ab 9:20 Uhr: Registrierung der TeilnehmerInnen
9:45 Uhr: Begrüßung / Einleitung: Sabine Berghahn
a) Verrechtlichung contra Politisierung / Verrechtlichung als performative Praxis
10:00 – 10:20 Uhr:
Detlef Georgia Schulze, Das Politische und das Juridische als Produkte performativer Praxis. Überlegungen zu einer anti-essentialistischen Reformulierung des Verrechtlichungs-Begriffs
Das Papier stellt das Konzept der Performativität sowie die Erkenntnisfortschritte, die sich von einer Anwendung dieses Konzeptes für die deutsche Verrechtlichungs-Diskussion erwarten lassen, dar.
Im Gegensatz zu dieser zunächst einmal nur von Hoffnung getragenen Erwartung, stellen die weitere Papiere Erkenntnisse dar, die hinsichtlich Prozesse von Politisierung und Entpolitisierung bereits gewonnen wurden. Auch in dem Papier von Susanne Schulz fungiert Verrechtlichung als Gegenbegriff zu Politisierung. In den folgenden Beiträgen fungieren Ökonomisierung und Technokratisierung als einer Politisierung von Themen gegenläufige Bewegungen.
10:20 – 10:40 Uhr:
Susanne Schultz, Ausblendung von politischen Konflikten durch Verrechtlichung im Bereich des Geschlechterverhältnisses
Am Beispiel der Geschichte der reproduktiven Rechte möchte ich die komplexen politisierenden und entpolitisierenden Dynamiken einer internationalen feministischen Politik, die sich auf Rechte bezieht, aufzeigen. Reproduktive Rechte wandelten sich dabei von einer kollektiven, strategischen Bezugnahme auf Rechte im Sinne von claims zu einem universellen juridischen Korpus internationaler, völkerrechtlich mehr oder weniger verbindlicher Dokumente, der vor allem in Bevölkerungsprogrammen zum Einsatz kommt. Inwiefern Prozesse der Ausblendung und Dethematisierung, die diese Politik heute kennzeichnen, bereits in der Rechtsform an sich angelegt waren oder nicht, soll zur Diskussion gestellt werden.
10:40 – 11:00 Uhr:
Nicola Gabler / Anja Michaelsen / Katja Stoppenbrink, Juristische Interpretation – Konstatierung des Gesetzesinhaltes oder Performierung neues Rechts?
In diesem Beitrag werden die Ergebnisse einer Studie zur Zusammenarbeit zwischen Rechts- und Sprachwissenschaft insbesondere hinsichtlich der Performativität juristischer Interpretation dargestellt. Gefragt wird, inwieweit performative wirklichkeitskonstituierende Effekte von Sprache für die Auslegung von Rechtstexten untersucht und welche Konsequenzen daraus für juristische Methodik gezogen werden. Ein performativer Ansatz problematisiert die Möglichkeiten und Grenzen vor allem grammatischer, systematischer und teleologischer Auslegungsformen. Welche Ansätze werden ggf. in der Forschung formuliert, diese performativen Effekte in der juristischen Praxis zu berücksichtigen oder zu begrenzen?
11:00 – 11:45 Uhr Diskussion
11:45 – 12:00 Uhr Kaffeepause
b) Neo-Liberalismus als performative Praxis
12:00 – 12:30 Uhr:
Petra Schaper-Rinkel, Die Ökonomisierung Europas: Performative politische Praxen zur Entpolitisierung
Die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit gilt als Zwang, dem sich alle Staaten im Zuge der Globalisierung zu beugen haben. In dem Beitrag soll dargestellt werden, daß es sich umgekehrt verhält. Die performativen politischen Praxen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit – insbesondere das Benchmarking – produzieren den Sachzwang dadurch, daß sie Wettbewerb schaffen. Hinter dem Sachzwang Wettbewerbsfähigkeit befindet sich kein (Natur)gesetz. Tatsächlich wird der Zwang zur Wettbewerbsfähigkeit erst durch die performativen Praxen erzeugt, die angeblich den Handlungsdruck erzeugen. Die Konstituierung von Märkten und die Ausweitung des Wettbewerbs – die Grundlage für den Sachzwang zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit – bestehen aus einem Set an performativen politischen Praxen, mit denen die Marktlogik ausgeweitet wird. Die Beschleunigung des internationalen Wettbewerbs ist somit nicht der Ausgangspunkt für politisches Handeln, sondern das Resultat von performativen politischen Praxen.
