschechische, dänische und deutsche Fachexperten referierten und diskutierten über die Entwicklung von Wenzels Schutzpatronat in Böhmen, die Ausstrahlung seines Kultes über die Länder der Wenzelskrone hinaus, über mögliche einheimische Vergleichsfiguren in Skandinavien (Knud, Olaf) und die unterschiedliche Indienstnahme des Heiligen durch verschiedene gesellschaftliche und kirchliche Gruppen. Als Paradigma für einen solchen „Parforce-Ritt“ durch die Geschichte stand der innovative Begriff der Erinnerungskultur zur Verfügung, der in den letzten zehn Jahren von französischen und deutschen Wissenschaftlern entwickelt bzw. weiterentwickelt wurde. Von aktueller Bedeutung ist dabei, dass Tschechien in diesem Jahr nicht nur das Gedenken an den Prager Frühling (1968) und die Revolution von 1848, sondern auch den hypothetischen 1100. Geburtstag des Staatsgründers und Nationalpatrons Wenzel/Václav begeht, der auch bei den Sudetendeutschen in der Bundesrepublik verehrt wird.

Den theoriegesättigten Abendvortrag über „Religiöse Figuren in der Erinnerungskultur – Begriffe und Perspektiven“ nutzte THOMAS WÜNSCH (Passau) zur Begriffsbestimmung von „Erinnerung“ als Schlüsselbegriff der Geschichtswissenschaft und „Erinnerungsorte“ als nicht ausschließlich materiell-geographische Phänomene. Wünsch brachte in diesem Zusammenhang die Religion ins Spiel, die durch ihren kommunikativen Aspekt (Sprache, Riten, Symbole) ein flexibles System des Erinnerns zur Verfügung stellt, das eine bedeutende Kohäsionskraft entwickelt. Durch ihren Überschuss an Symbolkraft sind religiöse Erinnerungsorte besonders dazu geeignet, als Konstituenten von Staat und Politik zu fungieren. In der ersten Sektion (Wenzel in den böhmischen Ländern im Mittelalter) stellte der Bamberger Historiker FRANZ MACHILEK den Heiligen und Märtyrer Wenzel in den hagiographischen Kontext der Böhmischen Länder und hob hervor, dass Wenzel erst mit einer gewissen Phasenverzögerung kultische Verehrung genoss und diese sich dann mit anderen Landespatronen (Veit, Adalbert) teilen musste. Der Luxemburger Karl IV. (1355-1378) weitete den Funktionsradius des Heiligen universalistisch-imperial aus und verschaffte ihm singuläre Bedeutung in der böhmischen Staatssymbolik. Der Kunsthistoriker MARCO BOGADE (Altendorf) analysierte und deutete die Ikonographie von Wenzelsdarstellungen an der Goldenen Straße (Nürnberg – Prag) im 14. Jahrhundert. Der Großteil der Kunstwerke stand in Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und politischen Aktivität Karls IV., dessen Gesichtszüge etliche Wenzelsdarstellungen tragen und dadurch einen Hinweis auf deren Polyfunktionalität geben.

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Die dritte Sektion (Referenzgröße Wenzel?) bestritt zuerst BERND-ULRICH HERGEMÖLLER (Hamburg) mit seinem Beitrag über den „bösen“ Wenzel, König Wenzel IV. von Böhmen (1363-1419). Dessen Erziehung war durch eigens angefertigte Fürstenspiegel auf die Tugenden des Heiligen und Märtyrers ausgerichtet. Als König enttäuschte er dann allerdings die Zeitgenossen und die Nachwelt durch ein Leben und eine Regierung, die weder dem Fürstenspiegel noch den Erwartungen der Umwelt entsprach. In einem kurzen Abriss deutete Hergemöller als bester Kenner der Materie die Gestalt des Königs als Gejagter und Getriebener, der später zur Kontrastfigur der Habsburg-freundlichen Jesuitenhagiographie wurde. Der dänische Historiker JENS OLESEN (Greifswald) weitete den Radius des typologischen Vergleichs auf Skandinavien aus, indem er die Knud- und Olafverehrung im mittelalterlichen Norden untersuchte. Dort rangen drei unterschiedliche Knuds als Autochthone um den Rang eines dänischen Landespatrons, bis sich König Knud (gestorben 1086) ab etwa 1300 durch die Förderung von Kirche und Staat durchsetzte und schließlich zum Nationalpatron wurde, während Herzog Knud Lavard (gestorben 1131) durch sein ökonomisch orientiertes Patronat über die Knudsgilden besonders im 12. Jahrhundert über den gesamten Ostseeraum ausbreitete. Die Olafdevotion überflügelte jedoch bereits im Mittelalter alle anderen skandinavischen Heiligen an Intensität und Verbreitung durch ihren Konnex zur Volksfrömmigkeit, der in seiner Vita wurzelt.

