Von der Schwierigkeit transnationaler Kommunikation zur transnationalen Analyse - Die erste und zweite Frauenbewegung als Gegenstände historischer Transferforschung: das Beispiel Mittel- und Osteuropa

Von der Schwierigkeit transnationaler Kommunikation zur transnationalen Analyse - Die erste und zweite Frauenbewegung als Gegenstände historischer Transferforschung: das Beispiel Mittel- und Osteuropa

Veranstalter
Professur für Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Erfurt Prof. Dr. Claudia Kraft
Veranstaltungsort
Universität Erfurt
Ort
Erfurt
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.11.2006 - 01.12.2006
Deadline
16.06.2006
Website
Von
Kraft, Claudia

Der geplante Workshop macht folgende Beobachtung zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen: Nach dem politischen Umbruch in Mittel- und Osteuropa seit dem Jahr 1989 zeigten die Kommunikationsblockaden zwischen Feministinnen der Zweiten Frauenbewegung der westlichen und frauenpolitisch engagierten Akteurinnen der östlichen Hälfte Europas, dass sich emanzipatorische Anliegen zwar einerseits in einen Diskurs scheinbar universaler Werte einschrieben, sich die politischen und gesellschaftlichen Handlungs- und Erfahrungsräume der Frauen in Ost und West aber andererseits so unterschiedlich gestaltet hatten, dass weder die zu formulierenden Ziele noch die dorthin führenden Strategien unstrittig waren. Verstärkt wurden die Irritationen noch durch einen “Wertetransfer“, der eine westeuropäische Diskurshoheit implizierte und von den Akteurinnen in Mittel- und Osteuropa daher mit Skepsis betrachtet wurde. Die Genese dieser Verständigungsschwierigkeiten soll durch die Untersuchung der Ersten und Zweiten Frauenbewegung als Orte transnationaler Kommunikation untersucht werden.

Die Erste Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts entdeckte für sich internationale Organisationen, in denen der weibliche Aktionsraum weitaus weniger eingeschränkt war als in den Nationalstaaten bzw. multinationalen Imperien, in denen die politischen Öffentlichkeiten männlich dominiert und politische und gesellschaftliche Handlungsfelder überwiegend männlich besetzt waren. In einer transnationalen Öffentlichkeit konnten Anliegen wie Frauenwahlrecht oder –erwerbstätigkeit weitaus freier verhandelt werden als in den jeweiligen Einzelstaaten, seien sie nationalstaatlich oder imperial organisiert. Dabei wurden in der stark von den nordatlantischen und westeuropäischen Zentren dominierten internationalen Frauenbewegung die ostmitteleuropäischen Regionen zugleich marginalisiert und inkludiert. Marginalisiert, da ihnen die nationalstaatliche Verfasstheit fehlte, die weitgehend Organisationsprinzip war. Inkludiert, da diese Regionen – im Unterschied zu den meisten anderen Weltregionen – dem Kreis der „Kulturstaaten“ zugerechnet wurden, denen eine führende Rolle in der Propagierung angeblich universaler Rechte und Werte zugeschrieben wurde. Transnational verhandelte Anliegen der Frauenbewegung wurden für diese Region, der eine spezifische Regionalität der Peripherie vom fortschrittlicheren Zentrum zugeschrieben wurde, zwar als allgemein definiert, stießen dort aber auf andere Rahmenbedingungen.

Die je unterschiedlichen Rahmenbedingungen hatten nachhaltigen Einfluss auf die Emanzipationsstrategien von Frauen. In den bürgerlichen Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts forderten die Vertreterinnen des gemäßigten Flügels der Ersten Frauenbewegung für ihren Beitrag zum Staat politische und bürgerliche Gleichstellung ein. Ähnlich argumentierten politisch aktive Frauen in Ostmitteleuropa; doch sie ordneten ihr Engagement scheinbar der Nationalbewegung unter, in deren Rahmen sie zwar durchaus frauenpolitische Themen vertraten, diese jedoch in dem größeren Horizont politischer Befreiung der gesamten Nation standen.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden frauenpolitische Anliegen sehr häufig nicht im nationalstaatlichen Rahmen verhandelt, sondern zunächst durch Ideen auf supranationaler Ebene konkretisiert (v. a. im Rahmen der Geschlechterpolitik der Europäischen Gemeinschaft) und in die einzelstaatlichen Gesetzgebungen eingeführt. Im Rahmen der Zweiten Frauenbewegung wurden politische Anliegen zunächst auf einer basisdemokratischen Ebene, die sich bewusst von institutionalisierten Politikformen abgrenzte, formuliert. Diese Anliegen wurden im Laufe der Zeit verstärkt auf Foren supranationaler NGOs verhandelt. Diese Ebene hat seit der Wende und dem folgenden „Wertetransfer“ einen enormen Auftrieb bekommen. Zwar blieb das östliche Europa von der Geschlechterpolitik der Europäischen Gemeinschaft ebenso ausgeschlossen wie vom politischen Aufbruch der Zweiten Frauenbewegung seit den späten sechziger Jahren. Dennoch bildete die Zweite Frauenbewegung einen transnationalen Kommunikationsraum aus, dessen Themen nicht ohne Rückwirkung auf den östlichen Teil Europas blieben bzw. ihrerseits von Entwicklungen in den staatssozialistischen Ländern beeinflusst wurden (hier ist etwa an die schon früh im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft geforderte Entgeltgleichheit für Frauen und Männer zu denken, die u. a. durch die verfassungsrechtlichen Regeln in den Volksdemokratien Mittel- und Osteuropas dort zumindest de iure bereits bestand).

