Neues zu Joseph von Lassberg

1. Lassbergs Nibelungenlied

Vor kurzem war vom Erwerb der berühmten Handschrift C des "Nibelungenlieds" zu lesen, die 1993 beim Verkauf der Handschriftensammlung der Hofbibliothek Donaueschingen der Fürsten von Fürstenberg im Besitz des Adelshauses geblieben war (Ms. 63). "Das in finanziellen Schwierigkeiten steckende Haus Fürstenberg verkaufte das als "national bedeutendes Kulturgut" geltende Werk an die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), die Kulturstiftung der Länder, das Land Baden-Württemberg und Christina Freifrau von Laßberg. Über die genaue Höhe des Kaufpreises wollten die Käufer bisher jedoch keine Auskunft geben. Er bewegt sich in zweistelliger Millionenhöhe, allerdings unter 20 Millionen Mark." Im Gespräch sind als künftige Standorte des Codex Stuttgart, Karlsruhe und Heidelberg. Wie nicht anders zu erwarten, plädiert der Direktor der Badischen Landesbibliothek (BLB) Ehrle für sein eigenes Haus [1].

Der Heimlichtuerei hinsichtlich der Kaufsumme, mit demokratischer Offenheit kaum vereinbar, entspricht die wohl vom Fürstenhaus lancierte Falschinformation: "Die aus dem 13. Jahrhundert stammende Sage um den Drachentöter Siegfried, Kriemhild, Hagen und Gunther ist bereits seit 1815 im Besitz der Fürstenbergs. Bei einer Auktion in Wien gelangte das mit Gallapfeltinte auf Pergament geschriebene Werk in den Besitz der Vorfahren von Fürst Joachim." [2] Richtig ist, daß Joseph von Laßberg 1815 die Handschrift während des Wiener Kongresses für seine Sammlung dank der finanziellen Unterstützung seiner Geliebten, der Fürstin Elisabeth von Fürstenberg (mit der er einen unehelichen Sohn zeugte), erwerben konnte. Er betrachtete den Codex als das herausragende Schmuckstück seiner Sammlung und ließ sein Wappen hineinmalen [3]. Erst nach dem Tode des Gelehrten 1855 kam der Band nach Donaueschingen als Bestandteil der 1853 an das Haus Fürstenberg verkauften Bibliothek Laßbergs (Handschriften und Druckschriften). Bei den Verkaufsverhandlungen verzichtete Karl Egon von Fürstenberg darauf, die Tatsache, daß die Handschrift mit fürstenbergischem Geld erworben worden sei, ins Feld zu führen [4]. Von einem Eigentumsvorbehalt des Fürstenhauses liest man auch in der wissenschaftlichen Literatur nichts [5]. Ebensowenig kann von einer Auktion die Rede sein. Einen heute nicht mehr vorhandenen Brief Laßbergs von 1819, die zentrale Quelle für den Erwerb, gibt Volker Schupp in dem Band "Unberechenbare Zinsen" 1993 wieder (S. 19f.). Verschiedene Käufer, unter anderem der Kaiser, bemühten sich 1814/15 um die ehemals Hohenemser Handschrift.