TOMÁS PARMA (Olmütz) referierte zu Beginn der vierten Sektion "Wenzel nach der Krise" über die Aktivität des Olmützer Fürstbischofs Dietrichstein (1599-1636), den Wenzelskult in Mähren nach den Dekreten Urbans VIII. (1623-1644) zu retten, der jede Heiligenverehrung strikten Auflagen unterworfen hatte. Über die barocke böhmische Devotion gegenüber dem mittelalterlichen Märtyrer lieferte JIŘI MIKULEC (Prag) einen konzisen Überblick. Bereits die Utraquisten und die Brüderunität hatten die staatsrechtliche Rolle Wenzels anerkannt und ihn als staatspolitisches Symbol selbst verwand. Nach 1620 änderte sich die Funktion des Kultes, der nun vor allem durch die Jesuiten und andere Reformorden eine reiche Entfaltung erfuhr (Wallfahrten; Reaktivierung von Altbunzlau nach 1640 und ähnliches) und auf einheimische religiöse Traditionen rekurrierte. Die Wenzelsverehrung ging jetzt eine Symbiose mit der typisch habsburgischen Marienfrömmigkeit ein, nahm aber andererseits im 17. und 18. Jahrhundert slawische Elemente auf (Beschützer der tschechischen Sprache), so dass Václav im 17. Jahrhundert zum beliebtesten tschechischen Vornamen avancierte.

Zu Beginn der personell stark vertretenen fünften Sektion über Wenzel im Nationalitätenkonflikt deutete MILOŠ ŘEZNÍK (Chemnitz/Leipzig) den Umschwung der tschechischen Geschichtskultur im Vormärz. Ging die ständisch-böhmische Opposition in den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts noch eine Symbiose mit der ethnisch-nationalen Bewegung ein, so verselbständigte sich letztere im Vormärz. Staatliche Symbole wurden nun uminterpretiert und teilweise durch (erfundene) ethnisch determinierte Traditionen ersetzt. Die kollektive Identität erfuhr eine stärkere Personifizierung durch historische Legitimationsfiguren, die gemeinsame Erfahrungen des tschechischen Volkes widerspiegeln sollten. Eine Geschichtskultur mit zentralen Figuren wurde immer bedeutsamer im nationalen Diskurs. Dass die Wenzelstradition im weiteren Verlauf des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts bei den tschechischen Eliten nicht unproblematisch war, verdeutlichte auch der Vortrag von JAROSLAV ŠEBEK (Prag), der gleichzeitige gegensätzliche Tendenzen beobachtete. Da der Kult in der Volkstradition sehr lebendig blieb, wurde er weiterhin, meist aber in säkularisierter Form, von verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen in Anspruch genommen. Andererseits öffneten Wenzels hegemoniale Anerkennung des Sachsenherrschers 929 sowie seine kultisch-religiöse Tradition, die mit der Habsburgerherrschaft verbunden wurde, Polemiken und kritischer Distanz nun Tür und Tor. WILFRIED JILGE (Wien/Leipzig) widmete sich Wenzel als dem Erinnerungsort der deutschnationalen Eliten der Ersten Republik anhand des ethno-nationalistischen Geschichtsbildes des sudetendeutschen Kameradschaftsbunds. Der Heilige und Märtyrer wurde in dieser Perspektive als Symbolfigur für die Bindung der Tschechen und der böhmischen Staatstradition an die deutsche Kultur gedeutet. Eine solche Polit- und Kulturhierarchie lasen extreme sudetendeutsche Schriftsteller auch aus der mittelalterlichen Kirchenorganisation in Böhmen heraus (Klostergründungen; Kirchenprovinzen etc.). Schlaglichtartig beleuchtete ONDŘEJ BASTL (Prag) die Prager Wenzelsfeiern 1929, die sehr frühzeitig von katholischen Organisationen vorbereitet wurden. Erst 1927 kamen nichtkatholische Gruppierungen und Regierungsvertreter hinzu, die jedoch den über eine Woche andauernden Festlichkeiten keinen neuen Charakter aufzudrücken vermochte. Der Verlauf und die Massenbeteiligung verrieten neben einer innenpolitischen Beruhigung auch eine Normalisierung der vatikanisch-tschechoslowakischen sowie der deutsch-tschechischen Beziehungen.

In der letzten Sektion, Wenzel im 20./21. Jahrhundert, interpretierte Veronika Šiška (München) die Komödie Blaník des fiktiven Jára Cimrman, die 1990 erstmals im gleichnamigen Theater in Prag uraufgeführt wurde. Das vielbesuchte Stück versucht, mit unterschiedlichen Typen von Humor, die von der Referentin analysiert wurden, den Nationalmythos Wenzel zu demontieren, ja den vermeintlichen Schutzherrn und Landesvater sogar als eitel und politisch desinteressiert abzuqualifizieren. Abschließend referierte STEFAN SAMERSKI (Leipzig) über die tschechischen Feiertagsgesetze des 20. Jahrhunderts und kommt zu dem Schluss, dass sich der Staat beim Umgang mit dem Wenzelsgedenktag (28. September) stets schwer tat: Erst mit einer gewissen Phasenverzögerung wurde der Tag als staatlicher Feiertag deklariert und im Jahre 2000 – nach langen und emotional aufgeladenen öffentlichen Debatten – als „Tag der Staatlichkeit Tschechiens“ eingeführt. Das Fehlen des Wenzelsnamens im Feiertagsgesetz deutete der Referent als Gipfelpunkt der Säkularisierung und „Pakt mit dem Teufel“, da man staatlicherseits ohne die eigentlich religiös konnotierte Memorialfigur nicht auszukommen schien. Wenzel erscheint in dieser Perspektive als Symbol für die politische Selbstbehauptung und letzter einender gesellschaftspolitischer Bezugsrahmen einer modernen Zivilgesellschaft.

