Film im Herzen Europas. Deutsch-Tschechische Filmbeziehungen im 20. Jahrhundert. 20. Internationaler Filmhistorischer Kongress

Film im Herzen Europas. Deutsch-Tschechische Filmbeziehungen im 20. Jahrhundert. 20. Internationaler Filmhistorischer Kongress

Veranstalter
CineGraph - Hamburgisches Centrum für Filmforschung und Bundesarchiv-Filmarchiv, Berlin, mit Narodní filmový archiv, Prag, und Univerzita Karlova, Prag, Hamburg
Veranstaltungsort
Gästehaus der Universität Hamburg, 20148 Hamburg, Rothenbaumchaussee 34
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.11.2007 - 24.11.2007
Von
Johannes Roschlau

Die vielfältigen Verbindungen zwischen den deutschsprachigen und dem tschecho-slowakischen Kinematografien stehen im Mittelpunkt von CineFest 2007, dem von CineGraph, Hamburg, und Bundesarchiv-Filmarchiv, Berlin, zusammen mit dem Narodní filmový archiv, Prag, der Univerzita Karlova, Prag, sowie der Kinemathek Hamburg e.V. veranstalteten IV. Internationalen Festival des deutschen Film-Erbes und dem damit verbundenen 20. Internationalen Filmhistorischen Kongress. Die deutsche, österreichische und tschechische Kultur sind in Mitteleuropa durch eine lange, spannungsvolle Geschichte miteinander verbunden. Zwei Weltkriege und ihre Folgen führten zu
einschneidenden Veränderungen und bis heute nachwirkenden Irritationen. Die wechselhafte Entwicklung und die unterschiedlichen Facetten des prekären Verhältnisses spiegeln sich nirgendwo deutlicher als im Leitmedium Film. CineFest und Filmhistorischer Kongress verfolgen Star-Karrieren beiderseits der Grenzen, beleuchten Produktionsstrukturen und erforschen die Motivgeschichte des Films zwischen Berlin, Wien und Prag von den 1910er Jahren bis zur Gegenwart.

Im Fokus stehen u.a. die Zusammenarbeit von Filmschaffenden unterschiedlicher Nationalitäten in der Tschechoslowakei und der personelle Austausch mit Deutschland und Österreich. Dabei wird der Beitrag deutschsprachiger Literaten und Filmschaffender aus dem Prager Milieu wie Franz Kafka, Max Brod, Egon Erwin Kisch, Willy Haas oder Franz Schulz zur Filmproduktion dieser Länder ebenso ein Thema sein wie die wirtschaftlichen künstlerischen und politischen Motive, die tschechische Filmschaffende wie Anny Ondra (Ondráková), Karel/Carl Lamac, František Cáp oder Vojtech Jasný dazu veranlassten, im deutschsprachigen Ausland zu arbeiten.

Einen weiteren Schwerpunkt bilden die wirtschaftlichen und institutionellen Verflechtungen zwischen den Ländern und ihre Auswirkungen auf die Filmproduktion. Hier ist nach den Motiven und Zielen deutsch-tschechoslowakischer und tschechisch-österreichischer Co-Produktionen in unterschiedlichen Epochen und politischen Systemen zu fragen – EIN MÄDEL VON DER REEPERBAHN / LIDÉ V BOURI (1930); JAHRGANG 21 / ROCNÍK 21 (1957) – sowie nach den Auswirkungen der kulturellen, sozialen und politischen Rivalität zwischen den Nationalitäten auf Produktion und Rezeption deutschsprachiger Filme bzw. deutsch-tschechischer Sprachversionen in der Tschechoslowakei, z.B. ON A JEHO SESTRA / ER UND SEINE SCHWESTER (1930) oder ULIČKA V RÁJI / DAS GÄSSCHEN ZUM PARADIES (1936). Ein wichtiger Themenkomplex beim Kongress ist die Filmproduktion im »Reichsprotektorat Böhmen und Mähren«, wobei neben dem organisatorischen Aufbau des Lenkungsapparates auch die inhaltliche Kontrolle der Filmherstellung und die Strategien tschechischer Filmschaffender zwischen Emigration und Kollaboration von Interesse sind.

Breiten Raum wird beim Kongress auch die Analyse und die Interpretation des Bildes einnehmen, das in den tschechoslowakischen bzw. deutschen und österreichischen Filmen vom anderen Land und den Menschen der anderen Nationalität gezeichnet wird. Dabei soll die Entstehung und Veränderung von Stereotypen, Klischees und thematischen Leitmotiven durch das 20. Jahrhundert verfolgt werden. So inspirierte der Mythos der Stadt Prag frühe deutsche Filme wie DER STUDENT VON PRAG oder DER GOLEM. Filme wie NEMÁ BARIKÁDA (1949), TRANSPORT Z RÁJE (1962), DER MÄDCHENKRIEG (1976/77), HILDE, DAS DIENSTMÄDCHEN (1985/86) und MUSÍME SI POMÁHAT (1999) zeugen dagegen von dem bis heute bestehenden Bedürfnis tschechischer und deutscher Regisseure, sich mit den Erfahrungen von Okkupation, Krieg und Vertreibung auseinanderzusetzen.