"Ich vernahm", schrieb Laßberg, "daß Friedrich Schlegel für seinen Bruder darum unterhandle (auch von der Hagen wollte sie durch Kopitar kaufen) und endlich durch einen Herrn Eggstein, ersten Commis in der Schaumburg'schen Buchhandlung, daß er durch den englischen Lord Spencer Marlborough, bekannten Bibliomanen, beauftragt sei, die Handschrift für denselben zu erwerben. Dies war ein Donnerschlag für mich! In einen englischen Büchersaal, über dessen Thüre geschrieben steht, was Dante von der Thüre der Hölle berichtet [6], sollte der Codex kommen! einem britischen Knochenvergraber sollte er zu Theil werden, und für Deutschland, für unser Schwabenland auf ewig verloren sein! Nein, dachte ich, ehe ich dies zugebe, verkaufe ich mein letztes Hemd. Ich stellte Herrn Eggstein Himmel und Hölle vor, und war so glücklich, sein Herz weich zu machen. Er versprach mir bei meiner Abreise (20. Juni 1815), wenn der Handel zu Stande komme, mir den Vorzug zu geben, und wenn ich ihm binnen drei Wochen den ausgehandelten Preis sende, mir die Handschrift zu übermachen. Es war Ende der Fastenzeit, als Eggstein mir schrieb: Der Handel ist richtig, und wenn Sie mir binnen drei Wochen 250 Speciesducaten übermachen, so ist die Handschrift Ihr Eigenthum. Das war nun gut! Aber die 250 Ducaten hatte ich nicht, und das war nicht gut; denn die Zeit war kurz und der Weg nach Wien ziemlich weit. Indessen steckte ich meinen Brief ein, und gieng hinab zur trefflichsten der Fürstinnen (Elise zu Fürstenberg), denn es war Frühstückens Zeit. Nach einer Weile hub die beste aller Frauen an und sagte: Sie haben etwas, das Sie bekümmert, was mag das sein?" Durch die Munifizenz der Fürstin sei der Erwerb ermöglicht worden, fügt Karl August Barack an, der Laßbergs Brief zitiert.

2. Laßbergs Bibliothek als Gesamtheit ein Kulturdenkmal - 1999 zerstört!

Während der schon 1999 ins Gerede gebrachte Verkauf von "C" zu mancherlei Aufgeregtheiten in Presse und Wissenschaft führte, wurde dem ungeheuerlichen Akt des Vandalismus, die gewachsenen historischen Altbestände der Hofbibliothek Donaueschingen der Zerstreuung durch den Antiquariatshandel preiszugeben, weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt (auch wenn sich genügend Wissenschaftler von Rang empört geäußert haben) [7]. Laßbergs Bibliothek mit 11000 Druckschriften erfüllte als Ganzes alle Kriterien eines Kulturdenkmals [8]. Durch den Einzelverkauf ist sie als beziehungsreiche Gesamtheit, als Ensemble, zerstört worden - ein klarer Verstoß gegen das Denkmalschutzgesetz, die baden-württembergische Landesverfassung und möglicherweise auch gegen das Strafgesetzbuch ("gemeinschädliche Sachbeschädigung", § 304 StGB).

Laßbergs Bibliothek war ein Kulturerbe von europäischem Rang, eine unersetzliche Quelle für die Geschichte der Germanistik und der gelehrten Kultur des Bodenseeraumes in den Jahrzehnten nach 1800. Von "einer Katastrophe für die Forschung" sprach zurecht der Freiburger Altrektor und renommierteste Laßberg-Forscher Volker Schupp [9]. Und ein D. Stihler schrieb in der Zeitschrift "Württembergisch Franken" 84 (2000) zur Zerstreuung der Laßbergschen Bibliothek: "Daß man diesen skandalösen Vorgang untätig hingenommen, ihn überhaupt erst möglich machte, indem man die Bibliothek nicht in die Denkmalliste aufgenommen hat (in der weit weniger wertvolle Bestände stehen), [...] ist ein kaum zu überbietendes Armutszeugnis für das Land Baden-Württemberg" (S. 371).

Natürlich ist es zu begrüßen, daß "C" erworben wurde, aber die Tatsache, daß hier eine extrem hohe Summe in gemeinsamer Kraftanstrenung aufgebracht wurde, um diesen nationalen "Fetisch" für Deutschland zu sichern, widerlegt das Argument, für die Donaueschinger Hofbibliothek, die für einen vergleichsweise geringen Preis - - aus Antiquariatskreisen war die Summe von 4 Mio. DM (ohne Steuer, da ins Ausland) zu vernehmen -" - 1999 an ein englisch-amerikanisches Konsortium ging, hätte das Geld nicht zusammengekratzt werden können. Für einen Altarflügel in Karlsruhe war wenig später durchaus Geld (mehr als 10 Mio. DM) vorhanden. Und wo war damals die Freifrau von Laßberg, als im Herbst 1999 die Auktionen begannen, von denen die Bibliothek ihres Vorfahren zerstückelt und als Geschichtsquelle zerstört wurden? Das Land Baden-Württemberg und seine Ministerialbürokratie hat die Öffentlichkeit wiederholt falsch informiert. Es ist nicht zuletzt diese Unredlichkeit, die wütend macht.

