Funktionseliten im Spätmittelalter II (Büdingen, 29.-31.03.2001)

Funktionseliten im Spätmittelalter II (Büdingen, 29.-31.03.2001)

Organisatoren
Günther Schulz (Bonn) in Zusammenarbeit mit der Ranke-Gesellschaft, Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben e.V., Institut für personengeschichtliche Forschung (Bensheim)
Ort
Büdingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.03.2001 - 31.03.2001
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Von
Nowack, Thilo

Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, Teil II.

39. Tagung "Buedinger Forschungen zur Sozialgeschichte", veranstaltet von Guenther Schulz (Bonn) in Zusammenarbeit mit der Ranke-Gesellschaft, Vereinigung fuer Geschichte im oeffentlichen Leben e.V., und dem Institut fuer personengeschichtliche Forschung (Bensheim), 29.-31. Maerz 2001 in Buedingen.

In Fortsetzung der letztjaehrigen Tagung thematisierten die 39. Buedinger Gespraeche erneut soziale Aufstiegsprozesse in den gesellschaftlichen Fuehrungsschichten in Spaetmittelalter und frueher Neuzeit. Generell gilt der Aufstieg nichtadliger Fuehrungsschichten als wichtiges Kennzeichen des gesellschaftlichen Wandels seit dem Spaetmittelalter, als sich in den Staedten das vor allem grosskaufmaennisch gepraegte Patriziat immer staerker gegenueber dem Adel durchsetzte und schliesslich seine Position nach und nach auch geburtsstaendisch festigte. Diese Entwicklung wurde durch den Aufschwung des Handelskapitals zu Beginn der Neuzeit erheblich gefoerdert. Mit der Ausweitung bzw. Ausdifferenzierung territorialer Verwaltungen seit dem 17. Jahrhundert bildete sich eine juristisch geschulte Beamtenaristokratie heraus, die wiederum die Schicht der buergerlichen Honoratioren ergaenzte oder gar verdraengte. Tagungsleiter Guenther Schulz (Bonn) zog einleitend ein Resuemee der neueren Forschung, die differenzierend nach Faktoren sucht, die fuer den gesellschaftlichen Aufstieg ausschlaggebend waren. Neben der beruflichen Qualifikation wird dabei mehr und mehr die herausragende Bedeutung von sozialen Netzwerken hervorgehoben. Persoenliche Beziehungen - durch Verwandtschaft, Bekanntschaft etc. - waren zwar nicht Garant fuer den gesellschaftlichen Aufstieg, ohne Beziehungen war Aufstieg aber ausserordentlich selten. Schliesslich formulierte Schulz als Ziel der Tagung, diese uebergreifenden und vereinfachenden Thesen durch zeitlich und raeumlich spezifizierte Einzeluntersuchungen zu differenzieren und in personengeschichtlichen und strukturgeschichtlichen Ansaetzen zusammenzufuehren.

Die erste Einzeluntersuchung zur Frage der Voraussetzung fuer die Moeglichkeit sozialen Aufstiegs wurde von Christine Reinle (Bochum) vorgestellt. In ihrem Referat "Spaetmittelalterliche Landesverwaltung als Karrieresprungbrett? Das Beispiel Bayern auf dem Pruefstand" stellte sie fest, dass in ihrer Untersuchungsregion die Grenzen zwischen Adel und Nichtadel nicht strikt gezogen waren und bestimmte Aemter der Landesverwaltung auch Nichtadligen offen standen. Das Nebeneinander von adligen und nichtadligen Amtleuten liess eine staendische Identifizierung ueber das Amt nicht zu, was wiederum ausgleichend gewirkt haben duerfte. Wichtig waren die Faehigkeit und Bereitschaft zur Kreditvergabe an den Landesherrn: Auf dem Weg des Amtsdarlehens konnte man in den Besitz von Aemtern und Pflegen gelangen. Ohne ausreichenden Besitz, allein kraft Dienstes, war Aufstieg dagegen nicht moeglich. Des weiteren schlossen die Aemter der Aussenverwaltung haeufig den berittenen Dienst im Aufgebot als Pflicht ein. Da der Dienst zu Pferde sonst Ausweis adligen Standes war, konnte dies zu einer Annaeherung an den Adel fuehren. Auch Personen unbestimmten Standes aus der Klientel von Turnieradelsfamilien konnten durch deren Protektion Aemter erlangen und sich damit als adlig praesentieren. Darueber hinaus versuchten auch Aufsteigerfamilien, in etablierte Personennetze integriert zu werden bzw. ihre Verwandtschaft mit sich zu ziehen. In jedem Fall musste sich Aufstieg langsam vollziehen, wenn er erfolgreich verlaufen sollte. Blitzkarrieren stoerten offenbar das eingependelte Gleichgewicht zu den Mitkonkurrenten in einer Weise, die als Affront wahrgenommen wurde und die daher zum Scheitern fuehrte. Interessanterweise spielte die universitaere Bildung in der spaetmittelalterlichen bayerischen Administration im Gegensatz zu Fertigkeiten, die dem Bereich pragmatischer Schriftlichkeit angehoerten, so gut wie keine Rolle.

