Stätten grenzüberschreitender Erinnerung - Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert

Von
Hudemann, Rainer

Projektinformation:

Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn u. Gerhild Krebs (Hg.), Stätten grenzüberschreitender Erinnerung - Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière - Traces et réseaux dans l'espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, ca. 200 Beiträge. Gefördert durch die Europäische Union im Rahmen des Programms Interreg II, publiziert im Internet:

http://www.memotransfront.uni-saarland.de

Gegen einen Unkostenbeitrag von 6 Euro incl. Versandkosten - für Rezensionsexemplare kostenlos - kann eine CD beim Herausgeber bestellt werden (Prof. Dr. Rainer Hudemann, Historisches Institut, Universität des Saarlandes, Postfach 15 11 50, D-66041 Saarbrücken, mail: martina.mueller@mx.uni-saarland.de). ISBN 3-00-010815-7.

Die Region Saar-Lor-Lux stellt seit einigen Jahrzehnten den Anspruch einer Vorreiterrolle für grenzüberschreitende Verflechtungen in Europa. Das tut sie gerade deshalb, weil Grenzen hier in den letzten beiden Jahrhunderten immer von neuem als besonders scharfe Trennlinien wirkten. Daß sie wiederholt verschoben wurden, begründete um so härtere Konflikte. Zugleich erwuchsen daraus jedoch auch vielfältige Überlagerungs- und Vernetzungsvorgänge. Manche von ihnen sind bespielhaft für allgemeinere interregionale Wechselwirkungen in Europa.
Der Begriff "Saar-Lor-Lux" wurde erst Ende der 1960er Jahre geprägt. Angesichts der Kriege und Besatzungsherrschaften in dieser Grenzregion während der beiden letzten Jahrhunderte erschien er vielen Beobachtern als eine künstliche, vom politischen Willen diktierte Schöpfung. Als Schlagwort ist er seitdem selbst ein wirksamer politischer Schrittmacher geworden. Das zeigt sich auch an seiner sukzessiven Ausweitung: Je nach politischem Kontext werden heute die Westpfalz, das Nord-Elsaß, Wallonien, die Region Trier oder ganz Rheinland-Pfalz einbezogen. Entsprechend der Struktur der Interreg-Projekte der Europäischen Union, in deren Rahmen diese Präsentation entstand, verstehen wir hier darunter den Kernraum der Région Lorraine, des Großherzogtums Luxemburg und des Bundeslandes Saarland, bei gelegentlichen Streifzügen in die Nachbarregionen.
Eine künstliche Prägung für einen neuen Sachverhalt ist das Schlagwort "Saar-Lor-Lux" dennoch nicht. Dabei braucht man gar nicht bis auf das mittelalterliche Lotharingia als europäischen Kernraum zurückzugehen. Konflikte und Zusammenarbeit haben in der Zeit seit der Französischen Revolution vielfältige neue, grenzüberschreitende Strukturen entstehen lassen. Sie bilden den Gegenstand unseres Streifzuges. Manche von ihnen sind heute im allgemeinen Bewußtsein verankert, viele sind es nicht. Der Blick dafür ist innerhalb dieses Raumes zudem sehr unterschiedlich ausgeprägt - nationale, regionale und interregionale Strukturen überlagern sich auch in den unterschiedlichen, bisweilen gegensätzlichen Perspektiven und Ausprägungen der Erinnerung.
Solchen Spuren wird hier nachgegangen. Architektonische Objekte sind der Leitfaden der Suche, topographisch faßbare, sichtbare Spuren, in denen sich Zusammenarbeit und Gegensätze, gute Nachbarschaft, Freundschaft und Spannungen widerspiegeln. Es sind Spuren, die eng mit Gedenken an Leid wie an Leistungen zusammenhängen. Es sind aber vor allem auch solche Spuren, deren grenzüberschreitender Zusammenhang ohne eine genauere Kenntnis der Hintergründe weniger offensichtlich ist. Gerade sie sind heute in der "kollektiven Erinnerung" oft verschüttet. Um so mehr liegt auf ihnen ein Schwerpunkt bei der Auswahl der dargestellten Objekte.
