Medizin, Wissenschaft und Technik in einer (Post-) Kolonialen Welt

Medizin, Wissenschaft und Technik in einer (Post-) Kolonialen Welt

Veranstalter
Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik e.V.
Veranstaltungsort
TU-Darmstadt
Ort
Darmstadt
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.09.2008 - 28.09.2008
Deadline
31.03.2008
Website
Von
Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik e.V.

Die Geschichtsschreibung des Kolonialismus erlebt international einen bemerkenswerten Aufschwung. Neuere Arbeiten, die die vielfältigen Anregungen aus dem Bereich der Kulturwissenschaften aufgenommen haben, machen darauf aufmerksam, dass die historische Wirkungsmächtigkeit der Kolonialzeit weit über die faktische Existenz der Kolonien reichte. Darüber hinaus haben insbesondere die im Rahmen der transnationalen Geschichtsschreibung entstandenen Studien verstärkt den Blick auf die Rückwirkungen des Kolonialismus auf die Gesellschaften der Kolonialmächte gerichtet.

Die in den Kolonien vorzufindenden "Laborbedingungen" ermöglichten Feldforschungen, die anderswo kaum durchsetzbar waren. Nicht ohne Grund hatten die verschiedensten Wissenschaften, von der "Völkerkunde" bis hin zur sog. Tropenmedizin ihren Höhepunkt in der Zeit des Kolonialismus. Die Eugenik als eine sowohl interdisziplinäre Human- und Naturwissenschaft als auch "moderne" wissenschaftliche Variante der Sozialpolitik etwa wäre ohne die koloniale Erfahrung und dem dazugehörigen "Versuchsmaterial" kaum denkbar gewesen. Auch besaßen Humanwissenschaften eine Schlüsselfunktion in einer Kolonialpolitik, die statt auf Vernichtung der Kolonisierten auf die Bewahrung ihrer Arbeitskraft und ihre Integration in den kolonialen Wirtschaftskreislauf zielte. Andererseits waren Erschließung von Raum, Rohstoffen und Energiereserven in den Kolonien abhängig von Infrastrukturen wie Verkehrsnetzen, modernen Kommunikationswegen und Energieversorgung. Diese Aspekte waren jedoch keineswegs ausschließlich auf die Kolonialzeit beschränkt.

Nicht allein dass der "Kolonialismus ohne Kolonien" in der Weimarer Zeit fortbestand und sich koloniale Praktiken und Mentalitäten in der nationalsozialistischen Besatzungspolitik finden lassen (Osteuropa als deutscher Kolonie), auch über 1945 hinaus zogen sich koloniale Muster in der Entwicklungshilfe hindurch. Technik- und Wissenstransfer zwischen Industrie- und sog. Entwicklungsländern spielte im Prozess der Dekolonisierung eine erhebliche politische und ideologische Rolle, nicht zuletzt wegen der zahlreichen Stellvertreterkriege im Kontext des Kalten Krieges.
Obwohl die wichtige Rolle von Ärzten, Wissenschaftlern und Ingenieuren für die Durchführung des kolonialen Projektes offenkundig ist, findet – abgesehen von einigen Pionierstudien – in der deutschsprachigen Medizin-, Wissenschafts- und Technikgeschichte eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik bislang nur in Ansätzen statt. Mit der Jahrestagung der DGGMNT soll dem entgegengewirkt werden. Ziel der Tagung ist es, die Rolle der Medizin, Wissenschaft und Technik im Kolonisierungs- und Dekolonisierungsprozess und ihre Verschränkungen mit kolonialen Herrschaftspraktiken zu thematisieren. Hierbei können sowohl die kolonisierten Gebiete selbst, als auch die Rückwirkungen auf die "Kolonialen Mutterländer" in den Blick genommen werden.

Inwieweit trägt das Bild von den Kolonien als Laboratorien für die Medizin-, Wissenschafts- und Technikentwicklung? Wie ist die Rolle der kolonialen Erfahrung in der Herausbildung und Entwicklung von Disziplinen wie etwa Ethnographie, Anthropologie und Eugenik einzuschätzen? Welche Institutionalisierungsprozesse lassen sich in diesem Kontext beobachten? Welche Brüche und Kontinuitäten lassen sich im Bereich der Kolonialdiskurse und kolonialer Herrschaftspraktiken über die Kolonialzeit hinaus erfassen? Haben lokale Wissensbestände Eingang etwa in die Medizin gefunden und inwieweit ist die Generierung "indigenen Wissens" im Sinne von "erfundenen Traditionen" nicht selbst auf europäische Wissenschaftler zurückzuführen? Welche hybride Strukturen haben sich in der Begegnung zwischen verschiedenen Wissensformen herausgebildet? Wie ist hier der Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Kontrolle, wie der zwischen Medizin und Gewalt zu begreifen? Welchen Stellenwert nahmen Kolonialinstitute und ethnologische Museen in der Vermittlung kolonialen Wissens und des Eigenen und des Anderen ein und welcher visuellen Strategien bedienten sich die Wissenschaften und Museen dabei? Mit anderen Worten sind auch Vorträge zu begrüßen, die die Repräsentation des Anderen auf europäischem Boden analysieren. Ferner wäre es wünschenswert, die transnationale Dimension des Tagungsthemas zu thematisieren, da Ingenieure, Mediziner und Wissenschaftler wie die Kolonialbürokratien innerhalb transnationaler Netzwerke agierten.

Auf der Tagung sind selbstverständlich auch Beiträge mit Themen außerhalb des Rahmenthemas und offene Sektionen zur Vorstellung neuerer Forschungen willkommen. Zum Einreichen von Referatsangeboten aufgefordert sollen sich auch Historiker fühlen, deren Expertise in der vorkolonialen Periode liegt – man denke hier z.B. an ein Thema wie die Naturgeschichte ferner Kontinente zu Humboldts Zeiten oder davor.

Anmeldungen von Beiträgen (20 Minuten) und vollständigen Sektionen (3 Referate mit oder 4 ohne Kommentar) sollten unter Angabe der/des Vortragstitel/s und beigefügter Zusammenfassungen der Sektionen und der Vorträge (je etwa 12-30 Zeilen) und vollständiger Adressen der/des Referenten/innen bis spätestens 31. März 2008 an die Schriftführerin der DGGMNT, Dr. Sabine Schleiermacher, Institut für Geschichte der Medizin, Forschungsschwerpunkt Zeitgeschichte, Charité-Hochschulmedizin Berlin, Klingsorstr. 119, D-12203 Berlin gesandt werden. E-Mail: sabine.schleiermacher@charite.de. Nachfragen können auch an das Programmkomitee gerichtet werden: Dr. Noyan Dinçkal, Institut für Geschichte, TU Darmstadt, Schloss, D-64283 Darmstadt. E-Mail: dinckal@ifs.tu-darmstadt.de.

Programm

Kontakt

Dr. Sabine Schleiermacher

Institut für Geschichte der Medizin-Charité, Forschungsschwerpunkt Zeitgeschichte,
Klingsorstr. 119, 12203 Berlin
030/83009220
030/83009256
sabine.schleiermacher@charite.de