Zwischen Idee und Zweckorientierung. Vorbilder und Motive von Hochschulreformen seit 1945

Zwischen Idee und Zweckorientierung. Vorbilder und Motive von Hochschulreformen seit 1945

Veranstalter
SFB/FK 435 "Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel" der Johann Wolfgang Goethe-Universität gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung
Veranstaltungsort
Johann Wolfgang Goethe Universität, Campus Westend, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main, Casino, Raum 1.801
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.03.2006 - 04.03.2006
Von
Barbara Wolbring

Im 20. Jahrhundert erlebten die Universitäten ein Wachstum bis dahin ungeahnten Ausmaßes, das jedoch zu keiner Zeit als Blüte wahrgenommen wurde. Vielmehr ist das 20. Jahrhundert durchzogen von in Schüben wiederkehrenden Hochschulreformdiskussionen, die als Ausdruck eines bleibenden Krisenbewußtseins gewertet werden müssen. Auch die tatsächlich erfolgenden Veränderungen an Struktur, Organisation, Gestalt und Leistung der Universität vollzogen sich in zunehmendem Tempo. Die Tagung setzt sich das Ziel, über die Darstellung der aufeinander folgenden Reformansätze und Reformen hinaus in einem diskursgeschichtlichen Ansatz nicht allein nach den Krisendiagnosen und Reformvorschlägen, sondern nach den dahinter sichtbar werdenden Leitvorstellungen von der Institution Universität und ihrer Aufgabenstellung zu fragen.

Reformer verschiedener Lager hatten ebenso wie die Reformgegner stets eine Vorstellung davon, was eine Universität sei, was sie ausmache und ihre Identität bestimme. Ist die Universität eine „eigene Welt“ (Karl Jaspers) selbstgenügsamer Forschung und Gelehrsamkeit, die dabei bestimmten Eigengesetzlichkeiten gehorcht? Sie könnte dann verstanden werden als der Ort, an dem sich ein professionalisierter erfahrungswissenschaftlicher Habitus bildet, der von der Universität aus in die Gesellschaft und Berufswelt hineinwirkt. Inwiefern ist sie zudem verknüpft mit der sie umgebenden und tragenden Gesellschaft, der sie als Rekrutierungsinstitution der Professionen, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Eliten ebenso dienen soll wie als Einrichtung, die sich der Lösung praktischer Probleme nicht verschließt.

Reformen sind (politisch) gewollte, geplante Veränderungen. Sie zielen auf den Erhalt und die Erneuerung der Leistungskraft der Universitäten, und beinhalten eine Diagnose der Mißstände, die abgestellt werden sollen. Das macht sie interessant für eine Erforschung der jeweiligen inneren Zustände der Universitäten selbst wie des Bildes, das von ihnen in der Öffentlichkeit und der staatlichen Administration vorherrscht. Hochschulreformen werden stets begleitet von einem Krisendiskurs über Erziehung, Bildung und Bildungsideale, seit dem Ende des Kaiserreichs auch von gesellschaftspolitischen Reforminteressen. Diese betreffen sowohl die Standort- und Infrastrukturpolitik, die an der Innovationsrate der Hochschulen ausgerichtet ist, als auch das Ziel einer sozialen Öffnung der Hochschulen über das Bürgertum hinaus.

Das Ziel der Tagung liegt darin, diesen argumentativen Kontext verschiedener Hochschulreformdiskussionen des 20. Jahrhunderts aus historischer und aus soziologischer Perspektive in den Blick zu nehmen. Im fachübergreifenden Austausch soll nach den Krisendiagnosen ebenso gefragt werden, wie nach dem erstrebten Ziel, dem Leitbild der jeweiligen Reform. Ein Ansatzpunkt besteht darin, nach den von ihren Vertretern propagierten Selbstbildern und Leitbildern zu fragen. Stets soll dabei das besondere Augenmerk auf die Zielvorstellung, auf die Motivlage und die Argumentationsmuster gelegt werden. Dies kann die mit dem Namen Humboldt verbundene Universitätsidee des deutschen Idealismus betreffen, die je nachdem als lebendige Tradition, hinderlicher Ballast oder überzeitliche regulative Idee in Erscheinung treten kann. Leitbilder können auch durch den Blick auf außerdeutsche Tradition und Praxis gewonnen bzw. ergänzt werden. Die französische Spezialhochschule kommt hier ebenso in Frage wie das englische College-System und die amerikanische Elite-Universität. Hinzu kommen Universitätsbilder, die politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Aufgaben der Hochschule in den Vordergrund stellen und damit universitätsexterne Motive betonen – etwa ihre Rolle als Ausbildungsstätte, Erziehungsinstitution oder als Instanz des sozialen Aufstiegs. Sie stehen als außeruniversitäre Zustandsbeschreibungen, Krisendiagnosen und Reformvorstellungen etwa aus dem Ministerien, den Parteien oder der Öffentlichkeit den Selbstbeschreibungen der Universitäten je nachdem ergänzend oder komplementär gegenüber.

