Foreigners, Strangers, and Others in Medieval France

Foreigners, Strangers, and Others in Medieval France

Organisatoren
International Medieval Society
Ort
Paris
Land
France
Vom - Bis
29.06.2006 - 01.07.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Julian Führer, Historisches Seminar, Universität Zürich

Zum dritten Mal fand in Paris das Symposium der International Medieval Society statt, die sich wie schon bei den Tagungen von 2004 („Medieval Modernism“) und 2005 („Patronage and the Court“) zum Ziel gesetzt hatte, Forscherinnen und Forschern, die sich mit Frankreich im Mittelalter befassen, ein Forum für den interdisziplinären Austausch zu geben. In diesem Jahr war "Foreigners, Strangers, and Others in Medieval France" als Thema gewählt worden. Das Treffen fand wie schon 2005 in der Grande Salle der École des Chartes statt.

Nach der Eröffnung der Tagung durch die Präsidentin der IMS, Meredith COHEN (University of Leeds), präsentierte William Chester JORDAN (Princeton University) als Keynote Speaker im Rahmen seines Vortrags „Exclusion and the Yearning to Belong“ seine Interpretation des Liedes „Douce dame, virge Marie, La roïne de paradis“ als Bitte eines Ausgeschlossenen um Aufnahme in die Gesellschaft; anhand dieser These wurden grundsätzliche Begriffe wie Fremdheit, Exklusion und Gruppe thematisiert. Keith BUSBY (University of Wisconsin) setzte als Respondent dieser Sicht seine eigene Interpretation entgegen, indem er sowohl von der gewählten Textgestalt als auch von der Sichtweise Jordans erheblich abwich. Durch die unterschiedlichen Sichtweisen war der Boden für rege Diskussionen bereitet.

Ein erster Themenkreis umfasste Beiträge zum Bereich „Foreigners and Strangers“. Katharine Brophy DUBOIS (Michigan State University) untersuchte in ihrem Vortrag „The Care of French Pilgrims in Schism and Post-Schism Rome“ Pilgerhospize, die sich sowohl in schriftlichen Quellen als auch archäologisch nachweisen lassen. Der erste Nachweis für ein explizit französisches Hospiz findet sich zum Jahr 1478, doch auch zuvor sind Pilgerreisen aus Frankreich gut belegt. Linda DOHMEN (Bonn) stellte in „Wanderers between two Worlds: Irish and Anglo-Saxon Scholars at the Court of Charlemagne“ den Prozess der Identitätsbildung angelsächsischer und irischer Gäste am karolingischen Hof dar; ausgehend von den Selbstzeugnissen dieses Hofkreises, namentlich Briefen und Gedichten, differenzierte sie zwischen dem Terminus „foreigner“, der sich auf eine ferne Herkunft beziehe, und dem mehr sozial definierten Begriff des „stranger“, der für diesen Personenkreis weit weniger zutreffe. Es wurde deutlich, dass Geburt und Herkunft noch keine Grundlage für eine Identitätsfindung bildeten, sondern dass der Zugang zum Hof in diesen Quellen erhebliche Bedeutung besaß, zumal diese sich an einen diesem Kreis ebenso zugehörigen Personenkreis richteten. Die literarische Reflektion stand im Zentrum des Vortrags von Jessica QUINLAN (Würzburg), „Reeling in the Strange Knight: Endogamous Paternal Regimes in French and German Arthurian Literature“. Immer wieder tritt in den arthurischen Romanen ein Vater auf, der seine Erbtochter verheiraten will. Der Fremde, der neu in den Familienverband eintritt, wird bestimmten Prüfungen unterzogen. Die Darstellung betont weniger das Weggeben der Tochter als vielmehr das Herbeiziehen eines Ehemanns. Solange der Vater lebt, treten vielfache Konflikte auf, weshalb dessen Tod einen zentralen Moment in der Erzählung einnimmt. Sophie POITRAL (Université Paris-IV) befasste sich mit der Alterität in Gestalt der exotischen Fremdheit in einer literarischen Quelle des 15. Jahrhunderts („L’exotisme d’un Verger Enchanté: le ‚Parc faé’ du Livre du Cuer d’Amour espris de René d’Anjou“).

