Archiv und Online-Ausstellung: De-Zentralbild

Titel
DE-ZENTRALBILD.
Herausgeber
Isabel Enzenbach / Julia Oelkers
Veröffentlicht durch
out of focus medienprojekte, Berlin DE: <http://out-of-focus-film.net/>
Von
Josephine Eckert, IRTG Baltic Peripeties / Historisches Institut, Universität Greifswald

Mit privaten Fotos und Erinnerungen erweitert die Online-Ausstellung „De-Zentralbild“ das visuelle Gedächtnis zu Migrant:innen in der DDR.

Wer sich mit dem visuellen Gedächtnis der DDR auseinandersetzt, stößt in der Regel auf das Konvolut von Fotografien der sogenannten Zentralbild, der in den 1950er-Jahren gegründeten und der Allgemeinen Deutschen Nachrichtenagentur (ADN) angegliederten staatlichen Bildagentur der DDR. Nach der Wiedervereinigung wanderte deren Fotosammlung ins Bildarchiv des Bundesarchivs, wo sie unter dem Bestand „Bild 183 Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst – Zentralbild“ (https://www.bild.bundesarchiv.de/dba/de/bestaende/) öffentlich zugänglich ist. Trotz ihrer Vielzahl – das Bundesarchiv gibt die Zahl von 5,5 Millionen an – sind die Zentralbild-Fotos höchst selektiv: Sie zeigen den DDR-Alltag aus „quasi offizieller Sicht“, wie das Bildarchiv schreibt,1 und somit eine zum Teil beschönigte Wirklichkeit, die nicht zuletzt die politische Linie der SED illustrieren sollte.


Abb. 1: Eine ältere Textilfabrikarbeiterin und eine junge „Vertragsarbeiterin“, beide in Schürze, im Gespräch an der Werkbank. Über ihnen hängen die Flaggen der Sozialistischen Republik Vietnam und der DDR. Die Szene wirkt gestellt.
Foto: Rainer Weisflog, Cottbus, 1989, für ADN-Zentralbild, Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1989_0330-301 / CC BY-SA 3.0, hier von der Website De-Zentralbild, URL: https://dezentralbild.net/cottbus-vietnamesische-gastarbeiterin/# (02.04.2024)

Dieser offiziellen DDR-Bilderwelt stellen die Initiatorinnen der Website De-Zentralbild eine inoffizielle DDR gegenüber und fordern im Titel den Anspruch auf Repräsentativität von Zentralbild heraus. Anders als der sehr gelungen gewählte Titel zunächst suggeriert, geht es jedoch nicht um eine Sammlung von DDR-Alltagsfotografie im Allgemeinen, sondern speziell um Fotografien von Migrant:innen in der DDR. Zentralbild-Fotos dokumentieren Migration in der DDR in häufig paternalistisch anmutenden Gesten der propagierten Völkerfreundschaft. Die Macherinnen der Website beschreiben ihre Vorgehensweise als Umkehrung: „De-Zentralbild dreht die Perspektive: Wir sammeln und zeigen private Fotos zur Migration in der DDR.“2 Neben „Momenten des Glücks“ finden sich unter den privaten Fotos Zeugnisse von Isolation, Langeweile und einem harten Arbeitsalltag. Mit solchen Bildern könne eine zum Teil widersprüchliche Migrationsgeschichte der DDR gezeigt werden. Ein Interview mit dem Historiker Patrice Poutrus bettet das Projekt fachwissenschaftlich ein. Seine Einschätzung, wonach die Herausforderung des wissenschaftlichen Umgangs mit privaten Erzählungen darin liege, „persönliche Erfahrungen und gesellschaftliche Verhältnisse in eine plausible Beziehung zu setzen und diese nicht gegeneinander aufzurechnen“, wirkt für das Projekt programmatisch.3

Der Teaser auf der Startseite verarbeitet diese Gegenüberstellung von offizieller und privater Fotografie. Die animierte Fotocollage beginnt mit Lern- und Arbeitssituationen, woraufhin die Körper der Lernenden verschwinden und in den Lücken private Fotografien zum Vorschein kommen. Ein Blick ins Impressum verrät die Animationskünstlerin Nguyễn Phương Thanh als Autorin, eine bekannte Stimme der jungen und post-migrantischen ostdeutschen Debatte.4 Die für die inhaltliche und künstlerische Leitung Verantwortlichen Isabel Enzenbach und Julia Oelkers entwarfen bereits die Webdokumentation „Eigensinn im Bruderland“ (https://bruderland.de/), die unter anderem mit dem Grimme Online Award 2020 ausgezeichnet wurde.5


Abb. 2: Still des Teasers auf der Startseite von De-Zentralbild. URL: https://dezentralbild.net/de/ (02.04.2024)

