Buchprojekt Bildungsgeschichte Schweiz – Räume der Bildung

Buchprojekt Bildungsgeschichte Schweiz – Räume der Bildung

Veranstalter
Marianne Helfenberger; Martin Viehhauser
Veranstaltungsort
Ort
Bern
Land
Switzerland
Vom - Bis
12.04.2019 -
Deadline
01.07.2019
Website
Von
Helfenberger, Marianne

Menschen sind fortwährend in räumliche Umgebungen eingebettet, die Handlungsmöglichkeiten eröffnen und diese zugleich beschränken. In Räumen ereignen sich spezifische Formen sozialer Interaktionen; gleichermassen werden Räume durch Interaktionen auch handelnd hervorgebracht. Mehr als nur lokale Orte zu sein, sind Räume soziale Phänomene, die in einer wechselseitigen Spannung von Strukturierung und Handeln entstehen und als dynamische, fragile und stets auch machtförmig geprägte Mehrdimensionalität erfassbar werden (Löw, 2007). Räumliche Bedingungen spielen auch für Bildungs-, Erziehungs- und Lernprozesse eine zentrale Rolle. Dabei sind Räume im historischen Prozess stetigen Wandlungen unterworfen; so werden gegenwärtig im Kontext des kompetenzorientierten Unterrichts Klassenzimmer zunehmend als offene Lernateliers arrangiert, um nur ein Beispiel zu nennen.

Als gestaltete Architektur sind Räume – einem erweiterten Begriffsverständnis folgend –Träger und Gestalter von pädagogischen Botschaften, Absichten und Handlungen, die mit den Ambivalenzen, Widersprüchen und Verflechtungen historischer und gesellschaftlicher Prozesse verbunden sind. In ihrer Vielfalt von Formen, Materialien, Symbolen und Repräsentationen sind sie über Sprachgrenzen hinweg verständlich. Im Sinne eines semiotischen Ansatzes (Goodman, 1985; Lefebvre, 1974; Preziosi, 1993) können sie als Texte verstanden werden, die Diskurse mitgestalten, und dies auch unabhängig davon, ob sie gebaute oder nicht-gebaute Räume sind (Colvin, 1983). Räume werden so zu einer symbolischen Ressource, um Werten, Institutionen, Kulturen, Wissen und Geschichten in der Geographie einer Gesellschaft Form zu verleihen (Zimmer, 2003). Sie bieten, mit anderen Worten, ein breites Repertoire zur Konstruktion von nationalen, regionalen und/oder lokalen Traditionen (Hobsbawm & Ranger, 2015). Mit Blick auf Schulhäuser argumentiert Escolano etwa, dass diese Bildungskultur(en) synthetisieren und dass in ihnen das Kind erst zum Schulkind oder die Lehrperson zur Lehrerin bzw. zum Lehrer und dadurch zum Teil der Schulkultur werden (Benito, 2003).
Auf die Themenstellung „Räume der Bildung“ gemünzt, bedeutet die Mehrdimensionalität des Raums, die Handlungselemente ebenso beinhaltet wie symbolische Gesten, eine perspektivische Erweiterung des Pädagogischen. Erziehung hängt dann nicht mehr allein von formal als explizit pädagogisch definierten Settings ab, sondern wird von einer Vielfalt von Formen, kommunikativen Signalen und Orten beeinflusst. Sie erstreckt sich nicht nur auf Individuen, sondern auch auf Gesellschaften. Eine solche Erziehung kann architektonische Ästhetik und Stadtraumgestaltung als Agenturen fruchtbar machen, um moralisierend auf den Einzelnen und auf die Gesellschaft gesamthaft – zumindest der Intention nach – einzuwirken (Viehhauser, 2016). So konnten und können speziell auch Schulhäuser diskursiv als geheime Miterzieher stilisiert werden (Helfenberger, 2013) und mit nationalen Erziehungszielen und Staatsbürgerbildung verbunden werden (Helfenberger & Schreiber, 2019).