Die Tagung sucht sich diesen Fragen im fachübergreifenden Austausch von Historikern und Soziologen zu nähern. Sie führt damit zwei Fachkulturen zusammen, die selbst eine wechselhafte und durchaus unterschiedliche Rolle in den Hochschulreformen gespielt haben. Die transdisziplinäre Ausrichtung trägt dem Umstand Rechnung, daß es sich vom Gegenstand her empfiehlt, beide Sichtweisen zu verknüpfen.

Programm

Donnerstag, den 02. März 2006
15.00 Uhr
Eröffnung: Dr. Andreas Franzmann / Dr. Barbara Wolbring

15.30 – 16.45 Uhr
Prof. Dr. Walter Rüegg (Basel): Universitätsreformen in der „Geschichte der Universität in Europa“ - Bericht des Herausgebers

17.00 – 18.15 Uhr
Dr. Axel Jansen (Frankfurt am Main): Amerika als Vorbild in den Reformdebatten

Freitag, den 03. März 2006
9.00 – 10.15 Uhr
Dr. Corinne Defrance (Paris): Die Westalliierten als Hochschulreformatoren (1945-49): Ein vergleichender Ansatz

10.30 – 11.45 Uhr
Christina Schwarz (Tübingen): Das Selbstbild der Universität in Rektoratsreden

12.00 – 13.15 Uhr
Dr. Barbara Wolbring (Frankfurt am Main): Öffentliche Universitätskritik in der unmittelbaren Nachkriegszeit

13.00 – 14.00 Uhr Mittagspause

14.00 – 15.15 Uhr
Prof. Dr. Notker Hammerstein Frankfurt am Main): Die Ziele der Hochschulreformer an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt

15.15 – 16.30 Uhr
Dr. Jan-Otmar Hesse (Frankfurt am Main): Universitätsgeschichte als Disziplingeschichte: Das Beispiel der Wirtschaftswissenschaften

Pause

16.30 – 17.45 Uhr
Dr. Oliver Schmidtke (Frankfurt am Main): Hochschulbau und Hochschularchitektur als Ausdruck universitären Selbstverständnisses

Öffentliche Podiumsdiskussion 20.00 Uhr ct.
Welche Hochschule brauchen wir heute?
Prof. Dr. Ulrich Oevermann (Frankfurt am Main)
Professor Dr. Detlef Müller-Böling (Centrum für Hochschulentwicklung, Güterlsoh)
Moderation: Prof. Dr. Johannes Süßmann (Frankfurt am Main)

Samstag, den 04. März 2006
9.00 – 10.15 Uhr
Dipl.-Soz. Anna Kosmützky / PD Dr. Georg Krücken (Bielefeld): Universitätsleitbild(er): Von der Idee der Universität zum organisationalen Image

10.15 – 11.30 Uhr
Dr. Peter Münte / Dr. Andreas Franzmann (Frankfurt am Main): Von der Idee zum Organisationsmodell. Was ist neu an der gegenwärtigen Hochschulreform?

Pause

11.45 – 13.00 Uhr
Dr. Winfried Rudloff (Speyer): Leitgedanken der Universitätsgründungen in den 1960er und 70er Jahren

13.00 – 14.00 Uhr Mittagessen

14.00 – 15.15 Uhr
Stefanie Lechner (Frankfurt am Main): Gesellschaftsbilder in der deutschen Hochschulpolitik. Das Beispiel des Wissenschaftsrates in den 60er Jahren

15.15 – 16.30 Uhr Dr. Sascha Liebermann (Dortmund)/ Dr. Thomas Loer (Duisburg-Essen, Dortmund): Krise der Kritik. Die Misere der Universität, eine Krise der Kollegialität

16.30 Uhr Ende der Tagung

Kontakt

Barbara Wolbring

Historisches Seminar der Johann Wolfgang Goethe-Universität

069/798-32629
069/32622
wolbring@em.uni-frankfurt.de

http://web.uni-frankfurt.de/SFB435/
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Deutsch
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