"Das Rad der Geschichte eignet sich nicht für unsere Strassen": Geschichtspolitik und Erinnerungskultur im neuen Russland

"Das Rad der Geschichte eignet sich nicht für unsere Strassen": Geschichtspolitik und Erinnerungskultur im neuen Russland

Veranstalter
Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
Veranstaltungsort
Am Neuen Markt 9d (Bibliotheksgebäude), 14467 Potsdam
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.06.2006 - 01.07.2006
Deadline
16.06.2006
Von
Karl, Lars

Seit „Perestrojka“ und „Glasnost“ ist in Russland eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Geschichte möglich. Der Staat verlor in den letzten fünfzehn Jahren schrittweise sein alleiniges Deutungsmonopol über Vergangenheitsfragen und wurde zu einem unter mehreren geschichtspolitischen Akteuren in einer stellenweise sehr heterogenen Erinnerungslandschaft. Einschlägige Diskussionen haben seitdem so manches historische Dogma erschüttert - die kollektive Erinnerung, die bis dahin vom Kanon der sowjetischen Historiographie und Gedenkkultur dominiert gewesen war, hat ihre einstige Uniformität verloren und ist pluralistisch geworden. Nicht selten werden dabei Vergangenheitsdiskurse als Indikator für den Transformationsprozess der politischen Kultur in Russland nutzbar gemacht.

Der Siegeszug, auf dem sich das methodische Konzept von Erinnerung und Gedächtnis in der Geschichtswissenschaft inzwischen befindet, ist somit auch an der Erforschung der russischen und sowjetischen Geschichte nicht spurlos vorübergegangen. Dabei stehen nicht zufällig die sich wandelnde Erinnerung an den „Großen Vaterländischen Krieg“ oder regionale geschichtspolitische Konflikte wie im Falle der Exklave Kaliningrad im Mittelpunkt des Interesses. Das postsowjetische Russland stellt den „Gedächtnisforscher“ zudem vor neue Herausforderungen in allgemein theoretisch-methodologischen Bereich, während aktuelle Jubiläen und Feiertage Anlass zu konkreten Fallstudien geben. Auch der (Um-)Codierung historischer Ereignisse in populärkulturellen Diskursen, dem Film oder der Literatur wird in jüngster Zeit verstärkt Aufmerksamkeit zuteil.

Ausgehend von diesen Prämissen soll auf der Konferenz erstmals der Versuch unternommen werden, ausgewählte Aspekte von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur im neuen Russland in vergleichender Perspektive zu analysieren. Eingeladen sind Historiker, Sozial- und Kulturwissenschaftler östlicher und westlicher Provenienz. Das Rahmenthema soll dabei unter interdisziplinären Aspekten und mit verschiedenen Zugängen diskutiert werden, um sich der gesellschaftlichen Funktion von „Geschichte“ im heutigen Russland anhand der folgenden thematischen Sektionen möglichst umfassend zu nähern:
- Das postsowjetische Russland als gedächtnistheoretische Herausforderung.
- Geschichte als Fest.
- Geschichte als Fiktion und Utopie.
- Kriegserinnerung als „Ver“-Dichtung.
- Raum als historische Inszenierung.
- Exklaven der Erinnerung - Kaliningrad

Programm

Freitag, 30. Juni

10.15-12.00 Uhr

Begrüßung und Moderation: Martin Sabrow (ZZF Potsdam)

Eröffnungsvortrag: Jutta Scherrer (Centre Marc Bloch, Berlin):
Erinnern und Vergessen: Russlands Umgang mit Geschichte in einer europäischen Perspektive.

Mittagspause (Restaurant im Filmmuseum)

13.30-15.00 Uhr

Sektion 1: Das postsowjetische Russland als gedächtnistheoretische Herausforderung

Moderation: Christoph Classen (ZZF Potsdam)

Olga Kourilo (Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder):
Wandel der Erinnerungslandschaften im heutigen Russland: Zwischen sowjetischem und postsowjetischem Denken.