3. Die Karlsruher Laßberg-Ausstellung: didaktisch mißlungen!

Noch bis zum 12.4. ist die Ausstellung "Joseph Freiherr von Laßberg (1770-1855) und seine Bibliothek" in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe zu sehen. Eine Internetseite enthält knappe Angaben zum Thema der Ausstellung und drei Bilder [10].

Es handelt sich um eine Kabinettausstellung, die vor allem für den Spezialisten ein Genuß ist. Die Erwerbungen der BLB mit ihren vielen handschriftlichen Bemerkungen von der Hand Laßbergs, die bibliophilen Kostbarkeiten lassen den Rang dieser einzigartigen Sammlung, die im Kern als gelehrter Handapparat eines frühen Altertumsforschers fungierte, deutlich werden. Das unsägliche Dubletten-Argument des Ministers, mit dem er den Nichterwerb der Donaueschinger Druckschriften 1999 begründete, wird so ad absurdum geführt!

Der nicht vorgebildete Besucher wird mit den Exponaten alleingelassen. An Stelle einer kurzen Einführung zu seinem Leben und Werk wird eine dürre Zeittafel (aus dem Marbacher Magazin übernommen und noch dazu gekürzt) geboten, die man irgendwann an einer Säule entdeckt. Auszüge aus den wissenschaftlichen Katalogtexten (teilweise mit unübersetzten langen lateinischen Zitaten) überfordern das breite Publikum. Das wundert sich, wieso an den Wänden Stiche des Kölner Doms hängen (Laßberg engagierte sich sehr in der Dombaubewegung), und was es mit dem Sänger-Motiv auf dem Ausstellungsplakat, entnommen einem nicht im Katalog berücksichtigten Buch von Ottmar (= Schönhuth), auf sich hat, erfährt es ebenfalls nicht.

Die Fossilien in den Buchvitrinen sollen wohl Laßbergs naturkundliche Neigungen belegen. Steine, die er aus der Burg Wesperspül brach, wie eine ausgestellte Notiz Laßbergs sagt, kommen im Katalog nicht vor - handelt es sich um Leihgaben der Fürstenbergischen Sammlungen? Der Zuschnitt der Ausstellung ist bieder und konventionell. Der Auflockerung dienen links eine überlebensgroße Reproduktion des Portals aus dem Liedersaal-Druck [11] und rechts ein Bildschirm mit einer Videosequenz: das Aufschlagen seines handschriftlichen Sängerbuchs. Daß Laßberg dem Besucher zuzwinkert, mögen andere witzig finden. Angesichts der unerfreulichen Begleitumstände leiste ich mir in diesem Punkt ein gewisses Maß an Humorlosigkeit.

