Herstellung und Darstellung verbindlicher Entscheidungen

Herstellung und Darstellung verbindlicher Entscheidungen

Veranstalter
Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger/ Dr. André Krischer Leibniz-Projekt „Vormoderne Verfahren“ Hittorfstr. 117 D – 48149 Münster
Veranstaltungsort
Münster
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.02.2008 - 22.02.2008
Deadline
31.07.2007
Website
Von
André Krischer

Herstellung und Darstellung verbindlicher Entscheidungen -
Legitimation durch Verfahren in vormodernen und modernen Gesellschaften
(WWU Münster, 20. bis 22. Februar 2008)
Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger, Dr. André Krischer

Verfahren sind durch Normen programmierte, ergebnisoffene Prozesse zur Herstellung verbindlicher Entscheidungen und damit Kernelemente politischen und rechtlichen Handelns. Es kennzeichnet ein Verfahren, daß es sowohl eine Entscheidung herstellt als auch den Prozeß ihrer Herstellung selbst darstellt. Der Begriff ‚Darstellung’ impliziert dabei alles, was während des Verfahrens für die Beteiligten selbst und für eine interessierte Öffentlichkeit wahrnehmbar und sichtbar ist: das Verhalten der Verfahrensbeteiligten ebenso wie die räumliche und zeitliche Rahmung. ‚Herstellung’ und ‚Darstellung’ werden aber gewöhnlich als zwei verschiedene, womöglich sogar konkurrierende Felder verstanden: Die nüchterne Entscheidungsfindung, die sachneutrale Produktion kollektiv verbindlicher Entscheidungen auf der eine Seite, die symbolische Inszenierung, die bloße Vermittlung der Ergebnisse auf der anderen Seite. Dabei ist mittlerweile klar, daß auch die Darstellung von Politik selbst Politik ist, daß politischer Zeichengebrauch, Rituale, Zeremonien usf. Machtmittel sind wie andere - ökonomische oder militärische - Ressourcen auch. Zahlreiche Studien haben deutlich gemacht, daß das Problem von Herstellung und Darstellung, der Sichtbarkeit politischen und rechtlichen Handelns nicht auf ‚Sein versus Schein’ reduziert werden kann. Nur wie sich beide Seiten zueinander verhalten, darüber herrscht Aufklärungsbedarf. In den vergangenen Jahren hat sich die historische Forschung intensiv mit politischen, sozialen und rechtlichen Inszenierungen befaßt, wie etwa Versöhnungs- und Strafritualen, Friedensfesten und Herrscherbegegnungen, Fürstenhochzeiten und Inthronisierungen. Diese besaßen besonders in vormodernen Gesellschaften eine besondere Signifikanz, weil politische Macht und soziale Schichtung noch weitgehend miteinander korrespondierten.

Das Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Projekt „Vormoderne Verfahren“ (Münster) fragt nun nach der Entstehung und der Funktionsweise politischer und rechtlicher Verfahren in der Vormoderne, und zwar insbesondere unter dem Gesichtspunkt, welche Rolle der Darstellung des Entscheidungsprozesses selbst zukommt. Als Prämisse unserer Untersuchungen gilt die Annahme, daß – ob auf Hoftagen oder Ständeversammlungen, in Gerichtshöfen oder Ratsgremien, Konzilien oder Kongressen – allen Verfahren die soziale Funktion zugrunde liegt, Entscheidungen einiger weniger oder einzelner kollektiv verbindlich zu machen. Dies ist bekanntlich das Grundproblem aller Macht- und Herrschaftsbeziehungen, des Wechselverhältnisses von Individuum und Gesellschaft und damit der Möglichkeit zur Stabilisierung komplexer sozialer Ordnungen überhaupt (Georg Simmel). Daß Verfahren dies leisten, ist allerdings zunächst höchst unwahrscheinlich und erklärungsbedürftig: Entscheidungen implizieren nämlich stets die Festlegung auf eine Möglichkeit unter vielen, sie offenbaren deshalb Kontingenz, weil sie ‚Wahrheit’ und ‚Gerechtigkeit’ für Positionen postulieren, die von anderen nicht geteilt werden müssen. Damit sind soziale Konflikte vorgezeichnet, wenn nicht durch bestimmte Mechanismen das Kontingenzproblem wieder entschärft wird. Schon Max Weber fragte deshalb nach den „Chancen“, bestimmten Entscheidungen bei bestimmten Personen legitime Geltung, Verbindlichkeit also, zu verschaffen, so daß diese sie zu Prämissen ihres Handelns machen. Gewaltdrohung, Charisma, Tradition, Konsens, Gefühle und Werte allein können allerdings schon Weber zufolge die verbindliche Geltung einer komplexen Herrschaftsordnung nicht garantieren. Ebensowenig vermögen dies die juristischen, „altliberalen“ Anerkennungstheorien (Kant, Welcker, Jellinek usf.) überzeugend zu erklären. Niklas Luhmann hat dieses Problem mit seiner Theorie der „Legitimation durch Verfahren“ zu vertiefen versucht, womit er nach unserer Ansicht ein Modell vorgelegt hat, dessen analytisches Potential gerade auch von der historischen Forschung noch lange nicht ausgeschöpft worden ist. Danach tragen Verfahren unter bestimmten Bedingungen aus sich selbst heraus dazu bei, daß ihre Ergebnisse von den Verfahrensbeteiligten als verbindlich akzeptiert werden. Die Darstellungsleistungen im Entscheidungsprozeß selbst spielen dabei nach Luhmann eine zentrale Rolle. Damit ist nicht nur oder in erster Linie die explizite Symbolik des Verfahrens gemeint, also bestimmte Zeremonien und Rituale, sondern auch und vor allem die implizite, latente und nicht intendierte Symbolik, die jedes soziale Handeln und jeden sozialen Raum imprägniert.

