Wie können wir den Schaden maximieren? Gestaltung trotz Komplexität.

Wie können wir den Schaden maximieren? Gestaltung trotz Komplexität.

Veranstalter
Pierre Smolarski / Christoph Rodatz, Bergische Universität Wuppertal
Veranstaltungsort
Ort
Wuppertal
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.09.2019 -
Deadline
01.09.2019
Von
Pierre Smolarski

Im Herbst 2018 haben wir, Pierre Smolarski und Christoph Rodatz, den interdisziplinären Sammelband 'Was ist Public Interest Design. Beiträge zur Gestaltung öffentlicher Interessen' herausgebracht. Auslöser für diese Veröffentlichung war der neue Masterstudiengang Public Interest Design an der Bergischen Universität Wuppertal, aber auch die Etablierung weiterer – vom Design ausgehender – Studiengänge und Arbeitsfelder, wie Social Design, Transformation Design, Civic Design etc. Mit einem weiteren Band wollen wir uns erneut in das Feld öffentlicher Interessen und ihrer Gestaltung hineinbegeben und diesmal den Fokus auf – aus unserer Sicht – vorhandene Leerstellen im Bereich sozial, politisch und gesellschaftlich motivierter Gestaltung richten.

Design versteht sich seit jeher in Theorie und Praxis als Disziplin, die für Gesellschaft und Politik relevant ist, gleichwohl erleben wir aktuell eine Renaissance dieses Anspruchs. Diese Renaissance baut auf dem Verständnis auf, dass Design Prozesse und vor allem Gegenstände hervorbringt, die für den Alltagsgebrauch gestaltet und darin mehr als nur nützlich sind, sie greifen ein, formen und transformieren unser soziales, politisches oder auch gesellschaftliches Sein. Daran gekoppelt ist die Hoffnung – mitunter auch das Heilsversprechen, dass gerade Design darin geübt ist, Komplexität in eine anwendungsfreundliche und verständliche Einfachheit zu übertragen. Zugleich ist mit dem Anspruch die soziale und politische Dimension des Designs zu stärken, meist die Intention verbunden, gestalterisch auf Fragen einzugehen und Lösungen zu finden, die mit der Verbesserung von gesellschaftlichen und sozialen Strukturen verbunden sind. Schaut man auf die implizite Ausrichtung des Civic Design, Social Design oder Public Interest Design so liegt der Fokus auf den Anwenderinnen, den Bewohneinnen oder auch den Betroffenen. Für sie oder mit ihnen soll mit den Mitteln und Methoden des Designs in vorhandene Strukturen in der Form eingegriffen werden, dass Praktiken oder auch konkrete Produkte entstehen, die einen Beitrag dafür leisten, Verhältnisse, Stimmungen oder auch Systeme zu verbessern. Gestalten für die Öffentlichkeit oder im öffentlichen und sozialen Interesse setzt dann die vermessene Annahme voraus, zu wissen, welches die Interessen aller Betroffenen sind und, dass es möglich ist, diese zu vereinen. Diese Hybris all derer, die gestaltend in unsere Welt eingreifen – das betrifft nicht nur Designerinnen, sondern auch Journalistinnen, Politikerinnen, Juristinnen, Versicherer etc. – verdrängt allzu oft, dass es nicht die eine Gesellschaft und damit auch nicht die eine richtige und für alle gute Gestaltung gibt: Wenn ich für die Einen Verbesserungen herbeiführe, führe ich auch für Andere Verschlechterungen herbei.

Wenn sozial oder politisch motivierte Designer, Aktivisten, Interventionisten und allgemein politisch Handelnde sich die Frage stellen, was können wir Gutes tun, wie können wir Tiere und Menschen schützen, Umwelt retten, Partizipation fördern oder soziale Hindernisse überwinden, so geht eine Frage im Überschwange oft unter: Wem schaden wir mit unseren Ideen, Ansätzen und Handlungsvorschlägen? Die Frage ‚Wie können wir den Schaden maximieren‘ ist also nicht als politisch-inkorrekter Aufruf zur Zerstörung zu verstehen, auch nicht als Provokation, sondern schlichtweg als Ausdruck gesellschaftlicher Komplexität.

