Heimliche Lehrpläne: Politische Sozialisation, Schlüsselqualifikationen und Gefühlsarbeit in Arbeit, Bildung und Gesellschaft

Heimliche Lehrpläne: Politische Sozialisation, Schlüsselqualifikationen und Gefühlsarbeit in Arbeit, Bildung und Gesellschaft

Veranstalter
Universität Passau in Kooperation mit der Sektion Politische Psychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP), der BDP-Landesgruppe Bayern, der Redaktion Politische Psychologie und der Walter-Jacobsen-Gesellschaft gem. e.V. für Politische Bildung und Politische Psychologie (Hamburg). Tagungsleitung: Dr. Petia Genkova, Universität Passau, Philosophische Fakultät / Fach Psychologie.
Veranstaltungsort
Universität Passau, Philosophische Fakultät / Fach Psychologie
Ort
Passau
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.11.2006 - 12.11.2006
Deadline
31.05.2006
Von
Petia Genkova

Heimliche Lehrpläne: Politische Sozialisation, Schlüsselqualifikationen und Gefühlsarbeit in Arbeit, Bildung und Gesellschaft.

26. Workshop-Kongress Politische Psychologie

Was lernen wir ungewollt und unvermerkt über Macht, Einfluss, Werte und Normen? In Arbeitswelt, Bildungswesen und Gesellschaft entwickeln sich – teils durch Selbstorganisation, teils gesteuert – Organisationskulturen, Erfahrungsfelder und Mechanismen, die uns in oft vorbewussten Lernprozessen implizites Wissen vermitteln, Verhaltensrepertoires und Taktiken, Muster des Alltagsbewusstseins und der Gefühlsarbeit. Derartige Lernbedingungen bilden die „heimlichen Lehrpläne“ der politischen Sozialisation im Alltag. Sie beeinflussen Vertrauen, soziales Klima, Wohlbefinden und Handlungsfähigkeit, im positiven wie im negativen Sinne. Sie werden zum gesellschaftlichen Problem, wenn sich Muster des Wegsehens, der Resignation oder Beschönigung durchsetzen, die zu Unproduktivität, Tabubildungen und Anpassung an schlechte Verhältnisse führen. Indizien solcher Muster sind das abnehmende Parteien- und Institutionenvertrauen, viele Befunde über Moral-, Werte- und Persönlichkeitsentwicklung in Arbeitswelt und Bildungseinrichtungen, über Burnout in pädagogischen und Gesundheitsberufen, über Mobbing, über berufsbiographische Brüche, etwa das fortbestehende Abdrängen von Frauen aus Führungspositionen. Und die sozialen, psychischen und gesundheitlichen Belastungen im Gefolge von Arbeitslosigkeit und Überschuldung sind für immer mehr Familien zum heimlichen Lehrplan der Leistungsgesellschaft geworden.

Zunehmend wächst deshalb die Einsicht, dass die dunklen Seiten der Sozialisation aktiv und klug ins Auge gefasst werden müssen. Sonst scheitern sinnvolle Innovationen an Enttäuschungen, Motivationseinbrüchen und Vertrauensverlusten. Das belegen zahlreiche sozialwissenschaftliche und psychologische Befunde, aber auch immer mehr Erfahrungen in Bildung, Wirtschaft und Politik. Die gängigen Formeln von Flexibilität oder Elitenförderung verlieren an Überzeugungskraft, je deutlicher sie die Trägheit der Organisationen, die Widerständigkeit des Alltagsbewusstseins und die mögliche Überforderung der Menschen übersehen.

Versuchen die Menschen nämlich individuell solche heimlichen Lehrpläne zu erfüllten, so geraten sie leicht in widersprüchliche oder kaum erfüllbare Anforderungen. Die aktuell gewünschte Führungspersönlichkeit beispielsweise ist fachlich in ihrem Gebiet, in relevanten EDV-Lösungen, Organisationsentwicklungsverfahren, in Managementtechniken und technologischen Entwicklungen bewandert, sie bringt Studienabschluss plus Auslandserfahrung mit, ist bereits in jungen Jahren von großer menschlicher Erfahrung und mit Einfühlungsvermögen, Coaching-Befähigungen und ausgeprägter sozialer Kompetenz ausgestattet, wie z.B. ihr Engagement in Vereinen oder Verbänden dokumentieren. Derlei Erwartungshorizonte führen zu einem ständig vorverlagerten biographischen Druck, der möglicherweise in erster Linie unrealistische Selbstvermarktung begünstigt und genau das zerstört, was er erreichen soll.

