Dialog der Historiographien III. Katholizismus und die Herausforderung der Diktatur in Italien und Deutschland, 1918-1945

Dialog der Historiographien III. Katholizismus und die Herausforderung der Diktatur in Italien und Deutschland, 1918-1945

Organisatoren
Deutsch-Italienisches Zentrum Villa Vigoni
Ort
Loveno di Menaggio
Land
Italy
Vom - Bis
04.11.2004 - 07.11.2004
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Von
Marcus Pyka, Abteilung für jüdische Geschichte und Kultur, Historisches Seminar, LMU München

Zeiten der Verunsicherung und der Krise streben nach Sinn, nach Sinnstiftung. Und es ist die Aufgabe der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, diese Prozesse wiederum zu hinterfragen und zu analysieren. Dies gilt in besonderem Maße für die Zeit der totalitären Regime in Europa. Ihr epochaler und ‚totaler‘ Charakter macht es freilich unmöglich, sie allein im nationalen Rahmen oder lediglich aus der Perspektive einer einzigen Fachdisziplin zu betrachten. Vielmehr bedarf es der direkten Diskussion über Länder- und Fächergrenzen hinweg, um den Blick zu schärfen, um durch die Wahrnehmung auch anderer Perspektiven die aufgeworfenen Probleme in neuem Licht betrachten zu können und in den Antworten eine größere Tiefenschärfe zu gewinnen. Der fruchtbaren Diskussion über solche Grenzen hinweg öffnet sich seit einigen Jahren bereits die Villa Vigoni. Diese an einer der schönsten Stellen des Comer Sees gelegene Einrichtung, eine großzügige private Stiftung an die Bundesrepublik Deutschland, bot nun zum dritten Mal dem Dialog der deutschen und der italienischen Geschichtswissenschaft ein Forum zum konzentrierten Austausch. Jüngst stand hier nach den bisherigen Veranstaltungen zur Geschichte Preußens und zum Umgang mit der diktatorischen Vergangenheit in beiden Ländern die Herausforderung des Katholizismus durch Nationalsozialismus und Faschismus auf dem Programm, das wesentlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde. Wolfram Pyta (Stuttgart) hatte gemeinsam mit Francesco Malgeri (Rom), einem der Altmeister der italienischen Katholizismus-Forschung, und Christiane Liermann (Villa Vigoni) zu dem Treffen eingeladen.

Im Verlaufe der zwei Tage kristallisierten sich recht rasch einige zentrale Unterschiede in der Herangehensweise beider Historiographien heraus. Während sich die deutsche Forschung vorzugsweise mit Strukturen und breiten Tendenzen beschäftigt, konzentriert sich hingegen ihr italienisches Pendant stärker auf Personen und ihre Wirkung, zum Beispiel mittels umfassender Untersuchungen der katholischen Medien. Insofern stellte der Beitrag von Bernd Sösemann (Berlin) ein Bindeglied zwischen den beiden Geschichtskulturen dar, indem er die Informationspolitik katholischer Presseorgane im Deutschen Reich am Übergang von der Republik zur Diktatur analysierte. Überhaupt verdeutlichte der direkte deutsch-italienische Vergleich, welcher Gewinn in der Integration unterschiedlicher methodischer Zugänge und Fragestellungen liegt. So zeigte der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf nachdrücklich, wie aufschlußreich eine Untersuchung der vatikanischen Entscheidungen sein kann, wenn man die Kurie nicht als monolithischen Block wahrnimmt, sondern als eine von verschiedenen Parteien im Widerstreit geprägte Institution, in der die letztendlich veröffentlichten Entscheidungen erst langsam und kontrovers diskutiert worden sind. Die von Wolf untersuchten neu zugänglichen Akten aus dem Pontifikat Pius’ XI. ermöglichen mit einer solchen akteursorientierten Zugangsweise deutliche Differenzierungen etwa in der Bewertung der offiziellen katholischen Haltung gegenüber Juden und Judentum vor dem Holocaust. Doch sind es nicht nur bislang unzugängliche Archivbestände, die die Kenntnisse im deutsch-italienischen Vergleich zu vertiefen vermögen. Auch wichtige Köpfe außerhalb des Vatikans sind diesseits der Alpen weitgehend unbekannt geblieben. So wurden italienischerseits mit großer Selbstverständlichkeit katholische Führungsgestalten wie Guido Gonella oder Giuseppe Donati diskutiert, die in der deutschen Katholizismusforschung weitgehend unbekannt geblieben sind. Im Schatten des hierzulande ungleich bekannteren Alcide de Gasperi steht sogar ein Luigi Sturzo; dieser hätte nicht nur als Begründer der Italienischen Volkspartei und als späterer Anreger der Democrazia Cristiana größere Beachtung in Deutschland verdient, sondern nicht zuletzt auch als einer der ersten Theoretiker totalitärer Systeme.

