Verhandelte Vergangenheit: Deutsch-amerikanische Perspektiven in den U.S. War Crimes Trials in Nürnberg, 1946-1949

Verhandelte Vergangenheit: Deutsch-amerikanische Perspektiven in den U.S. War Crimes Trials in Nürnberg, 1946-1949

Veranstalter
Kim Christian Priemel, Kulturwissenschaftliche Fakultät, Europa-Universität Viadrina Frankfurt an der Oder; Alexa Stiller, Historisches Seminar, Leibniz Universität Hannover
Veranstaltungsort
Europa-Universität Viadrina
Ort
Frankfurt an der Oder
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.04.2009 - 25.04.2009
Deadline
15.10.2008
Website
Von
Kim C. Priemel, Alexa Stiller

Im April 2009 jährt sich der Abschluss der sog. Nürnberger Nachfolgeprozesse zum 60. Mal. Die Angeklagten der Verfahren bildeten eine höchst heterogene Gruppe: Ehemalige Reichsminister und Parteigrößen fanden sich ebenso wie Generale und Mitglieder der Einsatzgruppen vor Gericht; augenfälliger noch war jedoch die Ausdehnung des Vorwurfs der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf Ministerialbeamte, Industrielle, Juristen und Mediziner. Die Auswahl der Angeklagten spiegelte bewusst die ganze Breite der gesellschaftlichen Elite des NS-Staates wider – ohne indes wirklich spezifisch für das „Dritte Reich“ zu sein. Die U.S. Trials of War Criminals bewegten sich daher in einem beständigen Widerstreit zwischen der behaupteten Repräsentativität der Angeklagten für den NS-Staat einerseits und dem Erfordernis der Abgrenzung gegenüber den funktional vergleichbar gegliederten westlichen Industriegesellschaften andererseits.

Bereits die geläufige Bezeichnung der zwölf U.S. Trials als ‚Nachfolgeprozesse’ verweist auf die noch immer dominante Rezeption als bloßer Annex des Internationalen Militärtribunals in Nürnberg. Diese Wahrnehmung hat sich in den Erinnerungen zeitgenössischer Beteiligter und Beobachter ebenso wie in der historischen Forschung mit großer Zähigkeit gehalten. Im Unterschied dazu rückt die Tagung die zwölf Verfahren vor den Nuremberg Military Tribunals in den Mittelpunkt und trägt zentral dem Umstand Rechnung, dass die Prozesse in einer staatsrechtlichen Interimsphase zwischen dem Ende des „Dritten Reichs“ und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland gehalten wurden. Als integraler Bestandteil der US-amerikanischen Besatzungspolitik und der „Reeducation“-Zielsetzung sowie als ständiger Begleiter der bundesdeutschen Staatsbildung wie auch der formativen Phase des Kalten Krieges sind die Nürnberger Verfahren einerseits Spiegel verschiedener zeitgeschichtlicher Perspektiven, andererseits ihre Protagonisten selbst Akteure im politischen Feld. Die direkte Konfrontation amerikanischer Ankläger und Richter mit deutschen Angeklagten und Verteidigern verdeutlicht den Charakter der Verfahren als – im Wortsinne – bilaterale Aushandlungsprozesse um die Hoheit über Vergangenheitsinterpretation und Zukunftsgestaltung.

Das Ziel der Tagung ist es, einen aussagekräftigen Überblick über die zwölf U.S. Trials of War Criminals im einzelnen wie in ihrer Gesamtheit zu geben; auch ein Beitrag zum „Fall 13“ (Röchling) der französischen Besatzungsmacht wäre wünschenswert. Dazu zählen vor allem Konzeption/en, praktische Durchführung, Strategien der Protagonisten, (gruppen)biographische Aspekte, Fragen des Völker- und Prozessrechts sowie die Rezeptionsgeschichte auf beiden Seiten des Atlantiks. Die Teilnehmer sollen empirisch dichte Analysen beitragen, die im Rahmen der Tagung intensiv diskutiert und miteinander in Beziehung gesetzt werden. Folgende Perspektiven sollten in die Analyse der Verfahren einfließen:

