Die Konstruktion einer Heiligen. Katharina von Siena, Tomaso Caffarini und Venedig /The Making of a Saint: Catharina of Siena, Tomaso Caffarini and Venice

Die Konstruktion einer Heiligen. Katharina von Siena, Tomaso Caffarini und Venedig /The Making of a Saint: Catharina of Siena, Tomaso Caffarini and Venice

Veranstalter
Prof. Jeffrey F. Hamburger (Harvard) Prof. Dr. Gabriela Signori (Konstanz)
Veranstaltungsort
Centro Tedesco di Studi Veneziani
Ort
Venedig
Land
Italy
Vom - Bis
12.01.2009 - 14.01.2009
Deadline
31.10.2007
Website
Von
Prof. Dr. Gabriela Signori (Konstanz)

Die Konstruktion einer Heiligen.
Katharina von Siena, Tomaso Caffarini und Venedig

Jeffrey Hamburger (Havard) und Gabriela Signori (Konstanz)

Wie man einen Heiligen "macht", in dieser politisch höchst brisanten Frage hatten die italienischen Mendikanten schon seit geraumer Zeit nützliche Erfahrungen sammeln können. Als geradezu paradigmatisch gilt in dieser Hinsicht die Lebensbeschreibung, die der Ordensgeneral Bonaventura (gest. 1274) posthum von Franziskus von Assisi (gest. 1226) entwarf. Laut Ordensbeschluss sollte die neue Vita, Bonaventuras Version, alle älteren Viten- bzw. Legendenversionen ersetzen. Das Armutsideal war zum Problem geworden. Ein Blick auf die Handschriftenüberlieferung lehrt, dass der Beschluss auch konsequent umgesetzt worden ist.
Einen ähnlich massiven Eingriff in die Legendenproduktion beobachten wir bei der Dominikanerterziaren Katharina von Siena (gest. 1380), die mit Franziskus von Assisi in vielerlei Hinsicht (Christus-Imitation, Stigma u.ä.) "konkurrierte". Katharinas Leben und Wirken darf als bekannt vorausgesetzt werden. Ihre Lebensbeschreibung entstammt der Feder ihres langjährigen Beichtvaters, des Ordensgenerals Raimund von Capua (gest. 1399). Raimund hatte fünf Jahre nach Katharinas Tod, also 1385, in Rom mit der Niederschrift der sogenannten Legenda maior begonnen. Fertig stellen sollte er sein Werk aber erst zehn Jahre später, und zwar in Venedig, nicht in Rom. Aber erst Raimunds Ordensbruder, der Sienese Tommaso Caffarini (gest. nach 1417), verhalf der Legende zu ihrem durchschlagenden Erfolg. Ausgangspunkt seiner umfassenden Werbetätigkeit für die Heilige war die Hafenstadt Venedig. Hier, in Venedig, ereignete sich in den Jahren 1412 bis 1416 auch jener "Prozess", der das spätere Heiligsprechungsverfahren unter Papst Pius II. vorwegnehmen sollte. Auf Wunsch frommer Laien hatte Francesco Bembo, der Bischof von Venedig, 26 Personen, vorwiegend Mitglieder des Dominikanerordens, vor sich geladen. Sie sollten ihm Auskunft erteilen über das Leben, die Wunder und die posthume liturgische Verehrung der Heiligen. Im Vorfeld hatte Tommaso Caffarini in Venedig von der Legenda maior zahlreiche Kopien erstellen und den Geladenen zukommen lassen. Sie wurden sozusagen auf den Text eingeschworen; Abweichungen duldete Tommaso Caffarini keine. Treffend bemerkte Robert Fawtier, bis heute einer der besten Legendenkenner (Sainte Catherina de Sienne. Essai de critique des sources. Sources hagiographiques, Paris 1921, S. 38): "die Legenda maior [war] der Kanon, dem sich die Zeugen unterzuordnen hatten, und Tommaso Caffarini hat darauf geachtet, dass sie nicht im kleinsten Detail von ihrer Vorlage abwichen. Alle Zeugen haben die Legenda maior gekannt." Caffarini selbst äußerte sich wiederholt zu seinen vielfältigen Bemühungen, die Vita in ganz Europa zu verbreiten (Libellus de Supplemento III, 6, Art. 15).
Die Geschichte der von Venedig aus gesteuerten Verbreitung der lateinischen Legendenversion hatte Robert Fawtier in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts minutiös erschlossen. Ihm ging es noch primär darum, die Legende von der Geschichte, das heißt die Spreu vom Weizen zu trennen. Im Blickpunkt seiner Aufmerksamkeit stand Tommaso Caffarini und die in Venedig aufgenommen oder nach Venedig geschickten Zeugenaussagen (Processus).
Die im Auftrag von Caffarini erstellten Kopien wanderten schnell weiter: Bald auch sollten die ersten Textzeugen der Legenda maior ihren Weg über die Alpen finden. Die Etappen dieser Wanderung sind aber weit weniger gut erschlossen als die Entstehung des Legendenkanons. Alsbald zeichnen sich erste Rezeptionsherde ab: in Nürnberg, Paris und Prag. Die Verbindungslinien zwischen Nord und Süd verlaufen über gemeinsame Reformideale; alsbald entstanden die ersten Übersetzungen des kanonischen Textes, zunächst ins Italienische, dann in die ober- und niederdeutsche Sprache sowie in das Mittelniederländische; es folgten Übersetzungen ins Englische, Französische und Spanische. Auch in der Geschichte des europäischen Buchdrucks hinterließ die Legende tiefe, bislang aber unaufgedeckte Spuren.