Hinsichtlich der Terminologien erwies sich der Dialog in der Villa Vigoni ebenso als erkenntnisintensiv. Für die deutsche Forschung immer noch zentral ist der Begriff des sozial-moralischen ‚Milieus‘, wie er von Rainer Lepsius vor Jahren eingeführt worden ist. Die meisten deutschen Vorträge waren denn auch von dem unausgesprochenen Konsens darüber geprägt, daß sie sich ausschließlich mit Katholiken innerhalb eines solchen ‚katholischen Milieus‘ beschäftigten. Allerdings bestand eine sehr aufschlußreiche Schwierigkeit der Tagung darin, daß gerade dieser so zentrale Begriff nicht ins Italienische übersetzbar ist. Die italienische Forschung hingegen arbeitet, wie Francesco Traniello (Turin) erläuterte, schon seit langem mit der Formel vom „mondo cattolico“ oder von der „cultura cattolica“, die sich prägend auf Alltag und Lebenswelt niedergeschlagen haben, ohne dabei gänzlich festgefügt und in sich geschlossen gewesen zu sein. Während hier also jenseits der Alpen der Forschung eine offenere Konzeption zugrunde gelegt wird, erwies sich in dem wohl heikelsten Diskussionspunkt der Tagung die italienische Terminologie als enger gefaßt ­ wie der römische Historiker Renato Moro ausführte, werde unter „Resistenza“ lediglich der direkte Widerstand gegen die deutsche Besatzung und deren Kollaborateure 1943-45 verstanden, alles weitere seien Formen abweichenden Verhaltens. Hingegen hatte zuvor Thomas Breuer (Ludwigsburg) mit einem vergleichbar restriktiven Gebrauch von „Widerstand“ als Terminus keine einhellige Zustimmung finden können: So blieb umstritten, ob jede Form nicht-konformen Verhaltens von Katholiken gleich als ‚katholischer Widerstand‘ zu bezeichnen sei.

Einigkeit herrschte hingegen, daß die bisherige Forschung um neue Perspektiven und Fragestellungen zu erweitern sei. Die Untersuchung der konkreten Lebenswirklichkeit zeige immer wieder überraschende Einzelaspekte auf, sowohl im Bereich der politischen und gesellschaftlichen Organisationen des Katholizismus angesichts der Herausforderungen der diktatorischen Regime als auch auf der Ebene der praktischen Durchführung des Katholisch-Seins des einzelnen in dieser Zeit. Die hiermit verbundenen Fragen der kollektiven Identitätssuche und der Sinnstiftung könnten wohl gewinnreich ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden. So wiesen unabhängig von einander Giorgio Vecchio (Parma) und Carsten Kretschmann (Frankfurt/Main) auf die Bedeutung hin, die die verschiedenen innerkatholischen Unterschiede und Bruchlinien haben, sowohl in generationeller Hinsicht als auch in bezug auf Geschlechterrollen, den sozialen Status und die regionale Herkunft. Solche bislang zu wenig beachteten Fragen wären dann womöglich sogar geeignet, die von Urs Altermatt eingeforderte „Histoire totale“ katholischer Lebenswelt in der Moderne auch am deutschen und italienischen Beispiel darzustellen, ein Ziel, dessen Erkenntnispotential auf der Tagung von dem Leipziger Wissenschaftshistoriker Wolfgang Tischner aufgezeigt worden ist. Daß es für ein solches ehrgeiziges Ansinnen freilich des steten Austauschs und Vergleichs bedarf, das hat der diesjährige Dialog der Historiographien in der Villa Vigoni eindrücklich unter Beweis gestellt.


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Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch, Italienisch
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