Dieser Befund wurde von Christian Hesse (Bern) in seinem Vortrag "Qualifikation durch Studium? Die Bedeutung des Universitaetsbesuchs in der lokalen Verwaltung spaetmittelalterlicher Territorien im Alten Reich" bestaetigt. Mit einer prosopographischen Analyse lokalen Verwaltungspersonals der vier Territorien Bayern-Landshut, Hessen, Sachsen und Wuerttemberg in der Zeit zwischen 1450 und 1510 ging er der Frage nach, inwieweit die immer zahlreicher werdenden Studenten Aufnahme in die landesherrlichen Verwaltungen fanden, die in jener Zeit einen Ausbau und zugleich eine Differenzierung der einzelnen Aufgabenbereiche erfuhren. Die vier Territorien unterschieden sich nicht nur in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht, sondern auch verwaltungstechnisch. In Bayern und Wuerttemberg trifft man bereits um 1450 institutionalisierte Verhaeltnisse an, in den beiden anderen Territorien dagegen erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Fuer die Analyse wurden die aus den staedtischen Fuehrungsschichten oder dem Niederadel stammenden "Finanzverantwortlichen" (u.a. Rentmeister und Schosser) und die Schreiber getrennt betrachtet. Dabei zeigte sich deutlich, dass die "Finanzverantwortlichen", die studiert hatten, vor allem jenen Geschlechtern angehoerten, die im Handel taetig und erst seit kuerzerer Zeit in die staedtische Fuehrungsschicht aufgenommen worden waren. Sie begannen wahrscheinlich im Studium eine Qualifikation zu sehen, mit der sie ihre Position halten konnten. In Bayern, wo andere Bedingungen herrschten, wurde ein Artes-Studium nur fuer die geistliche Laufbahn als qualifizierend angesehen. Der Anteil Akademiker weltlichen Standes kann deshalb allgemein als Indikator fuer die soziale Zusammensetzung der territorialen Amtstraeger und die wirtschaftlichen Grundbedingungen in einem Territorium dienen. Zusammenfassend stellte Hesse fest, dass man im untersuchten Zeitraum in saemtlichen Territorien grundsaetzlich kein Artes-Studium benoetigte, um sich fuer eine landesherrliche Funktion zu qualifizieren. Eine moderne Verwaltung wie in Bayern bedurfte dieser Akademiker nicht. Andere Faktoren (u.a. Schulbesuch, soziale Herkunft und Beziehungen) waren immer noch wichtiger.

Im darauf folgenden Referat "Aufstiegsprozesse im niederen Adel" konzentrierte sich Peter-Michael Hahn (Potsdam) vor allem auf Fragen der Repraesentationsformen und des demonstrativen Konsums des Adels in der Fruehen Neuzeit.