Im Unterschied zur Dokumentation „Bruderland“, einer chronologischen Erzählung von der Ankunft von Migrant:innen in der DDR bis zu ihrer häufig unfreiwilligen Ausreise, bleibt die Website De-Zentralbild ihrem Titel treu und organisiert ihre Inhalte dezentral. Über das „Archiv“ kann ein:e der 30 Protagonist:innen aufgerufen werden, die jeweils an Hand von Texten, Interviews und natürlich ihren privaten Fotografien vorgestellt werden. Die Profile sind nach Ländern, Namen und Themen durchsuchbar. Die Auswahl der Themen – Exil, Kinder, Kultur, Politik, Rassismus, Studium, Ungewollte Rückkehr und Vertragsarbeit – verrät bereits die Schwerpunktsetzung der erzählten Geschichten, wobei unklar bleibt, ob diese Themen sich aus dem Material ergaben oder bereits im Voraus strukturgebend für die Interviews waren.

Eine der Archivbiografien beschäftigt sich mit Teresa Cossa (https://dezentralbild.net/de/protagonists/teresa-cossa/), die 1987 als 22-Jährige aus Mosambik in die Nähe von Görlitz kam, um in einer Baumwollspinnerei zu arbeiten. Ihr Profil beginnt mit der Einreise in die DDR und endet mit ihrer vorzeitigen Ausreise. Dieser sehr eng gesetzte Erzählrahmen gilt auch für die anderen Biografien und verweist somit auf eine grundsätzliche Konzeption des Projekts. Die Fotos von Teresa Cossa zeigen überwiegend eine für die Kamera posierende und lächelnde junge Frau. Leider sind in den Bildunterschriften lediglich Ort, Jahr und Name durchgängig angegeben, die Situationen auf den Fotos werden kaum erläutert. Auch handschriftliche Texte auf der Rückseite der Fotos werden gezeigt, aber nicht aus dem Portugiesischen ins Deutsche übersetzt. Die Begleittexte geben hingegen Auskunft darüber, dass Teresa ihre Heimat und ihren Sohn vermisste, gesundheitliche Beschwerden hatte und dennoch Sonderschichten arbeitete. So entsteht ein interessanter Kontrast zwischen den fröhlich wirkenden Fotos und Teresas Erinnerungen an die Entbehrungen. Getreu dem Vorsatz, auch scheinbare Widersprüche zuzulassen, stehen Fotos und Texte gleichberechtigt nebeneinander.


Abb. 3: Das Foto zeigt drei Frauen und einen Mann in Ausgehkleidung, die auf die Kamera oder den/die Fotograf:in zeigen und lachen. Es trägt die Bildunterschrift „Teresa Cossa, Schönbach, ca. 1988“. Klickt man das Bild an, öffnet sich die Beschreibung „Party im Wohnheim“. Teresa ist vermutlich die zweite von links.
Foto: Privatarchiv Teresa Cossa, hier von der Website De-Zentralbild, URL: https://dezentralbild.net/teresa-cossa_10/# (02.04.2024)

Insgesamt geben die Texte im Wesentlichen Teresas Erinnerungen wieder, basierend auf einem Interview, das 2021 in Maputo mit ihr geführt wurde. Dementsprechend gibt es kaum kontextualisierende Informationen. Lediglich für den in dieser Zeit in Mosambik herrschenden Bürgerkrieg findet sich eine erklärende Fußnote (mit Literaturverweis). Für den Begriff der Madgermanes, die bis heute in Maputo und anderen Städten in Mosambik um ihr Geld aus der DDR-„Vertragsarbeit“ kämpfen, gibt es einen Verweis auf die schon erwähnte Website „Eigensinn im Bruderland“.

Neben ehemaligen „Vertragsarbeiter:innen“ werden auch Personen vorgestellt, die als Geflüchtete oder aus politischer Überzeugung in die DDR kamen, so beispielsweise Tanju Tügel (https://dezentralbild.net/de/protagonists/tanju-tuegel/), der 1977 als Mitglied der kommunistischen Partei der Türkei für ein Studium in die DDR ging. Einige Profile, so auch das von Tanju, enthalten Videosequenzen der Interviews, die jeweils mit animierten Fotocollagen beginnen.

Eindrücklich ist das Interview mit Augusto Jone Munjunga (https://dezentralbild.net/de/protagonists/augusto-jone-munjunga/), der 1987 aus Angola nach Eberswalde kam. Als Freund des 1990 von Rechtsextremen ermordeten Amadeu António, einem der bekanntesten Todesopfer rassistischer Gewalt in den 1990er-Jahren, machte er das berühmt gewordene Foto eines lachenden jungen Mannes, der an einem Motorrad lehnt. Die Website ermöglicht eine Neu-Betrachtung dieses ikonischen Bildes über die Perspektive des Fotografen und schließt somit auch an die Debatten um Nationalismus, Rassismus und Gewalt in den sogenannten Baseballschlägerjahren an.6 Zugleich erzählt De-Zentralbild die Geschichte migrantischer Selbstbehauptung in Ostdeutschland, denn Jone blieb in Eberswalde und setzt sich dort erfolgreich für migrantische Selbstorganisation ein.


