Das „Genre Wissenschaftszeitschrift“ und die neuere Wissenschaftsgeschichte
Workshop des DFG-Schwerpunktprogramms „Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Deutschland im internationalen Zusammenhang im späten 19. und 20. Jahrhundert“
am 6. und 7. April 2006 an der Medizinischen Hochschule Hannover
I. Fragestellung
Im Mittelpunkt des Forschungsprojektes ‚Wissenschaft, Politik und Gesellschaft’ steht neben den Interdependenzen von wissenschaftlichen und politischen Entwicklungen die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Die Analyse der Präsenz wissenschaftlicher Themen im öffentlichen Raum zeigt eine Differenzierung in Teilöffentlichkeiten, die sich je nach Disziplin oder politisch-weltanschaulichen Milieus unterscheiden und bei deren Gestaltung nach unterschiedlichen nationalen oder professionellen Kommunikationsstilen zu fragen ist.
Wissenschaftliche Zeitschriften – sowohl Fachzeitschriften als auch popularisierende Zeitschriften – dokumentieren diese Teilöffentlichkeiten in jeweils spezifischer Form. Ziel des Workshops ist es, sie als wissenschaftsgeschichtliche Quelle aus einer doppelten Frageperspektive zu untersuchen:
a) in welcher Weise schlägt sich das konzeptionelle Dreieck „Wissenschaft-Politik-Gesellschaft“ im Profil der Zeitschriften nieder?
b) welchen Stellenwert (Marktwert wie auch symbolisches Kapital) haben Zeitschriften in der Wissenskultur der jeweiligen Epoche?
Dabei ist zu beobachten, dass die Fachorgane nicht nur den wissenschaftlichen Diskurs innerhalb der jeweiligen Disziplin abbilden, sondern u. U. auch einen Reflektionsraum für die Auseinandersetzung mit ihrem gesellschaftspolitischen Umfeld bieten. Umso mehr gilt dies für fächerübergreifende Zeitschriften, in denen die Relevanz des vermittelten Wissens bereits außerdisziplinär begründet werden muss. Die Verwendung sozialer Deutungsmuster, Metaphern und Bilder zur Erklärung neuer Wissensbestände in populärwissenschaftlichen Journalen verweist auf gesellschaftliche „Formungen“ von Wissenschaft. Entsprechend legt die Beschäftigung mit dem „Genre Wissenschaftszeitschrift“ nahe, den in der jüngeren Wissenschaftsgeschichte formulierten Fokus auf die „Verwissenschaftlichung des Sozialen“ (Raphael) bzw. auf die „soziale Funktion wissenschaftlichen Wissens“ (v. Bruch) wiederum auch in seiner Gegenrichtung zu untersuchen. Zu fragen ist nach einer „Vergesellschaftlichung“ von Wissenschaft, dem Einfluss außerwissenschaftlicher Problemlagen und Deutungsmuster, wie sie sich in dem Reflektionsraum wissenschaftlicher Zeitschriften einerseits und in dem Darstellungsmedium populärwissenschaftlicher Zeitschriften andererseits rekonstruieren lässt.
II. Konzept
Im Sinne eines übergreifenden Workshops soll der Workshop bei den vielfältigen Erfahrungen der Teilnehmer mit der Analyse von Zeitschriften ansetzen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit lassen sich vielleicht zunächst vier Perspektiven des "Lesens" von Zeitschriftenartikeln feststellen:
a) die Suche nach innovativen Feldern, nach Sammlungsorten einer Avantgarde oder Fachelite. Dabei werden „epochentypische Paradigmen“ (Middell) identifiziert, deren Relevanz aus der historischen Rückschau bemessen wird – quasi als „Spurensicherung“;
b) der Vergleich der Thematisierung bzw. De-Thematisierung wissenschafts- oder gesellschaftspolitischer Bereiche in verschiedenen Zeitschriften sowie der dabei verwandten Kommunikationsstile mit dem Ziel, Unterschiede von Disziplinen, von Forschungseinrichtungen, von Milieus oder der Institution Verlag herauszuarbeiten und international zu vergleichen;
c) die Analyse der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnis für ein interessiertes Laienpublikum in populärwissenschaftlichen Zeitschriften, mit deren Hilfe die Präsentation und Rezeption der jeweiligen Wissenschaft sowie die dabei verwandten Erklärungs- und Deutungsmuster untersucht werden können;
d) die Wahrnehmung von Fachzeitschriften als „Macht und Kampffeld“ (Bourdieu) selektiv behandelter Konflikte einer Epoche, das Ansprüche auf wissenschaftliche Autorität in der Konfliktbehandlung erhebt.
Diese Aspekte können zunächst aus den unterschiedlichen Projekten heraus präzisiert und ergänzt werden. Darauf aufbauend sollen die verschiedenen Forschungsfragen und Zugriffsmöglichkeiten auf die Quelle „Zeitschrift“ ausgetauscht und Methodenfragen diskutiert werden.
Die methodische Herangehensweise zur Erschließung des Materials ist angesichts der Materialflut, der problematischen Aufgabe einer adäquaten Auswahl, der Frage nach der Repräsentanz der ausgewählten Texte von großem Interesse (insbesondere auch angesichts bisweilen divergierender Aussagen innerhalb einer Zeitschrift). Zu fragen wäre nach Werkzeugen aus der Medienwissenschaft, mit denen Platzierung und Auswahl der Artikel analysiert werden können.
Schließlich stellen sich Probleme der Interpretation. Welche „Referenzpunkte“ für Aussagen in Zeitschriftenartikeln werden in den Projekten herangezogen? Womit werden die Artikel verglichen? Sind die Aussagen in den Zeitschriften dem Wissenschaftsfeld oder den Schriftleitern und verantwortlichen Redakteuren der Zeitschrift zuzuordnen? Oder ist diese Frage uninteressant, weil sowohl Schriftleiter wie Redakteure zum Wissenschaftsfeld gehören?
Zusätzlich zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des DFG-Schwerpunktprogramms können einzelne interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach vorheriger Anmeldung an dem Workshop teilnehmen.