a) Welche konzeptionellen Stadien durchliefen die Nachfolgeprozesse, und nach welchen Kriterien wurden die einzelnen Angeklagten ausgewählt? Welche Rolle spielten frühe Analysen europäischer Emigranten bei der Konzeption, etwa F. Neumanns Vier-Säulen-Konzept oder R. Lemkins Genozidbegriff?
b) (Gruppen)Biographische Aspekte des ‚Prozess-Personals‘: Wer waren Richter, Ankläger und Verteidiger, welche Karrieren und Lebenswege kennzeichneten sie? Nach welchen Voraussetzungen wurden sie rekrutiert bzw. engagiert? Lassen sich auch für die Zeugen Selektionsmuster erkennen?
c) Über welchen institutionellen Anschluss verfügten die Vertreter der sich gegenüberstehenden Seiten bei US-Regierung und Besatzungsverwaltung (OCCWC, OMGUS, HICOG) bzw. bei deutschen (Landes)Behörden und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen (Kirchen, Interessenverbände, Parteien usw.)?
d) Welche diskursiven und taktischen Vorprägungen der (west)deutschen, möglicherweise auch einer amerikanischen „Geschichtspolitik“ (E. Wolfrum) lassen sich in den Nürnberger Nachfolgeprozessen nachzeichnen? Wie verständigten sich die Prozessparteien über die verhandelten Tatbestände und wie verorteten sie sich jeweils im Kontext des (west)europäischen Wiederaufbaus und der wachsenden Blockkonfrontation?
e) Die Prozesspraxis, insbesondere die Herausbildung von Strategien und Taktiken, von Argumentations- und Streitlinien. Welches Verhältnis bestand zwischen den fünf Gruppen aus Richtern, Anklägern, Verteidigern, Angeklagten und Zeugen? Hier verspricht ein vergleichender Ansatz besonders fruchtbare Ergebnisse, der nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Prozesse fragt und dabei sowohl inhaltliche Überschneidungen der thematisch gruppierten Verfahren (Wehrmacht, Wirtschaft, usw.) als auch die sich verändernden Rahmenbedingungen der Prozesschronologie berücksichtigt. Insbesondere soll der Blick auf Vernetzung und Erfahrungsaustausch der Beteiligten der einzelnen Verfahren gerichtet werden, auf Lernprozesse und Anpassungsleistungen.
f) Die zeitgenössische Rezeption: Welche Prozesse erregten die Aufmerksamkeit der deutschen, welche der amerikanischen Öffentlichkeit? War dies Folge einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit und wenn ja wessen?
g) N. B.: Das IMT-Verfahren wird nicht Teil der Tagung sein.

Aus den Beiträgen der Teilnehmenden soll ein Tagungsband hervorgehen, dessen ausdrückliches Ziel nicht die bloße Versammlung jeweils in sich schlüssiger Einzelbeiträge, sondern die wechselseitige Ergänzung und Verschränkung ist, um ein ebenso umfassendes wie facettenreiches Kompendium der U.S. Trials of War Criminals in Nürnberg anzulegen.

Die DFG-geförderte Tagung wird vom 23. bis zum 25. April 2009 an der Viadrina in Frankfurt (Oder) stattfinden. Kosten für Reise und Unterbringung der Vortragenden werden übernommen. Wir bitten darum, Vorschläge für einen Beitrag bis zum 15. Oktober 2008 in englischer oder deutscher Sprache zu skizzieren (max. 6.000 Zeichen) und zusammen mit einer kurzen biographischen Notiz per E-Mail an die Adresse nmt@euv-frankfurt-o.de zu senden. Die Veranstalter ermutigen insbesondere Nachwuchswissenschaftler zur Teilnahme!

Programm

Kontakt

Kim Christian Priemel

Europa-Universität Viadrina Frankfurt
Scharrnstr. 59, 15207 Frankfurt (Oder)
+49 (0)335 5534 - 2487
+49 (0)335 5534 - 2613
priemel@euv-frankfurt-o.de