Der berechnende Dürer. Albrecht Dürer und die mathematischen Wissensfelder seiner Zeit

Der berechnende Dürer. Albrecht Dürer und die mathematischen Wissensfelder seiner Zeit

Veranstalter
Germanisches Nationalmuseum
Veranstaltungsort
Ort
Nürnberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2008 - 27.09.2008
Website
Von
Dr. Thomas Eser

Kein anderer deutscher Künstler verkörpert Ideal und Klischee vom „Pictor doctus“ derart vollkommen wie Albrecht Dürer. Er hat nicht nur ein Geometrielehrbuch veröffentlicht, eine Proportionslehre verfasst und Perspektivapparate erfunden, sondern auch eine Festungskunde geschrieben und Welt- und Sternenkarten entworfen. Schon Dürers frühe Aktzeichnungen weisen Reste von Zirkelschlägen auf, mittels derer er angeblich verborgenen Regeln der Körperproportion nachspürte. Dürers Kupferstich der „Melancholie“ schließlich verbildlicht die Kehrseiten zählenden und messenden Verstehen-Wollens der Welt wie kein zweites Sinnbild vergeblichen Forschens.

Die Wissenschaftsgeschichte kennt den Mathematiker Dürer schon seit langem und würdigt ihn als Verfasser der „ersten darstellenden Geometrie in deutscher Sprache“ (Karl Immanuel Gerhardt: Geschichte der Mathematik in Deutschland, 1877). Und auch die Kunstgeschichte verdankt Dürers mathematischen Aktivitäten methodische Meilensteine, wenn sie etwa an seinem Beispiel das Phänomen der Perspektive vom „technisch-mathematischen Problem“ zum „Symbol“ und damit „künstlerischen Problem“ befördert (Erwin Panofsky: „Perspektive als symbolische Form“, 1924).

Die Tagung zieht zunächst Bilanz zum heutigen Wissen über Dürers Mathematik, die von den beiden Seiten der Wissenschaftsgeschichte und der Kunstgeschichte her beleuchtet werden soll. Sodann ist eine abwägende Bewertung des Mathematikers Dürer als Neuerer und/oder Kompilator vorgesehen. Vergleichende Betrachtungen der Vorbildwirkung von Euklid und Regiomontan bis zu den zeitgenössischen italienischen Theoretikern stehen ebenso auf dem Programm wie der Topos vom besonders anregenden – da praxisorientiert-außeruniversitären – Wirkungsort Nürnberg an der Wende zur Neuzeit. Schließlich wird das Vorurteil der vermeintlich geringen Resonanz auf Dürers Schriften und deren angeblich mangelhafte Anwenderorientiertheit auf den Prüfstand kommen.
Drei grundsätzliche Fragenkomplexe strukturieren das Symposium:

1) Wer rechnet und wozu? Wissensfelder der Mathematik im 15. und 16. Jahrhundert.
Rechnen und Messen in der Dürerzeit. Welches Ansehen genießt mathematisches Wissen um 1500, insbesondere im Umfeld Dürers?

2) Spezifik und Konventionalität von „Dürers Mathematik“ im engeren Sinn.
Welches sind die grundsätzlichen Erkenntnisanliegen von Dürers mathematischen Interessen gewesen? Wie originell oder konventionell waren sie? Eignen sich moderne Begriffe wie „Forschung“ oder „Didaktik“ für ihre Charakterisierungen? War Dürer mehr Praktiker oder Theoretiker? Wie tragfähig ist die Distinktion zwischen „Practica“ und „Theoria“ in ihrer Anwendung auf die mathematischen Wissensfelder um 1500?

3) Die Wirkungsgeschichte
Welche publizistischen Strategien können hinter der Veröffentlichung einer deutschsprachigen „Unterweisung der Messung“ und einer Perspektivlehre im frühen 16. Jahrhundert gestanden haben? Welche Wirkungsgeschichte lässt sich für seine mathematischen Lehrbücher nachweisen und wie nachhaltig ist sie gewesen?

Programm

Programm
Donnerstag, 25. September 2008, 19.00 Uhr
Begrüßungen und Empfang.
Zur Einführung spricht Herwig Hauser (Wien):
Wie viel Angst darf man (als Kunstwissenschaftler) vor der Mathematik haben?

Freitag, 26. September 2008, 9.00-13.00 Uhr
Sektion 1: Wer rechnet und wozu? Mathematische Praxis in der Dürerzeit.

9.00
Menso Folkerts (München): Mathematisches Wissen an der Wende des 15. und 16. Jahrhunderts

9.40
Christian Thiel (Erlangen-Nürnberg): Die Ordnung der Dinge und die Logik des Subjekts – Zur Entstehung der Einzelwissenschaften in der Dürerzeit

10.20
Kaffeepause

10.40
Stefan Deschauer (Dresden): Zur Bedeutung der Nürnberger Rechenschulen in der Renaissance-Zeit – zwischen Dominanz und fehlendem Einfluss

11.20
Andreas Kühne (München): Die Rezeption von Dürers Geometrie und Kunsttheorie in der Literatur des 16. Jahrhunderts

12.00
Benno Artmann (Göttingen): Die Geschichte der Darstellungen des Ikosaeders

12.40
Diskussion
Mittagspause bis 14.00

Freitag, 26. September 2008, 14.00-18.20 Uhr
Sektion 2: Dürers Mathematik im Fokus

14.00
Jeanne Peiffer (Paris): Messen und Abmessen. Dürers konstruktive und visuelle Geometrie

14.40
Berthold Hinz (Kassel): Mensuromania

15.20
Elena Filippi (München): »Ein rechte Maß gibt eine gute Gestalt, und nit allein im Gemäl«. Dürers Maßverständnis zwischen Theorie, Praxis und Ethik

16.00
Kaffeepause

16.20
Sibylle Gluch (Dresden): „Geometria practica” und „ars pictoria theorica”: Dürer zwischen Theorie und Praxis

17.00
Ilse Hammerschmied (Ernstbrunn): Der Wandel in Dürers Suche nach ästhetischen Normen

17.40
Peter Schreiber (Greifswald): Ein Quellenfund: Die anonyme Auflistung aller archimedischen Polyeder und ihrer Erzeugung aus platonischen Körpern aus Dürers Zeit und Umfeld

18.20
Diskussion

Abendvortrag, 20.00 Uhr
Renate Tobies (Braunschweig/Berlin): Mathematik und Astronomie in der Renaissance

Samstag, 27. September 2008, 9.00-13.00
Sektion 3: Rezeption und Nachwirkung von Dürers mathematischem Werk

9.00
Sven Hauschke (Nürnberg): Albrecht Dürers Perspektivtisch und seine Nachfolger

9.40
Anja Grebe (Nürnberg): Dürers Sammler – Die theoretischen Werke zwischen Gelehrtenbibliotheken und fürstlicher Kunstkammer

10.20
Kaffeepause

10.40
Giovanni Maria Fara (Siena): Die italienische Rezeption der Unterweisung der Messung durch Künstler, Wissenschaftler, Humanisten und Gelehrte im XVI. Jahrhundert

11.20
Christian Ring (Hamburg): Dürers Proportionslehre und ihre Rezeption in Italien durch Lomazzo

12.00
Manfred J. Bauch (Bayreuth): Ein Dürer-Projekt: Dürer Digital als Impuls für den Mathematikunterricht

12.40
Diskussion
Mittagspause bis 14.00

Kontakt

Thomas Eser

Germanisches Nationalmuseum, Kornmarkt 1, 90402 Nürnberg

t.eser@gnm.de; info@gnm.de

www.gnm.de
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