Die Geisteswissenschaften in den deutschen Feuilletons (20.03.-27.03.2007)

Von
Biggeleben, Christof

"Die Geisteswissenschaften in den deutschen Feuilletons" ist eine wöchentliche Presseschau, die der Perlentaucher in Kooperation mit dem Wissenschaftsjahr 2007 "Die Geisteswissenschaften. ABC der Menscheit" herausgibt. H-Soz-u-Kult veröffentlicht als Medienpartner der Initiative eine Auswahl der Beiträge für den Bereich der Geschichtswissenschaften.

Weitere Perlen aus den Feuilletons mit stärkerem Bezug zu Literatur-, Kunst- und Kulturwissenschaften finden Sie auf der Website "ABC der Menscheit" <http://www.abc-der-menschheit.de/>

Im Blickpunkt

Der Archäologe Luca Giuliani ist neuer Leiter des Wissenschaftskollegs

Ausführlich gingen viele Feuilletons auf die Leitungsübergabe des Berliner Wissenschaftskollegs ein. In der SZ porträtiert Johan Schloemann den neuen Leiter Luca Giuliani, der als Archäologe frischen Wind ins Kolleg bringen will: "Man hat keinen Zweifel, dass es dem Giuliani als Vertreter eines sogenannten kleinen Faches gelingen kann, die dafür notwendige Gesprächskultur des Wissenschaftskollegs weiterzuführen. 'Es gibt in meinem Fach', sagt Giuliani, 'kein einziges aktuelles Forschungsproblem, das einem aufmerksamen Zuhörer nicht in zehn Minuten verständlich zu machen wäre.'"
Im Interview mit der FR stellt Giuliani auf die Frage zum Jahr der Geisteswissenschaften die Chancen dieser Fächer heraus: "Ich glaube nicht, dass wir unter einem Popularisierungsdruck stehen, sondern dass wir eine Popularisierungschance haben. Wir haben keinen Fachjargon und keine ausgeprägten Formalismen wie die Naturwissenschaften."
Auch im Tagesspiegel findet sich ein Interview. Hier äußert sich Giuliani unter anderem zum Profil des Wissenschaftskollegs, dessen Vorzüge er auch angesichts von Exzellenzinitiativen und weiteren Forschungskollegs in der gesprächsoffenen Interdisziplinarität sieht: "Keines wird so frei eine solche Breite von Fächern mit der Möglichkeit des interdisziplinären Dialogs abdecken können.
SZ, 24.3.2007
FR, 22.3.2007
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/?em_cnt=1100049
Tagesspiegel, 22.3.2007
http://www.tagesspiegel.de/kultur/archiv/22.03.2007/3153534.asp
Website Wissenschaftskolleg: http://www.wiko-berlin.de

Klassische Philologie mit Selbstbewusstsein

In einer Reihe zum Jahr der Geisteswissenschaften veröffentlicht der Tagesspiegel Artikel von Forschern, die aus ihrer aktuellen Arbeit berichten. Diesmal schreibt die Gräzistin Gyburg Radke über Herakles, den mythischen Helden der Antike, und seine Darstellung im Hellenismus. Radke schließt mit einer Positionierung der Klassischen Philologie im Fächerkanon der Gegenwart: "Die antike Dichtung ist keine naive Kindheit des Denkens, von der man sich als moderner Mensch distanzieren muss, sondern sie hat im Hellenismus Konzepte entworfen und praktisch umgesetzt, die das Prädikat modern verdienen. Es ist an der Zeit, dass die Klassische Philologie aus ihrer Isolation heraustritt und ihre Gegenstände als etwas präsentiert, das auf gleicher Augenhöhe mit moderner Literatur und Literaturtheorie steht."
Tagesspiegel, 26.3.2007
http://www.tagesspiegel.de/wissen-forschen/archiv/26.03.2007/3162568.asp
[Klassische Philologie, Gräzistik]

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Weitere Themen

200 Jahre Phänomenologie des Geistes

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erinnert Jürgen Kaube an Georg Wilhelm Friedrich Hegels vor 200 Jahren veröffentlichtes Hauptwerk, "Die Phänomenologie des Geistes". Über den Nutzen der Philosophie für die Gegenwart schreibt Kaube: Dies Buch "führt den Nachweis und führt selber vor, wozu es gut sein kann, sich mit Schwerverständlichem und das heißt hier: mit Vergangenem und Entlegenem, mit Philosophie und mit Wirklichkeit denkend zu befassen. Bildung hat keinen Zweck, Bildung ist als Freiheitsgewinn der Zweck."
Auch dem Tagesspiegel ist das Jubiläum einen Artikel wert, schon weil das Buch beim Erscheinen wenig Aufsehen erregte: "Niemand hat diesen kolossalen Band bemerkt, viele Jahre lang nicht."
FAS, 25.3.2007
Tagesspiegel, 27.3.2007
http://www.tagesspiegel.de/wissen-forschen/archiv/27.03.2007/3166311.asp

