Zukunft braucht Geschichtsklärung: Armenier, Türken und Europa im Schatten des Ersten Weltkriegs

Zukunft braucht Geschichtsklärung: Armenier, Türken und Europa im Schatten des Ersten Weltkriegs

Veranstalter
Culturescapes (www.culturescapes.ch), Universität Basel (Europainstitut und Historisches Seminar) und SGMOIK (Schweizerische Gesellschaft Mittlerer Osten und Islamische Kulturen)
Veranstaltungsort
Unternehmen Mitte, Gerbergasse 30 (beim Marktplatz)
Ort
Basel
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.11.2005 - 13.11.2005
Von
Hans-Lukas Kieser

«Geschichtsklärung» ist ein wichtiges Postulat des «Projektes Europa» nach dem Zweiten Weltkrieg. Damit ist ein offener Umgang mit den Schatten der Vergangenheit jenseits der radikalen Nationalismen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gemeint. Mit der geplanten türkischen EU-Mitgliedschaft ist Geschichtsklärung im Hinblick auf den Ersten Weltkrieg und auf die grundlegenden Umbrüche in dessen Kontext zu einem zentralen Anliegen geworden. Dies hat seine tiefere Bedeutung auch für Europa, zumal die Türkei in mancher Hinsicht in den Mittelpunkt der Reflexion über Europas Grenzen und Europas Berufung gerückt ist. Die «Urkatastrophe Europas», der «Grosse Europäische Krieg», ging 1914 vom postosmanischen Balkan aus und zog den ganzen osmanischen Nahen Osten in seinen Strudel. Der tiefste Schatten davon war der Völkermord an den Armeniern von 1915/16. Seine Vertuschung durch die Türkei, aber auch durch die internationale Diplomatie, sowie mannigfache Beziehungen, die deswegen jahrzehntelang gestört waren, betreffen die EU heute direkt.

Das akademische Symposium vom 12./13. November befasst sich mit dieser aktuellen Thematik. Es steht unentgeltlich allen Interessierten offen und wird von Wissenschaftlern aus der Schweiz, Frankreich, England, der Türkei und den USA bestritten. Sie stellen bei diesem Symposium einerseits innovative Forschungen zu 1915/16 vor und beschäftigen sich andererseits mit der aktuellen Frage nach dem «richtigen Umgang» mit den Schatten der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Um die Kommunikation der Beteiligten zu ermöglichen, werden die vier Panels am Samstag, 12. November, weitgehend auf Englisch und Französisch geführt. Die Podiumsdiskussion am Sonntag wird jedoch auf Deutsch sein.

Die Panels am Samstag erörtern den wissenschaftlichen Forschungsstand und die Rezeption der Katastrophe sowohl in der armenischen als auch der türkischen Literatur. Auch die umstrittene Frage nach der Rezeption und ihren Folgen im zeitgenössischen Deutschland kommt zur Sprache. Einen Schwerpunkt bildet die aktuelle Herausforderung, die über die professionelle Historiografie hinausgeht, eine gemeinsame Sprache für das Trauma zu finden. Es geht um eine Sprache, die das Trauma benennt und auslotet, aber zugleich mithilft, den Blick in die Zukunft und auf die Heilung gestörter Beziehungen auszurichten. Damit verknüpft ist die Herausforderung, den Genozid an den osmanischen Armeniern im Kontext einer genügend breit gefassten europäischen Geschichte zu verstehen. Denn ohne die Integration südosteuropäischer und nahöstlicher Geschichtserfahrungen in die «Allgemeine Geschichte» stehen weiterhin okzidentale und eurozentrische Geschichtsprägungen einer historiografischen Wahrheitsarbeit und einer politischen Friedensarbeit im Wege. Insofern besteht bei dieser anspruchsvollen Thematik nicht nur von türkischer Seite eine «Bringschuld».

Das Atelier vom Samstag wird am Sonntagvormittag durch eine akademische Schlussdiskussion unter den Panelteilnehmern abgeschlossen. Im Anschluss daran findet eine öffentliche Podiumsdiskussion auf Deutsch statt. Die Podiumsdiskussion soll die aktuelle Herausforderung durch die 90jährige Vergangenheit und die Zukunft der armenisch-türkisch-europäischen Beziehungen thematisieren, und zwar im Horizont sowohl der europäischen Integration als auch unbewältigter spätosmanischer Geschichte.

Programm

Saturday, 12 November
Mitte, Gerbergasse 30, 4001 Basel (next to the Marktplatz, in the historical center of Basel)

9.15
Introduction

9.25-10.25
Panel 1: The state of research on the Armenian catastrophe of 1915/16
- Raymond Kévorkian (Bibliothèque Nubar, Paris): "Hiérarchie des sources et problématiques nouvelles dans la recherche autour du génocide des Arméniens ottomans"
- Halil Berktay (Sabanci University, Istanbul): "Multiple layers of the Turkish nationalist discourse as seen through the prism of the recent ‘Ottoman Armenians’ conference in Istanbul"

10.25-10.45: Break

10.45-12.30
Panel 2: The 1915 genocide: reception in literature and repercussions in Germany
- Hülya Adak (Sabanci University, Istanbul): "The Armenian question in Turkish literature"
- Valentina Calzolari (Université de Genève): "1915 dans la littérature arménienne"
- Mike Joseph (Cardiff): "The Personal Link. Max Erwin von Scheubner-Richter: the personal link from genocide to Hitler"
-- Short presentation: Joni Kreutner (Zürich): "Deutsches Judentum und die Rezeption der Armeniermorde, 1896-1939"

12.30-14.00 Lunch

14.00-15.30
Panel 3: Coming to terms today
- Hans-Lukas Kieser (University of Zurich): "Armenians, Turks, and Europe in the shadow of World War I: Historiographical developments"
- Ayse Gül Altinay (Sabanci University, Istanbul): "Where did Ottoman Armenians go? Reconstructing a silenced History through stories"
- Gérard Libaridian (University of Michigan): "What questions should we be asking today?"

15.30-16.00 Break

16.00-17.30
Panel 4: Coming to terms with the Armenian genocide in the context of Europe and European history
- Georg Kreis (Europainstitut, Basel): "Zur Strafbarkeit von Genozidleugnung vor dem Hintergrund der Genozide im Ersten und Zweiten Weltkrieg"
- Jakob Tanner (University of Zurich): "The historian and the judge: The significance of the Armenian genocide for the 20th century"
- Micha Brumlik (Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt): "'Katastrophen lernen'. Zeitgeschichtliche Bildung und menschenrechtliche Sensibilisierung"

Sunday, 13 November
Mitte, Gerbergasse 30, 4001 Basel

9.45-10.30
Final discussion: "Armenians, Turks, and Europe in the shadow of World War I"

10.30-11.00 Break

11.00-12.30
Public discussion (auf Deutsch, Gesprächsleitung: Georg Kreis): "Der Völkermord und die Zukunft der Völker"

Kontakt

Hans-Lukas Kieser

Historisches Seminar, Hirschgässlein 21, 4051 Basel

0041 86 061 302 15 81
hans-lukas.kieser@unibas.ch

hist.net/kieser/bs05
Redaktion
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