Politische Kriminalität und politische Justiz vom späten Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert

Politische Kriminalität und politische Justiz vom späten Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert

Veranstalter
Arbeitskreis "Historische Kriminalitätsforschung" Arbeitskreis "Policey/Polizei im vormodernen Europa" Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Veranstaltungsort
Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Tagungszentrum Stuttgart-Hohenheim
Ort
Stuttgart-Hohenheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.06.2008 - 21.06.2008
Deadline
15.04.2008
Website
Von
Gerhard Sälter

Politische Kriminalität und politische Justiz vom spätem Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert

gemeinsame Tagung des Arbeitskreises "Historische Kriminalitätsforschung" und des Arbeitskreises "Policey/Polizei im vormodernen Europa" mit dem Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte und der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart

am 19. bis 21. Juni 2008 in Stuttgart-Hohenheim

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Politische Kriminalität und politische Justiz haben eine lange Geschichte: Einzelne oder Gruppen haben immer wieder versucht, insbesondere mittels gewaltsamer Handlungen wie Attentaten, Umsturzversuchen oder Aufständen, einen Herrscher, eine herrschende Elite oder einer Herrschaftsordnung zu beseitigen. Solche Angriffe auf Herrschaftsträger, die Obrigkeit oder den Staat wurden meist unabhängig davon, ob sie politisch, religiös oder durch Machtkonkurrenz motiviert waren, als besondere Form von Kriminalität wahrgenommen und z. T. auch mit besonderen Strafen bedroht. Die Strafjustiz ahndete jedoch nicht nur solche Versuche, sondern wurde ihrerseits häufig instrumentalisiert, um gegen Konkurrenten, politische Gegner und Opponenten vorzugehen: auch Herrschaftsträger oder der Staat konnten gerade mittels einer politischer Justiz politische Verbrechen begehen. Bezieht man beide Formen der politischen Auseinandersetzung aufeinander, werden Elemente politischer, weltanschaulicher und religiöser Diskurse sichtbar, die, wenn auch mit ungleichen Mitteln und Chancen, von beiden Seiten häufig gewaltförmig um die Gestaltung politischer Ordnung und den Zugang zur Macht geführt wurden.

Seit dem späten Mittelalter dehnte der frühmoderne Staat in Europa Normsetzung und Justiz auf weite Bereiche der Gesellschaft, deren Ordnung er normierte und garantierte. Parallel hierzu differenzierte sich Politik als eigenständiger Handlungsraum aus. Reformation und Konfessionalisierung brachten zudem eine enge Symbiose staatlich-herrschaftlicher und religiös-kirchlicher Ordnung. Damit erhielt politische Kriminalität eine neue Dimension: Nicht nur unmittelbar gegen den Herrscher oder die Herrschaftselite gerichtete, meist gewaltsame Handlungen, sondern auch Widerstand gegen die obrigkeitliche Einflussnahme, sowie politische und religiös-konfessionelle, oppositionelle bzw. deviante Handlungen bzw. politisch und religiös-konfessionelle Dissidenz konnten als spezifisch politische, gegen die Ordnung der Gesellschaft gerichtete Verbrechen eingestuft werden, weil sie die Legitimität von Herrschaft in Frage stellten. Einzelne Dissidenten wie ganze Gruppen bedienten sich zudem seit dem 16. Jahrhundert aus politischen Motiven heraus bewusst krimineller Handlungen, um mittels (gewaltsamer) Verbrechen eine politische Umgestaltung zu erreichen oder unter Inkaufnahme einer Strafe ein Zeichen zu setzen.

Bis zum Ende der Frühen Neuzeit bildeten sich folglich zentrale Elemente politischer Kriminalität und politischer Justiz heraus: a) die explizit politische Motivation und die symbolische Qualität des Verbrechens auf Seiten der Dissidenten, b) die Etikettierung widerständiger politischer oder religiöser Handlungen als politisches Verbrechen durch den Staat, mit dem Ziel, die Gesellschafts- und Herrschaftsordnung bzw. den Staat selbst zu schützen, und c) durch Obrigkeit und Staat insbesondere mittels einer „politischen“ Justiz begangene Verbrechen.

Staatsschutz beschränkte sich insofern nicht nur auf eine normative bzw. diskursive Definition politischer Verbrechen und die Verfolgung devianter bzw. krimineller Handlungen, die auf den politischen Raum, die gesellschaftliche Ordnung oder auf den Herrscher, die Obrigkeit bzw. den Staat zielten, sondern widmete sich darüber hinaus vielfach der Verfolgung politischer Gegner. In diesem Kontext entwickelte bereits der frühmoderne Staat eine breite Palette an Staatsschutztechniken: von der Zensur über Denunziation und Spitzelwesen bis zur (gerichtlichen) Folter und politischen Strafverfahren. Die Veränderung der Staatsorganisation seit 1789 brachte eine Ausdifferenzierung sowohl bezüglich der staatlichen Definitionen, Institutionen und der Prozeßpraxis im Staatsschutz und der politischen Justiz als auch hinsichtlich der auf Veränderung bzw. gewaltsamen Umsturz der Herrschaftsordnung zielenden Dissidenten und Oppositionellen, ihrer Motive und Handlungsformen.

