Monarchy and Religion - The Transformation of Royal Culture in Eighteenth-Century Europe

Monarchy and Religion - The Transformation of Royal Culture in Eighteenth-Century Europe

Organisatoren
Deutsches Historisches Institut London
Ort
London
Land
United Kingdom
Vom - Bis
29.11.2002 - 01.12.2002
Url der Konferenzwebsite
Von
Michael Schaich, German Historical Institute London

Das 18. Jahrhundert kommt nicht sofort in den Sinn, wenn das Verhältnis von Religion und Monarchie diskutiert wird. Während die Bedeutung der Religion für die Definition monarchischer Herrschaft im 16. und 17. Jahrhundert unbestritten ist und sich Untersuchungen zu diesem Themenbereich konstanter, ja sogar wachsender Beliebtheit erfreuen, steht das 18. Jahrhundert noch weitgehend im Schatten solcher Forschungsansätze. Es gilt noch immer primär als Epoche zunehmender Säkularisierung und scheint gekennzeichnet durch den Übergang vom Gottesgnadentum zu vernunftbasierten, aufgeklärten Formen absolutistischer Herrschaft. Gerade der unbestrittene Niedergang eines sakralen Verständnisses von Königtum seit dem späten 17. Jahrhundert hat den Blick darauf verstellt, daß der Monarch auch weiterhin in religiöse Zusammenhänge eingebunden sein konnte. Desakralisierung mußte nicht gleichbedeutend mit Säkularisierung sein.

An diesem Punkt setzte eine Tagung des Deutschen Historischen Instituts London an, die in den Räumlichkeiten der British Academy vom 29. November bis 1. Dezember 2002 stattfand und zu der der Direktor des Instituts, Hagen Schulze, Teilnehmer aus Großbritannien, Frankreich, den Vereinigten Staaten und Deutschland begrüßen konnte. Ziel der Konferenz war es, die Bedeutung des Verhältnisses von Monarchie und Religion im 18. Jahrhundert aufzuzeigen und zugleich die Modifikationen der religiösen Sphäre des Monarchen im Zeichen von Toleranz und Aufklärung nachzuzeichnen. Thematisiert werden sollte, welche Rolle Religion in der Repräsentation und im Selbstverständnis des Monarchen, in seinem praktischen Lebensvollzug und in seiner (höfischen) Umgebung während des 18. Jahrhunderts noch spielte. Welche religiösen Motivkomplexe fanden in der Repräsentation des Herrschers noch Verwendung und welche Wirkung entfalteten sie? Welche Auswirkungen hatte das Ende der barocken Hofkultur auf das religiöse Zeremoniell und das religiöse Leben bei Hofe? Wie veränderte sich die Zusammensetzung der geistlichen Umgebung des Herrschers im Laufe des Jahrhunderts und welchen – intellektuellen wie politischen - Einfluß übte sie noch aus? Wurde Religion zur Privatangelegenheit des Monarchen, sichtbar nicht zuletzt in der Art und Weise, wie sein Begräbnis begangen wurde, oder blieb sie im öffentlichen Raum, inner- wie außerhalb des Hofes, präsent?

Aus diesen Überlegungen, die Michael Schaich (London) als Organisator der Tagung eingangs kurz skizzierte, ergaben sich vier thematische Komplexe, um die herum die Tagung strukturiert war. 1. Religious Representation of the Ruler, 2. Religious Ritual at Court, 3. The Clergy at Court, 4. The Death of the Monarch. Um eine vergleichende Perspektive auf das Thema zu eröffnen, waren Vorträge zu England, Frankreich, Österreich, Rußland, Preußen und einzelnen kleineren deutschen Fürstentümern vorgesehen. Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, daß die verschiedenen Konfessionskulturen im Europa der Frühen Neuzeit gleichmäßig vertreten waren und die Gemeinsamkeiten oder Besonderheiten katholischer, protestantischer und orthodoxer Monarchien deutlich hervortraten.