12:30 Uhr – 13:00 Uhr: Katharina Pühl, Sozialstaat, Gender und Performativität: Neoliberale gouvernementale Regierungspraktiken?
Mit einem Performativitäts-Ansatz lassen sich wichtige soziale Praktiken der Anrufung vergeschlechtlichter Subjekte im Sozialstaat rekonstruieren bzw. analysieren. Deren Ent-Nennung oder stärker Ent-Subjektivierung durch neoliberale Reformulierungen des „Bürgers“ als „Kunden“, des „Leistungsempfängers“ als „Unternehmer in eigener Sache“ oder auch der Ökonomisierung des Sozialen als Umformulierung sozialer Konfliktstoffe in individuelle Probleme sind lediglich einige der heute zunehmend gängigen Adressierungen von Subjekten, die auf die Lebenspraxis und Alltagsverhältnisse von Individuen Einfluß haben. Inwieweit die Restrukturierung von Staatlichkeit einen vergeschlechtlichten Prozeß darstellt, wird in dem Beitrag aus feministisch-kritischer Sicht gefragt. Dabei ist das Potential und die (begrenzte?) Reichweite der Gouvernementalitäts-Studien für die Analyse dieser Subjektivierungs-weisen zentral.
13:00 – 13:45 Uhr: Diskussion
15:45 – 15:00 Uhr: Mittagspause
c) Performative Grenzziehungen zwischen Biologischem, Technischem, Ethischem und Politischem
15:00 – 15:30 Uhr:
Susanne Lettow, Ist das Biologische politisch? Bioethik, Biopolitik und die umkämpften Grenzen des Politischen
Die zunehmende technologische und ökonomische Durchdringung von menschlichen, tierischen und pflanzlichen Körpern ist begleitet von Vermehrung von Bio-Begriffen. „Biopolitik“, „Bio-Ökonomie“, „Bio-Sozialität“ und „Bioethik“ verweisen auf unterschiedliche Art und Weise darauf, daß mit der gesellschaftlichen Implementierung von Biotechnologien Fragen politischer Regulation, aber auch individueller und kollektiver Lebensweisen auf dem Spiel stehen. Die Grenzen dessen, was als politisches, als ethisches und/oder rechtliches Problem gilt, sind dabei umkämpft. Der Beitrag geht diesen Grenzziehungen anhand des Bioethik-Diskurses sowie des Konzepts der Biopolitik nach und problematisiert den Begriff des Lebens (bios), an den sich Strategien der Ethisierung, aber auch der Politisierung anlagern. Die These ist, daß der Rückgriff auf den Lebensbegriff, sei er biologisch oder lebensphilosophisch inspiriert, einer Ökonomisierung von Körper- und Naturverhältnissen Vorschub leistet, auch wo er dieser entgegentreten soll.
15:30 – 16:00 Uhr:
Alexandra Manzei, Biotechnisierung der Medizin – Natur der Sache oder performative Praxis?