Abb. 4: Amadeu António lehnt lachend an einem MZ-Motorrad. Die Aufnahme aus dem Sommer 1989 stammt von seinem Freund und Kollegen Augusto Jone Munjunga.
Foto: Privatarchiv Augusto Jone Munjunga, hier von der Website De-Zentralbild, URL: https://dezentralbild.net/de/protagonists/augusto-jone-munjunga/jone-munjunga_13/ (02.04.2024)

De-Zentralbild ist eine visuell ansprechende Website, die diverse Lebensgeschichten versammelt und damit Anschauungsbeispiele dafür liefert, dass DDR-Geschichte post-migrantisch gedacht werden kann (und muss). Sie zeigt aber auch, wie vielfältig und verschieden die migrantische Erfahrung der DDR sein konnte. Wer hier stöbert, sollte Zeit mitbringen, denn es ist leicht, sich in den Geschichten zu verlieren. Darüber hinaus ist der (logistische, personelle, finanzielle) Aufwand für Interviewführung und Recherchen auf vier Kontinenten bemerkenswert. De-Zentralbild ist auf immerhin fünf Sprachen abrufbar! Die zur Verfügung gestellten Fotos und Dokumente wurden zudem in die Sammlung von DOMID e.V. (https://domid.org/) überführt, wodurch das Projekt sonst nur schwer auffindbare Quellen nachhaltig sicherte.

Für ein Projekt, das sich auf Darstellung und Reflexion privater Fotografien fokussiert, fehlen an einigen Stellen Bildbeschreibungen und Einordnungen der visuellen Quellen. Wünschenswert wäre eine stärkere Nutzung von Vernetzungsmöglichkeiten gewesen, beispielsweise Verlinkungen auf ergänzende Literatur, was dem aus fachwissenschaftlicher Perspektive zu bemängelnden Ausbleiben von Kontextualisierung der Interviews hätte entgegenwirken können. Strukturelle Fragen nach den Verbindungen der DDR zu den jeweiligen Herkunftsländern oder nach sozio-politischen Bedingungen der „Vertragsarbeit“ bleiben offen.

Allerdings ist diese Kehrseite zugleich eine Stärke der Website: Sie ist sprachlich zugänglich, ohne historisches Vorwissen vergleichsweise leicht verständlich und adressiert somit verschiedene Zielgruppen, nicht zuletzt, so scheint es, die ehemaligen „Vertragsarbeiter:innen“ und ehemals migrierten Personen selbst. De-Zentralbild erfüllt somit den eigenen Anspruch, der für eine „offizielle“ DDR-Sicht stehenden Bildagentur Zentralbild migrantisch-ostdeutsche Gegengeschichten 7 auf eine inklusive Art und Weise gegenüberzustellen. Sie ergänzt das visuelle Gedächtnis der DDR um wertvolle Bilder und Perspektiven.

Anmerkungen:
1 So die Beschreibung des Bestands auf der Website des Bundesarchivs, https://www.bild.bundesarchiv.de/dba/de/bestaende/ (02.04.2024).
2 Zum Zitat siehe den Menüpunkt „Hintergrund auf der Website De-Zentralbild, https://dezentralbild.net/de/about/ (02.04.2024).
3 Ebenda.
4 In ihrem mehrfach prämierten animierten Kurzfilm „Sorge 87“ beschäftigte sich Nguyễn Phương Thanh mit den Geschichten vietnamesischer „Vertragsarbeiterinnen“ in der Textilindustrie im sächsischen Werdau und somit mit ihrer eigenen Familiengeschichte, http://www.sorge87.de (02.04.2024).
5 Zur Rezension zu „Eigensinn im Bruderland“ von Emilia Henkel auf H-Soz-Kult siehe: https://www.hsozkult.de/webreview/id/reon-135106 (02.04.2024).
6 Zum Begriff siehe z.B. Christian Bangel, #baseballschlägerjahre. Ein Hashtag und seine Geschichten, in: APuZ 49-50/2022, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/rechte-gewalt-in-den-1990er-jahren-2022/515769/baseballschlaegerjahre/ (02.04.2024).
7 Siehe dazu auch den Sammelband Lydia Lierke/Massimo Perinelli (Hrsg.), Erinnern stören. Der Mauerfall aus migrantischer und jüdischer Perspektive, Berlin 2020. Im „Intro“ sprechen die Herausgeber:innen von einer „Intervention“ in Form von Gegengeschichten (S. 15).

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