4. Provenienzforschung nach Karlsruher Gusto

Von hohem wissenschaftlichen Wert ist der schön aufgemachte, opulent illustrierte Katalog, als das "Begleitbuch", das von Ute Obhof verantwortet wird. Ein geplanter Band 2 soll weitere Aspekte beleuchten. Ein abgerundetes Lebensbild Laßbergs ist die Einleitung von Ute Obhof (S. 1-28), die über Leben und Bibliothek wissenschaftlich trocken referiert, gewiß nicht. Es folgen dann 28 Abschnitte, die jeweils einem oder mehreren Exponaten gewidmet sind und von weiteren sechs Autoren verfaßt wurden (nicht besonders einleuchtend gegliedert nach den drei Abteilungen Biographie, Historische Arbeiten und Landesgeschichte). Erfreulicherweise werden jeweils wissenschaftliche Nachweise in wünschenswerter Vollständigkeit gegeben. Im Zuge der Katalogbearbeitung kamen neue wissenschaftliche Erkenntnisse (beispielsweise zu den Bänden in grünem Leder) zur Bibliothek des frühen Germanisten und Altertumsforschers zu Tage. Insbesondere zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik (hier ist Frau Obhof unbestrittene Spezialistin) konnte wertvolles Material aus den spezifischen Eigenheiten seiner Bücher erschlossen werden. Der Freiburger Archäologe Dietrich Hakelberg wird übrigens Laßbergs Büchersammlung für das Begleitbuch der Thurgauer Ausstellung würdigen, wobei man Neues über nicht-germanistische Aspekte in Laßbergs Bibliothek, sein Selbstverständnis als Altertumsforscher und besonders die von Obhof unzutreffend dargestellte Katalogisierung seiner Bibliothek erfahren wird (der Text liegt mir dank der Freundlichkeit des Autors vor). Am 7. April eröffnet im Bodman-Haus Gottlieben nämlich die Ausstellung der Thurgauischen Kantonsbibliothek "Des letzten Ritters Bibliothek Freiherr von Lassberg (1770-1855)" [12]. Man darf gespannt sein (ich bin es auch ...)!

An den Textteil (er endet S. 148), dem dankenswerterweise ein Register beigegeben ist, schließt sich ein Katalog mit eigener Seitenzählung S. 3*-105* an. Man möchte annehmen, daß es sich dabei um die Lassbergiana unter den Donaueschinger Erwerbungen handelt. Aber sehen wir genau hin! Besonders dreist mutet an, daß im Vorwort des Ministers zum Begleitbuch an erster Stelle ein Laßberg-Briefzitat steht, das seinen "denkmalschützerischen" Einsatz verdeutlicht: "Lassen sie uns, jeder an seinem Orte, sammeln und bewahren, was wir aus der Flut der Zeiten zu retten vermögen". Das Land Baden-Württemberg, das sich jetzt in schamloser Weise als Retter der Laßbergschen Bibliothek bzw. ihrer "wichtigsten Teile" in Szene setzt, hat diesem Anliegen des Sammlers Laßberg mit der Preisgabe seiner geschlossen erhaltenen Bibliothek ins Gesicht geschlagen!

Wer die Ankaufpolitik der BLB seit der ersten Auktion bei Reiss Nr. 68, bei der sie sich extrem zurückgehalten hat (während bei den letzten Auktionen durchaus großzügig zugegriffen wurde), beobachten konnte, darf bezweifeln, daß ein "repräsentatives Spektrum" für Karlsruhe gesichert wurde. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Entscheidung, wichtige Bände insbesondere mit handschriftlichen Anmerkungen nicht zu erwerben, nicht nachzuvollziehen. Unzählige wichtige Werke hat sie sich - weitgehend fixiert auf hochpreisige bibliophile Werke und die Germanistik - entgehen lassen. Das grandiose durchschossene und reich kommentierte Handexemplar der Thurgauischen Geschichte des Laßberg-Vertrauten Pupikofer (1828) konnte ein Privatsammler zu einem sehr günstigen Preis erwerben. Einige Seiten liegen davon gescannt vor [13]. Zu nennen wären daneben - um nur einiges willkürlich herauszugreifen - die "Rechtsaltertümer" von Jacob Grimm (1828) (Kiefer 42, 2896; Sig.: XXXVII.d.5415). Die zahlreichen Anmerkungen von Laßberg in "Bragur", einem wohl unter Scheffel neugebundenen Exemplar, wurden nicht erkannt (Reiss 73, 90). Überaus bedauerlich ist, daß sich niemand von den Bibliotheken um die einheitlich gebundenen Forstwerke gekümmert hat (Reiss 68, 360-376, mit Abb. der Einbände auf S. 93), niemand um die balneologischen Schriften.

