Ein Migrationsmuseum in Deutschland. Thesen, Entwürfe und Erfahrungen

Ein Migrationsmuseum in Deutschland. Thesen, Entwürfe und Erfahrungen

Organisatoren
Dokumentationszentrum und Museum über die Migration aus der Türkei (DOMiT), Bundeszentrale für politische Bildung, Netzwerk Migration in Europa e.V.
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.10.2003 - 19.10.2003
Url der Konferenzwebsite
Von
Ulrich Raiser, Humboldt-Universität zu Berlin

Zweite Internationale Tagung vom 17. - 19. Oktober 2003 im Kölnischen Kunstverein, Köln

Am 10. September 2004 jährt sich zum vierzigsten Mal die Ankunft des millionsten "Gastarbeiters" Armando Sa Rodrigues aus Portugal in Deutschland. In den vier Jahrzehnten seit Rodrigues' Ankunft haben sich rund sieben Millionen Menschen ausländischer Herkunft in Deutschland niedergelassen. Es gibt jedoch hierzulande nach wie vor keinen Ort, an dem das kulturelle Erbe der Einwanderung nach Deutschland systematisch gesammelt, ausgestellt und dadurch vor dem Vergessen bewahrt würde. Seit seiner Gründung im Jahre 1990 arbeitet DOMiT (Dokumentationszentrum und Museum über die Migration aus der Türkei) an der Schaffung eines Museums, in dem die kollektive Erinnerung an und die Auseinandersetzung mit Migrationen als Teil der kollektiven Geschichte der Bundesrepublik möglich wird.
Auf einer ersten internationalen Tagung im Oktober 2002 in Brühl, die DOMiT gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung und in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Migration in Europa e.V. durchführte, unterstrichen Migrations- und Museumsexperten erstmalig auf einer gemeinsamen Plattform die Notwendigkeit eines Migrationsmuseums im Einwanderungsland Deutschland. Die anschließende Konstituierung eines Initiativkreises bezeichnete den ersten Schritt zur institutionellen Umsetzung jener ehrgeizigen Vision. Der Bildung des Initiativkreises folgte im September diesen Jahres die Gründung des Vereins "Migrationsmuseum in Deutschland".
Vom 17.-19. Oktober 2003 schließlich trafen in Köln erneut Wissenschaftler, Praktiker der Museumsarbeit, Kulturschaffende, Politiker und Publizisten zur 2. internationalen Tagung unter dem Titel: "Ein Migrationsmuseum in Deutschland: Thesen, Entwürfe, Erfahrungen" zusammen. Tagungsort war der Kölnische Kunstverein, mit dem DOMiT zur Zeit an einem von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Ausstellungsprojekt arbeitet, das 2005 anlässlich des 50. Jahrestages des deutsch-italienischen Anwerbevertrages in Köln realisiert werden soll (siehe www.domit.de).

Die von DOMiT und dem Netzwerk Migration in Europa gemeinsam ausgerichtete Konferenz hatte vor allem das Ziel, die konzeptionellen Voraussetzungen für die Errichtung eines Migrationsmuseums im Kreis von Experten aus dem In- und Ausland zu diskutieren und damit der konkreten Umsetzung dieser anspruchsvollen Idee einen Schritt näher zu kommen. Außerdem war es das Anliegen der Veranstalter, eine möglichst breite Öffentlichkeit über den Stand des Vorhabens zu informieren und in einen Dialog mit Entscheidungsträgern aus der Politik einzutreten Die Konferenz wurde von der Kulturstaatsministerin, der Bundeszentrale für politische Bildung, der Robert Bosch Stiftung und dem US Generalkonsulat NRW in Köln unterstützt. Diese Unterstützung und die große Resonanz in den bundesdeutschen Medien während und nach der Zusammenkunft zeigt, welch enorme Dynamik die Diskussion über ein Migrationsmuseum innerhalb eines Jahres genommen hat.

Durch einen klugen Perspektivwechsel leitete Heribert Prantl seinen rhetorisch brillanten Eröffnungsvortrag zum Thema "Historische Erinnerung und Partizipation: Herausforderungen für die Kultur- und Gesellschaftspolitik in der Einwanderungsgesellschaft" ein. Er erinnerte an die Situation deutscher Einwanderer in den USA vor 150 Jahren und ihren Kampf um die Anerkennung ihrer kulturellen Gepflogenheiten. Anschaulich beschrieb Prantl die sogenannten "beer-riots", mit denen die für ihre Trinkfreudigkeit bekannten deutschen Immigranten gegen die alkoholfeindliche Gesetzgebung des weißen puritanischen Amerika des 19. Jahrhunderts zu Felde zogen. Prantl zog eine überzeugende Parallele zwischen dem diskriminierenden Blick der Mehrheit auf die kulturell fremden Praktiken der Einwanderer im damaligen Amerika und der Situation muslimischer, insbesondere türkischer Migranten in der heutigen Bundesrepublik. Der Innenressortchef der Süddeutschen Zeitung vermied es aber in der Folge, die kulturpolitischen Dimensionen kollektiver Erinnerung in der Einwanderungsgesellschaft zu diskutieren und beschränkte sich mit hohem Unterhaltungswert auf sein Spezialgebiet: die deutsche Ausländerpolitik und -gesetzgebung seit der Ära Kohl. Eine Debatte über die Unterlassungen der bundesdeutschen Kulturpolitik in Bezug auf das Thema Migration fand an diesem ersten Tagungsabend nicht statt. Diese Diskussion folgte am Samstag, dem inhaltlichen Haupttag der Tagung.