Als gebaute Architekturen sind Räume in der Regel auf eine längere Existenzdauer angelegt und überdauern nicht selten historische Umbrüche. Dabei sichern sie historische Kontinuitäten, aber der Raum der Repräsentation entspricht dann nicht mehr zwingend den räumlichen Praktiken. In der Nutzung durch unterschiedliche Akteure zeigen sich hier sowohl Disziplinierungen durch den Raum wie auch die Schaffung von Freiheitsräumen in subversiven Aneignungen des Raums; und durch den Raum formiert sich die Wahrnehmung und Ausgestaltung der Welt (De Certeau, 1984).
Ihr möglicher Beitrag
Für unseren Band „Bildungsgeschichte Schweiz – Räume der Bildung“ laden wir Sie ein, Beiträge zu verfassen, welche die genannten Dimensionen (und auch weitere Aspekte) der breit aufgefassten Themenstellung Bildungsraum aufgreifen und die geographisch auf die Schweiz in ihren lokalen, kantonalen, regionalen, nationalen und/oder transnationalen Bezügen fokussiert sind. Das Ziel für den Band besteht darin, historische Veränderungen und Kontinuitäten des Bildungsraums Schweiz mit ihren Akteuren, Institutionen, Infrastrukturen und Repräsentationen im In- und Ausland sichtbar zu machen. Was die Periodisierung anbelangt, sind Beiträge mit Fokus auf das (lange) 19. und das 20. Jahrhundert erwünscht, wobei Studien mit Momentaufnahmen gleichermassen wie mit longue-durée-Perspektiven willkommen sind. Theoretische und methodische Zugänge können vielfältig sein und, um nur einige zu nennen, sozial-, akteurs- und kulturgeschichtliche Perspektiven ebenso aufgreifen wie Transfergeschichte, Diskursgeschichte, Geschichte von Praktiken, Materialitäten, Normen etc.

Geplante Themenblöcke des Bandes
Um die unterschiedlichen Dimensionen des Themas Räume der Bildung zu diskutieren, schlagen wir folgende Themenblöcke vor:

1. Schulhaus und Klassenzimmer
In diesem Themenblock sollen Beiträge aufgeführt werden, die Schulhäuser und Klassenzimmer oder andere dezidiert pädagogische Raumsettings (sonder- und heilpädagogische Einrichtungen, Internate, Privatschulen, Horte usw.) betreffen. Mögliche Themenstellungen: Architekturgeschichte, Gesetzgebung und Baunormierungen, Innengestaltung, pädagogisches Wissen räumlicher Materialitäten, Nutzung- und Aneignungsphänomene usw.

2. Hochschulraum und Bildungscluster
Darunter verstehen wir Räume, die über den engeren Bildungskontext des Schulhauses und des Klassenzimmers hinausgehen. Solche Räume betreffen etwa Räume der höheren Bildung wie Universitätscampus oder Universitätsstädte, nationale oder kantonale Institutionen der höheren Bildung (ETH, Universitäten), Lehrerseminare und pädagogische Hochschulen, Fachhochschulen, die sowohl kantonal als auch regional in sogenannten Bildungsclustern organisiert sein können, höhere Bildungsangebote im Fernstudium (Fernfachhochschule, Fernuniversität), internationale Kooperationsräume im Bereich der Forschung und höheren Bildung, Berufsbildung usw.

3. Virtuelle Bildungsräume und Digitalisierung
Mit dem Themenbereich virtueller Bildungsräume und Digitalisierung wollen wir die im Kontext von ICT entstandenen Räume ansprechen, die in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen haben. Hier sind Aufsätze etwa zu folgenden Bereichen möglich: Technische Aufrüstung und Digitalisierung von Lernräumen an Schulen, Universitäten und anderen Bildungsinstitutionen, didaktische Entwicklungen im Kontext von e-learning-Plattformen, Entgrenzungen und Vernetzungen in webbasierten learning spaces, Transformationen von Wissens- und Interaktionsformen in virtuellen Lernräumen, oder auch Technisierung von Erziehung und Unterricht in der kybernetischen Pädagogik unter der Raumperspektive usw.

4. Informelle Bildungsräume
Bildung ist nicht nur an formalisierte Settings und Abläufe gebunden. Sie findet auch an Volkshochschulen, Vereinen mit Bildungsauftrag, in religiösen Institutionen, Jugendzentren, Ausstellungen, Museen und anderen Orten statt. Solche informellen Bildungsräume sollten in diesem Themenblock untersucht werden. Zugleich sind Beiträge möglich, welche die pädagogische Kommunikation aufgreifen, die über die architektonische, dekorative und/oder landschaftliche Raumgestaltung organisiert wird. Hierbei könnten etwa Wandmalereien an Genossenschaftssiedlungen mit moralischen Botschaften gleichermassen in Blick kommen wie pädagogisierende Stadtraumgestaltungen.