Einleitung

Eingeleitet wurde die Tagung mit einem Vortrag des an der Universität von Kansas lehrenden Historikers Jonathan Clark, der mit seinem erstmals 1985 erschienenen Buch “English Society 1688-1832” die Forschungslandschaft zum englischen 18. Jahrhundert schlagartig verändert hatte. Mit seiner These eines auch nach der Glorreichen Revolution in England fortbestehenden Ancien Régimes hatte er bis dato vernachlässigte Themen wie Monarchie, Religion und Aristokratie wieder fest auf die Agenda britischer und amerikanischer Historiker gesetzt. Die Situation der angelsächsischen Geschichtsschreibung zu Beginn der 1980er Jahre bildete denn auch den Ausgangspunkt seines Vortrags mit dem Titel “The Changing Court: the evolving role of court culture in eighteenth-century Europe and in recent historiography”. Damals galten Themen wie Monarchie und Religion als hoffnungslos veraltet und schienen dem nahen - historiographischen - Untergang geweiht. Während des vorangegangen halben Jahrhunderts hatten, so Clark im Anschluß an einen berühmt gewordenen Aufsatz Lawrence Stones, verschiedene Sozialwissenschaften (Wirtschaftswissenschaften, Soziologie, Psychoanalyse, Demographie und Anthropologie) Forschern zum 18. Jahrhundert als Leitwissenschaften gedient und das Interesse von traditionellen Themen wie dem frühneuzeitlichen Hof oder religiösen Einstellungen abgelenkt. Das britische achtzehnte Jahrhundert erschien als Zeitalter von Modernisierung und Säkularisierung. Industrialisierung, Urbanisierung, die Entstehung einer Konsumgesellschaft oder der Aufstieg des Bürgertums waren beliebte Untersuchungsgegenstände. Traditionelle Themen wie Religion oder Monarchie überlebten diese Phase nur mit Mühe und Not in Nischen oder am Rande der Zunft. In den frühen 1980er Jahren kam es jedoch zu einer unerwarteten Wendung: die Theologie gewann Einfluß auf die Geschichtswissenschaft. Religion avancierte zu einem bevorzugten Gegenstand der Forschung, der nun aus seinen eigenen Prämissen heraus untersucht wurde. Im Falle Englands läßt sich dieser Wandel in verschiedenen Bereichen festmachen: die Geschichte politischer Ideen entdeckte die religiösen Wurzeln vermeintlich säkularer Weltbilder, das Verhältnis von Staat und Kirche wurde als einer der wichtigsten Gegenstände der intellektuellen und politischen Auseinandersetzung des 18. Jahrhunderts erkannt, monarchische und hierarchische Gesellschaftsordnungen, die sich auf christliche Lehren beriefen, galten im Zeitalter der Aufklärung nicht länger als anachronistisch, während zugleich die religiösen Ursachen der amerikanischen Revolution verstärkt in den Blick gerieten. Diese Aufwertung lange unterschätzter Themen kam auch der Forschung zum Fürstenhof, jenem Ort, an dem sich Monarchie und Religion verschränkten, zugute. Die Repräsentation von Macht in Kunst und Zeremoniell, die fortdauernde politische Funktion des Hofes oder seine Rolle als Ort der Patronage waren einige der Themen, die sich international besonderer Beliebtheit erfreuten. Gleichwohl sind Defizite der Forschung nicht zu übersehen: Vergleiche höfischer Kulturen über nationale Grenzen hinweg stehen nicht nur für das 18. Jahrhundert noch aus. Vor allem aber wurde die religiöse Dimension der europäischen Höfe in Untersuchungen bislang weitgehend ausgespart. Dabei blieben etwa in Großbritannien bis weit ins das 19. Jahrhundert hinein nationale Dankgottesdienste eine alltägliche Erscheinung, beschworen die Anhänger der Monarchie weiterhin deren sakrale Grundlagen, und bemühten die Herrscher ungeachtet der Kritik Lockes an den Ideen Filmers patriarchalische Stereotypen. Vorsicht ist zudem beim Blick auf die sich wandelnde Rolle von Religion geboten. Zu oft wird Wandel mit Niedergang gleichgesetzt, obwohl eher eine Reform religiöser Praktiken, das Aufkommen neuer theologischer Strömungen oder eine Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche gemeint ist. Nimmt man Themen wie Monarchie und Religion auch im 18. Jahrhundert noch ernst, öffnet sich dagegen der Blick auf eine andersgeartete Mentalität, die von der Aufklärung nicht beseitigt wurde und die uns zwingt, auch andere Phänomene des 18. Jahrhunderts neu zu bedenken. Der Weg zu dieser Neubewertung wurde durch das veränderte intellektuelle Klima der letzten zwanzig Jahre geöffnet.

1. “Religious Representation of the Ruler”

Diesen Anregungen folgend, stand die erste Sektion der Tagung, die von Joanna Innes (Oxford) moderiert wurde, unter der Überschrift “Religious Representation of the Ruler”. Eröffnet wurde sie von Hannah Smith (Cambridge) mit einem Vortrag unter dem Titel “Defenders of the Protestant Faith. Godly Kingship from George I to George III”. In ihm untersuchte Smith die Bedeutung der protestantischen Religion für das Ansehen der britischen Monarchie im 18. Jahrhundert. Während der gesamten Regierungszeit der ersten drei Vertreter der Hannoveraner Dynastie wurden die Monarchen in Anlehnung an den seit Heinrich VIII. gebräuchlichen Zusatz zum königlichen Titel als Verteidiger des protestantischen Glaubens porträtiert. Geistliche und Dichter feierten Georg I. (1714-1727) und Georg II. (1727-1760) als gottgefällige Soldatenkönige, die den Protestantismus in ganz Europa vor katholischen Übergriffen schützten. Dabei beschworen sie zum einen die militärische Karriere der beiden Hannoveraner in den Türkenkriegen bzw. der Schlacht von Dettingen, verglichen sie zum anderen aber auch mit mythologischen Figuren wie dem Heiligen Georg oder früheren englischen Soldatenkönigen, insbesondere Eduard III., Heinrich V. und Wilhelm von Oranien. Daneben wurde Karoline von Brandenburg-Ansbach, die Gemahlin Georgs II., als protestantische Heldin verherrlicht, hatte sie doch die Ehe mit einem Habsburger Prinzen ausgeschlagen, weil sie nicht zum katholischen Glauben konvertieren wollte. Während der langen Regierungszeit Georgs III. (1760-1820) wandelte sich dann das Bild des “defender of the faith”. Insbesondere unter dem Eindruck der französischen Revolution wurden Georg III. und seine Frau, Charlotte von Mecklenburg-Strelitz, nunmehr als Vorbilder einer allgemeinchristlichen Frömmigkeit porträtiert, die dem blasphemischen Geist der Pariser Revolutionäre Einhalt gebot. Gleichwohl blieb die protestantische Komponente in der Darstellung des Monarchen und seiner Familie prominent, wie insbesondere die Einbindung der Hochzeiten innerhalb des königlichen Hauses in eine protestantische Ikonographie zeigt. Beide Konzepte schloßen sich gegenseitig nicht aus. “George III remained as much the Defender of the Faith of Protestants as the Defender of Christianity.”

Den Gegenentwurf zur protestantischen Stilisierung des Hauses Hannover untersuchte Edward Gregg (South Carolina) in seinem Referat über “The Exiled Stuarts. Martyrs for the Catholic Faith?” Ihre Konversion zum Katholizismus diente den vertriebenen Stuarts das ganze 18. Jahrhundert hindurch als Erklärung für den Verlust der Krone. Gleichzeitig versuchten sie mit dieser Behauptung die Unterstützung der katholischen Monarchien in Europa zu mobilisieren. Die Situation am jakobitischen Exilhof trug diesem Anspruch nicht ganz Rechnung. Die Stuarts unterhielten stets mindestens einen anglikanischen Kleriker in offizieller Funktion, eine Praxis, die selbst während ihres Aufenthalts in Rom nach 1717 beibehalten und von den Päpsten stillschweigend toleriert wurde. Bis 1770 gab es eine weitgehend ununterbrochene Folge von anglikanischen Hofgeistlichen. Dominiert wurde der Hof von Katholiken, wobei es wiederholt auch zu spektakulär inszenierten Konversionen zum Katholizismus kam. Um ihr Image als katholische Dynastie zu stärken, betrieben die exilierten Stuarts zudem die Kanonisation des im Ruch der Seligkeit gestorbenen Jakob II. (1633-1701) sowie der polnischen Gemahlin Jakobs (III.) (1688-1766), Clementina Sobieska. Beide Kanonisationsprozesse versandeten jedoch im Laufe der Zeit, insbesondere als nach 1745 die jakobitische Sache im Niedergang begriffen war. Jakob (III.) war denn auch der Meinung, daß das Märtyrertum der Stuarts von der katholischen Kirche zumindest finanziell entschädigt werden sollte, wenn es schon keine politischen Früchte trug. Immerhin zeugte die Erhebung eines Sohnes Jakobs (III.) zum Kardinal im späteren 18. Jahrhundert ein letztes Mal in prominenter Weise von der engen Verbindung mit der katholischen Kirche.

