Ad Hoc-Gruppe: Viren – Globale und lokale Nebenwirkungen

Ad Hoc-Gruppe: Viren – Globale und lokale Nebenwirkungen

Veranstalter
Marie-Kristin Döbler/ Annerose Böhrer, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg - Adhoc-Gruppe auf dem DGS Kongress in Berlin
Veranstaltungsort
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.09.2020 - 18.09.2020
Deadline
15.04.2020
Website
Von
Marie-Kristin Döbler, Annerose Böhrer

Wer in jüngster Zeit Massen- oder soziale Medien konsumiert, sich in der Öffentlichkeit bewegt oder privat kommuniziert, stößt zunehmend auf Beschreibungen oder Erfahrungsberichte gesundheitspolitisch, wirtschaftlich und auch sozial angespannter Lagen. Ursächlich ist das erstmals im Dezember 2019 in deutschen Medien erwähnte Auftreten des zunächst als 2019-nCoV, später SARS-CoV-2 bezeichnete Coronavirus, das seitdem unter Schlagworten wie „Virus“, „Pandemie“ oder „Corona“ in aller Munde ist und sich in Form massiver politischer Maßnahmen und Veränderungen des täglichen Zusammenlebens manifestiert.

Das Sichtbarwerden des mit bloßem Auge nicht-sichtbaren, nicht-menschlichen Akteurs „Virus“ verdeutlicht auf paradigmatische Weise, dass Spannungen nicht lokal, noch nicht einmal thematisch begrenzt, sondern in komplexe, multilineare, internationale Prozesse verflochten sind und dabei doch gegenwärtige und lokal wirksame Konsequenzen nach sich ziehen. Zu diesen praktischen, vielfach logistischen Herausforderungen der „Nebenwirkungen“ des Virus gehören nicht nur die verschiedenen fieberhaften Bemühungen von Virolog/innen, die im weltweiten Austausch mit und in Konkurrenz zueinander an Testverfahren, Therapeutika und Impfstoffen arbeiten. Auch unterschiedliche Öffnungs- und Schließungsmechanismen auf politischer Ebene werden sicht-, ja sogar greifbar und transnationale Vergemeinschaftungspraktiken zunehmend von Techniken des Selbstschutzes abgelöst. Zudem zeigten und zeigen sich eine ganze Reihe weiterer Symptome auf gesellschaftlicher Ebene, wie bspw. Stimmungsmache gegen Migrant/innen, verbal-rassistische Akte gegen vermeintlich asiatisch-stämmige Menschen oder die Instrumentalisierung des Virus für politische Zwecke.

Gerade auch die massiven Einschränkungen der Grundrechte führen zu verschiedensten Reaktionen: von Zweifeln über die Existenz des Virus und verschwörungstheoretischen Andeutungen, zunehmend kritischer Beobachtung staatlicher Machtausübung, bis hin zu einem wiedergewonnenen Vertrauen in Staat, Vernunft und Wissenschaft, die jeweils zur Grundlage unterschiedlicher Praktiken und sozialer Nebenwirkungen werden. Das unsichtbare Virus erhält durch das mediale Auftauchen neuer epistemischer Autoritäten und Interviews mit Betroffenen in Nachrichten und Sondersendungen ein Gesicht und wird durch Weltkarten, Zahlen sowie Bilder von Leerkäufen visualisiert, die sich ebenso rasant verbreiten wie die Kritik daran.
Das Virus ist aber nicht nur massenmedial und in Bildern präsent, sondern auch alltagspraktisch wirksam: Körperliche Nähe und Berührung sind zur Bedrohung geworden, Arbeitgeber/innen verordnen Homeoffice und häusliche Quarantäne, die Digitalisierung der Arbeitswelt wird beschleunigt. Während Lieferdienste (mit möglichst kontaktfreier Lieferung) steigenden Absatz haben, avanciert das Verlassen des Hauses, das Treffen mit anderen Menschen, von zunächst einer moralischen Frage, die in sozialen Netzwerken vehement im Spannungsfeld von Corona-Party und #staythefuckhome diskutiert wurde, nun auch zu einer strafrechtlich relevanten. Während räumliche Isolation zum Gebot der Stunde wird, werden digitale Pandemie- oder Quarantäne-Tagebücher zu neuen Medien der Vergemeinschaftung und mögliche Spannungen als Folge einer vielerorts bereits umgesetzten Ausgangssperre und deren Legitimation zunehmend zum Thema.

Diese exkursorisch, essayistisch zusammengestellten Schlaglichter sind Teil der Fragen und Themen, die in der Ad-Hoc-Gruppe diskutiert werden sollen. Das Virus soll als Ausgangspunkt genommen werden, um über unterschiedliche Formen gesellschaftlicher Spannungen angesichts von Unsicherheit, Risiko, Ungewissheit und Krise und sozial ungleich verteilter, wandelbarer Fähigkeiten im Umgang damit nachzudenken.

Ausgehend von Überlegungen aus Science and Technology Studies, Medizin- und Körper- sowie Interaktionssoziologie eröffnen pandemische Ausbrüche ein breites Forschungsfeld von Laborstudien, über Alltagsbeobachtungen, Policy-Analyse bis hin zu diskurs-, narrations- oder metaphernanalytischen Studien u.v.m. Den Veranstalterinnen geht es einerseits darum, welchen epistemologischen Mehrwert diese pandemischen Prozesse bieten, um bestimmte Organisationsformen, Wissens- und Machtverhältnisse, Techniken der Risikovermeidung bzw. des Umgangs mit Störungen u. ä. aufzuzeigen und auch die komplexen Verflechtungen von Diskursen und Handlungsformen, von lokalen und translokalen Praktiken, menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren sowie temporalen, fiktionalen und anderen Narrativen nachzuzeichnen. Der Call richtet sich an Wissenschaftler/innen, die sich den gesellschaftlichen, sozialen Auswirkungen epidemischer und pandemischer Ausbrüche, Policy-Making im Gesundheitsbereich, Risiko- und Krisenmanagement, Laborstudien oder medizinhistorischen und/oder -ethischen Fragestellungen rund um das Thema „Virus“ widmen.

Die Ad-Hoc-Gruppe möchte Raum für Einblicke in laufende Forschungen bieten, die sich mit Diskursen, Wissen, Alltagspraxen und/oder soziomateriellen Beziehungen im Kontext epi- oder pandemischer Viren beschäftigen oder weitere Symptome viraler Ausbreitungen auf Mikro-, Meso- und Makroebene sowie „virale Nebenwirkungen“ z.B. auf die Weltwirtschaft in den Blick nehmen. Zudem begrüßen wir auch Beiträge, die Einblicke in die Folgen des Auftauchens eines Virus und pandemischer Prozesse für derzeit beforschte Felder und deren mögliche Konsequenzen bieten.

Wir freuen uns über Vorschläge für Impulsvorträge! Bitte senden Sie Ihre Abstracts von max. 2400 Zeichen bis zum 15. April 2020 an anne.boehrer@fau.de und marie-kristin.doebler@fau.de.

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