Elke OHNACKER (Konstanz) eröffnete den zweiten Themenkreis „Stereotypes“. Ihr Vortrag „We and the Others: On Barbarians and Civilized Society in Early Medieval Francia“ fragte nach dem Barbarenbegriff in frühmittelalterlichen Quellen. Barbarisches Verhalten wird durch eine gewisse Anzahl von Topoi definiert, wobei ‚Barbaren’ bei Gregor von Tours und Sidonius Apollinaris wohl schlicht „die Anderen“ sind. Bemerkenswert ist der Befund, dass Barbarentum in der Perspektive der Quellen anscheinend reversibel ist, da dieses Epitheton für manche Personen nach einer Integration in andere Gruppen nicht mehr verwendet wurde. Claire WEEDAs (Amsterdam) Beitrag „University Life and Ethnic Stereotypes“ stellte die wichtige Frage, ob die hinreichend bekannten Klischees (stolze Normannen, betrunkene Engländer, brutale Deutsche) im Rahmen des Universitätslebens kulturelle Differenzen abbildeten oder aber frühmittelalterliches Buchwissen transportierten. Allein schon die Vorliebe studentischer Gruppen für Wein oder aber Bier konnte Eigenes und Fremdes markieren. Scott BROWN (University of North Florida) präsentierte in „The Wicked Other, a Vicarious Sign of the Self in Twelfth-Century Sculpture“ seine Forschungen zur Kirche Saint-Pierre in Sévignacq im nördlichen Béarn unweit Pau. Die dortigen Skulpturen stellen Figuren dar, die sich dem Tanz, dem Trunk und dem Geschlechtsleben hingeben und sich obendrein übergeben und masturbieren. Die Gestalten sind nicht explizit als Fremde gekennzeichnet, eine Person ist durch die Tonsur als Kleriker zu identifizieren. Im Vortrag wurde die These formuliert, dass diese dargestellte Unreinheit als ein Fremdheitsmotiv der romanischen Skulptur zu sehen sei.

„Disability and Marginality“, der dritte Themenschwerpunkt des Tages, wurde von Mark O’TOOL (University of California, Santa Barbara) mit „The povres avugles of the Hôpital des Quinze-Vingts: Disability and Community in Medieval Paris“ eingeleitet. Der Referent skizzierte den Dualismus zwischen der Ablehnung vermeintlich falscher blinder Bettler und der Vorstellung, dass durch die Gebete Benachteiligter ein Weg des Seelenheils auch für die Gesunden und Wohlhabenden gefunden werden könne. Weiter gepflegte Familienbeziehungen zwischen Hospitalinsassen und draußen Lebenden lassen die Abtrennung der Welt der Hospitäler weniger strikt erscheinen, als vermutet werden könnte. Karina PRONITSCHEVA (Sankt Petersburg) widmete sich der „Iconographie du Fou dans l’art français du XIIIe-XVe siècle“. Narren können in verschiedenen Kategorien erfasst werden, vor allem als von Dämonen Bewohnte, als Narren im karnevalesken Kontext und als Hofnarren. Anhand von ausgewählten Initialen legte sie dar, dass Narren vor allem an der Haartracht (Glatze oder extravagante Frisur) und an Attributen wie einem in der Hand getragenen Käse zu erkennen sind. Keiko NOWACKA (Trinity College, Cambridge) zeigte in dem Vortrag „Infamia, Marginalization, and Tolerance: Prostitutes in Thirteenth-Century Parisian Society“, wie Prostituierte durch Kleidervorschriften und andere Reglementierungen als eine Gruppe außerhalb der übrigen Gesellschaft gekennzeichnet wurden. Das Konzil von Paris 1213 bezeichnete Prostituierte als Seuchenherde, die nicht in der Stadt wohnen dürften. Die Kleidervorschriften sahen vor, dass ihnen als anständig geltende Kleidung verwehrt sein sollte.