Aytac Eryilmaz und Martin Rapp von DOMiT machten deutlich, dass mit der geplanten Etablierung eines Migrationsmuseums in Deutschland zwei Ziele verfolgt würden: Zum Einen gehe es darum, durch das Anlegen einer Sammlung das kulturelle Erbe der ersten Arbeitsmigranten nach dem zweiten Weltkrieg zu bewahren - ein Unternehmen, dessen Umsetzung angesichts des fortschreitenden Alters der ersten Generation an Dringlichkeit zunimmt. Nach fünfzig Jahren Einwanderung in die Bundesrepublik sei es an der Zeit, dass Migranten ihre Geschichte in die eigene Hand nehmen und einen Ort der kulturellen Anerkennung und Partizipation schaffen. Ein Migrationsmuseum habe zum Anderen aber auch das Ziel, die Vielzahl unterschiedlicher Formen der Migration nach Deutschland zu dokumentieren und kritisch aufzuarbeiten. Einwanderungen würden dadurch in der Wahrnehmung der gesamten Bevölkerung als wichtiger Bestandteil der kollektiven Erinnerung etabliert. Die Ausweitung und partielle Revision des herrschenden nationalen Narrativs wäre eine erhoffte Folge. Die Konzeption eines solchen Museums ginge weit über die traditionellen Formen musealer Darstellung hinaus. Es solle nicht nur Ausstellungsraum, sondern auch Forschungs- und Bildungsstätte, Werkstatt für Künstler und Ort der Begegnung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen sein.
Die Berliner Architektin Friederike Schwalbe zeigte anhand von computeranimierten Modellen, wie ein Gebäude aussehen könnte, das diese unterschiedlichen Funktionen in sich vereint.
Die Frage nach Aufgabe und Ziel eines Migrationsmuseums griff Rainer Ohliger vom Netzwerk Migration in Europa e.V. auf. In seinem Vortrag verwies er darauf, dass ein Museum nicht zu einer Asservatenkammer werden dürfe, in der Migrantencommunities ihre kulturellen Objekte verwahren. Vielmehr habe es die Aufgabe, den Zusammenhang zwischen Geschichte, historischer Repräsentation und zeitgenössischen Fragen der Migration aufzuzeigen. Ausgehend von der Frage, was eine Einwanderungsgesellschaft im Inneren zusammenhalte, verwies er auf die elementare Bedeutung kultureller Anerkennung. Diese diene, neben der Verteilung sozialer und politischer Rechte, als wichtiger Integrationsfaktor einer durch Vielfalt gekennzeichneten Gesellschaft. Rainer Ohliger bezeichnete nicht nur das Fehlen einer kulturpolitischen Debatte in Bezug auf die Repräsentation von Migranten in Deutschland als "schmerzhafte Lücke". Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf den eklatanten Mangel an kulturpolitischen Konzepten, die den Versuch unternehmen würden, ein gemeinsames Erinnern von Mehrheit und Minderheiten institutionell zu ermöglichen.

