„Kriegsversehrungen im 20. Jahrhundert in europäischer Perspektive“

„Kriegsversehrungen im 20. Jahrhundert in europäischer Perspektive“

Veranstalter
Prof. Dr. Noyan Dinçkal, Europäische Wissens- und Kommunikationsgeschichte der Moderne, Universität Siegen; Prof. Dr. Sabine Schleiermacher, Forschungsschwerpunkt Zeitgeschichte, Institut für Geschichte der Medizin und Ethik der Medizin, Charité - Universitätsmedizin Berlin
Veranstaltungsort
Universität Siegen
Ort
Siegen
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.06.2019 - 29.06.2019
Deadline
05.11.2018
Website
Von
Meneghello, Laura

Das Thema Kriegsversehrung rückt zunehmend in den Fokus der historischen Forschung. Angesichts der Jugoslawien-Kriege in den 1990er Jahren, der Debatten um die (neuen) Aufgaben der Bundeswehr, der Golfkriege oder des aktuellen „Krieges gegen den Terror“ – um einige Bespiele zu nennen – scheint das Bedürfnis nach einer historischen Deutung der Effekte und Rückwirkungen kriegerischer Konflikte auf die kriegsführenden Länder zuzunehmen. Nachdem auch deutsche Bundeswehrsoldaten aus ihren Auslandseinsätzen mit physischen und psychischen Verletzungen zurückkehren, ist die Frage nach den Strategien im Umgang mit und der Kompensation von Kriegsversehrungen verstärkt von öffentlichem Interesse, worauf auch die aktuellen Diskussionen über posttraumatische Belastungsstörungen verweisen.

Es ist schon häufig darauf hingewiesen worden, dass die Kriege des 20. Jahrhunderts und speziell die beiden Weltkriege durch die Senkung der Gewaltschwellen und durch einen bislang unbekannten Grad der Mobilisierung und Vernichtung von Material und Menschen gekennzeichnet waren. Allein während des Zweiten Weltkriegs wurden über 50 Millionen Menschen getötet oder schwer verletzt. Im Zusammenspiel von maschineller Zerstörungsgewalt und dem Einsatz wissenschaftlich-medizinischer Mittel zum Erhalt von Leben überlebten immer mehr Soldaten schwerstverletzt. Die Nachkriegsgesellschaften waren aber nicht nur von verletzten Militärangehörigen, sondern gleichermaßen von den zivilen Opfern und ihren Anerkennungskämpfen geprägt. Kriegsversehrung waren kein gesellschaftliches Randphänomen, sondern vielmehr ein zentrales Merkmal europäischer Nachkriegsgesellschaften im 20. Jahrhundert.

Vor diesem Hintergrund ist es Ziel des Workshops, die Bedeutung von Kriegsgeschädigten mit psychischen und/oder physischen Verletzungen für die europäischen Gesellschaften zu diskutieren und dabei verschiedene Forschungsperspektiven miteinander ins Gespräch zu bringen. Es können gleichermaßen Debatten über Kriegsversehrungen als auch einzelne bzw. kollektive Leidenserfahrungen sowie sozial- und gesellschaftspolitische Entschädigungsstrategien thematisiert werden. Beiträge, die das Thema methodisch/konzeptionell diskutieren, sind ebenso willkommen wie vergleichende und transnationale Perspektiven sowie Erörterungen konkreter Fallbeispiele.

Folgende inhaltliche Schwerpunkte bieten sich an:

1. Sozialpolitische Dimensionen:
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Auswirkungen der Umgang mit Kriegsversehrten für die Entwicklung des modernen Sozialstaates hatte. Welche sozialpolitischen Probleme und Herausforderungen waren in den europäischen Nachkriegsgesellschaften mit den Kriegsversehrten verbunden und inwieweit wurde mit einer sozialpolitischen Gesetzgebung darauf reagiert? Welche Rückwirkungen hat die Bewertung kriegerischer Auseinandersetzungen auf die Entwicklung von Versorgungsstrukturen gehabt? Sind hier nationale Unterschiede zu beobachten und hatten die entwickelten Unterstützungs- bzw. Fördermaßnahmen Effekte auf eine staatliche sozialpolitische Programmatik?

2. Symbolpolitische Dimensionen:
Die Anwesenheit der Kriegsversehrten in den europäischen Nachkriegsgesellschaften hatte auch eine symbolpolitische Komponente. Wie wurde Kriegsversehrung in der Öffentlichkeit wahrgenommen und welche gesellschaftliche Bedeutungen wurde ihr zugemessen? Welchen Stellenwert hatten Kriegsversehrte beispielsweise in öffentlichen Ritualen des Kriegsgedenkens? Inwiefern gab es Unterschiede im Umgang mit Kriegsversehrung bei Siegern und Besiegten? Wie avancierte die Figur des versehrten Soldaten zur Verkörperung der zerstörerischen Folgen von Krieg oder, im Falle des Sieges bzw. der Niederlage, zur symbolischen Ent- bzw. Aufwertung der Nation?