Das IV. CineFest - Internationales Festival des deutschen Film-Erbes findet vom 17. - 25.11. statt und umfasst etwa 30 Filmprogramme. Zu den Highlights zählt u.a. DER MÄDCHENHIRT (1919), ein Drama aus dem Prager Zuhältermilieu nach dem einzigen Roman von Egon Erwin Kisch, das in viragierter Fassung gezeigt wird.
Eine in Deutschland weitgehend unbekannte Variation des Schwejk-Motivs bietet der von Carl Lamac 1943 im englischen Exil gedrehte antifaschistische Propagandafilm SCHWEIK'S NEW ADVENTURES, in dem der »brave Soldat« als Hausdiener einen SS-Offizier in den Wahnsinn treibt.
Als Beispiel für einen erstaunlich differenzierten Umgang mit den Erfahrungen von Krieg und Okkupation gegen Ende der 1960er Jahre wird František Vláčils ADELHEID zu sehen sein, der die unmögliche Liebe zwischen einem heimgekehrten Exil-Tschechen und einer sudetendeutschen Offizierstochter schildert.
Ein (fast) vergessener Ausflug des Komödienregisseurs Kurt Hoffmann ins dramatische Fach ist DAS HAUS IN DER KARPFENGASSE (1963-65), eine düstere Verfilmung des Romans von M. Y. Ben-Gavriêl über das Schicksal der jüdischen Bewohner eines Prager Hauses zur Zeit der Okkupation.
Einen hochinteressanten Blick hinter die Kulissen der Prager Filmhochschule FAMU wirft der 1965 gedrehte Dokumentarfilm EIN ANLASS ZUM SPRECHEN von Haro Senft, in dem alle wichtigen Protagonisten der tschechischen »Neuen Welle« zu Wort kommen – einschließlich eines jungen Theaterdramaturgen namens Václav Havel.

Beim CineFest erwarten wir deutsche und tschechische Filmschaffende als Gäste: Der tschechische Schriftsteller und Drehbuchautor Arnošt Lustig – Ehrengast des Festivals – wird zum Film TRANSPORT Z RÁJE (TRANSPORT AUS DEM PARADIES, 1962) sprechen, der auf seinen Erfahrungen als Häftling im KZ Theresienstadt basiert. Der Schauspieler Peter Bosse wird darüber berichten, wie er 1936 als Kinderstar neben Hans Moser in der Komödie DAS GÄSSCHEN ZUM PARADIES vor der Kamera stand. Bei der Vorführung der kurz nach dem Mauerbau gedrehten DEFA-Komödie ACH, DU FRÖHLICHE... wird der Regisseur Günter Reisch anwesend sein. Über die Arbeit an Rudolf Noeltes Kafka-Verfilmung DAS SCHLOSS (1968) gibt der Kameramann Wolfgang Treu Auskunft. Zur preisgekrönten Literaturverfilmung DER MÄDCHENKRIEG (1976/77) erwarten wir den Regisseur Bernhard Sinkel. Der tschechische Dokumentarist Jan Šikl präsentiert die aus historischen Amateurfilmen kompilierte Dokumentation KRÁL VELICHOVEK (DER KÖNIG VON VELICHOVKY) und erläutert sein Projekt »Das private Jahrhundert«.

Programm

Mittwoch, 21. November 2007

Metropolis-Kino (Dammtorstr. 30a)
19:00 Eröffnungsfilm: ADELHEID (CS 1969, Frantisek Vlácil), 99 min, OmeU - Einführung: Tereza Dvořáková, Prag.

Im Anschluss laden wir zu einem Umtrunk im Metropolis. Mit Unterstützung von Becherovka.