Die Chance dieser Kritik zu begegnen bekam Hermann Schäfer vom Haus der Geschichte in Bonn, einem zentralen Ort nationaler Erinnerungskultur in Deutschland. Mit dem wenig überzeugenden Kommentar "Ich würde ja gerne, wenn ich könnte" verteidigte er den äußerst geringen Platz (50qm auf einer Fläche von 4000qm), den die Ausstellung im HdG der Arbeitsmigration aus den Anwerbestaaten einräumt. Schäfer bestätigte damit den zuvor geäußerten Vorwurf, der nationale Kanon bundesdeutscher Geschichtsschreibung und -darstellung klammere die vielfältigen Migrationserfahrungen in Deutschland aus. Zuvor hatte Marianne Winkler von der Landeszentrale für politische Bildung Niedersachsen die Wanderausstellung "hier geblieben - Zuwanderung und Integration in Niedersachsen, 1945 bis heute" vorgestellt, die seit Anfang des Jahrs in verschiedenen Städten der Region gezeigt wird. Mathilde Jamin vom Ruhrlandmuseum in Essen plädierte in einem leidenschaftlichen Vortrag für ein parteiliches Museumskonzept, das zuvörderst Zeitgeschichte aus der Perspektive von Migranten erzählen müsse. Die aktive Partizipation von Migranten an der Ausgestaltung eines Museums sei eine der Grundvoraussetzungen für ein Konzept, dass sich deutlich vom Kanon herrschender nationaler Narrative absetzen müsse. Die Folge einer Einengung auf partikulare Geschichtsschreibung sei nicht notwendigerweise schlecht. Vielmehr sei sie für die Migrantencommunities der erste identitätsbildende Schritt auf dem Weg zu einem gleichberechtigten Dialog mit der Mehrheitsgesellschaft. Damit waren die zentralen konzeptionellen Fragestellungen nach Inhalten und Zielgruppen eines Migrationsmuseums angesprochen.

Die Vorträge von Diana Pardue vom Ellis Island Immigration Museum in New York, von Patrick Veglia und Laurence Canal von der französischen Migrantenorganisation Génériques und von Antoinette Reuter vom Centre de Documentation sur les Migration Humaines in Luxemburg zeigten - wenn auch z.T. zu detailliert - anschaulich die Schwierigkeiten bestehender Initiativen bei der Etablierung von Migrationsmuseen. Die Gefahr der Einverleibung und teilweisen Enteignung der Initiative durch staatliche Stellen, wie im Falle von Génériques, oder die drohende Verlangsamung des Prozesses mangels staatlicher Unterstützung, gezeigt am luxemburgischen Beispiel, offenbarten die gegensätzlichen Seiten eines steinigen Weges.

Insofern war es naheliegend, dass Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP), Eckhardt Barthel (SPD) und Bernd Meyer (Deutscher Städtetag) mit Fragen nach den konkreten Unterstützungsleistungen von Seiten der Politik konfrontiert wurden. Trotz des überzeugenden und ehrlich gemeinten Wohlwollens, das der Initiative von allen vier Podiumsteilnehmern entgegengebracht wurde, blieb für die Veranstalter die ernüchternde Erkenntnis, dass größere finanzielle Unterstützungen für ein Migrationsmuseum derzeit nicht erwartet werden können. Frau Schmalz-Jacobsen mahnte zu Geduld, wies aber gleichzeitig auf die dringende Notwendigkeit eines Konzepts hin. Nur mit einer ausgearbeiteten Konzeption würden überhaupt die Voraussetzungen für größere Unterstützungsleistungen geschaffen.

Den unmittelbar anstehenden Aufgaben war auch das Abschlusspodium gewidmet. Man einigte sich auf ein dreistufiges Verfahren, welches zunächst die Erstellung einer Projektskizze vorsieht. Als zweiter Schritt wird die Durchführung eines Workshops im Frühjahr 2004 angestrebt. Auf diesem Treffen von Experten soll die inhaltliche Konkretisierung des Konzepts vorgenommen werden. Neben Wissenschaftlern und Museumspädagogen sollen auch Architekten an diesem Workshop teilnehmen. Den dritten Schritt bildet die vollständige Ausarbeitung einer tragfähigen Konzeption im Laufe des Jahres 2004. Hauptverantwortlich für die Planung dieser nächsten Arbeitschritte ist der Verein "Migrationsmuseum in Deutschland".

Die Veranstaltung fand in einer offenen und kollegialen Atmosphäre statt. Welche Gruppe in einem Migrationsmuseum repräsentiert werden soll, was in ihm gezeigt wird und inwiefern es sich bei einem solchen Ort um eine gesamtgesellschaftliche Unternehmung oder das Partikularinteresse einzelner Migrantencommunities handelt, sind heikle Punkte, die in den Vorträgen zwar häufiger anklangen, mit dem Plenum aber nicht bis zum Ende diskutiert werden konnten. Nun ist die Sensibilisierung für solche Fragen - zumal in einem Plenum von über hundert Personen - eher der Sinn solcher Tagungen als ihre Beantwortung. Dass dies gelungen ist, zeigten die vielen kleinen und größeren Diskussionsrunden, die am Rande der Konferenz stattfanden. Die nachhaltige Leistung dieses Zusammentreffens liegt wohl darin, eine Plattform zum offenen Austausch bereitgestellt und Gelegenheiten zum Informationsaustausch und zur Beratung gegeben zu haben. Vor allem aber ist durch die beeindruckende mediale Resonanz auf die Konferenz ein öffentliches Bewusstsein für die Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit des Vorhabens geschaffen worden. Dieses Klima gilt es nun zu nutzen.

http://www.migrationsmuseum.de
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