Welche Kriterien angelegt wurden, bleibt offen, denn die BLB hat sich einem wissenschaftlichen Dialog der daran Interessierten bewußt entzogen. Ich habe als erster eine Laßberg-Ausstellung angeregt und diesen Gedanken am Rande einer Kiefer-Auktion auch gegenüber Frau Obhof und Herrn Bothien (Thurgauer Kantonsbibliothek) geäußert. Es läßt sich beweisen, daß die BLB bei den Auktionen keine Rücksicht auf die ihr bekannten Wünsche anderer Bibliotheken genommen hat. Eine Kooperation der BLB mit dem Thurgauer Projekt, das lange geplant war, bevor etwas von einer Karlsruher Ausstellung verlautete, kam nicht zustande. Im Begleitbuch wird mit keiner Silbe das "Konkurrenzunternehmen", dem man nun zuvorgekommen ist, erwähnt. Daß die Thurgauische Kantonsbibliothek weit über 200 Laßbergiana für die Forschung gesichert hat, erfährt man dort ebensowenig wie die Tatsache, daß nicht wenige der rund 500 juristischen Bände, die das Frankfurter Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte aus Donaueschingen gekauft hat, ebenfalls aus Laßbergs Sammlung stammen [14]. Bedanken möchte ich mich aber ausdrücklich für die Nennung der korrekten Internetadresse meines Projekts "Donaueschingen Digital", das die virtuelle Rekonstruktion der Hofbibliothek anstrebt, in Anm. 8 der Einleitung [15].

So erfreulich es ist, daß die Donaueschinger Erwerbungen der BLB (bislang 896 Werke) in einer Kraftanstrengung ohnegleichen im Rahmen des Südwestverbunds katalogisiert wurden und im OPAC der BLB mit der Expertensuche az=dona aufgefunden werden können [16], so merkwürdig mutet das an, was die BLB unter dem Provenienzprinzip versteht. Positiv ist zu verbuchen, daß eine eigene Signaturgruppe 100 B 76000 RH vergeben wurde und daß in den jeweiligen Lokaldaten die Herkunft aus Donaueschingen und - höchst löblich! - die Nummern der Auktionen bei Reiss und Kiefer angegeben ist (bzw. die anderen Händler, bei denen gekauft wurde). Aber es gibt im OPAC keinen Hinweis auf die weiteren Provenienzen der Bände, insbesondere aus der Bibliothek Laßbergs, und eine solche Erschließung, die von dem Begleitbuch der Ausstellung erwartet werden durfte, ist auch nicht vorgesehen.

Es ist unverzeihlich, daß die wichtigen Laßbergschen Signaturen nicht erfaßt wurden. Wie soll man die Struktur seiner Bibliothek begreifen ohne diese Angaben, die zwar mit Blick auf den Verkauf angebracht wurden, aber doch über sein Verständnis der systematischen Zusammenhänge der Bücher in den mit römischen Ziffern durchgezählten Bibliotheksschränken bedeutsame Auskunft geben? Ich habe die Verantwortlichen der BLB eindringlich, aber vergeblich gebeten, bei den Vorbesichtigungen diese Signaturen notieren zu lassen. Es handelt sich vermutlich um ein weiteres Beispiel für die im Fall Donaueschingen oft zu beobachtende "Bunkermentalität" der baden-württembergischen Ministerialbürokratie und ihrer nachgeordneten Stellen (BLB und Landesdenkmalamt), für die offene und pluralistische wissenschaftliche Kooperation ein Fremdwort darstellt. Hier ging es offenbar nicht um Wissenschaft oder den Stand der buchhistorischen Provenienzgeschichte, wie man ihn um die Wende zum dritten Jahrtausend voraussetzen darf, es ging um den selbstherrlichen Versuch, Laßberg für die Kulturpolitik des Landes und der BLB zu vereinnahmen.