Es liegt keineswegs in der ‚Natur der Sache’, daß Krankheiten überhaupt mit Hilfe technischer Verfahren therapiert werden: weder die Verortung von Krankheitsursachen im Körper und die damit verbundene Krankheitsdefinition als „Organschaden“ oder „Gendefekt“ noch deren Behandlung durch biotechnologische Verfahren versteht sich von selbst. Vielmehr ist die Verknüpfung von Körper und Technik sowie von Individuum und Verantwortung, die den diagnostischen und therapeutischen Konzepten der Biomedizin zugrunde liegt, historisch-sozial entstanden. Der Evidenz, mit der die Biotechnisierung der Medizin uns heute erscheint, liegen vielmehr bedeutsame historische Entwicklungen zugrunde, die ihre Dominanz überhaupt erst ermöglichen: Entwicklungen in der naturwissenschaftlich-technisch orientierten Medizin ebenso, wie ausgeprägte soziale Auseinandersetzungen um die Deutung von Krankheit und Körper und nicht zuletzt der politische Umbau gesellschaftlicher Verhältnisse ausgehend von den industrialisierten Staaten seit den 1980 Jahren, der sich durch die Ökonomisierung des Sozialen, die Privatisierung von Verantwortung und die Implementation von Konkurrenz und Wettbewerb im Gesundheitswesen auszeichnet. Ein solcher Ansatz bedeutet jedoch nicht, es dabei zu belassen, die „Wie-Frage“ zu stellen, also lediglich den je konkreten sozio-kulturellen Ereignisraum zu rekonstruieren, innerhalb dessen die Biotechnisierung der Medizin entstanden ist. Vielmehr ist es gerade dann, wenn man davon ausgeht, daß soziale Prozesse kontingent sind, also weder aus der Sache heraus bzw. „naturbedingt“ noch strukturfunktionalistisch erklärt werden können, notwendig, nach den Gründen sozialer Veränderung zu fragen. Eine sozialwissenschaftliche Analyse, die sich mit der historischen Rekonstruktion gesellschaftlicher Entstehungszusammenhänge begnügen würde, begäbe sich der Möglichkeit, die Genese sozialer Veränderungen nicht nur beschreiben, sondern auch erklären zu können.
16:00 – 16:45 Uhr Diskussion
16:45 – 17:00 Uhr Kaffeepause
d) Doing Rechtsstaat
17:00 – 17:20 Uhr:
Susanne Krasmann, Der Staat verändert sich mit Sicherheit
Auch nur ein bißchen Folter darf es nicht geben, so heißt es vielfach, denn Folter stelle den demokratischen Rechtsstaat in seiner Substanz in Frage. Mit Verweis auf Artikel 1 GG liegt die verfassungsrechtliche Begründung hierfür auf der Hand, aber auch in der Gewaltsoziologie läßt sich das gleiche Argumentationsmuster finden: Der Tabubruch stellt das Initial einer Entgrenzung dar. Doch eine Transformation des Staates erklärt sich nicht gleichsam eigendynamisch. Im Rekurs auf die aktuelle Sicherheitspolitik, in die sich auch die Debatte um die so genannte Rettungsfolter einreiht, soll daher der analytische Gewinn einer pragmatischen Perspektive aufgezeigt werden.
17:20 – 17:40 Uhr:
Dominique Grisard: Dilettantische Revolutionäre. Vergeschlechtlichung als Ent-Politisierung im gerichtlichen Terrorismusdiskurs der Schweiz der 1970er-Jahre
Mit den Mitteln des bewaffneten Kampfes haben Jakob Müller (Name geändert) und fünf weitere Mitglieder der Gruppe Badenerstrasse beabsichtigt, den Staat zu beseitigen und neue Formen des Zusammenlebens herbeizuführen, stellte das Bezirksgericht Zürich in der Einführung des Urteils von Jakob Müller im Jahre 1973 fest. Bereits die einführende Skizzierung des Angeklagten im Urteil deutet auf ein grundlegendes Spannungsverhältnis des gerichtlichen Terrorismusdiskurses: Einerseits wurden die Taten in eine Erzählung über den staatsbedrohenden „Terroristen“ eingebettet, andererseits wurde ein Narrativ um die Figur des psychisch gestörten „Halbstarken“ konstruiert.