Donnerstag, 22. November 2007

Gästehaus der Universität (Rothenbaumchausee 34)

09:15 Begrüßung

09:30 – 12:30 Panel 1: PRAG – BERLIN – WIEN

Peter Becher, München
Koexistenz und Konkurrenz – deutsche und tschechische Kultur in der Tschechoslowakei. Ein Überblick

Jan-Christopher Horak, Los Angeles
Die Rezeption tschechischer Filme in Deutschland 1920-1933

Gernot Heiss, Wien
Filmproduktion zwischen Prag und Wien bis 1938

13:30 – 16:30 Panel 2: TONFILM DEUTSCH-TSCHECHISCH

Petr Szczepanik, Brno/Prag
Deutsche Elektrokonzerne und die tschechische Filmindustrie in den 1930er Jahren

Kevin Johnson, Seattle/Prag
Kulturelle Mischungen: Nation, Ort und Identität in den deutsch-tschechischen Sprachversionen

Horst Claus, Bristol: Die Ufa und der tschechische Markt 1927-1938 im Spiegel der Ufa-Vorstandsprotokolle

Metropolis-Kino

17:00 SCHWEIK'S NEW ADVENTURES (GB 1943, Karel Lamač), 90 min, OF – Einführung: Ivan Klimeš, Prag

19:00 DER MÄDCHENHIRT (D 1919, Karl Grune), ca. 70 min – Musikbegleitung: Stefan Goreiski (Akkordeon)

21:00 NĚMÁ BARIKÁDA (CS 1948/49, Otakar Vávra), 128 min, OmeU – Einführung: Hans-Joachim Schlegel, Berlin

Freitag, 23. November 2007

Gästehaus der Universität

09:15 – 12:30 Panel 3: OKKUPATIONSKINO

Tereza Dvořáková, Prag
Machtstrukturen in der Protektoratskinematografie

Petr Bednařík, Prag
Die Karriere des deutschen Filmfunktionärs Karl Schulz als Okkupationsgewinnler

Hans-Joachim Schlegel, Berlin
Otakar Vávra und G. W. Pabst in Barrandov 1942/43

13:30 – 16:30 Panel 4: KRIEGSERFAHRUNGEN

Petr Mareš, Prag
Tschechen und Deutsche in Fritz Langs HANGMEN ALSO DIE

Pavel Zeman, Prag
Sudetendeutsche und Vertreibung in tschechoslowakischen Filmwochenschauen und Dokumentarfilmen 1945-1948

Petr Koura, Prag [angefragt]
Die Entwicklung des Bildes der Deutschen im tschechoslowakischen Film nach 1945

Metropolis-Kino

17:00 EIN ANLASS ZUM SPRECHEN (BRD 1965, Haro Senft), 107 min, DVD – Einführung: Ivan Klimeš, Prag

19:00 HILDE, DAS DIENSTMÄDCHEN (DDR 1985/86, Günther Rücker, Jürgen Brauer), 97 min

Vortrag: Elke Schieber, Potsdam
Geliebte und verlorene Heimat – Lust und Verantwortung zu erzählen, wie es war

21:00 DAS HAUS IN DER KARPFENGASSE (BRD 1963-65, Kurt Hoffmann), 108 min - Einführung: Christoph Fuchs, Hamburg

Samstag, 24. November 2007

Gästehaus der Universität

09:15 – 12:30 Panel 5: CO-PRODUKTIONEN

Ivan Klimeš, Prag
Co-Produktionen als Politikum. Zur Filmzusammenarbeit zwischen DDR und ČSSR nach 1969

Ralf Forster, Potsdam / Volker Petzold, Potsdam
Ungleiche Partner im Animationsfilm. Deutsch-tschechische Kooperationen am Beispiel der Serie RÜBEZAHL (1974-84)

Helena Srubar, Linz
(West)deutsch-tschechische Co-Produktionen im Kinderfilm der 1970er und 1980er Jahre: Pan Tau und Co

13:30 – 15:30 Panel 6: STILISTISCHE EINFLÜSSE

Thomas Ballhausen, Wien
Die Tücken der Objekte. Eine Notiz zu Jan Švankmajers in Österreich produzierten Filmen.

Rudolf Jürschik, Berlin
DEFA und Barrandov: Aspekte der ddr-deutsch – tschechischen Filmbeziehungen

15:30 – 16:30 Abschlussdiskussion

Metropolis-Kino

17:00 CRISIS (US/CS 1938/39, Herbert Kline, Hanuš Burger), 60 min, engl. OF / SCHICKSALSWENDE (D 1938/39, Johannes Häußler, Walter Scheunemann), 30 min
Einführung: Pavel Zeman, Prag

19:00 JAHRGANG 21 / ROCNÍK 21 (DDR/CS 1957, Václav Gajer), 97 min – Einführung: Ralf Schenk, Erkner

21:00 MAMITSCHKA (BRD 1955, Rolf Thiele), 95 min –
Vortrag: Stefan Zwicker, Mainz

Kontakt

Johannes Roschlau Erika Wottrich

CineGraph, Schillerstr. 43, 22767 Hamburg

040-18884566, 040-352194
040-345864
roschlau@cinefest.de; kongress@cinefest.de; info@cinefest.de

http://www.cinefest.de; http://www.cinegraph.de
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