Daß im angehängten "Katalog" der Bücher keinerlei Provenienzdaten mitgeteilt werden, ist mehr als ein kleiner Schönheitsfehler. Denn es hat sich herausgestellt, daß die Erfassung der Bände in den Antiquariatskatalogen außerordentlich fehlerbehaftet ist. Da ich nur einen kleinen Teil der Laßberg-Bände besichtigen konnte, wäre eine Rekonstruktion der Laßbergschen Bibliothek auf diese bedenklichen Quellen angewiesen - und natürlich auf die Einsichtnahme der Originale. Daß unzählige für Laßbergs geistige Welt aufschlussreiche Werke unzugänglich in Privatsammlungen der ganzen Welt gelandet sind, ist die Schuld des Landes Baden-Württemberg. Die Händler weigern sich (außer in wenigen Einzelfällen), den Kontakt zu den jetzigen Besitzern von Laßbergiana herzustellen - es sind einfach zuviele Bände. Und Privatsammler haben auf meine bisherigen diversen Aufrufe im Internet, mir vertraulich Informationen über Exemplare zukommen zu lassen, bislang so gut wie nicht reagiert. Um so mehr provenienhistorischen Aufschluß hätte ich von dem Karlsruher Ausstellungskatalog erwartet.

Was die Bücher der BLB angeht, so liegt mit dem "Katalog" des Begleitbuchs scheinbar der Laßberg-Anteil der Erwerbungen vor. Nach Laßbergs Todesjahr 1855 sind laut OPACder BLB 49 Bände aus Donaueschingen erschienen. Doch im Begleitbuch taucht auch Schönhuths Wigalois-Buch auf, das 1872 herauskam! Gerade bei den sogenannten "Volksbüchern" werden undokumentiert Bücher (besser: Heftchen) der Bibliothek Laßbergs zugewiesen, ohne daß es dafür einen hinreichenden Grund gibt. Daß die Donaueschinger bzw. Kieferschen Konvolute auf die zusammengeschnürten Volksbuch-Konvolute zurückgehen, die Laßberg in einem Brief an Uhland 1836 erwähnt [17], ist nicht beweisbar. Die meisten "Volksbücher" bei Kiefer (Auktion 41, 4399ff.) sind von dem Antiquariat Laßberg zugewiesen worden. Die BLB weist darüberhinaus auch weitere Stücke seiner Bibliothek zu, ohne daß in Rechnung gestellt wird, daß in Donaueschingen nicht nur Laßberg Volksbücher gesammelt hat. Die Leipziger "Neuen Volksbücher" Nr. 4425 sind 1851 bis 1858 erschienen, können also gar nicht alle Laßberg, der 1855 starb, gehört haben. Ob Schönhuth Nr. 4132 (von mir eingesehen) tatsächlich Laßberg gewidmet hat? Ich habe keinen der üblichen Provenienzhinweise gefunden! Die 21 Schriften von Nr. 4429 können unmöglich alle von Laßberg stammen, denn eine weist nach Kiefer den Stempel Leontines von Fürstenberg auf. Obwohl drei nach Kiefer aus Laßbergs Bibliothek stammen sollen, habe ich mir im ganzen Packen nur zwei Laßberg-Signaturen notiert: Geschichte vom König Eginhard (XXI.2755), [Die nüzliche Unterweisung] (XXI.2740) - Schrank XXI war der altdeutschen Literatur gewidmet. Bei dem Kayser Octavianus von 1784 im gleichen Konvolut liegt es aufgrund einer Briefstelle nahe, ihn für Laßberg zu reklamieren, aber bei den übrigen stellt sich die Frage, wieso ausgerechnet sie keine Signatur erhalten haben sollen, denn die meisten Volksbücher tragen laut Kiefer ja Laßbergsche Provenienzmerkmale.

Es darf also festgehalten werden, daß der Begleitband in seinem Katalogteil keine wissenschaftlich saubere Dokumentation zur Laßbergschen Bibliothek bietet. Da seine Angaben nicht über das hinausgehen, was im Südwestverbund an Katalogisierungsdaten online recherchierbar ist, ist der Wert der Liste zweifelhaft. Zu den skandalösen Versäumnissen bei der Rettung der Laßbergschen Bibliothek kommen somit leider auch Mängel bei der wissenschaftlichen Erschließung der dankenswerterweise erworbenen Bücher hinzu [18].