Den ersten Tag der Konferenz beschloß Chantall Grell (Paris) mit einem Vortrag über “Le sacre de Louis XVI: la fin d’un mythe”. Am Beispiel der Krönung Ludwig XVI. (1775-1793) zeigte sie auf, wie weit die Desakralisierung der französischen Monarchie zu diesem Zeitpunkt fortgeschritten war. Die Ereignisse im Juni 1775 lösten eine Debatte über den Sinn der Krönungen aus, die bis in die Administration selbst hineinreichte. Turgot sprach sich etwa vehement gegen die Zeremonie aus, die er als überholt abtat. Obwohl die Feierlichkeiten schließlich doch vonstatten gingen, beschädigte ihr von Grund auf modernisiertes Erscheinungsbild den sakralen Gehalt der Zeremonie nachhaltig. Sowohl der Einzug in Reims wie auch die Krönung präsentierten sich in einem von den verantwortlichen Behörden radikal veränderten Gewand. Stadt und Kathedrale waren in antikisierendem Dekor geschmückt, die gotische Architektur und die mittelalterlichen Kunstwerke dagegen verhängt. Im Endresultat kollidierte der profane Dekor jedoch mit dem sakralen Inhalt. Die religiöse Zeremonie verwandelte sich in ein Historienspektakel ohne innere Kohärenz. Die sakrale Dimension der Krönung wurde noch von anderer Seite angezweifelt. In gelehrten Zirkeln entspann sich eine Kontroverse über die historische Authentizität der Krönungen der französischen Könige und insbesondere der als Urbild dienenden Taufe Chlodwigs. Im Zuge dieser Debatte wiesen Historiker darauf hin, daß der Bericht Hinkmars von Reims über das von einer Taube aus dem Himmel herabgetragene Salböl erst sehr viel später entstanden und das Wunder dementsprechend als Glaubensartikel aufzufassen sei. Parallel dazu wurde auch der Bericht Gregors von Tours über die Taufe Chlodwigs selbst einer strengen Kritik unterzogen und in seiner Glaubwürdigkeit unterminiert. Die Krönung Ludwigs XVI. erschien den Zeitgenossen mithin als ein Ritual ohne sicheres historisches Fundament. Wie die Versuche einer Modernisierung der Krönungszeremonie hatte die gelehrte Debatte die sakrale Natur der französischen Monarchie in Frage gestellt. Der “mystère monarchique” war bereits im Jahr 1775 nicht mehr allgemein verständlich.

2. “Religious Ritual at Court”

Am Vormittag des zweiten Tages standen unter der Leitung von Joseph Bergin (Manchester) weiterhin Fragen der dynastischen Selbstdarstellung sowie zusätzlich Aspekte des religiösen Zeremoniells im Vordergrund. Die spezifischen Probleme der religiösen Repräsentation der Albertiner in Sachsen um 1700 standen im Mittelpunkt des Vortrags von Helen Watanabe-O’Kelly (Oxford). Bereits das ganze 17. Jahrhundert hindurch hatten sich die Albertiner als Wächter des Luthertums stilisiert, wobei zu der elaborierten Ikonographie auch die Heirat von Prinzessinnen aus gut lutherischem Hause gehörte. Dabei hatte sich eine Arbeitsteilung zwischen dem Herrscher und seiner Gemahlin eingespielt: während der Mann in den Krieg zog und die lutherische Religion mit Waffengewalt verteidigte, blieb die Frau zu Hause und widmete sich dem Gebet für die sächsischen Waffen, verteidigte Sachsen mit spirituellen Mitteln. Dieses Bild der protestantischen Landesmutter erhielt um 1700 eine besondere Bedeutung. Durch die Konversion August des Starken (1694-1733) zum Katholizismus avancierte seine Gemahlin Christiane Eberhardine von Bayreuth (1671-1727) in den Augen ihrer sächsischen Untertanen zur alleinigen Bewahrerin des lutherischen Glaubens. Christiane Eberhardine hatte sich geweigert, gleichfalls zur katholischen Religion überzutreten und sich stattdessen nach Torgau und Pretzsch zurückgezogen, wo sie ein abgeschiedenes frommes Leben führte. In der öffentlichen Wahrnehmung stieg sie zur einzigen Bewahrerin des Luthertums in Sachsen auf, insbesondere nach der Bekanntgabe der geheimen Konversion ihres Sohnes ausgerechnet im Jahr des Reformationsjubiläums 1717. Diese Stilisierung fand ihren sprechenden Ausdruck in der Bezeichnung Christiane Eberhardines als “Sachsens Betsäule”. Die Gemahlin August des Starken füllte somit das Vakuum in der religiösen Selbstdarstellung der Dynastie, das ihr Mann mit dem Übertritt zum Katholizismus hinterlassen hatte.