Die rege Schlussdiskussion resümierte die zahlreichen Impulse der Tagung, bot Ausblicke und wies auf Forschungsdesiderate hin. Zunächst wurde festgehalten, dass die Untersuchung eines Erinnerungsortes/einer Memorialfigur ein wissenschaftlich lohnenswertes Unternehmen sei, wenn sie rückgebunden an einen klar definierten und innovativen theoretischen Ansatz ist. Der Überblick über die Jahrhunderte zeigte im Falle Wenzels, dass man stets mit funktionalen Verwerfungen und einem häufigen Wechsel der Trägerschichten des Kultes rechnen muss. Katholische Kirche und Volksfrömmigkeit seien die einzigen Konstanten, die für Kontinuitäten gesorgt hätten, wobei der Kirche außerdem noch eine entscheidende Rolle bei der Etablierung von religiösen Erinnerungsorten zukomme. War das Mittelalter in starkem Maße geprägt vom Phänomen der kultischen Ausstrahlung auf Regionen außerhalb des relevanten Herrschaftsbereichs, so ist seit der Frühneuzeit die Wenzelsdevotion in ideologieverdächtige Bahnen (Gegenreformation, Nationalismus etc.) geraten. Der religiöse Erinnerungsort zeigt hier eine ausgesprochen symbiotische „Teamfähigkeit“ (Maria etc.). Das Auftreten von politischen und ethnischen Ideologien im 19. und 20. Jahrhundert führte zu einem raschen Auswechseln der Protagonisten und eine entsprechende funktionale Verschiebung der Kultinhalte. Falls es Resistenzfaktoren gibt, dann nur im Rahmen der Volksfrömmigkeit, allenfalls der Kirche. Als Forschungsdesiderat wurde an erster Stelle der Umgang der Sudetendeutschen mit der Memorialfigur nach 1945 benannt. Darüber hinaus ist die Volksfrömmigkeit zu allen Jahrhunderten ungenügend bearbeitet, der große Aussagekraft für das Paradigma Erinnerungsort zukommt. Hier gilt es vor allem kirchlich-liturgische und musikalische Quellen (Predigten, Eigenkalender, Wallfahrten, Oratorien etc.) zu sichten und auszuwerten. Die Ergebnisse der Tagung sollen in einem Sammelband publiziert werden.

Kurzübersicht

Thomas Wünsch (Passau) Religiöse Figuren in der Erinnerungskultur – Begriffe und Perspektiven

I. Sektion: Wenzel in den böhmischen Ländern im Mittelalter
Franz Machilek (Bamberg): Die böhmischen Landespatrone im Mittelalter
Marco Bogade (Altendorf): Der hl. Wenzel als ikonographisches Thema der Goldenen Strasse im 14. Jahrhundert

II. Sektion: Wenzel außerhalb der Böhmischen Länder
Christine Kratzke (Leipzig): Wenzel im Norden? Die Verehrung des Heiligen im südlichen Ostseege-biet und Brandenburg im Mittelalter
Raimund Paleczek (München): Die Wenzelsverehrung in Süddeutschland anhand von Pfarrpatrozinien

III. Sektion: Referenzgröße Wenzel?
Bernd-Ulrich Hergemöller (Hamburg): Der „böse“ Wenzel: König Wenzel IV. von Böhmen
Jens Olesen (Greifswald): Der hl. Knut im mittelalterlichen Dänemark und Skandinavien

IV. Sektion: Wenzel nach der Krise
Tomáš Parma (Olmütz): Zwischen Olmütz und Rom: Kardinal Dietrichstein und der Wenzelskult
Jiři Mikulec (Prag): Sankt Wenzel – ein mittelalterlicher Heiliger in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit

V. Sektion: Wenzel im Nationalitätenkonflikt
Miloš Řezník (Chemnitz): Memorialfiguren zwischen Landespatriotismus und Nationalbewegung im Vormärz
Jaroslav Šebek (Prag): Wenzelsverehrung in Böhmen im 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert
Wilfried Jilge (Leipzig): Die Figur des hl. Wenzel im Geschichtsbild des national-völkischen Sudetendeutschtums in der Ersten Tschechoslowakischen Republik
Ondřej Bastl (Prag): Die Prager Wenzelsfeiern 1929

VI. Sektion: Wenzel im 20. Jahrhundert
Veronika Šiška (Prag): Der eitle Wenzel. Demontage eines Nationalmythos in der Komödie Blaník des Jára Cimrman Theaters (1990)
Stefan Samerski (Leipzig/ München): Die Quadratur des Kreises – der Wenzelstag als staatlicher Feiertag Tschechiens

Kontakt

Stefan Samerski
Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO)
Leipzig

samerski@rz.uni-leipzig.de


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