Anstelle der Frage ‚wie können wir den Schaden maximieren?‘ hätten wir auch Fragen können: Wie ist Handeln trotz Komplexität möglich? Hinter einer solchen Frage steht einer der wesentlichen Grundwidersprüche eines jeden sozial oder politisch motivierten, gestaltenden Eingreifens. Praktische Tätigkeit und Handeln stehen in einem spannungsreichen Verhältnis zu Reflexion und unbeirrbarer Kritik, so dass kritisches Handeln ein Paradox zu sein scheint, das es immer wieder neu auszuloten und konkret zu bestimmen gilt. Beim Handeln hilft eine gewisse Unbedarftheit, eine Form von Naivität, die dem Kritiker, der sich-widersprechende Perspektiven in Rechnung zu stellen hat, vollkommen abgeht – wenigstens der Idee nach. Den Punkt für sich zu finden, wo Kritik am eigenen Tun zugleich mit Handlungswille und Handlungsmöglichkeit zusammenkommt, wo also eine Form bewusster Selbstrestriktion und Bewußtheit für den Schaden, den man auch anrichtet, vorliegt, ist womöglich der Kern dessen, was man auch als das ‚Ausbilden einer eigenen politischen Haltung‘ bezeichnen kann. Wenn wir also Fragen, wie handeln trotz Komplexität möglich ist, so rufen wir dazu auf, ethische, politische, gesellschaftliche oder allgemein sittliche Leitlinien zur Orientierung beizutragen, zu diskutieren oder an Hand von Beispielen aufzuzeigen. Zugleich ergeben sich Fragen nach den Grenzen von Komplexitätsreduktion zwischen einem Königsweg jeder Didaktik, dem Heerweg jedes Populismus und dem Rückzugsort der Ignoranz. Zur Frage steht auch das womöglich verstaubte und doch immer wieder (oftmals auch recht negativ) zutage tretende Verhältnis von Theorie und Praxis; insbesondere, wenn es um ein Handwerk, eine Kunst (ars, techne) wie u.a. das Design geht, oder um das Handeln politischer Aktivist*innen und Kunstkollektive. Weitere Fragen ergeben sich aus der Differenz von Offenheit und Konkretheit, die an das nicht weniger verstaubte Verhältnis von Kunst und Design gekoppelt ist. Erzeugt man im Umgang mit Komplexität eine Offenheit, die das Ideal verfolgt, nachdenklich zu machen, oft genug aber unergründlich und diffus wird und die eigene Überforderung zum Ausdruck bringt? Oder erzeugt man eine unmissverständliche Konkretheit, mit einer im Ideal klaren Aussage oder Anwendbarkeit, die aber droht einseitig, ignorant oder auch ideologisch zu sein?

Wie können wir den Schaden maximieren? Mit diesem Fokus wollen wir infrage stellen, ob es reicht, wenn Designer*innen nur die Verbesserung von etwas vorantreiben? Sie müssen sich immer auch der Verschlechterung, die sie erzeugen, stellen, ohne dabei jegliches Handeln einzustellen. Oder anders gefragt, wie könnte eine methodisch implementierte Distanzierung dem eigenen Machen gegenüber und eine kritisch sowie moralisch, ethisch geprägt Haltung aussehen, die eben auch den Umstand berücksichtig, dass mit der Gestaltung Konflikte nicht nur gelöst, sondern auch befeuert werden? Da wir auch in diesem Band wieder einen interdisziplinären Ansatz verfolgen, sind wir offen für Texte, die aktuelle Mechanismen von ‚Weltgestaltung‘ auch Jenseits des Designs betrachten und die Dualität von Gestaltung zum Thema ihrer Auseinandersetzung machen.

Auch wenn unser Fokus um das Designfeld kreist, so ist die Frage unseres Bandes doch bei weitem nicht darauf zu beschränken, sondern meint im Grunde jede Form öffentlich wirksamer Intervention, Aktion oder Kampagne mit politischem Anspruch. Zugleich erhoffen uns nicht nur Aufsätze aus dem Bereich der Designtheorie, sondern auch und ganz besonders der Ethik, der Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaft, sowie Ethnologie, Kommunikations- und Kunstwissenschaft oder Museologie und andere mehr.

Der Band soll im Herbst 2020 beim Transcript-Verlag erscheinen. Im Nachgang zum Band werden wir auch eine Podiumstagung organisieren, um alle vertretenen Positionen in ein Gespräch zu führen.
Abstracts (300 Wörter) zu den Beiträgen bitte bis 01. September 2019
Feedback dazu erhalten Sie bis 15. September 2019
Fertige Beiträge (max. 50.000 Zeichen) bis 15. Dezember 2019
Auch dieser Band richtet sich an Öffentlichkeiten und ist daher natürlich als open access Veröffentlichung geplant. Wir würden uns über eine kurze Bekundung Ihres Interesses freuen.

Programm

Kontakt

Pierre Smolarski
Gaußstraße 20
42119 Wuppertal

smolarski@uni-wuppertal.de

http://www.pid.uni-wuppertal.de/