5. Transnationaler Bildungsraum Schweiz
Bildungsräume transzendieren nicht selten auch nationale Grenzen. So sind Migrationen und Bildungsaufenthalte (Schweizer/innen im Ausland, ausländische Studierende in der Schweiz, etc.), Schweizer Schulen im Ausland und internationale Kooperationen und Entwicklungshilfe im Bildungsbereich Mitgestalter des Bildungsraums Schweiz und der Schweizer Bildungsräume. Der Themenblock transnationaler Bildungsraum Schweiz adressiert solche Verflechtungen, Transfers und Transzendierungen der nationalen Grenzen.

Hinweise zur Einreichung der Abstracts
Wir freuen uns auf Ihre Abstracts im Umfang von ca. 500 Wörtern mit Angaben zu folgenden Aspekten:
- Arbeitstitel des Beitrags
- Themenblock, der Ihnen für Ihren Beitrag passend erscheint
- Darstellung des Themas mit Bezugnahme auf Schweizer Kontext und Periodisierung
- Angaben zur methodischen Konstruktion des Forschungsgegenstandes
Abstracts können bis am 1. Juli 2019 via E-Mail an viehhauserm@edufr.ch und marianne.helfenberger@fernuni.ch eingereicht werden.

Organisatorische Bemerkungen
Die Abstracts werden bis Ende August 2019 geprüft und Sie erhalten eine Rückmeldung, ob Ihr Beitrag basierend auf dem Kriterium der Relevanz für den Band „Bildungsgeschichte Schweiz – Räume der Bildung“ berücksichtigt werden kann. Es ist geplant, im Februar/März 2020 eine Autor/innentagung durchzuführen. Die Grundlage dafür bilden Rohfassungen der Beiträge, die drei bis vier Wochen vor der Autor/innentagung vorliegen sollten. Die definitiven Beiträge sollten bis am 15. Juli 2020 eingereicht werden.

Kontakt
Dr. Marianne Helfenberger, FernUni Schweiz
marianne.helfenberger@fernuni.ch,
+41 78 618 44 50

Dr. Martin Viehhauser, PH Fribourg & PH FHNW
viehhauserm@edufr.ch, +41 26 305 71 46

Bibliographie
Benito, A. E. (2003). The School in the City: School Architecture as Discourse and as Text. Paedagogica Historica, 39(1), 53–64. https://doi.org/10.1080/00309230307462
Colvin, H. M. (1983). Unbuilt Oxford. New Haven - Conn., London: Yale University Press.
De Certeau, M. (1984). The Practice of Everyday Life. (S. Rendall, Trans.). Berkeley, Los Angeles, London: University of California Press.
Goodman, N. (1985). Languages of art : an approach to a theory of symbols ([2nd ed.,). Indianapolis (Ind.): Hackett.
Helfenberger, M. (2013). Das Schulhaus als geheimer Miterzieher. Normative Debatten in der Schweiz von 1830 bis 1930. Bern: Haupt.
Helfenberger, M., & Schreiber, C. (2019). Building Citizens. School Architecture and its Societal Programme - Comparative Visions from 19th and 20th Century Switzerland and Luxembourg. Historia Da Educaçao, 23: e82303, 1–41. https://doi.org/10.1590/2236-3459/82303
Hobsbawm, E. J., & Ranger, T. (Eds.). (2015). The invention of tradition (23rd pr.). Cambridge: Cambridge University Press.
Lefebvre, H. (1974). La production de l’espace. Paris: Editions Anthropos.
Löw, M. (2007). Zwischen Handeln und Struktur. Grundlagen einer Soziologie des Raums. In F. Kessl & H.-U. Otto (Eds.), Territorialisierung des Sozialen. Regieren über soziale Nahräume (pp. 81–100). Opladen & Farmington Hills: Barbara Budrich.
Preziosi, D. (1993). The semiotics of the Built Environnement : an introduction to architectoni analysis. Ann Arbor: University Microfilms International.
Viehhauser, M. (2016). Reformierung des Menschen durch Stadtraumgestaltung. Eine Studie zur moralerzieherischen Strategie in Städtebau und Architektur um 1900. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.
Zimmer, O. (2003). Boundary mechanisms and symbolic resources: towards a process-oriented approach to national identity. Nations and Nationalism, 9(2), 173--193.

Programm

Kontakt

Marianne Helfenberger
FernUni Schweiz

helfenbergersanz@gmail.com