Den "Sozialen Aufstieg in der Reichs- und Hansestadt Luebeck um 1500" nahm Antjekathrin Grassmann (Luebeck) in den Blick. Obwohl die Quellenlage zu diesem Thema guenstig ist, sind bisher nur Einzelaspekte untersucht worden. Dennoch kann - mit aller Vorsicht - gesagt werden, dass Luebeck in seiner Funktion als die herausragende wirtschaftliche Drehscheibe des Nordens im genannten Zeitraum das geradezu ideale Feld fuer den sozialen Aufstieg eines erfolgreichen Kaufmanns bot. Typisierend beschrieb Grassmann einen solchen Kaufmann als Zuwanderer - meist aus dem Westen -, der auf die Foerderung durch landsmannschaftliche bzw. familiaere Kreise rechnen konnte, erfolgreiche Geschaefte mit Schweden, Russland, Livland oder auch dem Westen abwickelte, zu Reichtum kam - nicht selten unterstuetzt durch eine guenstige Heirat - und in den Rat gewaehlt wurde. Flankierende Massnahme war die Mitgliedschaft in einer der wichtigen als Sprungbrett zum Aufstieg dienenden Bruderschaften, die sich seit Mitte des 16. Jahrhunderts gerade als Sammelpunkt fuer diese homines novi gebildet hatten. Sie entwickelten sich neben - und gewissermassen als Vorstufe - der exklusiven "Zirkelgesellschaft", deren Mitglieder ratsfaehig waren, die aber nicht mit dem Rat identisch war. Reichtum und geschaeftlicher Erfolg waren der Ausgangspunkt fuer diese hoechste Stufe im Sozialprestige, nicht die staendische Zugehoerigkeit. Lebensstil, Wohnplatz und Stiftungsgebaren standen in Wechselwirkung mit dem Aufstieg - nicht zuletzt auch die diplomatischen Erfolge. Durch steten Wandel gekennzeichnet lagen Auf- und Abstieg nahe beieinander. Aufstieg in der ersten Generation und Zuruecktreten oder Verschwinden in der naechsten oder uebernaechsten Generation waren nicht selten. Diese Befunde muessen in Bezug gesetzt werden zu den politischen Wandlungen im Ostseeraum und zu den allgemeinen Entwicklungen des Handels im europaeischen Kontext dieser Zeit. Grassmann zielte mit ihrem Vortrag auch darauf, solche Untersuchungen anzuregen.

"Augsburger Fuehrungsschichten im 16. und 17. Jahrhundert. Soziale Mobilitaet und funktionale Differenzierung" standen im Mittelpunkt des Vortrags von Mark Haeberlein (Freiburg). Ausgehend von den Forschungsergebnissen zu oberdeutschen staedtischen Fuehrungsschichten, die Rieber (1965), Blendinger (1968) sowie Press und Endres (1978) in Buedingen vorgestellt hatten, wurden zunaechst Forschungsansaetze und -perspektiven der letzten beiden Jahrzehnte diskutiert: die Anwendung des Konzepts sozialer Verflechtung auf Augsburgs Fuehrungsschicht, die Frage nach der Sonderrolle der Fugger, die konfessionelle Differenzierung der Elite in einer bikonfessionellen Reichsstadt sowie das Problem der soziooekonomischen Strukturwandlungen vor und waehrend des Dreissigjaehrigen Krieges und ihrer Auswirkungen auf die Fuehrungsschicht. Auf der Basis des aktualisierten Forschungsstandes stellte er dann anhand ausgewaehlter Beispiele aus dem 16. und fruehen 17. Jahrhundert einen eigenen Ansatz der staedtischen Elitenforschung vor, der auf der Verknuepfung von makrohistorischen Konzepten wie "sozialem Wandel" und "Feudalisierung" mit einer mikrohistorischen Perspektive auf familiaere Beziehungsgeflechte, Strategien und Konflikte beruht. Dabei wurde vor allem die von Press und Endres favorisierte These eines Rueckzugs des Patriziats aus dem Handel auf das Land kritisch beleuchtet: Statt wie bislang von einer Orientierung des staedtischen Buergertums am Adel auszugehen, behauptete Haeberlein die Existenz konkurrierender sozialer Normen und Karriereoptionen, zwischen denen Angehoerige der Fuehrungsschicht waehlen konnten.