Erwünscht sind Beiträge, die sich den verschiedenen Formen politischer Kriminalität, den damit verbundenen staatlichen bzw. obrigkeitlichen Ordnungsvorstellungen, der Rolle der Öffentlichkeit und der medialen Vermittlung, sowie den Konzepten und Techniken der politischen Justiz widmen und nach Möglichkeit die gegenseitige Bezogenheit von politischer Kriminalität und politischer Justiz thematisieren, beispielsweise:

1. Formen politisch motivierter oder definierter Kriminalität (Fallstudien zu Formen oder Einzelfällen)
- Attentate auf einen Herrscher
- Angriffe auf Amtsträger oder Amtsgebäude
- Umsturzversuche, Verschwörungen zu diesem Zweck (z.B. Machtkämpfe in der vormodernen Stadt, Auseinandersetzungen von Adelsparteien, Chouans, Corbonari, Anarchisten)
- Vorbereitungen einer Revolution, Agitation dafür
- tätliche oder verbale Angriffe auf öffentliche bzw. staatliche Institutionen
- Bezugnahme auf die Öffentlichkeit (Rolle von Agitation, Propaganda und der Medien)
- Spezifische Begehungsformen und Ziele (Widerstand, Gewalt, Angsterzeugung, symbolische Handlungen)
- Zielobjekte (Personen, "staatliche Einrichtungen")
- Rolle von Frauen im Feld politischer Kriminalität
- Bezugnahme auf Symbole, Inszenierungen und Rituale
- Verbreitung abweichender oder legitimitätsgefährdender Meinungen

2. Motive, Definitionen, Diskurse und Zuschreibungen
- Staatsverbrechen als Widerstand und Selbstermächtigung
- Normative Definition und diskursive Ausformung politischer Verbrechen bzw. der Verbrecher
- Bedrohungsszenarien und Konstruktion von Gruppen (von Sekten über Geheimgesellschaften bis zu Organisationen der Arbeiterbewegung)
- Rechtfertigungsdiskurse (z.B. im Rahmen der konfessionellen Auseinandersetzung des Ancien Régime, etwa seitens der Monarchomachen)
- normative Kategorien in legitimierenden Diskurse (z.B. Gerechtigkeit, Ordnung, göttlicher Wille)
- Wahrnehmung von Frauen als Akteure, bzw. Täterinnen

3. Politische Justiz zwischen justitiellem Staatsschutz und illegitimer Verfolgung
- Techniken der Kontrolle und der Verfolgung politischer Verbrechen und Verbrecher, spezifische Verfahren und Prozeßformen (inkl. Folter), Urteile
- Fallstudien zu politischen Prozessen unter besonderer Berücksichtigung der Motive und Gründe der Verfolgung (Machtakkumulation, Herrschaftskonkurrenz, Vergeltung, Rache)
- Herausbildung von „Sicherheit“ als Ergebnis von Staatsschutz und Verfolgung
- politisch intendierte Prozesse und „Schauprozesse“ gegen politische Opposition

4. Gewalt im Herrschaftsdiskurs – Reziprozität der Motive?
- Kongruenzen, Differenzen, und Reziprozitäten in den Beweggründen für weltanschaulich (politisch und religiös) motivierte Verbrechen und für politisch motivierte Verfolgung von Devianz
- methodische Zugangsweisen für den Vergleich beider Phänomene
- Rückwirkungen gewaltförmiger politischer Diskurse auf das Rechtssystem

Es wird außerdem ein freie Sektion geben: Forschungen und Projekte zur Historischen Kriminalitätsforschung

Die Tagung ist interdisziplinär ausgerichtet, neben der Geschichte und Rechtsgeschichte sind ausdrücklich Beiträge u.a. aus den Fächern Literaturwissenschaften, Anthropologie, Soziologie, Rechtswissenschaften, Ethnologie, Politologie willkommen.

Karl Härter, Gerhard Sälter, Eva Wiebel

Vortragsvorschläge können bis 15. April 2008 per e-mail an einen der untenstehenden Organisatoren eingereicht werden und sollten Vortragstitel, Angaben zur Person und eine kurze Zusammenfassung des Vortragsthemas auf zusammen maximal einer Seite beinhalten.

Für die Referate wird jeweils etwa 25 Minuten Zeit sein. Kosten für Anreise und Übernachtung sowie Honorare können nicht übernommen werden.

Vortragsvorschläge können bis 15. April 2008 per e-mail an einen der untenstehenden Organisatoren eingereicht werden und sollten Vortragstitel, Angaben zur Person und eine kurze Zusammenfassung des Vortragsthemas auf zusammen maximal einer Seite beinhalten.

Programm

Kontakt

Prof. Dr. Karl Härter, Frankfurt am Main, haerter@mpier.uni-frankfurt.de
Dr. Gerhard Sälter, Berlin, G.Saelter@t-online.de
Eva Wiebel, Konstanz, Eva.Wiebel@uni-konstanz.de