Ganz ähnliche Kompensationsprozesse untersuchte Ferdinand Kramer (Eichstätt) in seinem Referat am Beispiel des Kurfürstentums Bayern. Er versuchte den Widerspruch zwischen der aufgeklärten Kirchenpolitik der bayerischen Kurfürsten im 18. Jahrhundert und der Selbstdarstellung der Dynastie als Hüterin des katholischen Glaubens aufzulösen. Die bayerischen Kurfürsten präsentierten sich das ganze 18. Jahrhundert hindurch in dieser traditionellen Rolle, die ihre Wurzeln in der gegenreformatorischen Politik der bayerischen Herzöge Wilhelm V. (1579-1597) und Maximilian I. (1597-1651) hatte. Damals war, nicht zuletzt unter jesuitischem Einfluß, eine katholische Staatsideologie entwickelt worden, die als zentrales Element die Marienverehrung (Maria als Patrona Bavariae) enthielt und ungebrochen bis ins 18. Jahrhundert reichte, wie etwa die von den bayerischen Herrschern unternommenen Wallfahrten zu den Marienheiligtümern in Tuntenhausen, Dorfen und Altötting unterstreichen. Seit dem Regierungsantritt des Kurfürsten Max III. Joseph (1745-1777) geriet diese Staatsideologie in Widerspruch zu einer zunehmend aufgeklärteren Kirchenpolitik. Gleichwohl lief das religiöse Leben am Hofe in den traditionellen Bahnen weiter. Der tägliche Gottesdienstbesuch sowie die Feier der verschiedenen Kirchenfeste gehörten ebenso zum Alltag in der Münchner Residenz wie die Mitgliedschaft des Kurfürsten und seiner Familie in den verschiedenen Brüderschaften oder ihre Teilnahme an den großen Fronleichnamsprozessionen. Seinen Höhepunkt fand der kämpferische Katholizismus in den Begräbnissen der Wittelsbacher, die mit der Bestattung der Herzen am Marienwallfahrtsort Altötting und der Körper in der Münchner Theatinerkirche einer ganz eigenen religiösen Choreographie folgten. Erklärbar wird das ungebrochene Fortwirken der katholischen Staatsideologie nur vor dem Hintergrund der Legitimationskrise, in die der bayerische Staat im Laufe des 18. Jahrhunderts in zunehmendem Maße geriet. Neben der aufgeklärten Kirchenpolitik waren es die verschiedenen Ländertauschprojekte des späten 18. Jahrhunderts, die das Ansehen der bayerischen Herrscher beschädigten. Die Selbststilisierung der Wittelsbacher als Bewahrer des katholischen Glaubens bot sich in dieser Situation als Mittel zur Integration des Landes an.

Einen Überblick über die religiösen Feste am russischen Hof gab Simon Dixon (Leeds), der zu Beginn seines Vortrags auch die bislang noch kaum erforschte Geschichte des russischen Hofes von Peter dem Großen (1682-1725) bis Katharina II. (1762-1796) skizzierte und dabei insbesondere den langwierigen Prozeß der Etablierung eines Hofes nach westlichem Muster beschrieb. Entsprechend war auch das religiöse Leben im Umbruch begriffen. Sichtbaren Ausdruck fand diese Situation in einem das ganze Jahrhundert hindurch fast ununterbrochen religiöses Bauprogramm. Seit dem Umzug des Hofes von Moskau nach St. Petersburg ließ beinahe jeder Zar Kirchen, Palastkapellen und Klöster neu errichten. Noch deutlicher zeigten sich die Veränderungen im religiösen Kalender des Hofes. In der Moskowitischen Zeit hatte der Hof noch genau die Vorgaben des orthodoxen Kirchenjahres befolgt. Dies änderte sich unter Peter dem Großen, als die zwölf großen orthodoxen Kirchenfeste teilweise aus dem Hofkalender verschwanden und durch Feiern militärischer Siege sowie der Geburts- und Namenstage des Zaren und seiner Angehörigen ersetzt wurden. Aus diesen Veränderungen ist in der Sekundärliteratur meist der Schluß gezogen worden, daß die kirchlichen durch säkulare Feste ersetzt worden seien, in denen das Militär eine prominente Rolle gespielt habe. Es sei zu einem Niedergang der alten Religiosität gekommen. Gegen solch eilfertige Schlußfolgerungen riet Dixon mit Blick auf die weitere Entwicklung jedoch zur Vorsicht. So tauchten unter der Zarin Anna (1730-1740) zahlreiche orthodoxe Kirchenfeste, wenngleich angereichert um ein militärisches Element, wieder im Hofkalender auf. Auch andere religiöse Feste der Zeit vor Peter dem Großen erlebten eine Wiederauferstehung. Zudem wurde etwa seit 1743 am Tag des Heiligen Alexander Newskij wieder eine Prozession mit einer Ikone nach moskowitischem Vorbild eingeführt. Selbst unter Katharina II., deren Hofkalender auf den ersten Blick einen rein säkularen Eindruck hinterläßt, verschwanden kirchliche Feste nicht von der Bildfläche, wie ein Blick auf die dichte Abfolge religiöser Zeremonien, an denen Katharina und der Großherzog Paul während der Fastenzeit und der Osterfeiertage des Jahres 1769 teilnahmen, exemplarisch zeigt. Auch wenn die These von einer Säkularisierung des höfischen Kalenders bis zu einem gewissen Grad zutrifft, darf sie doch nicht verabsolutiert werden. Traditionelle Religiosität überlebte in einer mäßig militarisierten Form.

Weitgehend unverändert im Vergleich zum 17. Jahrhundert präsentierte sich dagegen das religiöse Leben am französischen Hof, wie Gérard Sabatier (Grenoble) in seinem Vortrag deutlich machte. Die französischen Könige verrichteten weiterhin beim „lever“ und „coucher“ halb private Gebete. Auch fand täglich die Messe in der Hofkirche statt, wobei die Monarchen am Gottesdienst in der Regel von einem erhöhten Offertorium aus teilnahmen und nur in besonderen Fällen im Kirchenschiff selbst zugegen waren. Daneben gab es eigene Gottesdienste für die Königin, Andachten und fünfzehn größere Kirchenfeste, die der König jedoch nicht immer mit seiner Anwesenheit beehrte. Teil des Hofkalenders waren Prozessionen, etwa an Pfingsten oder am Palmsonntag, sowie die zwei in besonderer Weise mit der Dynastie verbundenen Feste der Himmelfahrt Mariens sowie der Namenstag des Heiligen Ludwig. Schließlich kamen noch Feste religiöser Gemeinschaften sowie der Ritterorden hinzu. Diese Aufzählung ist jedoch unvollständig, da zahlreiche religiöse Zeremonien der Monarchie auch außerhalb des engeren Raumes des Hofes vollzogen wurden. Zu ihnen gehörten zunächst die beiden wichtigsten Rituale, die Krönung und das Begräbnis des Herrschers, wobei die Begräbnisse im Laufe des Jahrhunderts eine privatere Form annahmen. Nicht mehr das Begräbnis eines Königs sollte begangen werden, sondern die Bestattung eines Christen. Zum regulären Bestand religiösen Brauchtums, das mit der Monarchie verbunden war, gehörten auch die Bitt- und Dankgottesdienste während Erkrankungen des Herrschers, die im ganzen Land stattfanden. Im Mittelpunkt dieser Zeremonien standen Porträts des Königs und seiner Familie, die auf einem Thron plaziert waren und so die Präsenz des Herrschers in ganz Frankreich unterstrichen. Eine ähnliche Funktion erfüllte auch das Te Deum, eine der großen monarchischen Zeremonien, in der Gott für das Wohlergehen des Herrschers wie des Landes gedankt wurde. Selbst die Errichtung königlicher Statuen nahm religiöse Dimensionen an, lassen sich doch in solchen Akten die Anfänge einer „religion civique“ erkennen, die auf die Revolutionsfeste vorausweisen.