Wie können und sollen Menschen mit heimlichen Lehrplänen umgehen? Welche Hilfen leisten Psychologie und Sozialwissenschaften beim Verstehen, Ansprechen und Bewältigen der (mikro-) politischen Sozialisation in unserer Gesellschaft? Zu diesen Fragen untersucht die Tagung:

1. die Inhalte und Symptome heimlicher Lehrpläne,
2. die Funktions- und Wirkungsweise heimlicher Lehrpläne,
3. ihre Folgen, z.B. für Gesellschafts- und Politikbilder, Moral- und Persönlichkeitsentwicklung,
4. Handlungsmöglichkeiten und Spielräume gegenüber solchen Sozialisationsmustern, die persönlichen und sozialen Resilienzfaktoren, welche Menschen oder Gruppen gegen destruktive Sozialisation stärken, zu ihrer Aufdeckung und Veränderung befähigen,
5. soziale und organisatorische Strategien, um transparentere, vertrauenerweckendere und nachhaltigere Interaktionsformen und bewusst selbstgestaltetes Lernen zu entwickeln.

Eingeladen sind dazu theoretische Beiträge, empirische Arbeiten, Fallstudien, interkulturelle und historische Vergleiche, Medien- und Wirkungsanalysen (qualitative wie quantitative).

Als Themen und Gesichtspunkte sind beispielsweise wichtig:

- empirische Studien über die Folgen von Lern-, Bildungs- und
Arbeitserfahrungen
- Familienklima und Persönlichkeitsstrukturen, die moralisch-politische Autonomie unterstützen
- die Vermittlung von ‚normalen’ Werten wie etwa der Sozialen Dominanzorientierung in alltäglicher, medialer und organisationaler Sozialisation
- interkulturelle Kompetenzen und der Umgang mit soziokulturellen Unterschieden
- Analysen von Organisationskulturen und mikropolitischen Handlungsfeldern.
- die Entstehung und Verarbeitung von individuellen und kollektiven Enttäuschungen
- Erfahrungen mit der aktiven Bearbeitung heimlicher Lehrpläne, etwa beim Gender Mainstreaming. Welche Kompetenzen und Innovationsstrategien entwickeln z.B. Gleichstellungsbeauftragte, und was können andere Gruppen davon lernen?
- Ansätze zur Organisationsentwicklung und zum Aufbrechen von Tabus
- die Förderung zivilgesellschaftlicher Werthaltungen, in und nach der Schule
- neue oder besonders geeignete Methoden der Organisationsdiagnostik und Sozialisationsforschung zur Erfassung heimlicher Lehrpläne
- Interventionen für ein mikropolitisches Empowerment und eine Neugestaltung von Selbstwirksamkeitserwartungen, z.B. Verfahren der kollegialen Intervision in psychosozialen, medizinischen und pädagogischen Berufen
- Möglichkeiten der Befähigung zum reflexiven, aktiven Umgang mit heimlichen Lehrplänen (Trainings in Mikropolitik, Kurse in
Subkulturanalyse, Ethnomethodologie, Organisationsführerschein“?)
- u.v.m.

Zum Programmkomitee gehören Prof. Dr. Rainer Dollase (Universität Bielefeld), Prof. Dr. Georgios Galanis (Universität Kreta), Liselotte Hermes da Fonseca M.A. (Redaktion PP, Universität Hamburg), Dipl.-Psych. Dipl.-Pol. Thomas Kliche (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf), Dr. Rainer Krieger (Universität Gießen), Prof. Dr. Siegfried Preiser (Universität Frankfurt a.M.), Prof. Dr. Gerald Steinhardt (TU Wien).

Programm

www.politische-psychologie.de
Redaktion
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