Historiker Otto Pflanze und Richard Trexler gestorben

In der FAZ hat Patrick Bahners einen Nachruf auf den US-amerikanischen Historiker Otto Pflanze verfasst, der vor allem mit seiner großen Bismarck-Biografie in Erinnerung bleiben wird.
Ebenfalls in der FAZ schreibt Klaus Schreiner zum Tode des amerikanischen Mediävisten Richard Trexler.
FAZ, 21.3.2007
FAZ, 27.3.2007

Nachruf auf Philosophiehistoriker Wolfgang Hübener

In der taz erinnert Thomas Meyer an den vorletzte Woche verstorbenen bedeutenden Philosophiehistoriker Wolfgang Hübener.
taz, 23.3.2007
http://www.taz.de/pt/2007/03/23/a0173.1/text
[Philosophie]

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Besprochene Bücher

Beilagen zur Buchmesse

Zur Leipziger Buchmesse sind in den großen Zeitungen Literaturbeilagen erschienen, in denen auch neue Publikationen aus den Geisteswissenschaften besprochen wurden. Hier ein kleiner Überblick.
In der FAZ wird der zwischen "Autobiographie, Roman, Familenchronik und Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts" schillernde Buch "Stille Post" der an der Humboldt-Universität lehrenden Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun als "Meisterleistung" gelobt und Christopher Clarks "Preußen"-Darstellung ihrer "exemplarischen Anschaulichkeit" wegen gepriesen.
Letzteres wird auch in der FR als "eindrucksvolle Studie" ausführlich besprochen. Als für ein größeres Publikum geeignete Umsetzung philosophischer Anti-Essenzialismen wird Amartya Sens "Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt" empfohlen. Auch für zwei Bücher über den "Kalten Krieg" begeistert sich die FR in einer Doppelrezension, nämlich für die Darstellungen von John Lewis Gaddis und Bernd Stöver.
Eben diese Studien vergleicht Claus Leggewie in der Zeit-Literaturbeilage: "Gaddis bleibt amerikafixiert, Stöver ist polyzentrisch. Beide Bücher sind ob dieser verschiedenen Sichtweisen lesenswert." Sehr gelobt werden auch Carola Dietzes Biografie des Philosophen Helmuth Plessner mit dem Titel "Nachgeholtes Leben" und Ingo Herrmanns "lesenswerte" Biografie des Freiherrn von Knigge, die "alle wichtigen Seiten der Kniggeschen Biografie mit präziser Anschaulichkeit" aufblättert. Jean Starobinskis Studie "Die Zauberinnen. Macht und Verführung in der Oper" wird als Leistung eines großen Geisteshistorikers gepriesen und als "Kraftakt", wie ihn "vielleicht nur wenige Bücher noch werden leisten können". Außerdem staunt die Zeit über Günther Rühles "Epochenwerk" über das "Theater in Deutschland 1997-1945": "Dass solche Bücher noch geschrieben werden."
FAZ, 21.3.2007
FR, 21.3.2007
Clark: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/literatur/literatur_rundschau/?em_cnt=1098886
Gaddis, Stöver: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/literatur/literatur_rundschau/?em_cnt=1098889
Sen: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/literatur/literatur_rundschau/?em_cnt=1098895
Zeit, 21.3.2007

Gumbrechts Abschied von der Begriffsgeschichte

In der FAZ setzt sich Helmut Meyer mit Hans-Ulrich Gumbrechts neuem Buch "Dimensionen und Grenzen der Begriffsgeschichte" auseinander – einer Studie, die sich als elegischer Abgesang auf ihren Gegenstand versteht. Was unwiederbringlich verloren gegangen sei, ist "die Hoffnung, mit Begriffen eine nichtsemantische Wirklichkeit erreichen zu können, sei mittlerweile zu Grabe getragen worden. Wiederbelebbar ist für Gumbrecht auch nicht die Selbstverständlichkeit, mit der das Bewusstmachen des Überlieferungsgeschehens zur unumgänglichen Voraussetzung geisteswissenschaftlicher Arbeit erklärt wurde."
FAZ, 26.3.2007

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