3. “The Clergy at Court”

Die Nachmittagssektion, moderiert von Harry T. Dickinson (Edinburgh), widmete sich dem bei Hofe anzutreffenden Klerus, wobei Nicole Reinhardt (Paris) im ersten Vortrag das Bild des von Mythen umwobenen Beichtvaters der französischen Könige analysierte, das an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert einen dramatischen Wandel erfuhr. Die herausgehobene Stellung der geistlichen Ratgeber erklärt sich aus der gewichtigen Rolle, die sie für die französische Monarchie spielten. Beichte und sakrale Qualität des Königtums waren aufs engste miteinander verknüpft. So befand sich der Herrscher nur nach der Reinigung seines Gewissens in jenem Zustand der Gnade, der es ihm erlaubte, Skrofeln zu heilen. Auch innerhalb des Krönungsritus kam der Beichte eine bedeutende Funktion zu. Die Prinzen des Hauses erhielten schon im Alter von sieben Jahren einen Beichtvater, der seit dem frühen 17. Jahrhundert stets aus dem Jesuitenorden stammte. Das schwierigste Problem, das sich den jesuitischen Beichtvätern in ihrer Tätigkeit stellte, war ihr Verhältnis zur politischen Macht. Obwohl sie seit dem 16. Jahrhundert wiederholt von den Ordensoberen angewiesen worden waren, sich aus der Politik herauszuhalten, wurden sie im Laufe des 17. Jahrhunderts immer wieder in politische Machenschaften verstrickt, nicht zuletzt unter Ludwig XIV. (1643-1715). Nach dem Tod des Sonnenkönigs wurde der Beichtvater allerdings entmachtet: er verlor seinen Sitz in dem für die Kirchenpolitik zuständigen „Conseil de Conscience“. Zudem wurde die Position des Beichtvaters erstmals nicht mehr mit einem Jesuiten besetzt. Auch wenn letztere Entscheidung rasch wieder revidiert wurde, waren die geistlichen Ratgeber durch diese Maßnahmen doch aus dem Licht der Öffentlichkeit gerückt worden, ein Vorgang, der nicht ohne Konsequenzen auf das Bild des Beichtvaters bleiben konnte, wie es insbesondere in der klandestinen Literatur gezeichnet worden war. Hatte bis dahin das Image unter den generellen antijesuitischen Klischees (Monarchomachismus, Laxheit in moralischen Fragen, politisches Intrigantentum) gelitten, so dienten die Beichtväter in diesen Texten häufig auch als Sündenböcke für die Könige. Wie die führenden Minister und Favoriten Ludwigs XIV. konnten sie für fehlgeleitete Politik verantwortlich gemacht werden. Mit dem Rückzug der geistlichen Ratgeber aus der politischen Arena unter Ludwig XV. (1715-1774) verschwand die Polemik gegen die Beichtväter. Schlaglichtartig deutlich wurde die neue Konstellation während des Jahres 1744, als Ludwig XV. im scheinbaren Angesicht des Todes seine Mätressen aufgeben mußte, da ihm ansonsten die Ablegung der Beichte und der Empfang der Sterbesakramente verweigert worden wäre. War Ludwig XIV. in der öffentlichen Meinung noch von skrupellosen Ratgebern in Gestalt der jesuitischen Beichtväter umgeben gewesen, so stand sein Nachfolger einsam und allein da. Nun trug in der öffentlichen Wahrnehmung niemand anderer mehr die Schuld als der König selbst. Seine jesuitischen Ratgeber waren dagegen aus dem Blick der Öffentlichkeit verschwunden. Die heroische Phase des Beichtvaters war vorüber.

Den Blick über den Ärmelkanal und auf die Situation am britischen Hof unter Georg I. (1714-1727) und Georg II. (1727-1760) lenkte Stephen Taylor (Reading) in einem Vortrag, der nach seinen eigenen Worten “a variation on the theme of the decline of the court since the late seventeenth century” darstellte. Unter den beiden Hannoveranern hatte der Hof seine noch Ende des 17. Jahrhunderts bedeutende Position für den anglikanischen Klerus eingebüßt. Ablesen läßt sich dieser Prozeß vor allem an zwei Bereichen: dem Bedeutungsverlust des Hofes als Ämterbörse für die Geistlichkeit und als Ort theologischer Debatten. Während im 17. Jahrhundert die Stelle eines “royal chaplain” noch als notwendige Voraussetzung für eine weitere Karriere innerhalb der anglikanischen Kirche, insbesondere für den Aufstieg in ein Bischofsamt, gegolten hatte, nahm die Zahl derjenigen Hofkapläne, die im 18. Jahrhundert Bischöfe wurden, seit der Regierungszeit Georgs II. kontinuierlich ab. Politiker wie Robert Walpole oder der Herzog von Newcastle zogen das Recht zur Ernennung hoher Würdenträger mehr und mehr an sich. Vergleichbares gilt auch für die Rolle der Hofpredigt, die bis einschließlich der Regierung Königin Annas (1702-1714) zur Erörterung wichtiger theologischer Fragen sowie zur Verteidigung kontroverser politischer Entscheidungen genutzt worden war. Unter den Hannoveranern brach diese Tradition ab. Um 1720 hörte die Gewohnheit, Hofpredigten zu drucken und damit auf eine breitere Öffentlichkeit einzuwirken, fast schlagartig auf. Der Klerus suchte sich andere Arenen für seine geistlichen Ansprachen. Letztlich läßt sich der Eindruck nicht von der Hand weisen, daß der Hof nicht mehr dieselbe Bedeutung für die anglikanische Kirche besaß wie früher.