Anja Victorine Hartmann (Mainz) ging in ihrem Referat "Vom Refugié zum Ratsherrn? Chancen und Grenzen intergenerationellen Aufstiegs am Beispiel von Einwanderern in Genf (1537-1792)" ausfuehrlich auf die Frage der Bedeutung sozialer Netzwerke ein. Intergenerationelle Mobilitaet (Generationenmobilitaet), die weniger von individuellen Leistungen als von familiaeren Zusammenhaengen abhaengig ist und sich zudem ueber laengere Zeitraeume erstreckt, scheint auf den ersten Blick mit dem Normensystem der vormodernen Gesellschaft besser kompatibel zu sein als intragenerationelle Mobilitaet (Karrieremobilitaet). Die Erfolgschancen intergenerationellen Aufstiegs waren aber ebenfalls von spezifischen Faktoren abhaengig, die sich nicht immer im Einklang mit den Ordnungsvorstellungen der staendischen Gesellschaft befanden. Am Beispiel von Einwanderern in Genf, die im Rahmen des "Premier Refuge" (im 16. Jahrhundert) und des "Second Refuge" (nach 1685) in die Stadt kamen, untersuchte Hartmann vier dieser Faktoren, und zwar erstens die Einflussmoeglichkeiten der etablierten politischen Elite auf die Aufstiegschancen von Zuwanderern, zweitens die strukturellen Rahmenbedingungen fuer einen Aufstieg in die politische Elite, drittens die Spezifika der Einwanderungsschuebe und viertens die Auswirkungen politischer Krisen auf die Mobilitaetschancen. Insgesamt bestaetigen die Untersuchungen die Kompatibilitaet zwischen staendischer Gesellschaft und intergenerationeller Mobilitaet, wobei die Grenzen der letzteren bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts im wesentlichen von den etablierten Eliten bestimmt wurden. Allerdings blieb das Personalreservoir, das sich aus den Einwanderungsschueben ergab, dem Einfluss der alteingesessenen Eliten weitgehend entzogen. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts ist zudem die allmaehliche Aufloesung der staendischen Strukturen in einer raschen Abfolge politischer Krisen zu beobachten, die Aufstiegschancen auch fuer jene eroeffneten, die bisher durch die restriktiven Massnahmen der etablierten Eliten ausgeschlossen gewesen waren.

Im Abendvortrag ueber "Professionalisierung und sozialen Aufstieg bei oberdeutschen Kaufleuten und Faktoren im 16. Jahrhundert" war es wiederum die Frage nach der Bedeutung der Qualifikation, mit der sich Markus A. Denzel (Goettingen) auseinander setzte. Er stellte erste vertiefende Zusammenhaenge zwischen dem Phaenomen des sozialen Aufstiegs und dem der Professionalisierung in der oberdeutschen Kaufmannschaft vor allem des 16. Jahrhunderts heraus. Waehrend sozialer Aufstieg vergleichsweise gut erforscht ist, verdient nach Denzel der Gesichtspunkt der Professionalisierung verstaerktes Forschungsengagement. Es geht dabei um die Frage, welchen Stellenwert Professionalisierung im Vergleich zu wirtschaftlichem Erfolg, der Einbindung in familiaer-soziale Netzwerke oder auch persoenlicher, charakterlicher Befaehigungen des einzelnen Kaufmanns in den individuellen Aufstiegsprozessen wie auch fuer das zunehmende Sozialprestige der Kaufmannschaft in Oberdeutschland besass. Die Professionalisierung der kaufmaennischen Taetigkeit machte im Oberdeutschland des 16. Jahrhunderts so grosse Fortschritte wie in keiner Zeit zuvor, zunaechst einmal in der Ausbildung der angehenden Kaufleute und ihrer Handelsdiener mit der einsetzenden Formalisierung und Institutionalisierung von Qualifizierungsprozessen im kaufmaennischen Bereich. Zweifellos war und blieb der oekonomische Erfolg die wichtigste Grundvoraussetzung fuer den sozialen Aufstieg einzelner Kaufleute und Faktoren. Aber die Professionalisierung wurde zu einem keineswegs gering zu veranschlagenden Element. Denn es gelang recht haeufig, auch relativ schlechte Vermoegenslagen durch gute Ausbildung, lebenslanges Lernen und hohe Kompetenz in allen Fragen des Handels in nur wenigen Jahren auszugleichen und sich somit auch die Grundlagen fuer den Aufstieg zu schaffen. Dabei scheint das Moment der Professionalisierung fuer Faktoren und andere Handelsdiener noch wichtiger gewesen zu sein als fuer die in der Regel bereits sozial etablierten Kaufleute, denn aus der urspruenglichen "Funktionsgruppe" wurde mit zunehmender Professionalisierung allmaehlich eine neue "Berufsgruppe", die der kaufmaennischen Angestellten.

