Der Berliner Mühlendamm als Energielieferant und Verkehrsader – infrastrukturgeschichtliche Zugänge

Der Berliner Mühlendamm als Energielieferant und Verkehrsader – infrastrukturgeschichtliche Zugänge

Veranstalter
Historische Kommission zu Berlin e.V.
Veranstaltungsort
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften | Jägerstraße 22/23 | 10117 Berlin | Einsteinsaal
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.04.2021 -
Deadline
30.09.2020
Von
Historische Kommission zu Berlin e.V.

Betrachtet man heute die wuchtige Spannbetonbrücke über der Spree an der Stelle des einstigen Mühlendamms, so deutet wenig auf die frühere infrastrukturelle und wirtschaftliche Bedeutung dieses städtischen Areals im Berliner Zentrum hin. Dass dieser Spreeübergang sowie der sich östlich anschließende Molkenmarkt zur mittelalterlichen Keimzelle Berlins gehörten, ist im öffentlichen Raum weder sicht- noch wahrnehmbar. Umso begrüßenswerter sind die in den nächsten Jahren anstehenden städtebaulichen Veränderungen, die sich mit den am Molkenmarkt stattfindenden archäologischen Untersuchungen ankündigen. Ausgehend von einer dem historischen Stadtgrundriss angenäherten neuen Straßenführung sowie einer historische Bezüge reflektierenden Raumstruktur soll dem Molkenmarktviertel wieder Aufenthaltsqualität verliehen werden. Die aktuellen Entwicklungen begleitend, möchte die Historische Kommission auf der Grundlage neuerer Forschungen, insbesondere auch der Infrastrukturgeschichtsforschung, die historische Bedeutung des Mühlendamms neu beleuchten.

Ab dem letzten Viertel des 12. Jahrhunderts entwickelte sich nördlich und südlich der Spree, die das Berliner Urstromtal durchfließt, die Doppelstadt Berlin-Cölln. Aus dem Westen eingewanderte Siedler, vornehmlich Kaufleute und Handwerker, ließen sich auf Talsandinseln nieder, was sowohl den Ost-West-Fernhandel als auch den Fernverkehr von Norden nach Süden begünstigte. In der Folge verdichtete sich der Warentransport – der Alte Markt auf der Berliner Seite (der spätere Molkenmarkt) sowie der Fischmarkt auf der Cöllner Seite entstanden. Beide Siedlungsteile verband der 1298 erstmals urkundlich erwähnte Mühlendamm. Zugleich erforderten der planmäßige Ausbau der Getreidewirtschaft und der Holzexport aus den parallel zur Stadtentwicklung entstandenen Agrarsiedlungen entsprechende Mühlenanlagen, die in der flachen Tiefebene einigen Aufwand bedeuteten. So entstanden nicht nur an der Spree (wie in Berlin), sondern auch an der Havel Mühlendämme.

Auf dem Mühlendamm befanden sich die für den markgräflichen Landesherrn renditeträchtigen Mühlen, die einen Staudamm zum Antrieb der Mühlen voraussetzten. Fortan war der Schiffsverkehr auf der Spree an dieser Stelle unterbrochen; die Waren mussten umgeladen werden. Es darf vermutet werden, dass am Mühlendamm u. a. der mittelmärkische Export des im bevölkerungsreicheren Westeuropa begehrten Getreides auf Schiffen seinen Ausgang genommen haben dürfte. Er führte über den Spree-Havel-Elbe-Wasserweg nach Hamburg und von dort in den Nordseeraum bis nach Flandern. Auf dem Mühlendamm pulsierte das wirtschaftliche Leben der Doppelstadt, ebenso wie auf den benachbarten Märkten (Fischmarkt und Molkenmarkt). Begünstigt wurde diese Wirtschaftsentwicklung durch den Niederlagszwang (das Stapelrecht), der zunächst dem Landesherrn, später dem städtischen Rat hohe Steuereinnahmen einbrachte und auswärtige Händler zum Verkauf ihrer Waren auf Berlin-Cöllner Märkten nötigte. Erst ab 1578 veränderte sich mit der Errichtung der ersten Berliner Kammerschleuse in dem Spreekanal, der die Spreeinsel durchfließt (dem heutigen Kupfergraben), die wasserbauliche Situation. Von da an erlangte dieser Wasserlauf für die Schifffahrt größere Bedeutung.