[1] http://www.ka-news.de/karlsruhe/ka20010305_b.php3


[2] Ebenda.

[3] Siehe die Abbildung: http://www.nd.edu/~medvllib/verlit/nibel/details/1rd2.html. Der gleiche Anbieter hat aus dem 1968 erschienenen Faksimile der Handschrift die erste Seite und zwei weitere Seiten ins Netz gestellt: http://www.nd.edu/~medvllib/verlit/nibel.html

[4] Vgl. Joseph Ludolph Wohleb, ZGO 1949, S. 246. Laßberg schrieb sogar an den fürstenbergischen Unterhändler Pfaffenhofen: "mein Nibelungen Codex kostet mich 250 Ducaten in Gold. mein Theurdank auf Pergament, gilt in Paris 1200. [...] mein wunsch ist, daß dise sachen in meinem vaterlande blieben." (Laßberg an Pfaffenhofen, "October 1850" [Briefentwurf?] ohne Unterschrift; BLB, K 2911 I, 1) - freundliche Mitteilung D. Hakelberg.

[5] Vgl. zuletzt Klaus Gantert 2000, auch online: http://www.sbb.spk-berlin.de/deutsch/mitteilungen/1_2000/155_gantert/index.html

[6] Lasciate ogni speranza, voi ch'entrate.

[7] Siehe die Dokumentation unter: http://www.uni-koblenz.de/~graf/#kulturgut

[8] Zur Begründung siehe http://www.uni-koblenz.de/~graf/don.htm

[9] Volker Schupp, Das Ende einer Bibliothek. Zu den Versteigerungen aus der Donaueschinger Hofbibliothek, in: Marbacher Arbeitskreis für Geschichte der Germanistik. Mitteilungen 17/18 (2000), S. 14-17.

[10] http://www.blb-karlsruhe.de/blb/blbhtml/aktuelles/lassberg.html

[11] Siehe die Abbildung aus dem Widmungsexemplar des Konstanzer Susogymnasiums: http://www.suso.kn.bw.schule.de/susobib/roman2.htm

[12] Ankündigung: http://www.tg.ch/biblio/htm/Lassberg.htm

[13] Im Rahmen einer WWW-Dokumentation zum Schwabenkrieg 1499: http://www.phil.uni-freiburg.de/SFB541/B5/schwabenkrieg/pupikofer.html und auf einer Bildergalerie meines Projekts "Donaueschingen Digital": http://members.nbci.com/_XMCM/klausgraf/index.html

[14] Vgl. die kleine Online-Ausstellung: http://www.mpier.uni-frankfurt.de/Bibliothek/FFHD-Ausstellung/FHHD.html

[15] http://www.uni-koblenz.de/~graf/dondig.htm

[16] http://sua.blb-karlsruhe.de/

[17] Zum folgenden vgl. Martin Harris, Joseph Maria Christoph Freiherr von Lassberg, 1991, S. 42f.

[18] Die überaus scharfe Entgegnung des Wissenschaftsministeriums auf eine frühere Veroeffentlichung in INETBIB setzt die Fehlinformation fort: http://www.ub.uni-dortmund.de/Listenarchive/INETBIB/200103/20010308.html#10
Es ist unrichtig, daß "der größte Teil dieser Bibliothek [...] seine Heimat in zwei renommierten Bibliotheken des Landes Baden-Württemberg gefunden" hat.
Die meisten Druckschriften befinden sich heute in den Händen des Handels und privater Sammler. Zum Ankauf der Nibelungenhandschrift vgl. jetzt auch die FAZ vom 9.3.2001.

Dr. Klaus Graf

graf@uni-koblenz.de

Dies ist eine private Meinungsäußerung, die mit meiner dienstlichen Tätigkeit nicht in Verbindung steht.


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Klaus Graf <graf@uni-koblenz.de>
Subject: Neues zu Joseph von Lassberg
Date: 07.03.2001