Soziale Aufstiegsprozesse aus der niederrheinischen Region untersuchte Dieter Scheler (Bochum). Gegenstand seines Vortrages ueber "Patronage und Aufstieg im Niederkirchenwesen" war die Pfarrei als Zentrum des spaetmittelalterlichen Niederkirchenwesens am Beispiel von Kleve und Nordbrabant in der Zeit vor dem Tridentinum (1545-1563). Zunaechst problematisierte er angesichts der Beobachtungen an diesem Untersuchungsgegenstand die zentralen Begriffe der Tagung "Funktionseliten" und "sozialer Aufstieg", die angesichts der geringen geforderten Qualifikationen der Geistlichen und des Doppelcharakters der Pfarrfunktion als Amt und Pfruende nur sehr bedingt greifen. Es zeigte sich, dass es dennoch epochenspezifische Wahrnehmungen sozialen Aufstiegs im Niederkirchenwesen gab, die nicht nur die Einzelperson, sondern auch deren Familie und Gemeinde im Blick hatten. Schwerpunkt der Ausfuehrungen war die Art und Weise, in der man zu solchen Stellen gelangte, d.h. die Patronage, die kirchenrechtlich bereits im Institut des Patronats angelegt war. Wenn residierenden Pfarrern und noch staerker Vikaren und Stellvertretern abwesender Pfarrer der Aufstieg in Positionen des hoeheren Klerus in der Regel nicht gelang, so lag das vor allem daran, dass sie aus der unteren Mittelschicht kamen und sich dieser Aufstieg ueber die Kanonikate der Stiftskirchen mit gewoehnlich qualifizierterer Universitaetsbildung und vor allem besseren Protektionschancen vollzog, die der Oberschicht des Buergertums und dem Adel vorbehalten blieben.

Im klerikalen Themenfeld blieb auch Rudolf Holbach (Oldenburg), der sich in seinem Referat ueber "Sozialen Aufstieg in der Hochkirche" auf soziale Mobilitaet in den deutschen Hochstiften bis zur Erlangung von Domkanonikaten, Dignitaeten und Bischofsstuehlen konzentrierte. Er skizzierte zunaechst die sich als Reaktion traditioneller Eliten auf die Ansprueche neuer Kreise verschaerfenden, freilich stark differierenden Zulassungsbedingungen bei den Domkapiteln. In sechs Abschnitten wurde dann auf Voraussetzungen, Wege und Formen sozialen Aufstiegs innerhalb der Hochkirche ebenso eingegangen wie auf die dazugehoerigen Verhaltensweisen und Reaktionen. Verschiedene Bereiche untersuchte Holbach hinsichtlich ihrer Bedeutung und versuchte sie zu typisieren: die uebliche Aufnahmepraxis durch Kooptation nach den bekannten Verflechtungskriterien Verwandtschaft und Landsmannschaft; Bildung und Dienst fuer Herrschaftstraeger (Patronage und Klientel); der Weg ueber die Kurie mit Provision und Expektanz; die Bedeutung von Vermoegen, Geldgeschaeften und Kreditierung fuer die Erlangung kirchlicher Wuerden; Konstanz bzw. Mobilitaet, Ruehrigkeit und Flexibilitaet in der Karriere als Faktoren; schliesslich Pfruendenhaeufung, Stationen des Aufstiegs und notwendige Wartezeiten. Dabei wurde ebenso die Frage nach zeitlicher Veraenderung, nach zusaetzlichen beschleunigenden oder hemmenden Faktoren gestellt (z.B. Stiftsfehden, wirtschaftlichen Krisen) wie die nach raeumlichen Unterschieden durch soziale Zusammensetzung, Herrschaftsverhaeltnisse u.a. Angesichts schwieriger Bedingungen blieb sozialer Aufstieg in der Hochkirche - wenn er nicht innerhalb des Stiftsadels erfolgte - auf Einzelpersonen beschraenkt und hatte eher eine flankierende als initiierende Funktion fuer den Aufstieg ganzer Familien. Immerhin fand er unter bestimmten Voraussetzungen Akzeptanz, soweit er zur Wahrung spezieller Interessen diente und den grundsaetzlichen Vorrang des Adels nicht beeintraechtigte.

