Autorität und Authentizität. Die Konstruktion von Glaubwürdigkeit im Mittelalter

Autorität und Authentizität. Die Konstruktion von Glaubwürdigkeit im Mittelalter

Veranstalter
Kristin Böse, Michael Rothmann, Petra Schulte, Daniel Ziemann; Zentrum für Mittelalterstudien, Universität zu Köln
Veranstaltungsort
Universität zu Köln, Kunsthistorisches Institut, Übungsraum, An St. Laurentius 8, 50931 Köln
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.11.2006 - 11.11.2006
Deadline
10.11.2006
Website
Von
Michael Rothmann

Die Herstellung von Glaubwürdigkeit, Vertrauen oder zumindest von Plausibilität gehört zu den unabdingbaren Vorrausetzungen funktionierender individueller wie gesellschaftlicher Kommunikation. In diesem immer wieder zu aktualisierenden Prozess der Beglaubigung spielen für deren Formen und Strategien wiederum zwei Begriffe in ihrer jeweils spezifischen historisch gewordener Fassung eine zentrale Rolle: Autorität und Authentizität. Zwar sind beide in der jüngeren, postmodern gestimmten Geisteswissenschaft zwischen die Mühlsteine der Dekonstruktion geraten und teilweise als Illusion verabschiedet worden. Als Zumutung einer medial verunsicherten Lebenswelt, in der das Medium bereits als Botschaft gilt und die zunehmend um Kriterien für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Personen und Aussagen ringt, werden sie aber als aktuelle Frage von der Wissenschaft erneut eingefordert.

Begriffs-, sozial- wie wissenschaftsgeschichtlich haben die Begriffe Autorität und Authentizität in den unterschiedlichsten Kontexten eine lange Tradition, deren Kontinuitäten, Brüche und Transformationen sich unser Kölner Workshop aus den Perspektiven verschiedener, vor allem mediävistischer Disziplinen widmen wird.

Ein erster Themenschwerpunkt innerhalb des Workshops bildet die Person des Herrschers, der als Inhaber der höchsten Gewalt seine Autorität in Byzanz als authenticos (αὐθέντης) ausübte. Prägnant formuliert findet sich die enge Verflechtung von Autorität und Authentizität etwa in den Libri Carolini: "authentica est requirenda auctoritas." Im französischen Spätmittelalter wurden die Grundlagen beider neu hinterfragt und definiert. Zu ihnen gehörte wesentlich die Wahrhaftigkeit des Herrschers, deren spezifische Konnotation anhand der Traktatliteratur dargestellt werden sollen.

Ein zweiter Fokus liegt auf der Geschichte der mittelalterlichen Rechtsüberlieferung und der Rechtssprechung, wo die Fiktion einer möglichen Wahrheitsfindung im exemplarischen und im konkreten Konfliktfall, etwa bei der Zeugenbefragung, ein unverzichtbares Postulat darstellt. Auch waren etwa im aufkommenden Notariat Schriftstücke zu beglaubigen, auf ihre Authentizität hin zu überprüfen. Der Lehrer der Notariatskunst Petrus de Unzola († 1312) schrieb in seinem Kommenar der Summa totius artis notariae des Rolandinus Passagerii († 1300): "Merke, daß eine Urkunde authentisch genannt wird - Nota quod instrumentum dicitur auctenticum. (...) Denn das heißt authentisch, dem man sehr glaubt und dem man vollstes Vertrauen schenkt - Nam illud dicitur auctenticum, cui multum creditur, et cui fides maxima adhibetur. Von daher ist es auch in der Umgangssprache üblich zu sagen, dieser ist ein authentischer Mann, d.h. ein Mann, dem man sehr glaubt und dessen Anweisungen in besonderer Weise befolgt werden - Unde dici consuevit etiam vulgariter, talis est auctenticus homo id est homo talis, cui multum creditur: et cuius dicta multum servantur."