Die im Mittelalter um den Mühlendamm planmäßig angelegte Infrastruktur bestimmte für mehrere Jahrhunderte, bis weit in das 19. Jahrhundert hinein, das Bild im Zentrum Berlins. Mit den ab 1687 errichteten Mühlendammkolonnaden entstanden auch direkt auf dem Damm Läden, Wohnungen und ein Saal für die Kaufleute, der eine Zeitlang die Funktion einer Börse übernahm. 1850 wurde nach einem Entwurf von Ludwig Persius das neue Mühlendammgebäude im »normannischen Stil« errichtet, das wie eine mittelalterliche Burg über der Spree thronte und nach der Einstellung des jahrhundertelangen Mühlenbetriebs im Jahr 1880 durch Hermann Blankenstein zum Sitz der Städtischen Sparkasse umgebaut wurde – ehe man die gesamte Anlage in der NS-Zeit ohne wissenschaftlich-archäologische Sicherung entfernte. Seit der Beseitigung der Mühlendammbauten genießt der Verkehr an dieser Stelle Vorrang. Eine mehrfach erneuerte Schleusenanlage ermöglicht die Passage großer Schiffe auf der Spree, und die von 1966 bis 1968 errichtete Spannbetonbrücke ist Teil einer – insbesondere seit der Wiedervereinigung 1989 – stark beanspruchten Verkehrsachse, die die rasche Durchquerung des Berliner Zentrums in Ost-West-Richtung erlaubt. Allerdings wurde mit ihr gleichzeitig ein in Jahrhunderten gewachsener städtebaulicher Organismus nahezu komplett ausgetauscht.

Damit bündeln sich an der Mühlendammbrücke prismatisch epochenübergreifende Fragen zur Verkehrs-, Energie-, Technik-, Bau-, Infrastruktur- und Sozialgeschichte: Wie veränderte sich das örtlich geplante und überregional wirksame Netz von Infrastrukturen (Wasser- und Landverkehr, Energiegewinnung, Handel), in das der Berliner Mühlendamm eingebettet war, im Laufe der Zeit? Wer zog aus den Mühlen als den größten Energielieferanten der Vergangenheit wann und wie den größten Nutzen? Welche spezifischen Berufs-, Bevölkerungs- und Interessengruppen lassen sich mit Mühlendämmen verbinden? Welchen Wandlungsprozessen waren diese Bauten im Laufe der Jahrhunderte unterworfen? Wie wurde mit den ökologischen Auswirkungen, die durch die starken anthropogenen Eingriffe in die Natur entstanden, umgegangen? Welche Nutzungs- und Raumordnungskonflikte zeigen sich im Bereich von Mühlendämmen etwa mit Blick auf verschiedene Arten der Flussnutzung wie Schifffahrt, Mühlenwirtschaft, Fischerei, Warenumschlag und Handel? Erwies sich die infrastrukturelle Situation als erfolgreich oder zeigte sie Schwächen? Wer garantierte für ihr Funktionieren und gewährleistete deren Instandhaltung, Pflege und Modernisierung im Sinne einer Daseinsfürsorge? Was wissen wir andererseits über Proteste gegen infrastrukturelle und städtebauliche Veränderungen, über Verteilungskämpfe an Mühlendämmen und in ihrem Umfeld im Wandel der Jahrhunderte?

Ziel der Veranstaltung ist es, den Berliner Mühlendamm vergleichend zu anderen deutschen und europäischen Städten sowie epochenübergreifend vom Mittelalter bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts auf der Basis neuerer Forschungen zu untersuchen. Auf dem eintägigen wissenschaftlichen Kolloquium sollen insbesondere Fragen zur Nutzung, Kritikalität und Bedeutung von Infrastrukturen sowie zu den dahinterstehenden Interessengruppen epochenübergreifend im Vordergrund stehen.

Den angrenzenden Molkenmarkt, der gemeinsam mit dem Mühlendamm eines der Wirtschaftszentren Alt-Berlins bildete, wird die HiKo am 8. Oktober 2021 unter wirtschaftshistorischen Gesichtspunkten thematisieren. Ziel ist es, dann die anhand des Mühlendamm-Kolloquiums gewonnenen infrastrukturellen Erkenntnisse mit der Wirtschaftsgeschichte, die das Molkenmarktviertel insgesamt über Jahrhunderte hinweg prägte, zu verbinden. Die Ergebnisse beider Kolloquien werden in einem Tagungsband zusammengefasst.

Wir freuen uns über Vortragsvorschläge zum Mühlendamm von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich in ihren Forschungen mit Fragen der Verkehrs-, Energie-, Technik-, Bau-, Infrastruktur- oder Sozialgeschichte – insbesondere übergreifend und vergleichend – oder mit dem Thema Mühlendämme allgemein auseinandersetzen. Beiträge aus den Bereichen der Archäologie, Namenkunde, Raumordnung, Geologie und der historischen Geografie können im Rahmen einer interdisziplinären Betrachtung des Berliner Mühlendammes neben der klassischen Geschichtswissenschaft wertvolle Erkenntnisse liefern.

Bitte senden Sie Ihre Abstracts (max. 2.000 Zeichen, deutsch- oder englischsprachig) sowie einen kurzen CV bis zum 30. September 2020 an die Historische Kommission zu Berlin e.V. – info@hiko-berlin.de.

Die Vorträge sollen zwanzig Minuten nicht überschreiten. Wir bemühen uns, eine Aufwandspauschale zu übernehmen, können aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine definitive Zusage geben. Die Beiträge werden publiziert.

Dr. Doris Bulach - Ellen Franke M.A. - Dr. Benedikt Goebel - Dr. Guido Hinterkeuser - Dr. Wolther von Kieseritzky - Dr. Christoph Rauhut - Prof. Dr. Matthias Wemhoff

Weiterführende Informationen zur Arbeit der Historischen Kommission finden Sie unter www.hiko-berlin.de.

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