3. Geschlechter- und körperhistorische Perspektiven:
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie die Präsenz von Kriegsversehrten in der Öffentlichkeit und im Alltag auf gesellschaftliche Körperbilder einwirkte. Insgesamt prägten Männern, die im Krieg verletzt wurden, sowohl das Bild von „Behinderung“ als auch die nationalstaatliche Behindertenpolitik. Letztlich überformte diese Prägung sogar die Perspektive auf kriegsversehrte Frauen. Welchen Stellenwert hatte die Rehabilitation des versehrten männlichen Körpers in den Debatten zur „Wiedervervollständigung“ der Familie und den damit verbundenen Bemühungen zur sog. moralischen Stabilisierung der Nachkriegsgesellschaften? Welche Rolle spielten hierbei gewisse Ideale hegemonialer Männlichkeit wie etwa die des Beschützers und Versorgers? Wurden mittels sozialpolitischer Intervention tradierte Geschlechterverhältnisse restauriert bzw. eröffnete die Einschränkung von Fähigkeiten die Möglichkeit, geschlechtsspezifische Strukturen einer Revision zu unterziehen? Insbesondere in vergleichend europäischer Perspektive sind in diesem Kontext Beiträge, die den Blick auch auf kriegsgeschädigte Frauen und Kinder lenken, willkommen.

4. Rehabilitation, Medizin, Prothetik:
Der Körper der Kriegsversehrten wurde zum Objekt wissenschaftlich-technischer Interventionen. Hierbei stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß Kriegsversehrte eine Rolle in der Akzeptanz von medizintechnischen Lösungsansätzen zur Überwindung von „Behinderung“ gespielt haben. Die medizinischen „Wiederherstellungsversuche“ konzentrierten sich vor allem auf die Normalisierung körperlicher Schädigungen z.B. mit Prothesen und erst allmählich auch auf psychische Versehrungen. Welche wissenschaftlichen und technischen Körperbilder waren dabei leitend, wie veränderten sie sich im Verlaufe des 20. Jahrhunderts und wie unterschieden sie sich in den jeweiligen Nachkriegsgesellschaften, so etwa in Bezug auf die mit ihnen verbundenen Rehabilitationsmaßnahmen? Welchen gesellschaftlichen Normvorstellungen folgten sie und wie prägten sie das Normalbild der Kriegsversehrung? Und umgekehrt, welche Reaktionen lösten Rehabilitationsmuster und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Erwartungen bei den Betroffenen selbst aus?

5. Mediale Repräsentation:
Ein weiterer möglicher Schwerpunkt ist der Bereich „Medialität“, beispielsweise die Darstellung der Figur des Kriegsversehrten in der Literatur, der Musik, in den bildenden Künsten, in Denkmälern oder auch in populärkulturellen Medien wie etwa Film und Comic. Der Kriegsversehrte avancierte im 20. Jahrhundert zu einer zentralen Figur sowohl der Unterstützung als auch der Ablehnung von Krieg. Die Thematisierung von Verletzung und Verstümmelung infolge militärischer Auseinandersetzungen in Berichterstattungen implizierte auch immer Fragen der politischen und moralischen Legitimationen von Kriegen. Beiträge zur medialen Repräsentation von Kriegsversehrung erscheinen in diesem Zusammenhang vielversprechend.

Die hier genannten Themenbereiche und Fragestellungen sind lediglich Anregung und sollen einer ersten Orientierung dienen.

Vortragsvorschläge im Umfang von ca. 2.500 Zeichen sowie ein kurzer akademischer Werdegang werden bis zum 5. November 2018 erbeten per E-Mail an: martina.huttner@uni-siegen.de

Vorbehaltlich zur Verfügung stehender Mittel können Reise- und Übernachtungskosten übernommen werden.

Für Fragen stehen die Organisatoren des Workshops zur Verfügung:

Prof. Dr. Noyan Dinçkal, Europäische Wissens- und Kommunikationsgeschichte der Moderne, Universität Siegen (dinckal@geschichte.uni-siegen.de)

Prof. Dr. Sabine Schleiermacher, Forschungsschwerpunkt Zeitgeschichte, Institut für Geschichte der Medizin und Ethik der Medizin, Charité - Universitätsmedizin Berlin, (sabine.schleiermacher@charite.de)

Kontakt:
Prof. Dr. Noyan Dinçkal
Europäische Wissens- und Kommunikationsgeschichte der Moderne
Historisches Seminar
Universität Siegen
Adolf-Reichwein-Straße 2
57068 Siegen
Telefon: +49 (0) 271-740 5097, Sekr. +49 (0) 271-740 3921

Programm

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Noyan Dinçkal

Historisches Seminar, Universität Siegen
Adolf-Reichwein-Straße 2, 57068 Siegen
+49 (0) 271-740 5097

dinckal@geschichte.uni-siegen.de