Am Beispiel von karolingischen Kirchenrechtssammlungen soll nach dem postmodernen Scheintod von Autor und Ur- bzw. Idealtext ein intensiver Blick auf die editionstechnische Wiederbelebung von Autorenkonzepten und authentischem Text gerichtet werden. Im Vordergrund steht dabei die Geschichte einer bereits im Frühmittelalter beginnenden intensiven Suche nach dem richtigen, unverfälschten, eben authentischen Text und die Frage: Was lässt sich aus dem hier zu beobachtenden Umgang mit Autoritäten, aus der ständigen Re- und Neukonstruktion von Authentizität an zeitspezifischen Beglaubigungsstrategien ablesen?

Aus kunsthistorischer Perspektive wird anhand spanischer illuminierter Rechtshandschriften, den Codices Aemilianense und Vigilanus, das Verhältnis von Autorschaft und Gesetzgebung in der Zeit der Reconquista behandelt; zunächst indem Inszenierungsvarianten von Autor und Buch in den Blick genommen werden. Sodann interessieren auf die Betrachterwahrnehmung ausgerichtete Verfahren der Rahmung und Retardierung, die auf das Kernstück der Handschrift vorbereiten, sowie die Rolle der Bilder für die Rückbindung der Rechtstexte an Prozesse der Gesetzgebung und Rechtsentscheidung.

In einen theologischen Kontext verweist die Verwendung des Begriffs Authentizität zur Autorisierung der rechten Liturgie, die am Beispiel des Verhältnisses von Authentizität und Ritus erläutern werden wird.

Übergänge von einer an der tradierten auctoritas ausgerichteten Beglaubigungsstrategie zu einer an der ratio orientierten, experimentellen Beweisführung lassen sich aber nicht nur in pragmatischen Lebensbereichen oder im theologisch-philosophischen Diskurs erkennen, sondern verweisen auch in literarischen Textsorten, selbst in einer vordergründig eher randständig anmutenden Gattung wie den Mirabilien, auf sich verändernde Deutungsmuster.

Abschließend sollen aus der medientheoretischen Perspektive am Beispiel von Handschriften und Drucken der Divina Commedia Dantes die unterstützende oder hemmende Rolle und die vertrauensbildenden Maßnahmen analysiert werden, die das jeweilige Medium, also die Instanz der Vermittlung, der Transport und die Verpackung von Inhalten, bei der Herstellung von Glaubwürdigkeit ausüben.

Programm

9 Uhr
Begrüßung und Einführung

9.15 - 10 Uhr
Cordula Scholz
Der byzantinische Kaiser als „authenticos“

10 – 10.45 Uhr
Petra Schulte
Das Wort des Herrschers. Wahrhaftigkeit als Herrschaftsideal im
französischen Spätmittelalter

Kaffeepause

11 – 11.45 Uhr
Daniel Ziemann
“authentica est requirenda auctoritas.“ Die Frage nach Autorität und Authentizität in karolingischen Kirchenrechtssammlungen des 9. Jahrhundert

11.45 – 12.30 Uhr
Kristin Böse
Autorschaft und Gesetzgebung in der Zeit der Reconquista - Die Codices
Aemilianense und Vigilano

Mittagspause

14 – 14.45 Uhr
Michael Rothmann
Glaubwürdige Paradoxien. Glaubwürdigkeitsstrategien in mittelalterlichen Mirabiliensammlungen zwischen Autorität und Ratio

14.45 – 15.30 Uhr
Franz Fischer
Authentizität und Ritus - Zum Verhältnis von innerer und äußerer
Ritualität in Liturgieerklärungen des Mittelalters

Kaffeepause

15.45 – 16.30 Uhr
Lydia Wegener
‚Eyn deutschir herre, eyn prister vnd eyn custos yn der deutschen herren hauß zu franckfurt’: Kann die Autornennung im Prolog der ‚Theologia deutsch’ den Anspruch auf Authentizität erheben?

16.30 – 17.15 Uhr
Friederike Wille
Autorität und Authentizität - eine Frage des Mediums? Text, Bild und Kommentar in Handschriften und Drucken von Dantes Divina Commedia.

17.15 – 18 Uhr
Schlussdiskussion

Kontakt

Michael Rothmann

Historisches Seminar, Albertus Magnus Platz, 50923 Köln

060743047859; 02214705354
02214705042
mrothmann@arcor.de