Eine ähnlich skeptische Einschätzung der Rolle des Hofklerus gab Derek Beales (Cambridge) in seinem Vortrag über die Wiener Hofgeistlichkeit unter den Regierungen Maria Theresias (1740-1780) und Josephs II. (1765-1790). Während beider Regierungszeit lief der gegenreformatorische Elan der Habsburgermonarchie allmählich aus, eine Entwicklung, die auch auf das religiöse Leben des Hofes Auswirkungen hatte: so wurde die Zahl der jährlichen Kirchenbesuche des Hofes von 87 auf letztlich 22 reduziert, großangelegte Projekte wie der unter Karl VI. begonnene Ausbau des Palastklosters Klosterneuburg beendet und der Einfluß des Jesuitenordens seit 1759 systematisch reduziert. Folgerichtig war auch die Bedeutung der Geistlichkeit bei Hofe eher gering. Es erweist sich als problematisch festzustellen, welche Geistlichen überhaupt zur Hofgeistlichkeit zu zählen sind. So fungierte etwa Abt Bessel von Göttweig zeitweise als Gesandter in kaiserlichen Diensten, doch machte ihn dies nicht zu einem Angehörigen des Hofklerus. Die Zahl der Hofgeistlichen im engeren Sinne war daher gering: während des ganzen Jahrhunderts gab es wohl unverändert zwölf Hofprediger und -kapläne. Herausgehobene Geistliche, die am Hof verkehrten, ohne zum Hofklerus selbst zu gehören, waren daneben der Erzbischof und der Nuntius, wobei insbesondere letzterer eine spirituelle Führungsrolle beanspruchte, die ihm jedoch nie zugestanden wurde. Bereits Maria Theresia, vor allem aber Joseph II. schränkten seinen Wirkungskreis beträchtlich ein. Zahlreich vertreten waren am Wiener Hof dagegen Repräsentanten des Reichsklerus: Reichsäbte, wie etwa Martin Gerbert von St. Blasien, und Reichsbischöfe hielten sich wiederholt in Angelegenheiten ihrer Institutionen am Kaiserhof auf. Nicht zuletzt verkehrten unter Joseph II. auch einige Mitglieder der Habsburgerfamilie, die dem Klerus angehörten (Josephs Bruder Erzherzog Max Franz von Köln sowie zwei seiner Schwestern), am Wiener Hof. Letztlich verhinderte jedoch der Umstand, daß unter Joseph II. praktisch kein Hof existierte und er unter seinen Nachfolgern nur in begrenztem Umfang wiederbelebt wurde, eine stärkere Rolle der Geistlichkeit.

Zu einer deutlich positiveren Wertung gelangte dagegen Paul Bushkovitch (Yale) in seinem Vortrag über den russischen Hofklerus und insbesondere dessen zu Unrecht von der Forschung vernachlässigte Predigttätigkeit. Eingeführt worden war das Genre der Predigt am russischen Hof in den 1660er und 1670er Jahren. Neben dem Zelebrieren der Liturgie wurde das Predigen in der Folgezeit die Haupttätigkeit der am Hof anwesenden Geistlichkeit. Insbesondere unter Peter dem Großen waren Predigten zudem die wichtigsten Kanäle, um die russische Elite mit westlichen Ideen und Gebräuchen bekannt zu machen. So tauchte in der Predigt Erzbischof Feofan Prokopovichs zum Palmsonntag 1718 erstmals in der russischen Geschichte die Idee des Naturrechts auf. “Politische” Predigten, meist gehalten an nationalen Feiertagen, bildeten einen wichtigen Strang des Genres, der sich durch das ganze 18. Jahrhundert zieht, wobei die Glorifizierung des Herrschers, selbst wiederum ein Import aus Westeuropa, stets im Zentrum dieser geistlichen Ansprachen stand. Während in der ersten Hälfte des Jahrhunderts diese panegyrischen Ergüsse noch stark von barocker Rhetorik geprägt waren, setzte sich unter Katharina der Großen ein nüchterner und simplerer Stil durch. Neben den „politischen” Predigten gab es auch „religiöse” Predigten, die insbesondere während der Fastenzeit große Prominenz genossen. In ihnen spiegelt sich die generelle Entwicklung der russischen Kirche nach der Jahrhundertmitte wider: weg vom Einfluß der katholisch-jesuitischen Vorbilder der ersten Jahrhunderthälfte und hin zu einer wachsenden Bedeutung lutherischer und insbesondere pietistischer Ideen, angereichert um aufgeklärtes Gedankengut. Wichtiger als die gewandelten Inhalte und der geglättete Stil war in der zweiten Jahrhunderthälfte jedoch der veränderte Kontext, in dem die Predigten stattfanden. Sie waren nicht mehr das wichtigste Medium zur Popularisierung westlicher politischer oder religiöser Ideen innerhalb der höfischen Gesellschaft, sondern standen neben weit verbreiteten Übersetzungen westlicher Werke sowie dem zunehmend wichtiger werdenden Hoftheater. Der russische Hof am Ende der Regierungszeit Katharinas verfügte über andere Mittel und Wege, um westliches Gedankengut zu rezipieren, und wandte sein Interesse verstärkt der neuen aufgeklärt-säkularen Kultur zu. Allerdings wurde Religion bei aller Reduzierung ihrer Bedeutung nie zu einem nebensächlichen Aspekt, sondern behielt stets einen prominenten Platz.

