Nationale Schutzvereine in Ostmitteleuropa

Nationale Schutzvereine in Ostmitteleuropa

Veranstalter
Südostdeutsche Historische Kommission (Jahrestagung 2006), Collegium Carolinum München, Historisches Institut der Slowakischen Akademie der Wissenschaften
Veranstaltungsort
Ort
Bratislava
Land
Slovakia
Vom - Bis
28.09.2006 - 30.09.2006
Deadline
15.02.2006
Website
Von
PD Dr. Peter Haslinger

In Studien, welche sich mit Prozessen der Nationalisierung im östlichen Preußen oder in der Habsburgermonarchie beschäftigen, wird meist auch auf die ‚Schutzvereine’ als ein tragendes Element nationaler Segmentierung verwiesen. Dabei wurde bisher noch kein Versuch unternommen, dieses Phänomen im Rahmen einer Tagung für die gesamte Region Ostmitteleuropa vergleichend zu untersuchen und dabei die Frage nach der tatsächlichen Bedeutung dieser Vereinsstrukturen für die einzelnen Nationalbewegungen zu stellen.

Der Begriff ‚Schutzverein’ ist Teil der zeitgenössischen Selbstcharakterisierung von Vereinen, die in der Regel durch ein breites Tätigkeitsprofil mit engerer regionaler Begrenzung gekennzeichnet sind. Sie wurden vor allem entlang von Sprachgrenzen oder in polyethnischen Regionen aktiv, deren nationale Zugehörigkeit potentiell umstritten schien. Laut der defensiven Rhetorik der ‚Schutzvereine’ sollten Assimilationsverluste der eigenen Nation durch eine Stärkung explizit nationaler Strukturen vor Ort verhindert werden. Tatsächlich enthielten die Programme jedoch eine Reihe bildungs-, sozial- und wirtschaftspolitischer Maßnahmen (bis hin zu Kolonisationsprojekten), die in offensiver Weise einen Bewusstseinswandel in den einzelnen Regionen bezweckten und damit oft im Gegensatz zur Lebenswelt auch der ‚eigenen’ Lokalbevölkerung standen.

Die Tagung zur Geschichte der ‚Schutzvereine’, die vom Collegium Carolinum und der Südostdeutschen Historischen Kommission in Kooperation mit der Slowakischen Akademie der Wissenschaften durchführt wird, soll dabei nicht nur Beispiele aus dem östlichen Preußen, den polnischen Teilungsgebieten, den böhmischen Ländern und der österreichisch-italienisch-slowenisch-kroatischen Grenzregion für die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg thematisieren. Die Bedeutung und das Selbstverständnis der ‚Schutzvereine’ soll auch für die Zwischenkriegszeit und die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg analysiert werden. Außerdem wird die Frage aufzuwerfen sein, ob sich das analytische Modell auch auf Regionen übertragen lässt, die damit bisher kaum in Verbindung gebracht worden sind (z. B. die baltischen Länder oder das historische Ungarn mit der Slowakei und Siebenbürgen).

In den einzelnen Beiträgen können außerdem folgende Aspekte im Zentrum der Überlegungen stehen:

- Entstehung, Programmatik und Performanz von ‚Schutzvereinen’: Damit sind zunächst die Ereignisse, Kontexte und Motivationen gemeint, die überhaupt zur Gründung von ‚Schutzvereinen’ führten. Daraus hinaus ergibt sich auch die Frage, welche Wertvorstellungen, Gesellschaftsbilder und Zentrum-Peripherie-Muster in den Aktivitäten und Publikationen der Vereine vermittelt wurden. Thematisiert werden können auch Sprach- und Kulturhierarchien, Eigen- und Fremdstereotypen, Purifizierungsvorstellungen in der Programmatik und die daraus abgeleiteten politischen Handlungserfordernisse, oder welche Rolle der Frau im Nationalisierungsprozess zugedacht war. Auch bleibt zu fragen, ob die Vereinsnetzwerke im Vergleich zur gesamtnationalen Bildsprache eine eigene Ikonographie entwickelten (z. B. Grenzland-Motiv) und welchen Anstoß dabei die Tätigkeit fremdnationaler ‚Schutzvereine’ gab, die in derselben Region präsent waren – trotz der Rhetorik scharfer nationaler Konkurrenz ist in diesem Zusammenhang wohl auch von einem Methodentransfer auszugehen, um die lokale Gesellschaft für die eigenen Anliegen zu mobilisieren.

- Die ‚Schutzvereine‘ aus nationaler und/oder gesamtstaatlicher Sicht: Hier rücken Trägergruppen, Finanzierungshintergrund und der Grad der Anbindung oder arbeitsteiligen Kooperation zu anderen Vereinen (z. B. Turnvereine, Sokol), Konfessionsgemeinschaften, Wirtschaftsverbänden etc. in das Zentrum des Interesses. Daraus ergibt sich die Frage, ob die führenden Persönlichkeiten der ‚Schutzvereine‘ auch außerhalb dieses Milieus entscheidende Funktionen wahrnahmen und den Diskurs mitbestimmten. Auch wäre der Status zu bestimmen, der den Vereinen im Gesamtrahmen nationaler Netzwerke zukam, und konzeptionelle Vorgaben zu benennen, die von Personen und Institutionen außerhalb der ‚Schutzvereine’ formuliert wurden und die diese dann umsetzten. Vor allem wäre das Verhalten staatlicher Organe gegenüber den ‚Schutzvereinen’ zu thematisieren, das sich je nach Konstellation zwischen Tolerierung, Förderung und Kriminalisierung bewegte.

- Die ‚Schutzvereine’ aus regionaler und lokaler Perspektive: Hier ergeben sich für den Aspekt der gesellschaftlichen Reichweite und Effektivität der ‚Schutzvereine’ folgende mögliche Fragen: Trafen ihre Einrichtungen (wie Bibliotheken) und sozialen Aktivitäten (z. B. Bälle oder Christbescherungen für Kinder) bei der lokalen Bevölkerung auf ungeteilte Akzeptanz, und welche Rückwirkung hatten die Reaktionen auf Aktivisten aus dem städtischen Umfeld? Waren Rhetorik und Erscheinungsbild der ‚Schutzvereine’ überhaupt kompatibel mit lokalen lebensweltlichen Vorstellung? In welchen Bereichen reklamierten die ‚Schutzvereine’ in Konkurrenz zu den Behörden auch quasistaatliche Aufgaben für sich (etwa im Umfeld von Volkszählungen oder im Bildungsbereich)? Wo bestimmten sie mit welchen Mitteln das lokale Diskursklima und welche Rolle spielen sie nicht zuletzt bei der Eskalation des interethnischen Klimas speziell in den 1930er Jahren?

Programm

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