Im letzten Vortrag ueber "Standes- und Rangkonflikte zwischen geburtsadligem Patriziat und akademisch geschulten Juristen in Frankfurt a. M. im 17. und 18. Jahrhundert" befasste sich Andreas Hansert (Frankfurt/M.) zunaechst mit mentalen und sozialen Wandlungsprozessen im Frankfurter Patriziat der fruehen Neuzeit. War das Patriziat fuer wirtschaftliche Aufsteiger urspruenglich noch offen, so zogen sich die fuehrenden Patrizierfamilien, die sich in der Gesellschaft Alten-Limpurg zusammengeschlossen hatten, mit dem Aufkommen eines neuen adligen Standesethos' um 1500 von der Handelstaetigkeit zurueck. Die politische Fuehrung kapselte sich sozial von den neuen wirtschaftlichen Eliten ab, die sich seit der zweiten Haelfte des 16. Jahrhunderts vielfach aus zuwandernden Glaubensfluechtlingen rekrutierten. Ein neues Element im Frankfurter Patriziat seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert bildeten vor dem Hintergrund der sich anbahnenden Rezeption des roemischen Rechts die Juristen. Vor allem im 16. Jahrhundert waren akademisch geschulte Juristen als ebenbuertige Heiratspartner anerkannt und willkommen. Im Laufe des 17. Jahrhunderts traten dann mehr und mehr rein geburtsstaendische Kriterien als Zugangsmerkmale des Patriziats hervor. Im Vortrag wurde der Widerspruch zwischen einer urspruenglich egalitaer angelegten Ratsverfassung und dem historisch gewachsenen Anspruch der fuehrenden Familien auf die Ratsmacht herausgearbeitet. Anlaesslich eines Streits um protokollarischen Vortritt zwischen Patriziern und Graduierten kam es 1705 zu einer grundsaetzlichen Auseinandersetzung: sollte der Geburtsadel oder das professionell erworbene persoenliche Verdienst, die "meriten", die bessere Legitimation fuer den Fuehrungsanspruch haben? In dieser Schaerfe traten die beiden Paradigmata Geburt und Leistung einander selten in der historischen Wirklichkeit der Stadt Frankfurt gegenueber.

Die Tagung machte deutlich, dass die bisher gaengigen Thesen zu Aufstiegsmoeglichkeiten von Funktionseliten einer eingehenderen Ueberpruefung und Differenzierung beduerfen. Dabei ruecken in der neuesten Forschung vor allem die Aspekte Professionalisierung und soziale Netzwerke in den Vordergrund des Interesses. Bedauerlich bleibt, dass soziale Abstiegsprozesse bisher nur in Ausnahmefaellen untersucht wurden. Hier besteht weiterhin umfangreicher Forschungsbedarf.

Die Beitraege der Tagungen 2000 und 2001 werden im Oldenbourg-Verlag erscheinen: Guenther Schulz (Hg.): Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spaetmittelalter und in der fruehen Neuzeit. Buedinger Forschungen zur Sozialgeschichte 2000/2001 (Deutsche Fuehrungsschichten in der Neuzeit, Band 25), Muenchen 2001/02.

Kontakt

Thilo Nowack
Universitaet Bonn
Historisches Seminar
Abteilung VSWG
Konviktstr. 11
53113 Bonn
email: t.nowack@uni-bonn.de


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