Diese "gesamteuropäische" Verbreitung des Textes, nicht die schon hundertfach gewürdigte Heilige, soll im Blickpunkt unserer Aufmerksamkeit stehen. Zu Diskussion stehen sollen zugleich auch Konstruktion und Propagierung des Katharinenkultes in verschiedenen Bildformen bzw. -trägern (Wand- und Tafelmalerei, Teppiche, Gebetbücher und andere Andachtsbilder) unter besonderer Berücksichtigung der grundlegenden Differenzen, die sich in der Kultverbreitung nördlich und südlich der Alpen abzeichnen. Im übrigen wurde auch der Bilderkult von Tommaso Caffarini gezielt gesteuert (Libellus de Supplemento III, 6, Art. 15): "Ich gab auch Anweisung, dass das Bild der Jungfrau nicht nur in unseren und anderen Kirchen gemalt werde, sondern dass es auch in Form kleiner und auf diese Weise handlicher Bildchen vielen übergeben werde und von einer größeren Zahl verehrt und leichter verbreitet werden könne. Von den besagten Bildern ist tatsächlich eine beachtliche Anzahl überallhin verteilt worden, über Meer und Land und sogar bis hinein in die Lebensbereiche der Ungläubigen; und täglich geschieht es, dass sie aus besonderer Verehrung der Jungfrau sowohl den Venezianern als auch von anderen in verschiedene Gegenden gebracht werden."

The Making of a Saint:
Catharina of Siena, Tomaso Caffarini and Venice

Jeffrey Hamburger (Havard) und Gabriela Signori (Konstanz)

How does one construct a saint? Italian mendicants had already been able to accumulate a good deal of experience in dealing with this politically explosive question for some. In this regard, the posthumous description of the life of Francis of Assisi (d. 1226) written by the Master General of the Order, Bonaventure (d. 1274) could be regarded as paradigmatic. According to the decree of the Order, Bonaventure’s version was to take the place of all older lives and versions of the legend. The manuscript record clearly in¬dicates that this resolution was acted on decisively.
A similarly massive intervention in the production of a legend can be observed in the case of the Dominican tertiary, Catherine of Siena (d. 1380), who in many respects (e.g., the imitation of Christ, stigmatization, etc.) „competed“ with Francis of Assisi. Catherine’s life and works are well known and can be presumed as a point of departure. The description of her life stems from the pen of her confessor of many years, the Master General of the Order, Raymund of Capua (d. 1399). Raymund started work on the so-called Legenda maior in Rome five years after Catherine’s death, i.e., in 1385. He only comple¬ted his work, however, ten years later, in Venice, not in Rome. Yet it was first Raymund’s Dominican brother, the Sienese Tommaso Caffarini (d. after 1417), who ensured the extraordinary success of the Legend. The harbor city of Venice provided the point of departure for his extensive efforts to publicize the saint. It was also in Venice that in the years 1412 – 1416 the investigation took place that anticipated the canonization trial that would later take place under Pope Pius II. At the request of pious lay people, Francesco Bembo, the bishop of Venice, invited twenty six witnesses, primarily members of the Dominican Order, to appear before him. They were to provide him with information regarding the life, miracles and posthumous liturgical veneration of the saint. In advance, Tommaso Caffarini had numerous copies of the Legenda maior prepared and distributed to the invitees. They were, so-to-speak, bound by the text; Caffarini did not permit departures from the text. Robert Fawtier, whose account of the Legend (Sainte Catherina de Sienne. Essai de critique des sources. Sources hagio¬graphiques, Paris 1921, S. 38) remains definitive, de-clared: "the Legenda maior [provided] the rule to which the witnesses had to submit themselves, and Tommaso Caffarini had taken care that none of them departed from their model in the smallest detail. All the witnesses knew the Legenda maior."
In the 1920’s, Fawtier investigated in painstaking detail the history of the dissemination of the Latin Legend as it was disseminated from Venice. His primary concern was to the wheat from the chaff, that is, history from legend. At the center of his attention stood Tommaso Caffarini and the process (Pro¬cessus) by which the statements of witnesses were either recorded in or sent to Venice.
The copies commissioned by Caffarini quickly travelled farther. The first textual witnesses to cross the Alps soon followed. The steps by which this process of dissemination occurred, however, have not been traced as systematically as the origin of the Legend. The principal centers of re¬ception were rapidly established: Nuremberg, Paris und Prague. Uniting the various lines connecting north and south was a common set of reform ideals. Translations of the cano¬nical text appeared in short order, first in Italian, then in southern and northern German dialects as well as in Middle Dutch. There followed translations into English, French and Spanish. The Legende also left its mark -- to this day only partially explored -- on the history of European printing. This European-wide dissemination of the text, rather than the saint herself, who has already been appreciated and evaluated hundreds of times, will form the focus of our attention. Also requiring investigation is the propagation and elaboration of Catherine's cult in various kinds of imagery (murals and panel paintings, tapestry, prayer books and other forms of devotional imagery), with particular attention to differences in the dissemination of her cult north and south of the Alps and the different ways in which it was incorporated into mendicant propaganda.

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Gabriela Signori

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