In der Tradition der angelsächsischen „Law as Narrative“-Lesart von Gerichtsurteilen soll an diesem Urteil rekonstruiert werden, wie narrative Strategien zur Konstruktion des Angeklagten als Mann und als „Terroristen“ beitrugen. Als einer der ersten und prominentesten in einer Reihe von „Terroristenprozessen“ in der Schweiz der 1970er- und 1980er-Jahre, handelt es sich beim Fall der Gruppe Badenerstrasse um ein bedeutendes Ereignis des damaligen Terrorismusdiskurses in der Schweiz. An ihm wurde verhandelt, wer als „Terrorist“ qualifizierte wurde und wie der Rechtsstaat mit terroristischen Anschlägen umzugehen hatte.
Der Terrorismusdiskurs wird nicht als statische Einheit verstanden, sondern als Formation, die dauernden Reartikulations- und Aushandlungsprozessen unterliegt. Die rekurrierenden Erzählungen, Bilder und Erzählmuster in Gerichtsurteilen sind performative Praxen, die an der Konstitution des gerichtlichen Terrorismusdiskurses beteiligt sind. Gerichtsurteile tradieren einerseits das Wissen über den „Terrorismus“, andererseits wahren sie die Kontinuität des Rechts. Indem RichterInnen, AnwältInnen und RechtswissenschaftlerInnen frühere Entscheide konsultieren und auslegen, bestätigen sie das juristische Vorgehen. Damit wird der performative Charakter von Gerichtsurteilen sichtbar: Jeder Urteilsspruch bekräftigt die Autorität des Rechtssystems.
Jakob Müllers Fall weist auf eine zentrale Problematik hin, welche Rechtsverfahren gegen „Terroristen“ in der Schweiz kennzeichnete. Einerseits nahm man die Angeklagten als Rechtssubjekte und als politische Täter ernst. Andererseits betonte man, daß keine „normalen“ Schweizer Bürgerinnen und Bürger solche politischen Absichten hätten entwickeln können. In Jakob Müllers Fall führte dies zur Politisierung der Handlungen und zur Pathologisierung des Täters.
17:40 Uhr – 18:00 Uhr:
Lea Hartung, Kybernetik als Ent-Politisierung. Horst Herold und der bewaffnete Kampf
Horst Herold, von Haus aus Jurist und in den Siebziger Jahren Chef des Bundeskriminalamts, hat nicht nur den Computer bei der Polizei eingeführt und die Rasterfahndung erfunden, sondern auch eine kybernetische Form der Polizei-Organisation entwickelt. Wenn er die Kybernetik als die Metawissenschaft von dynamischen selbstregelnden und selbstorganisierenden Systemen preist, bedeutet das konkret für die Polizei, sich so flexibel in einem Regelkreis mit der Kriminalität zu verschalten, daß diese „automatisch“ die adäquaten Organisations- und Einsatzformen zu ihrer eigenen Bekämpfung generiert. Herold geht schließlich so weit, die Anwendung des Prinzips der regelkreisförmigen Selbstoptimierung auf die Rückkopplung zwischen Polizei, Justiz und Staat zu fordern. Konsequenterweise träumt er von einem „weisungs- und politikfreien Selbstlauf“ der Gesellschaft. Die kybernetischen Organisationsmethoden erweisen sich auch als effizientes Vorgehen gehen die RAF. Ausgehend von Galisons These, daß das kybernetische Verständnis des feindlichen Anderen sich von den bekannteren Konzeptionen des Feindes als ‚barbarisch’ oder ‚unsichtbar’ abgrenzt, soll untersucht werden, ob kybernetische Beschreibungen des Staat-RAF-Verhältnisses eine performative Praxis darstellen, die auf Ent-Politisierung abzielt.
18:00 – 18:45 Uhr Diskussion
18:45 – 19:00 Schlußwort: Frieder Otto Wolf
Anmeldung:
Aus Platzgründen ist eine Teilnahme leider nur nach vorheriger Anmeldung möglich. Interessierte melden sich bitte bis spätestens Dienstag, den 25.10.2005 bei Frau Salomon-Araldi unter Angabe ihrer Arbeitschwerpunkte an:
tagungsorg_salomon@web.de