Frauenpolitische Entwürfe entwickelten sich in Ost und West nach 1945 erneut in radikal unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Seit den sechziger Jahren entstand in Westeuropa die Zweite bzw. Neue Frauenbewegung, die mit dem Motto "das Private ist politisch" die Defizite eines rein formalrechtlichen Gleichheitsbegriffs kritisierte und die Anerkennung von Gleichheit und Differenz zur Grundlage neuer Lebens- und Subjektentwürfe machte. Für die politischen Oppositionsbewegungen im Staatssozialismus kann man zwar ebenso davon sprechen, dass das Private politisch war: hier jedoch verstanden als eine Sphäre politischer Gegenöffentlichkeit, die maßgebliche Basis für die Organisation oppositionellen Handelns war. Damit bewegten sich politisch aktive Frauen erneut in einem Umfeld, in dem der Kampf um spezifische Frauenrechte - der trotz der Gleichheitsversprechen des Staatssozialismus nicht überflüssig geworden war - einem allgemeinen politischen Projekt untergeordnet blieb. Trotz der jeweils zu beobachtenden „Politisierung des Privaten“ kam es zu keiner Verständigung zwischen Frauen in Ost- und Westeuropa, wobei im Auge zu behalten ist, dass auch die innerwesteuropäische Frauenbewegung zunehmend gespalten war und etwa als ausschließliches Projekt bürgerlicher weißer Frauen kritisiert wurde.

Der Workshop möchte diese Verunsicherungen zum Ausgang nehmen um zu beleuchten, wie sich die Transferprozesse im Bereich emanzipatorischer Gleichheitsvorstellungen für die Region Mittel- und Osteuropa entwickelt haben und welche Rolle die transnational verfasste Frauenbewegung für diese über weite Strecken hinweg „(semi-)periphere“ Region spielte. Dabei soll gefragt werden, welche Akteurinnen in welchen Rahmenbedingungen Gleichheitsvorstellungen formulierten, wie diese über Transfer- und Austauschprozesse kommuniziert wurden und welche Anverwandlungs- aber auch Abgrenzungsstrategien im Bezug auf Gleichheitsvorstellungen bestanden, die im westeuropäisch/nordatlantischen „Zentrum“ der Frauenbewegung(en) formuliert wurden. Willkommen sind sowohl institutionshistorische Untersuchungen, die die Vernetzung von frauenpolitischen Organisationsformen zwischen West und Ost untersuchen, als auch biographische Zugänge, die nach den Erfahrungen von Frauen fragen, die für die transnationalen Netzwerke der Frauenbewegung und ihre jeweilige konkrete Lebenswelt Übersetzungsleistungen im Bezug auf Emanzipationsstrategien vollbrachten. Zeitlich können die Untersuchungen in dem breiten Rahmen zwischen der Institutionalisierung der ersten Frauenbewegung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Gegenwart angesiedelt sein, in der durch das Konzept des gender mainstreaming versucht wird, Gleichheitsvorstellungen durchsetzen, die sowohl in ihrem Inhalt als auch in der Form ihrer Durchsetzung als anscheinend universal gültig gedacht werden. Angesprochen sind Forschende aus dem Bereich der Geschichts- und Sozialwissenschaften, die zu Transferprozessen zwischen West und Ost, aber auch zur Region Mittel- und Osteuropa arbeiten. Die Veranstaltung versteht sich als ein erster Ausgangspunkt für die Formulierung einer breiteren Forschungsagenda, die sich mit dem Spannungsfeld beschäftigen, das zwischen weltregionaler Differenzierung und Transfer- und Aneignungsprozessen besteht.

Vorschläge für Vorträge (1-2 Seiten) sowie kurze Angaben zum wissenschaftlichen Werdegang richten Sie bitte bis zum 16. Juni 2006 an: claudia.kraft@uni.-erfurt.de

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