4. “The Death of the Monarch”

Die letzte, von Robert J.W. Evans (Oxford) moderierte Sektion (“The Death of the Monarch”) leitete Lindsey Hughes (London) am Sonntagmorgen mit einem Referat über die Begräbnisse der russischen Zaren ein. Zum Vorbild für die Beerdigungen russischer Herrscher im 18. Jahrhundert sollte das Begräbnis Peters des Großen im Jahr 1725 werden. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Zarenbestattungen weitgehend privater Natur gewesen. Organisiert vom Patriarchen von Moskau hatten sie vor einem begrenzten Publikum stattgefunden und in einer Leichenprozession, einem Gottesdienst in der Moskauer Michaels-Kathedrale, einer 24-stündigen Vigil sowie der Beisetzung des Leichnams ihren Höhepunkt gefunden. Die Beerdigung Peters unterschied sich fundamental von diesen Begräbnissen alten Stils. Gleichsam als Schlußstein seines Reformwerks hatte Peter ein Begräbnis in St. Petersburg geplant, das westeuropäischen Vorbildern folgte und sich insbesondere durch seinen öffentlichen Charakter auszeichnete. Bereits sein als guter Tod inszeniertes Sterben (Empfang der Kommunion, Umarmung des Priesters etc.) lieferte reiches Material für russische Totenbücher. Zudem wurde eine Reihe von Bildern Peters auf dem Totenbett sowie ein Wachseffigie angefertigt - ein schockierendes Ereignis für ein Land, in dem säkulare Bilder eine neue Entwicklung darstellten. Wohl aus Rücksicht auf traditionelle Kreise wurde dieser Aspekt der Totenfeierlichkeiten später nicht wieder aufgegriffen. Erstmals gab es nach Peters Tod eine öffentliche Aufbahrung des – gleichfalls zum ersten Mal – einbalsamierten Leichnams. Die anschließende prunkvolle Leichenprozession führte über die Newa in die St. Peter und Pauls Kathedrale. Auffällig war neben der Anwesenheit zahlloser Kleriker auch die starke militärische Präsenz im Leichenzug. Dagegen sind kaum Details über den Totengottesdienst bekannt, der den Zeitgenossen wohl zu geläufig war, um eigene Aufzeichnungen zu verdienen. Schließlich wurde der Sarg Peters sechs Jahre lang öffentlich aufgestellt, um einen letzten Abschied zu ermöglichen. In seinem öffentlichen, demonstrativen Charakter erfand Peter der Große die russischen Zarenbegräbnisse neu. Sein Begräbnis bildete das Vorbild für sämtliche Begräbnisse der Romanows bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein. Im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts kam es daher lediglich noch zu kleineren Ausgestaltungen der Feierlichkeiten, wie etwa im Falle der Zarin Elisabeth, die ein um modische Accessoires angereichertes Begräbnis (”designer funeral”) erhielt.

Gleichfalls vor der Folie des 17. Jahrhunderts präsentierte Mark Hengerer (Konstanz) die Begräbnisse der Habsburgerherrscher, wobei er insbesondere drei Aspekte behandelte: das Sterben des Herrschers, sein Begräbnis sowie die Grablege. Ein deutlicher Transformationsprozeß wird dabei im Sterben des Herrschers sichtbar. Noch die Kaiser Ferdinand II. (1619-1637) und III. (1637-1657) folgten in ihren letzten Stunden getreu den Vorschriften der spätmittelalterlichen „ars moriendi“ für einen guten christlichen Tod (Beichte, ununterbrochene Folge von Gebeten). Dagegen umgab das Sterben Leopolds I. (1658-1705) und Josephs I. (1705-1711) schon nicht mehr dieselbe intensive religiöse Atmosphäre. Obgleich die vorgeschriebenen Schritte (Beichte, Gebet) befolgt wurden, nahmen sie eine formalisiertere Erscheinung an. Ein weitgehender Bruch findet sich dann mit Joseph II., der bis zum Schluß an den Akten gearbeitet haben soll. Keine einheitliche Entwicklung läßt sich dagegen bei den Begräbnissen ausmachen, die aus vier Teilen bestanden: der Aufbahrung der Leiche in der Hofburg, der nächtlichen Leichenprozession, dem Begräbnis in der Gruft der Wiener Kapuzinerkirche selbst sowie den Exequien. Während die ersten drei Teile lange Zeit weitgehend unverändert blieben, unterlagen die Exequien, der wichtigste Teil der Feierlichkeiten, seit dem frühen 17. Jahrhundert einem grundlegenden Wandel. Die im Mittelpunkt der Zeremonie stehenden “castra doloris” verloren mehr und mehr ihre christlichen Bezüge und dienten stattdessen der Legitimierung der Herrschaft durch Bezüge zur klassischen Antike. Mitte des 18. Jahrhunderts hatten sich die Trauergerüste dann weitgehend überlebt. Der eigentliche Bruch innerhalb der Begräbnisfeierlichkeiten kam erst unter Joseph II., der entsprechend seinem aufgeklärten Selbstverständnis den zeremoniellen Aufwand reduzierte (z.B. kürzere Aufbahrung, bescheidenere Prozession). Dagegen hatte sich die Grablege der Habsburger in der Kapuzinergruft im Laufe des 18. Jahrhundert zur zentralen Gedenkstätte der Dynastie entwickelt. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts wurde der christliche Dekor der schlichten Särge allmählich durch säkulare Symbolik sowie eine monumentalere Gestaltung der Sarkophage abgelöst. Auch mit Blick auf die Grablege läßt sich also feststellen, was bereits in den anderen Teilen deutlich wurde, daß nämlich neben der Religion andere Referenzsysteme an Bedeutung gewannen. In Anlehnung an Thomas Luckmann und Niklas Luhmann können das Sterben und die Begräbnisse der Habsburger als Teil jenes umfassenderen Prozesses begriffen werden, der Religion aus dem Zentrum einer ehemals hierarchisch gegliederten Gesellschaft rücken und zu einem Subsystem der modernen Gesellschaft werden sah.