Andreas Langenohl (Justus-Liebig Universität Giessen):
Erinnerung als Modus intellektueller Selbstadressierung: Die neuen Kritiktraditionen im postsowjetischen Russland.

Elke Fein (Albert-Ludwigs Universität Freiburg):
Memorial und die postsowjetische Erinnerungskultur in Russland.

Kaffeepause

15.30-16.45 Uhr

Sektion 2: Geschichte als Fest

Moderation: Jürgen Danyel (ZZF Potsdam)

Isabelle de Keghel (Forschungsstelle Osteuropa, Universität Bremen):
Der „Tag der nationalen Einheit“ in der Russländischen Föderation. Zum Abschied von der revolutionären Tradition im postsowjetischen Feiertagskanon.

Konstantin Tsimbaev (Lomonosov-Universität, Moskau):
Erinnerungen an die Gegenwart. Zum 10. und 15. Jahrestag von Verfassung, "Demokratie" und neuer russ(laend)ischer Staatlichkeit.

Kaffeepause

17.00-18.15 Uhr

Sektion 3: Geschichte als Fiktion und Utopie

Moderation: Arpad v. Klimo (ZZF Potsdam)

Matthias Schwartz (Osteuropa-Institut, FU Berlin):
Postimperiale Erinnerungsbilder. Zum Umgang mit der post/sowjetischen Geschichte in der russischen Populärkultur.

Polianski, Igor J. (ZZF Potsdam):
Das a-soziale Gedächtnis. Alternative Geschichte und Rückwärtsfantastik im (post)sowjetischen Film.

Gemeinsames Abendessen

Samstag, 1. Juli

10.15-12.00 Uhr

Sektion 4: Kriegserinnerung als “Ver-Dichtung“

Moderation: Andrea Genest (ZZF Potsdam)

Joachim Hösler (Marburg):
Der Große Vaterländische Krieg in der postsowjetischen Historiographie.

Peter Jahn (Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst):
Wie viel Kontinuität, wie viel Wandel? Der Große Vaterländische Krieg in der russischen Erinnerung.

Jörg Ganzenmüller (Friedrich-Schiller-Universität Jena):
Identitätsstiftung und Trauerarbeit: Die Belagerung Leningrads in der russischen Erinnerungskultur.

Kaffeepause

12.15-13.30 Uhr

Sektion 5: Raum als historische Inszenierung

Moderation: Jochen Laufer (ZZF Potsdam)

Elena Zubkova (RGGU, Moskau):
Baltikum oder Pribaltika? Der russisch-baltische Erinnerungskonflikt in Geschichte und Politik.

Lars Karl (ZZF Potsdam):
Bauernkrieger unter dem Doppeladler: Die Wiedergeburt des Kosakentums und regionale Erinnerungskultur in Südrussland.

Mittagspause

14.30-15.45 Uhr

Sektion 6: Exklaven der Erinnerung - Kaliningrad

Moderation: Melanie Arndt (ZZF Potsdam)

Corinna Jentzsch (Kulturforum Östliches Europa, Potsdam):
Das 750jährige Stadtjubiläum in Kaliningrad – eine geschichtspolitische Wende?

Per Brodersen (Berlin):
„Die Exotik unserer Region zieht die Menschen an“ – Deutsches Erbe in einer sowjetischen Stadt, Kaliningrad nach 1945.

Kaffeepause

16.15-17.00 Uhr

Abschlussdiskussion und Verabschiedung.

Moderation: Lars Karl und Igor J. Polianski (ZZF Potsdam)

Ihre Teilnahmenachricht erbitten wir möglichst bis zum 16. Juni 2006 an karl@zzf-pdm.de

Kontakt

Rückfragen zu Programm und Inhalt bitte an:

Dr. Lars Karl
karl@zzf-pdm.de

Dr. Igor Polianski
polianski@zzf-pdm.de

Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF)
Am Neuen Markt 1
14467 Potsdam

http://www.zzf-pdm.de
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Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
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