Studientag Aachener Heiligtumsfahrt

Studientag Aachener Heiligtumsfahrt

Veranstalter
Kunsthistorisches Institut der RWTH Aachen / Bischöfliche Akademie des Bistums Aachen
Veranstaltungsort
Reiff-Museum der RWTH Aachen, R5, Schinkelstr. 1, 52062 Aachen (8.6.2007) Bischöfliche Akademie des Bistums Aachen, August-Pieper-Haus, Vortragssaal, Leonhardstr. 18-20, 52064 Aachen (9.6.2007)
Ort
Aachen
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.06.2007 - 09.06.2007
Von
Dr. Andreas Gormans / Prof. Dr. Alexander Markschies

"Venite et Videte", so lautet das Motto, unter dem die Aachener Heiligtumsfahrt des Jahres 2007 steht. Die Perikope aus dem Johannesevangelium lässt sich grundsätzlich auf jede Pilgerfahrt beziehen, ist sie doch die doppelte imperativisch formulierte Aufforderung an eine Gruppe von Gläubigen, sich mit dem Ziel einer heilbringenden Schau auf den Weg zu einem "heiligen Ort" zu machen. Dessen Bedeutung geht in der Regel auf die Erscheinung Gottes, eines seiner Boten, die Aufbewahrung eines Gnadenbildes oder die Verehrung kostbarer Reliquien zurück. Insbesondere in den Jahren der nachweislich seit 1349 turnusmäßig alle sieben Jahre stattfindenden Aachener Heiligtumsfahrt galt dieses Motto allerdings vor allem für die Stadt Aachen. Zu diesen Anlässen nämlich trat die Kaiserstadt für jeweils zwei Wochen im Jahr Rom, Jerusalem und Santiago de Compostela als ebenbürtiges Ziel europäischer Fernwallfahrten an die Seite. Movens für grenzüberschreitende Massenbewegungen war in diesen vierzehn Tagen neben dem politisch motivierten Karlskult und der Verehrung der Patronin der Stiftskirche in Form eines gotischen Gnadenbildes vor allem die Verehrung der so genannten "Vier Aachener Heiligtümer", also von Reliquien, die möglicherweise schon zum umfangreichen Reliquienschatz Karls des Großen gehörten. Hierbei handelte es sich um ein Kleid Mariens, die Windeln und das Lendentuch Jesu sowie das Enthauptungstuch Johannes des Täufers – mit anderen Worten um Sekundärreliquien, die zwar nur mit dem Leib Jesu, Mariens und Johannes’ in Berührung gekommen waren, von denen man allerdings fest überzeugt war, dass ihnen grundsätzlich dieselbe virtus innewohnte wie den Körperreliquien auch. Wenngleich die Echtheit dieser Textilien ebenso unmöglich zu beweisen sein wird wie deren Falschheit, so ist in diesen Reliquien doch zweifellos der materiale Ausgangspunkt der Aachenfahrt zu erkennen. Vor diesem Hintergrund ist es somit unverzichtbar, mit einem entsprechenden Fragekatalog zunächst und vor allem an die Stoffreliquien selbst heranzutreten. Textilrestauratorische Fragen etwa nach deren Alter, Machart und Erhaltungszustand, nach möglicherweise aufschlussreichen Verschmutzungs- und Gebrauchsspuren sind in diesem Zusammenhang ebenso zu stellen wie kunst- und kulturhistorische Fragen, die der grundsätzlichen Bedeutung von Stoffreliquien in der mittelalterlichen Reliquienverehrung insgesamt nachgehen, oder etwa Fragen nach der Verehrung der Aachener Stoffe im Kontext einer Geschichte der Verehrung von Textilreliquien zwischen frühem Christentum und spätem Mittelalter. Den wichtigsten Beleg für die Bedeutung und Echtheit jener Heiligtümer wird man unterdessen im Umgang mit ihnen sehen dürfen. Immerhin sind die kostbaren Stoffe künstlerisch keineswegs anders behandelt worden als die Körperreliquien selbst. So wurde unmittelbar nach der Vollendung des Karlsschreins, der die Gebeine des 1165 durch Kaiser Friedrich I. Barbarossa kanonisierten Karls des Großen aufnehmen sollte, zur Bewahrung jener Stoffe ein weiterer Schrein, der so genannte Marienschrein angefertigt. Auch dieser Schrein wurde nach der Vollendung des gotischen Chores (1355-1414) zu einem Schrein im Schrein, zu einem miniaturhaften hausförmig gestalteten Thesaurus in einer monumentalen Memorialarchitektur, der mit seinem Goldglanz und seinem Gemmen- und Edelsteinbesatz nicht weniger als ein irdisches Abbild des Himmlischen Jerusalem begriffen werden wollte, als die transparente Hülle aus Werkstein und Glas, die ihn umgab. Wenn durch den programmatischen Einsatz bestimmter Materialien auch der Marienschrein ästhetisch als Heiligkeitsbeweis und Echtheitszeugnis ausgewiesen wird, so dürfte dieses architektonische Reliquiar angesichts der in ihm bewahrten Reliquien und des auf ihm dargestellten Bildprogramms doch vor allem die Vorstellung von der Gemeinschaft aller Heiligen, also von der communio sanctorum aufgerufen haben. Zurückgehend auf die arca, den kastenförmigen Prototypen des Bewahrens innerhalb der Kulturgeschichte abendländischer Thesaurierungspraktiken des Kostbaren und Schützenswerten, unterstreicht der Marienschrein zudem die grundsätzliche axiomatische Allianz von Reliquie und Architektur. Architektur in der miniaturhaften Form eines Schreines konnte mithin als bergende und schützende Hülle fungieren – im "großen" Stil, also in gebautem Zustand, lancierte Sakralarchitektur allerdings nicht weniger schon von ihren Anfängen an auch die Strategien der Reliquieninszenierung. Wenn beispielsweise die Einrichtung einer Ringkrypta unter der Apsis von Alt-St. Peter in Rom, oder etwa die Erfindung des Chorumgangs mit Kapellenkranz in der Gotik als genuin baugeschichtliche Innovationen etikettiert werden, so darf doch nicht übersehen werden, dass derartige Neuerungen letztlich auch gebaute logistische Offerten im Rahmen einer um Optimierung bemühten Lenkung anonymer Pilgermassen, mit anderen Worten Garanten einer gleichermaßen haptischen wie optischen Erreichbarkeit heilversprechender Partikel darstellten. In Aachen waren diese Garanten – wie zahlreiche Bilddokumente belegen – vornehmlich der Turm der Marienkirche, beziehungsweise die Galerie zwischen Turm und karolingischem Oktogon – beides Orte, von denen aus die Heiligtümer gewiesen wurden. Wenngleich textile Stoffe – solche, bei denen es sich um Reliquien handelte, sogar in ganz besonderem Maße – nach "Tuchfühlung" verlangten, dürfte im Rahmen einer für Reliquienverehrung obligaten Distanzminimierung in Aachen jedoch von Anfang an einem dezidiert optischen Modell des Habhaftwerdens von Heil der Vorzug gegeben worden sein. Die nachhaltig durch die besonderen architektonischen Rahmenbedingungen festgelegte Inszenierungspraktik belegt sogar, dass die gewiesenen Aachener Tuchreliquien fast ausschließlich mit dem Auge "abgetastet" worden sein dürften. Dieses offenbar visuell vermittelte Heil stellt wiederum den Aspekt der Schaufrömmigkeit ins Zentrum. Dass diese visuell-optische Heilsvermittlung zudem akustisch flankiert wurde, belegt schließlich die leitmotivische Erwähnung der so genannten "Aachenhörner". In der langen Tradition akustischer Begleiterscheinungen stehend, scheint die Aachener Reliquienweisung gewissermaßen eine die Sinne umfassend affizierende Schau gewesen zu sein, zu der offensichtlich auch die akustische Auratisierung des Stadtraums ihren Teil beigetragen hat. In diesem Zusammenhang wird das Augenmerk nicht zuletzt auch auf die Geschichte der Heiligtumsfahrt zu richten sein, auf das Ritual der Eröffnung und des Endes der ursprünglich zweimal sieben Tage andauernden, alle sieben Jahre, jeweils im siebenten Monat stattfinden Feierlichkeiten, vor allem aber auf den konkreten Ablauf der Weisungen und speziell in diesem Kontext auf Zäsuren und Kontinuitäten, soweit sich diese aussagekräftig in Bild- und Textquellen der verschiedenen Jahrhunderte niedergeschlagen haben.