Es fragt sich, inwiefern solche Verfahren moderne Staatlichkeit voraussetzen bzw. wie sie sich zum „Wachstum der Staatsgewalt“ (W. Reinhard) und zum Ausdifferenzierungsprozeß gesellschaftlicher Funktionssysteme von Recht, Politik, Religion etc. verhalten. Dabei geht es nicht darum, die an der modernen Gesellschaft orientierte Theorie der Verfahrenslegitimation unmittelbar auf die Vormoderne zu übertragen, sondern in Auseinandersetzung mit ihr die epochalen Unterschiede schärfer herauszuarbeiten, und zwar entlang folgender Fragen:

Zum einen sind wir interessiert an empirischen Beispielen für die Darstellungen der Entscheidungsherstellung aus möglichst vielen und unterschiedlichen Kontexten des vormodernen und modernen Europa (Gerichte, Parlamente, Ständeversammlungen, Verwaltungsinstanzen usf.). Zum anderen gilt es zu analysieren, worin das legitimierende Potential der Darstellung im Verfahren jeweils genau liegt und wie es zu erklären ist? Wie verteilt es sich auf Akteure und Strukturen bzw. Handlungsinstitutionen? Lassen sich Verfahren instrumentalisieren oder bilden sie ihre eigene Logik aus, die sich auch über die Interessen der Beteiligten hinwegsetzt? Besonders aufschlußreich erscheint uns dabei der Vergleich zwischen vormodernen und modernen Verfahren: Welche soziale Logik (nicht nur: welche expliziten Normen) lag ihnen jeweils zugrunde, wie läßt sich ihr Ablauf nicht nur empirisch, sondern funktional erklären und erfassen? Wie interagieren verschiedene Verfahren (Wahlen, Gerichtsprozesse usf.) miteinander? Inwiefern wird sozialer Status bei der Entscheidungsfindung mit dargestellt und honoriert? Welche Verfahren können den Übergang zur modernen Gesellschaft mit vollziehen und durch Reformen ihre Funktionsfähigkeit bewahren? Gerade auch für aktuelle Forschungskontroversen in der Geschichtswissenschaft, beispielsweise die Debatte um „Staatsbildung von unten“, “Herrschaftsvermittlung“ usw. könnte sich der verfahrensgeschichtliche Ansatz als fruchtbar erweisen. Wieso war es z.B. unter vormodernen Bedingungen so schwer, Entscheidungen der Zentrale lokal durchzusetzen? Ist es nicht wahrscheinlich, daß Resistenz ab einem gewissen Punkt die ‚Staatsgewalt’ sogar stärkte, die bestimmte Themen vorgab, durch Verfahren festlegte und Probleme somit individualisierte? Wieso erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Legitimation durch Verfahren aber gerade proportional zur gesellschaftlichen Differenzierung und Pluralisierung? Mißlang immer dann, wenn Herstellung und Darstellung der Entscheidungsproduktion auseinanderfielen, wie etwa im Inquisitionsverfahren oder der frühneuzeitlichen Territorialverwaltung, eine Legitimation nur durch Verfahren, mußten dann stets zusätzliche Ressourcen (Religion, Militär usf.) mobilisiert werden, um die Verbindlichkeit zu garantieren? Wieso fällt die enorme Steigerung staatlicher Macht zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert, die Herrschaft durch Verfahren, zusammen mit der Ausbildung einer (massen-)medial konstituierten Öffentlichkeit, die ganz neue Kreise zur Darstellung der Herstellung verbindlicher Entscheidungen erschloß? Führte der Strukturwandel der modernen Öffentlichkeit tatsächlich, wie Habermas vermutete, zur Entkopplung von Gesellschaft und Verfahren, die zu autonomer Macht gelangten und Beliebiges verbindlich entscheiden konnten, gerade weil sie die Darstellung der Entscheidungsherstellung zum Prinzip machten? Wenn man den (territorial-)staatlichen Rahmen verläßt: Wie wurden im diplomatischen und internationalen Verkehr verbindliche Entscheidungen her- und dargestellt? Rekkurierte man dabei (aber auch in anderen politischen und rechtlichen Kontexten) vermehrt auf Alternativen zur verfahrensförmigen Legitimation von Entscheidungen, die funktionaler waren, gerade weil so die Herstellung der Entscheidung nicht dargestellt wurde?

Wir möchten unseren Forschungsansatz und erste Ergebnisse zusammen mit anderen Wissenschaftlern aus verschiedenen Fachgebieten auf einer interdisziplinären Tagung diskutieren. Erwünscht sind daher Beiträge unterschiedlicher Fächer, die entweder den Stand der Verfahrensdebatte aus ihrer jeweiligen disziplinären Perspektive referieren oder die Verfahrensthematik an historischen Gegenständen aus Vormoderne und Moderne exemplifizieren und sich dabei mit den genannten Theorieangeboten auseinandersetzen.

Abstracts im Umfang von höchstens 1000 Wörtern sind bis zum 31. Juli 2007 zu richten an:
Dr. André Krischer
Leibniz-Projekt „Vormoderne Verfahren“
Hittorfstr. 117
D – 48149 Münster
Krischer@uni-muenster.de

Programm

Kontakt

André Krischer

Leibniz-Projekt „Vormoderne Verfahren“, Hittorfstr. 117,
D-48149 Münster
0251-8328320
0251-8328324
krischer@uni-muenster.de