Die Diskussion über "Erinnerungsorte", international in Wissenschaft und breiterer Öffentlichkeit in den letzten Jahren intensiv geführt, wird daher hier in veränderter Form weitergeführt. Zum einen greift das Projekt über den nationalen oder national vergleichenden Rahmen hinaus, in dem Erinnerungsorte bislang vorwiegend diskutiert werden: es spürt Überlagerungs- und Vernetzungsvorgänge auf. Zum andern geht es in einem engeren Sinne um konkret erfaßbare "Stätten", nicht allgemein auch um "Erinnerungsorte" wie Personen, Ereignisse, Romane oder Symbole. Schließlich werden nicht nur aktuell aktive Erinnerungsorte untersucht; vielmehr soll ein Bewußtsein gefördert oder geweckt werden für das vielfältige und oft komplizierte Erinnerungspotential auch solcher Stätten, welche grenzüberschreitende Vernetzungen und Konflikte symbolisieren, ohne daß dies gegenwärtig allgemein deutlich wäre. Es soll ein Beitrag geleistet werden zur Bewußtmachung der kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Vernetzungen in einer europäischen Kernregion.
Die Präsentation versucht, in rund 200 exemplarisch angelegten Beiträgen, die jeweils meist mehrere Einzelobjekte erfassen, neun große Bereiche zu erschließen: Arbeiter-, Verbands- und politische Kultur; Dorfentwicklung; Gedenkstätten und Denkmäler; Industrie- und Gewerbearchitektur; Infrastruktur und Verkehrsarchitektur; Kultur- und Freizeitarchitektur; Militär- und Grenzarchitektur; Sakrale Bauten; Stadtentwicklung. Die Haupteinleitung, die Einleitungen zu den einzelnen Themenbereichen sowie kurze Texte zu ausgewählten Sachthemen verdeutlichen Zusammenhänge, sie arbeiten übergeordnete Ergebnisse und weitere Arbeitsperspektiven heraus. Auch die Navigationsstruktur versucht die wissenschaftliche Argumentationsstruktur des Projektes widerzuspiegeln.
Das Projekt ist eines der Ergebnisse des von der Europäischen Union geförderten Interreg II-Projektes "Historische Vernetzung und kulturelle Identität des Saar-Lor-Lux-Raumes. Stadt und städtische Kultur im 19. und 20. Jahrhundert. Liens historiques et identité culturelle dans l'espace Saar-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles. Villes et culture urbaine aux XIXe et XXe siècles", welches die Historischen Institute der Universität Metz, der Universität Nancy II, des Centre universitaire de Luxembourg und der Universität des Saarlandes gemeinsam duchführten. Viele Beiträge sind von den Autorinnen und Autoren aus den Quellen und eigener Sachkenntnis erarbeitet worden. Teilweise beruhen sie auf Forschungen anderer; den Weg zu ihnen zeigen die Literaturhinweise.
Wir präsentieren diese Spurensuche im Internet, um wissenschaftliche Ergebnisse in geraffter, nach Möglichkeit dem Medium angepaßter Form einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Zugleich erhoffen wir uns von den technischen Möglichkeiten des Internet einen rascheren und leichteren Dialog mit den möglichen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Nutzern. Da hier sachlich und methodisch in vielfacher Hinsicht Neuland betreten wurde, kann es sich erst um eine Zwischenbilanz handeln. Sie stellt keinen Anspruch auf abschließende Behandlung des komplizierten Themenbereiches, möchte aber Anregungen für die weitere Diskussion über Erinnerungsorte und ihre aktuellen Wirkungen geben.

Saarbrücken, im September 2002 Rainer Hudemann

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