Programm

Freitag, 8. Juni 2007 (Reiff-Museum der RWTH Aachen, R5, Schinkelstr. 1, 52062 Aachen)
18.00 – 18.30: Begrüßung
18:30 – 19.30: Prof. Dr. Bruno Reudenbach (Hamburg): Der Marienschrein und seine Reliquien. Funktionale, mediale und performative Aspekte einer problematischen Beziehung

Samstag, 9. Juni 2007 (Bischöfliche Akademie des Bistums Aachen, August-Pieper-Haus, Vortragssaal, Leonhardstr. 18-20, 52064 Aachen)
9.15 – 9.30: Begrüßung
9.30 – 10.15: Prof. Dr. Dieter P.J. Wynands (Aachen): Die Aachener Heiligtumsfahrt. Kontinuität und Wandel eines mittelalterlichen Reliquienfestes
10.45 – 11.30: Monica Paredis-Vroon (Aachen): Stoffwechsel. Die großen Aachener Heiligtümer und ihre sieben-jährige Zeigung
11.30 – 12.15: Dr. Stefanie Seeberg (Aachen/Köln): "Kleiderkammer Christi". Zur Geschichte der Verehrung und Wahrnehmung von Textilreliquien
14.30 – 15.15: Prof. Dr. Matthias Untermann (Heidelberg): Die Chorhalle des Aachener Münsters. Reliquie und Architektur
15.15 – 16.00: PD Dr. Norbert Schnitzler (Chemnitz/Brüssel): Askese des Blickes und "Heilige Schau". Aspekte der Schafrömmigkeit im Spätmittelalter

Kontakt

Dr. Andreas Gormans / Prof. Dr. Alexander Markschies
Institut für Kunstgeschichte der RWTH Aachen
Schinkelstr. 1, 52062 Aachen
Tel. 0241-8095068

http://www.kunstgeschichte.rwth-aachen.de