Der zweite Tagungstag begann mit einer Sektion über „Jews and Muslims“. Richard Matthew POLLARD (Trinity College, Cambridge) widmete sich in „The Apocalyptic Meets the Fantastic: Islam as ‚Other’ in the Latin Pseudo-Methodius and the Cosmographia“ frühmittelalterlichen Quellen. Im merowingischen Gallien wurden nicht wenig Übersetzungen von griechischen Texten angefertigt; dies zeigt einerseits, dass Griechisch durchaus noch beherrscht wurde, andererseits aber, dass dieses Wissen auf einen kleinen Personenkreis beschränkt war, der den restlichen Textrezipienten diese Lesehilfen zur Verfügung stellte. Die Revelationes des Pseudo-Methodius wurden von Petrus Monachus übersetzt und mit islamfeindlichen Äußerungen angereichert, so dass die Wahrnehmung des Islam im Westen in schärfer ablehnende Bahnen geriet. Ilia RODOV (Bar Ilan) fragte nach möglichen Einflüssen der bilderfeindlichen Ästhetik Bernhards von Clairvaux, zumindest im monastischen Rahmen, auf Kunst in Synagogen („St. Bernard’s Unexpected Influence: Jewish Adoption of Cistercian Art“). Die Erbauer der Altneuschul in Prag haben auch für Zisterzienser gearbeitet, so dass hier wechselseitige Beeinflussung ästhetischer Vorstellungen durchaus denkbar ist. Ebenfalls kunsthistorisch ausgerichtet war der Vortrag „La représentation de la bataille d’Antioche (1098) sur les peintures murales de Poncé-sur-Loire“ von Elizabeth LAPINA (Johns Hopkins University). Diese Kirche unterstand den Domherren von Le Mans, und die Erinnerung an den ersten Kreuzzug muss hier sehr lebendig gewesen sein; unter anderem besaß man ein Reliquiar aus dem Osten. In den 1160er Jahren wurden die Kreuzfahrer auf den Wänden von Poncé-sur-Loire bereits mit Nimbus dargestellt, während Muslime als Verkörperung des Bösen auftreten. Alte und Zeitgeschichte wurden gemeinsam in einem Bildprogramm abgebildet.

Crenguţa-Beatrice TRÎNCĂ (Freie Universität Berlin) widmete sich zu Beginn der Sektion „Monsters and Monstrosity“ literarischen Quellen („Civilizing the Textual Monster: Chrétien de Troyes’ berbioletes as an Expression of a New Aesthetic“) und untersuchte die Beschreibung von Erecs Mantel (V. 6748-6557, 6690-6699), der bei Chrétien eine Darstellung des Quadriviums zeigt und mit dem Pelz von monströsen Tieren aus Indien gesäumt ist. Unter Umständen sind die Monster als Sinnbild für Chrétiens Ziel zu sehen, von Macrobius übernommenes Wissen (der Autor wird ausdrücklich als Autorität genannt) als Legitimation für die Einführung ungewöhnlicher Themen zu nutzen. Der gehörnte Ehemann war Thema des Vortrags „‚Monstres contre nature’. Cocuage en tant que figure d’altérité dans les rites populaires, la littérature et les arts“ von Katja GVOZDEVA (Humboldt-Universität zu Berlin). Anhand von Bildern und literarischen Texten auch aus dem 16. Jahrhundert, z.B. Rabelais, ergab sich eine Typologie des Betrogenen, die sich auch ikonographisch niederschlug, etwa in der Darstellung des Gehörnten ohne Nase. Das nicht in die funktionierende Gesellschaft integrierbare Phänomen des Ehebruchs wurde so als groteskes Gegenbild darstellbar. Schließlich ging es im Beitrag von Lynn T. RAMEY (Vanderbilt University) um menschliche Deformationen („Are Pygmies Men? Medieval Monstrosity in Travel Accounts“). Reiseberichte aus jeder Zeit sind eine ergiebige Quelle für Alteritätsvorstellungen; Lynn Ramey wählte die Berichte von Marco Polo, John Mandeville, William of Rubrick, Odoric von Pordenone und die Enzyklopädien Isidors, Vinzenz’ von Beauvais und des Bartholomaeus Anglicus aus, um anhand der dort enthaltenen Beschreibungen den Weg der theologischen Frage, welche Wesen als Menschen anzusehen seien und welche nicht, nachzuzeichnen. Als ergiebige Quellen erwiesen sich einmal mehr illuminierte Handschriften, hier z.B. das Itinerarium des Odoric von Pordenone in der Übersetzung des Jean le Long in BN fr. 2810 – auf fol. 109v werden Schafmenschen in einem buddhistischen Kloster dargestellt.