Daß Religion im 18. Jahrhundert verschiedene, nicht nur christliche Formen annehmen konnte, illustrierte Eckhart Hellmuth (München) am Beispiel der Begräbnisse der preußischen Könige. Während Preußen mit der Ausnahme Friedrichs I. (1688/1701-1713) keine Krönungen kannte, wurden die Begräbnisse seiner Herrscher mit großem Aufwand begangen. Sowohl der Große Kurfürst (1640-1688) wie auch Friedrich I. wurden mit allem Prunk zu Grabe getragen. Beide Begräbnisse unterschieden sich nicht nennenswert von anderen Staatsbegräbnissen des Barock. Erst mit dem Begräbnis des zweiten preußischen Königs sollte sich dies ändern. Friedrich Wilhelm I. (1713-1740) wollte im Tod als armer Sünder, der seinen Schöpfer um Gnade bat, erscheinen. Entsprechend betete er in seiner Sterbestunde intensiv mit Geistlichen beider protestantischer Konfessionen und ließ sich in einem bereits 1734 angefertigten schlichten Sarg im Bruch mit der bisherigen Tradition nicht in der Berliner Kathedrale mit ihren reich geschmückten Sarkophagen, sondern in der schmucklosen Gruft der neuerrichteten Garnisonskirche in Potsdam beisetzen. Die Trauerfeierlichkeiten im Anschluß an das Begräbnis wiesen einen zusätzlichen Aspekt auf: sowohl die Trauerräume im Potsdamer Schloß wie auch der Trauergottesdienst in der Garnisonskirche betonten symbolisch die Rolle der Hohenzollern-Dynastie sowie des preußischen Staates. Noch komplexer gestaltete sich das Verhältnis von Religion und Monarchie beim Begräbnis Friedrichs des Großen (1740-1786). Bereits die Sterbestunde Friedrichs unterschied sich von der seines Vaters. Ohne geistlichen Beistand, umgeben nur von seinem Arzt und einigen Getreuen verstarb er in stoischer Ruhe. War bereits sein Tod kaum christlich zu nennen, so entbehrte auch das Begräbnis, das er für sich geplant hatte, aller christlichen Attribute. Friedrich hatte eine einfache Bestattung im Park von Sanssouci vorgesehen, die jedoch voll freimaurerischer Symbolik war. Er bemühte mithin eine eigene, wenn auch nicht christliche Religion. Gleichwohl wurden seine Wünsche ignoriert. Stattdessen inszenierte man ein Begräbnis, das deutlich christliche Elemente enthielt. Nach der Aufbahrung des Leichnams wurde der Sarg in der Potsdamer Garnisonskirche unter Abspielung eines Chorals beigesetzt. Auch die anschließenden Trauerfeierlichkeiten, die dem Vorbild der Exequien seines Vaters nachgestaltet waren, enthielten mit dem Trauergottesdienst eine starke religiöse Dimension. Offensichtlich konnte auf die christliche Tradition auch dann nicht verzichtet werden, wenn der verstorbene Monarch selbst sich längst von ihr abgewandt hatte. Wie bei Friedrich Wilhelm I. war den anschließenden Trauerfeierlichkeiten noch eine weitere Bedeutungsebene eingezogen: das Trauergerüst in der Garnisonskirche und die Predigten, die in jenen Tagen landauf, landab in Preußen gehalten wurden, feierten die Tugenden des Verstorbenen, insbesondere seinen entsagungsvollen Dienst für das Vaterland. Friedrich erschien als Mann, der sich für das Wohl des preußischen Staates geopfert hatte. Dieser Kult um den toten Friedrich läßt eine neue, ganz andersartige Form von Religion erkennen: die eines preußischen Patriotismus und Nationalismus.

Über den Prozeß der Privatisierung der Begräbnisse innerhalb des britischen Königshauses berichtete im letzten Vortrag Michael Schaich (London). Das ganze 18. Jahrhundert hindurch fanden die königlichen Begräbnisse “in a private manner” statt. Sie unterschieden sich damit grundlegend von den sogenannten “public funerals” des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, die mit der Beerdigung Marias II. 1695 einen letzten Höhepunkt erlebt hatten. Der Leichnam der Gemahlin Wilhelms von Oranien (1689-1702) war noch mehrere Tage im Palast von Whitehall öffentlich aufgebahrt und anschließend in einem prächtigen Trauerzug zur Westminster Abbey gebracht worden. Während des Gottesdienstes hatte er in einem Trauergerüst in der Vierung des Kirchenschiffes gelegen, ehe er in der Kapelle Heinrichs VII., dem traditionellen Begräbnisort der englischen Monarchie, beigesetzt worden war. Bereits beim Tod ihres Mannes setzte ein Prozeß ein, der zu einer immer intimeren Feier der Begräbnisse führte. Die Dauer der Aufbahrung und der Kreis der Zugelassenen wurden sukzessive eingeschränkt, die Route des Leichenzuges so geführt, daß die wartende Menge kaum Gelegenheit hatte, einen Blick auf den Zug zu erhaschen, und der Gottesdienst aus dem Hauptschiff der Kirche in die kleinere Kapelle Heinrichs VII. verlegt. Zudem fanden die Feierlichkeiten nun nachts statt. Parallel dazu wurde die Zahl der im Leichenzug Mitmarschierenden so weit reduziert, dass am Ende nur noch der innere Zirkel der Hofgesellschaft vertreten war. Dieser Rückzug in eine eng umrissene höfische Öffentlichkeit entsprach zugleich den Anforderungen an eine auch am britischen Hof Platz greifende verinnerlichte Religiosität. Die privaten Begräbnisse verzichteten auf alle Elemente der “public funerals”, die wie die Predigt oder die symbolische Einkleidung des Trauergerüsts zum Vehikel einer ostentativ zur Schau getragenen und oftmals auch konfessionell-kämpferischen Frömmigkeit geworden waren. Stattdessen schuf bereits der nächtliche Charakter der Beerdigungen eine besinnliche Atmosphäre, die durch weitere Neuerungen, vor allem die Aufführung eigens komponierter Musikstücke (“funeral anthems” z.B. von G.F. Händel) noch unterstrichen wurde. Die Auswahl der vertonten Bibeltexte läßt erkennen, daß im Zentrum der Trauerfeierlichkeit spätestens seit der zweiten Jahrhunderthälfte das Seelenheil des Verstorbenen stand. Mit ihrer privatisierten und verinnerlichten Religiosität entsprachen die Leichenbegängnisse der britischen Königsfamilie den Anforderungen einer gewandelten Zeit.

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