Die dem mittelalterlichen Paris gewidmete Sektion am nächsten Tag wurde von Michael T. DAVIS (Mount Holyoke College, Cambridge) eröffnet, der sein Forschungsprojekt präsentierte und eine außerordentlich reichhaltige Quelle für das spätmittelalterliche Paris aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Text und Bild vorstellte („When the City was in its Flower. The Description of Paris by Guillebert de Mets“). Katherine CHAMBERS (St. John’s College, Cambridge) befasste sich mit „The Rich and Poor in Twelfth-Century Paris: the Social Thought of Peter the Chanter“ und konnte herausarbeiten, dass zwischen Petrus Cantor und den frühen Waldensern erhebliche Übereinstimmungen in bezug auf die Wirkung der Predigt und auf soziales Denken, insbesondere die Unterschiede zwischen Arm und Reich, bestanden. Der letzte Vortrag des diesjährigen Symposiums wurde von Caroline BOURLET (Institut de Recherche et d’Histoire des Textes, Paris) gehalten und behandelte „Les activités des étrangers à Paris au début du XIVe siècle: des indices de la diffusion internationale des activités de production?“. Gestützt auf statistisches Material, vor allem aus Steuerlisten, arbeitete sie heraus, dass die ausländische Bevölkerung in Paris sich national jeweils unterschiedliche Beschäftigungsfelder suchte, ohne dass die Ausübung anderer Berufe ausgeschlossen gewesen wäre; so waren Deutsche besonders häufig Gastwirte, Engländer arbeiteten oft als Maurer, und Fremde aus dem Artois hatten praktisch ein Monopol auf den Getränkehandel inne, ausgenommen den Wein. Da diese Berufsgruppen sich zudem in unterschiedlichen Stadtvierteln ansiedelten, ergab sich am Ende eine soziale Geographie der Stadt Paris um 1300.

Der Nachmittag schloss thematisch an den letzten Vortrag an: Agnès BOS (Musée national de la Renaissance, Écouen) führte unter dem Thema „Merchants, Bourgeoisie, and the Development of the Right Bank“ zu sichtbaren Überresten des mittelalterlichen Paris auf dem rechten Seineufer, das schon damals durch starke Handelsaktivitäten geprägt war.

Das nunmehr dritte Symposium der International Medieval Society führte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den USA und Russland, aus Irland und der Bundesrepublik, aus den Niederlanden und Israel und nicht zuletzt aus Frankreich zu einem Dialog über das Konzept der Fremdheit im mittelalterlichen Frankreich zusammen. Die regen Diskussionen, die sich auch nach Ende der Tagungssektionen fortsetzten, haben gezeigt, dass das Thema auf ein breites interdisziplinäres Interesse gestoßen ist. Die nächste Jahrestagung wird den Titel „Memory“ tragen; es ist zu hoffen, dass sich das angenehme, doch konzentrierte Arbeitsklima auch 2007 im internationalen Rahmen in Paris wiederholen lässt.

http://www.ims-paris.org